IV. Quellen und Darstellungen in der Reihenfolge der Ereignisse.

Die Römerstraße durch das Unterinntal von Wilten bis Pons Oeni (Obernberg-- Pfaffenhofen n. Rosenheim) wird von M. Mayer ( 591), namentlich in ihrem Mittelstücke von Matzen bis Eichelwang (bei Kufstein), auf Grund eingehender topographischer Kenntnisse mit kundigem Auge verfolgt. -- In einem knappen, inhaltsreichen Aufsatze untersucht R. Heuberger die näheren Umstände der Begründung des Brixner Fürstentums ( 1309 a). War die Verleihung der Trienter Grafschaft an den dortigen Bischof von 1004 gegen oberitalienische Reichsfeinde gerichtet, so die Aufteilung der welfischen Grafschaft Norital von 1027 gegen deutsche; das Bozner Stück erhielt der Trienter Bischof, den Hauptteil der Brixner. -- Ausgehend von der Untersuchung ihrer (neun) Urkunden, deren Texte samt 5 Originalschriftproben der Abhandlung beigegeben sind, hat der frühverstorbene Erbenschüler H. Meier ein Lebensbild der Herzogin Gertrud von Österreich und Steiermark ( 762) zu zeichnen versucht. Die Hauptmomente ihres Ringens um das Erbe Herzog Friedrichs II., die zweimalige Anlehnung an Ungarn und dazwischen das steirische Halbexil mit geschmälerten Einkünften und gesteigerten Zukunftshoffnungen sind gut herausgearbeitet. -- Die von R. Heuberger mitgeteilte älteste Aufzeichnung eines Sitzungsbeschlusses des tirolischen landesfürstlichen Rates von 1316--1320 ( 763) betrifft einen politisch nicht unwichtigen Heiratsplan zwischen einer Nichte des Grafen Heinrich von Tirol mit dem Grafen Bertold von Henneberg und ist daher doppelt wertvoll. -- Der nicht eben bedeutsame »Schwabenzug« Herzog Sigismunds von Tirol von 1460 erfährt durch H. Hörtnagl ( 765) an Hand des landesfürstlichen Raitbuches eine überaus lebensvolle Beleuchtung. -- F. Popelka ( 764) veröffentlicht ein Schreiben des Seckauer Bischofs Matthias Scheit von 1482, das die Ungarnkämpfe im oberen Murtale näher beleuchtet. -- H. Badstüber, der zur bekannten Sage vom Kaiser Max auf der Martinswand nochmals das Wort ergreift ( 761), hält nach erneuter Prüfung der Quellenlage mit M. Mayr und gegen A. Busson an der Annahme eines geschichtlichen Kernes derselben fest.

Als »Rahmenskizze für eine größere, demnächst an anderer Stelle zu veröffentlichende Studie« bringt K. Hafner ( 800) eine Darstellung des kriegerischen Anteils, den die österreichischen Erblande an dem Feldzuge Karls V. in Oberitalien gehabt haben. Es beginnt damit jene österreichische Politik, die 1856 und 1866 ihren blutigen Abschluß fand (vgl. das Referat S. 212) (B). -- In das neuerdings weniger bearbeitete Zeitalter der Gegenreformation führt uns die Arbeit, die E. Mayer-Löwenschwerdt ( 804) dem Aufenthalte des späteren Kaisers Rudolf II. und seines Bruders Ernst in Spanien 1564--1571 gewidmet hat. Kann uns der Verf. über die Beweggründe Philipps II., die ihn veranlaßten, seine Neffen an seinen Hof zu ziehen, nichts Neues berichten, so bekommt doch das Verlangen, den künftigen Kaiser aus der protestantisch angekränkelten Umgebung Maximilians II.


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zu entfernen, manche neue Farbe. Abgesehen überdies von verschiedenen ganz interessanten Einzelheiten liegt der Wert dieser Studie auch darin, daß darin das Kapitel »Prinzenerziehung« angeschnitten wird (B.). -- J. Loserths neuerliche Untersuchung der Brucker Religionspazifikation vom 9. Feber 1578 und ihrer Verfälschung durch den landesfürstlichen Vizekanzler Schranz ( 806) ist durch das jüngst von K. Schellhaß vertretene, ihn entlastende »richtige Verständnis« derselben veranlaßt. Der Wortlaut der mündlichen Erklärung, die Karl an jenem Tage abgegeben hat, ist doppelt überliefert: Schranzens Aufzeichnung schließt die landesfürstlichen Städte und Märkte deutlich aus, die der Stände lautet günstiger für sie, aber keineswegs ganz klar und eindeutig. Wie Schellhaß zeigt, hat sich Erzherzog Karl mit Absicht zweideutig ausgesprochen. Da kann es nicht wunder nehmen, daß Stände und Vizekanzler diese Erklärung in ihrem Sinne ausgelegt haben. Man wird wohl Schranzen vom Verdachte der Fälschung freisprechen, um so mehr aber Erzherzog Karl belasten müssen. -- Dem Wortführer der Stände auf dem eben berührten Brucker Generallandtag von 1578, dem Freiherrn Hans Friedrich Hoffmann († 1589) hat W. Huber einen eindrucksvollen Lebensabriß ( 1866) gewidmet, der den reichen Bergherrn, den »König des Ennstales«, den Bamberger Vizedom in seiner vielseitigen und großzügigen politisch-religiösen Wirksamkeit als Landmarschall und Sprecher des steirischen Adels auf Landtagen sowohl wie auf Reichs- und Kurfürstentagen, als Pfarrherrn, Schulmann u. a. aufzeigt. Tragisch verflechten sich in dieses reiche Leben die ersten mit den Münchner Oktoberkonferenzen von 1579 einsetzenden Phasen der planmäßigen Austilgung des innerösterreichischen Protestantismus. -- Wie sich die ebenerwähnte ablehnende Haltung Erzherzog Karls und seines Nachfolgers auf die landesfürstlichen Städte ausgewirkt hat, ist an dem Beispiele Knittelfelds -- P. Dedie, Der Protestantismus in Knittelfeld und Umgebung (Graz 1927) -- gut zu verfolgen. -- Über die Reichstagsgesandtschaft der von den Türken bedrängten steirischen Stände von 1594 vgl. n. 805. -- Wir müssen K. Großmann ( 804 a) dankbar sein, daß er die in mehr als einer Hinsicht interessante Persönlichkeit des Reichart Streun von Schwarzenau (1538 bis 1600) der geschichtlichen Erkenntnis näher bringt. Der junge österreichische Adelige, der 1554 aus seiner Wachauer Heimat nach Padua an die Universität ging und 1557--1559 zu Straßburg bei Hotman studierte, der sich der Freundschaft Maximilians II. erfreute, weilte kaum drei Jahre am Wiener Hof, als er 29 jährig Hofkammerpräsident wurde, als welcher er durch 8 Jahre, bis 1575 die Finanzen des Landes leitete. Als getreuer Protestant betätigte er sich verschiedentliche Male zugunsten seiner Glaubensgenossen, mahnte zugleich diese selbst zur Einigkeit und zu gemäßigter Haltung. Gönner der Künste und Wissenschaften, arbeitete Streun selbst an verschiedenen geschichtlichen Werken. (B.)

Einen wertvollen Beitrag zur politischen Geschichte des Spanischen Erbfolgekrieges hat auf Grund archivalischer Studien in Berlin, München und Wien A. Berney ( 852) geliefert, indem er das Verhältnis der Habsburger zu König Friedrich I. von Preußen untersuchte. Es handelt sich hiebei vor allem um die Jahre 1701--1705. B. hebt die guten Absichten des Preußenkönigs hervor, die von der Wiener Regierung nicht immer entsprechend gewürdigt wurden. Bei aller Vertragstreue und allem Abscheu vor reinen Eroberungskriegen


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lag der Sinn des Königs doch in der Richtung der Stärkung des Ansehens Brandenburg-Preußens. Zu diesem Zweck war er bereit, den größten Teil seiner Armee als selbständige norddeutsche Reichsarmee in Süddeutschland und am Niederrhein zu verwenden. Trotz mancher Unsicherheit der Haltung gewinnt in dieser Beleuchtung die Gestalt des Königs und offenbart sich als Vorläufer des größeren Friedrichs II. Der Verf. sucht zu erweisen, daß durch eine zuvorkommendere Haltung der kaiserlichen Politik gegenüber Preußen der spätere Gegensatz zu Österreich aus der Welt geschafft oder doch gemildert hätte werden können. (B.) (Vgl. auch S. 222.) Zu der von der Geschichtsschreibung vernachlässigten Persönlichkeit Kaiser Josephs I. liefert Berney ( 850) einen kleinen Beitrag, indem er 7 Briefe zum Abdruck bringt, die Benedikte Henriette von Braunschweig an ihre Schwägerin und Tante Sophie von Hannover zwischen dem 17. Januar und 3. März 1699 aus Modena, Trient, Innsbruck, Linz und Wien usw. richtete. In ihnen berichtet sie von der Hochzeit ihrer Tochter Wilhelmine Amalie mit dem Römischen König, den zu Modena der Herzog Rainald von Modena vertrat, und von der Fahrt nach Wien. (Vgl. auch S. 223.) (B.) Zur Kenntnis des zum Teil sogar sonderlinghaften Wesens des Fürsten Kaunitz hat v. Srbik ( 878) einen interessanten Beitrag geliefert, indem er einen Brief des Leipziger Medizinprofessors Ernst Platner, den dieser am 29. Mai 1787 an Elisa von der Recke gerichtet hatte, zum Abdruck bringt. In der Widerspiegelung des Aufklärerkreises um Nicolai herum, dem Platner wie die Recke angehörten, gewinnt das Eigenbrötlertum Kaunitzens den ideengeschichtlichen Hintergrund. (B.)

Die wichtigen, aber eigentümlicherweise bisher nicht näher beachteten Umstände, unter denen Österreich zum Kaisertum wurde und das alte Deutsche Reich sein Dasein endete, hat H. v. Srbik ( 887) zum Gegenstande einer auf reicher Quellengrundlage aufgebauten Untersuchung gemacht, die das Ganze dieser Geschichtstatsachen nicht bloß in seinen geistigen, sondern auch in seinen realpolitischen Folgen aufzeigt und es in Zusammenhang mit den Bewegungen jener Zeit stellt. Mit Recht weist v. S. darauf hin, wie trotz allen schweren Mängeln und aller inneren Schwäche die deutsche Kaiserkrone doch kein bloßes Dekorationsstück war, daß das Haus Österreich vor 1806 über seine Reichslehen keineswegs Vollsouveränität besaß. Andererseits wird im Kampfe gegen die Revolutionsheere und Napoleon die Haltlosigkeit der bisherigen Konstruktion immer deutlicher. Die berufenen Stützen des Systems versagen. Der höchste Beamte des Reiches in Wien, Graf Franz Colloredo, kennt nur die Sorge um die Etikette und dem ihm untergebenen Hof- und Staatsvizekanzler Grafen Ludwig Cobenzl steht das Haus Österreich näher als das Reich. Als sich nun am 18. Mai 1804 Napoleon die Krone des Kaisers der Franzosen aufs Haupt setzt, gelingt es der zähen Politik Cobenzls, von Napoleon die Anerkennung der nun erfolgten Erhöhung des Erzhauses (österreichische Kaiserwürde) als Gegenleistung zu erringen. Ohne Rücksicht auf die bestehenden rechtlichen Abhängigkeiten gegenüber dem Reiche, andererseits mit der Versicherung, daß insbesondere die deutschen Erblande ihre bisherige Verknüpfung mit dem Deutschen Reiche bewahren sollen, kam somit auf einer juristisch sehr anzweifelbaren Grundlage das Österreichische Kaisertum zustande. Der »Erwählte Römische Kaiser, erbliche Kaiser von Österreich, König in Germanien, zu Ungarn und Böhmen usw.« nannte sich wie bisher Mitstand des Reiches und schuf sich ein Wappen, in


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dem der römische Kaiseradler den österreichischen Doppeladler umschloß. Das paßte in eine Zeit, in der die süddeutschen Fürsten durch Usurpierung alten Reichsbesitzes täglich Verrat begingen. v. S. zeigt nun, wie die schon zu Wien längst erörterte Frage der Auflösung des Reiches, beziehungsweise des Kronverzichtes durch die Erklärung des Mainzers (28. Mai 1806), den Oheim Napoleons, den Kardinal Fesch zu seinem Koadjutor zu machen, und durch die Veröffentlichung der Rheinbundakte am 12. Juli 1806 ins Rollen kam. Franz II., der diesmal ebenso wie vor zwei Jahren aus dem Verzichte einen politischen Vorteil zu ziehen beabsichtigte, wurde durch das rasche ultimative Vorgehen Napoleons um eine solche Gelegenheit gebracht. Mit Interesse liest man, daß der revolutionäre Akt, mit dem der Kaiser tat, wozu er nicht das Recht besaß, in allen deutschen Landen mit tiefer innerlicher Erregung und nicht ohne Widerspruch aufgenommen wurde. (B.) (Vgl. auch S. 319.)

Die Geschichte des Tiroler Landtags von 1816--1848 wird von H. Gsteu ( 1369) zum erstenmal eingehender geschildert, wobei er sich in dem sie erfüllenden Zwist der Provinzialisten und Zentralisten mehr auf die Seite der ersteren stellt. Mit Recht wird die Einbuße betont, die der Verlust des Steuerbewilligungs- und des Selbstverteidigungsrechtes für die Tiroler Landstände bedeutete. Gleichwohl sollte nicht ganz verkannt werden, daß das damit verbundene Überwuchern der zentralisierten Staatsverwaltung auch seine guten Seiten hatte. Anschaulich sind die mannigfaltigen Agenden geschildert, die den Tiroler Landtag des Vormärz beschäftigten; auch seine Stellungnahme in der Frage der Vertreibung der Zillertaler Protestanten ist gestreift. -- In ausführlicher, nicht immer klar disponierter Darstellung sucht F. Winkler ( 944) darzutun, daß Metternich in seiner Haltung zu der Schweiz nicht eigene politische Gedanken verwirklicht hat, sondern hier nur der Tradition der österreichischen Staatskanzlei gefolgt ist. Besonders verweist er auf den Staatsoffizial der Staatskanzlei Egydius Freiherrn von Collenbach und den Staatsreferendarius Karl Daiser von Sylbach, die diese Politik vor Metternich bereits vertraten. Die vorliegende, teilweise sich mit v. Srbik auseinandersetzende Abhandlung scheint eine Vorarbeit zu der vom Verf. vorbereiteten Ausgabe der Instruktionen der österreichischen Gesandten in der Schweiz des 18. und 19. Jhds. zu sein. (B.) -- Um die Gestalt Metternichs ranken sich die Wiener Erinnerungen des Grafen Saint Aulaire ( 962). Als Gesandten Louis Philipps am österreichischen Kaiserhofe (1832--1841) oblag ihm die nicht eben leichte Aufgabe, vor dem einflußreichsten und zugleich konservativsten Staatsmanne Europas das Frankreich der Julirevolution zu vertreten. Die Vorliebe für Wien und Österreich und die Bewunderung, die er dem Kanzler entgegenbrachte, erleichterten Saint Aulaire die Erfüllung seiner Pflichten, konnten freilich nicht verhindern, daß sich der Herzog von Orléans auf seiner Reise nach Wien vergeblich um die Hand einer Erzherzogin bemühte. Nimmt die Schilderung des Gesellschaftlichen in der Darstellung einen ziemlich breiten Raum ein, so beginnt erst mit den Verwickelungen im Osten, während des türkisch-ägyptischen Konflikts und der Spannung zwischen Frankreich und Rußland die Politik stärker berücksichtigt zu werden. Vergeblich sucht man in dem begleitenden Text und in den Anmerkungen dieser Ausgabe -- die Erinnerungen wurden im Januar 1854 verfaßt und sind hier teilweise verkürzt abgedruckt -- einen Hinweis auf das Werk v. Srbiks. (B.) -- Aufzeichnungen, die zwei junge Mädchen über die Ereignisse


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von 1848/49 in Wien getrennt voneinander niederschrieben, hat B. Imendörfer ( 964) in ihren politisch wesentlichen Teilen abgedruckt. Der Reiz dieser Veröffentlichung liegt darin, daß die Tochter des hannoverischen Gesandten in Wien, Marie von Bodenhausen, als Sprachrohr ihrer Umgebung die Stimmung der streng konservativen Kreise wiedergibt, indes die Fabrikantentochter, Auguste Zimmermann, deren Großvater aus Mühlhausen nach Wien gekommen war, sich von ihrer Familie geistig lossagt und einem behutsamen Liberalismus huldigt, der von stark nationalen Empfindungen getragen wird. (B.) -- Einen erwünschten Beitrag zur Geschichte der Flucht des Staatskanzlers Fürsten Metternich aus Wien am 14. März 1848 bringt H. v. Srbik ( 963), indem er eine Aufzeichnung von der Hand des Josef Anton Edlen von Pilat, des einstigen Sekretärs und getreuen Mitarbeiters Metternichs so weit abdruckt, als sie unsere Kenntnis von den Begleitumständen jenes Erlebnisses zu erweitern imstande ist. Nicht nur sachliche Einzelheiten bietet dieser in französischer Sprache niedergelegte Bericht, sondern auch manche Stimmungsbilder aus der Umgebung des Fürsten, die uns wertvoll sind. (B.)

Die Biographie Kaiser Franz Josefs von Bagger ( 1035), die mehr pamphletären Charakter trägt, gehört nicht in die Reihe wissenschaftlicher Werke. Sie erweitert unser Wissen weder durch neue Erkenntnisse noch durch eine beachtenswerte originelle Auffassung. (B.) -- Mit dem ehrlichen Willen nach Objektivität hat A. O. Meyer ( 1004) das nicht sehr erfreuliche Kapitel deutscher Geschichte behandelt, das mit der Tätigkeit Bismarcks am Frankfurter Bundestag 1851--1859 die Katastrophe des Bruderkrieges einleitet. Daß die große psychologische Überlegenheit, mit der der preußische Gesandte seine Gegenspieler und bisweilen auch seine Regierung und seinen König für seine Pläne ausnutzte, in der Beurteilung von Menschen und Dingen auch den späteren Geschichtschreiber im Banne hält und beeinflußt, wird man dem Verf. nicht übelnehmen können. Klarer als vordem wird es aber jetzt, daß die Abberufung Bismarcks von Frankfurt keineswegs nur die Folge österreichischer Einflüsse war. (B.) (Vgl. auch S. 251.) -- In einigen Einzelheiten konnte F. Engel- Jánosi ( 1005) A. O. Meyers Aufstellungen korrigieren. Seine Schrift über den Grafen Bernhard von Rechberg büßt natürlich durch die freiwillige Ausschaltung der deutschen Frage an Bedeutung manches ein, zudem fehlt es dem Verf. vielfach an der Kraft, die großen Linien deutlich herauszuarbeiten. Trotzdem war es verdienstvoll, die Gestalt dieses vom äußeren Erfolg wenig begünstigten Staatsmannes ins volle Licht der Geschichte zu stellen und um Verständnis für seine einst arg umstrittene Haltung zu werben. Durch Heranziehung nicht bloß der Wiener, sondern auch der Berliner und Münchener Archive, wie überdies von Familienpapieren wurde es Engel möglich, die schon bekannten Züge der Politik Rechbergs nach mehrfacher Hinsicht abzurunden und klarer werden zu lassen. Wir lernen seinen Werdegang kurz kennen und erfahren Näheres über seine Tätigkeit als Ziviladlatus, als welcher er 1853 für die lombardisch-venezianische Verwaltung Radetzky zur Seite gestellt wurde. Der Schüler und Schützling des alten Metternich wird im Jahre 1859 in einem Augenblick an die Spitze der Regierung berufen, in dem der Krieg mit Piemont nachgerade unausweichlich war. Er muß die Ungunst der öffentlichen Meinung auf sich nehmen und auch die durch den Krimkrieg bedingte Schwierigkeit der Lage. So litt sein Wirken unter den Folgen einer Politik, für die sein Vorgänger


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verantwortlich war. Er konnte auch während des Polenaufstandes von 1863, da Österreich Gefahr lief, es mit den Westmächten zu verderben, ohne von Rußland eine Stütze zu erhalten, nur dem Lavieren das Wort reden. Das Zusammengehen mit Preußen, das Rechberg gegenüber Dänemark in der schleswig-holsteinischen Angelegenheit befürwortete, stellt sich in gewissem Sinne als der Versuch dar, die Traditionen Metternichs fortzusetzen. Auch noch nach seinem Ausscheiden aus dem öffentlichen Dienste (24. Oktober 1864) erhob er seine Stimme gegen einen Krieg mit Preußen; doch seine Warnrufe verhallten. Die sogenannte öffentliche Meinung beschuldigte ihn vielmehr nachgerade der Schuld an Königgrätz. Indem sich E. bemüht, dem viel verlästerten und verkannten Rechberg Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, setzt er in gewissem Sinne fort, was Friedjung seinerzeit in seinem »Kampf um die Vorherrschaft« angebahnt hatte. Daß er mit der »Rettung« nicht übers Ziel schießt, kann nur als Vorzug gewertet werden; freilich war der Verf. schon durch die abgeblaßten Farben seiner Stilistik vor Übertreibungen gefeit. (B.) -- Eine erwünschte Ergänzung zur Kenntnis von den Vorgängen und Stimmungen in Österreich zur Zeit des Krieges von 1866 bietet F. Cornelius ( 1019), indem er vorzüglich aus den Zeitungen und Zeitschriften, aber auch aus Memoirenwerken und ähnlichem Material die Stellungnahme namentlich der Deutschösterreicher zu dem Frieden von Nikolsburg herauszulesen sucht. Bezeichnend bleibt es, daß die Tatsache des Ausschlusses aus dem Deutschen Bunde die Österreicher (je nach ihrer Nationalität natürlich verschieden) stärker beschäftigt als z. B. die Zurückhaltung der Sieger in bezug auf ihre Forderungen an die Monarchie. Von einem österreichischen »Nationalgefühl«, das gewisse Kreise zu entfachen suchen, findet sich keine Spur. Die Niederlage von Königgrätz wird den Klerikalen zum Beweisstück wider den areligiösen Liberalismus, die Tschechen laufen gegen den »deutschen Beruf« des Habsburgerstaates Sturm, bei den Deutschösterreichern flammt jetzt mehr als früher ihr deutsches Volksbewußtsein auf. »Wir gehören ... dem Besten nach, dem Geist und Herzen nach Deutschland«, ruft am 5. Dezember 1866 Bauernfeld aus. Die allgemeine innere Versöhnung mit dem einstigen Gegner beginnt bereits im August bemerkbar zu werden. (B.) -- Im Rahmen einer Jubiläumsschrift des 1868 gegründeten (klerikalen) »Grazer Volksblattes« gibt K. Schwechler ( 2113) einen Beitrag zur Geschichte der katholischen Bewegung in Steiermark während der letzten 60 Jahre, der mancherlei beachtenswerte, wenn auch parteipolitisch gesehene Einzelheiten aus der Zeit des Liberalismus und der Los-von-Rom- Bewegung enthält.

K. Frh. v. Bardolff ( 1099 a) sucht das Charakterbild des Erzherzogs Franz Ferdinand, dessen letzter Flügeladjutant und Vorstand von dessen Militärkanzlei der Verf. war, mit knappen Strichen zu umreißen. Nach ihm war der Thronfolger der letzte Habsburger »mit dem Willen zum Schaffen in großem Stile«, ein Feind aller Protektion, die Armee als den sichersten Schutz der Dynastie und des Staates achtend, deshalb ständig um ihr Wohlergehen besorgt. Unerwartet durch den Tod des Kronprinzen Rudolf zu hoher Verantwortlichkeit berufen, nie ganz gesund, dadurch reizbar und in seinem Wesen unausgeglichen, hatte ihn seine Eheschließung in weiteren Streit und Kampf verwickelt. Man wird verstehen, wenn B. geneigt ist, die Gestalt des Prinzen gegen Widersacher zu verteidigen. Aber auch aus seiner Schilderung werden


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die Grenzen der Begabung und des geistigen Blickfeldes sichtbar. (B.) Interessante Beiträge zur Kenntnis der Balkanverhältnisse vor dem Kriege bieten die Aufzeichnungen des Baron Wladimir von Giesl ( 1107), der im Dezember 1893 k. u. k. Militärattaché in Konstantinopel, 1906 daselbst Militärbevollmächtigter, 1909 als österreichischer Gesandter nach Montenegro und am 7. November 1913 in der gleichen Eigenschaft nach Serbien geschickt wurde. (B.) (Vgl. S. 275.) -- Als 1909 Baron W. Giesl seinen Posten in Konstantinopel verließ, wurde J. Pomiankowski ( 1183) sein Nachfolger als österreichischungarischer Militärattaché beziehungsweise Militärbevollmächtigter am Bosporus. Da er in dieser Stellung bis zum Zusammenbruch blieb und 1919 die Reste der österreichischen Truppen nach Wien brachte, so bildet P.s Buch, soweit es die Schilderung der türkischen Verhältnisse betrifft, gewissermaßen die Fortsetzung des Gieslschen Werkes. (B.) (Vgl. S. 287.) -- Als Beitrag zur Kriegsschuldfrage ist der Aufsatz von Uebersberger ( 1099) ein wertvoller Nachweis für die Tatsache, daß Sasanow im Jahre 1914 entschlossen war, so rasch als dies nur immer möglich war, mit der österreichisch-ungarischen Monarchie Krieg zu beginnen. Die serbischen Wühlereien wie auch die albanische Frage sollten den Anlaß dazu bilden. Der Verf. kann sich hiebei auf verlorene serbische Akten stützen, die ihm im Jahre 1914 zur Verfügung standen. (B.) -- Da es schon schwer zugänglich zu werden beginnt, druckt v. Wiesner ( 1139) nochmals mit allen seinen Beilagen das Memoire vom 23. Juli 1914 ab. (B.) (Vgl. S. 281.) -- Auf Grund der in ungarischer Sprache erschienenen »Sämtlichen Werke des Grafen Tisza«, von denen Reihe 4, Bd. 3 Briefe, Telegramme, telephonische Meldungen, Vorträge und tagebuchartige Aufzeichnungen vom Januar bis Juli 1915 enthält, behandelt Weber ( 1188) Tiszas Haltung in bezug auf die italienische Politik der Monarchie im ersten Jahresviertel 1915. (B.) (Vgl. S. 289.) -- Einen Beitrag zum Zusammenbruch und den drohenden Vorzeichen jenes Schicksals bietet Frei ( 1245), der die am 1. Februar 1918 ausgebrochene Meuterei auf österreichischen Kriegsschiffen in der Boche di Cattaro sehr ausführlich schildert. Die Vorgänge, bei denen auf dem Admiralsschiff »Georg« ein Korvettenkapitän angeschossen, der Admiral gefangengesetzt wurde, bei denen auch die Mannschaften anderer Einheiten die Kommandogewalt an sich rissen und einen Matrosenrat bildeten, diese Vorgänge, die mit der standgerichtlichen Hinrichtung von sechs Rädelsführern endeten, schildert F. in gewollt parteimäßiger Einstellung für die sozialdemokratische Arbeiterjugend. Hiebei zeichnet er mit kaum verhehlter Absicht den revolutionären Charakter der Arbeiterführer nachträglich schärfer als dies den Tatsachen entspricht. Immerhin verwertet er sonst unzugängliches Material. (B.)


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