V. Rechts- und Verfassungsgeschichte.

Ein glücklicher Fund gibt O. Brunner ( 1919) Gelegenheit, an Hand des landmarschallischen Archivs Ulrichs von Dachsberg von 1397--1402 die Amtsagenden desselben näher zu beleuchten. Auf dem Wege über die herzogliche, vom Landmarschall ausgeübte Schirm- und Schutzgewalt kommt B. in einem Exkurse auch auf die Vorgeschichte der Judenvertreibung von 1421 »als Endpunktes einer langen, sozialökonomischen Tatsachenreihe« zu sprechen. Ein Anhang bringt den Text der 87 Urkunden dieses landmarschallischen Archivfragments. -- Der vielumstrittene Sinn der alten, später auf den Fürstenstein (bei Karnburg) verlegten Einsetzungszeremonien


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des Kärnter Herzogs wird von A. Jaksch-Wartenhorst ( 1309) als ursprüngliche Glaubensprüfung desselben durch die freien Bauern (Edlinge) unter dem Vorsitze eines von ihnen erwählten Richters erläutert. -- Zu O. H. Stowassers Abhandlung über das Tal Wachau und die Kuenringer ( 1306) vgl. Jahresberichte Band 2, S. 653. -- Ein Gerichtsprotokoll- und Verhörbuch der passauischen Herrschaft Königstetten von 1663--1666 -- aus der Zeit also, in der sich der unten berührte gemeinrechtliche Traktatus der Vollendung näherte -- gibt H. Demelius ( 1369 a) Gelegenheit, die Praxis des Herrschaftsgerichtes in zivilrechtlichen Streitigkeiten und Strafprozessen durch Beispiele zu erläutern und auch auf die Tätigkeit des Dorfrichters einen Blick zu werfen. -- Hingewiesen sei ferner auf R. Hauers Untersuchung ( 1307) der Stellung des Prangers in der niederösterreichischen Rechtsgeschichte, teils als eines eigentlichen Strafvollzugsmittels in Fällen der Niedergerichtsbarkeit, teils als Richtstätte für Leib- und Lebensstrafen der Hochgerichtsbarkeit. Die deutschen Rolandsäulen und die österreichischen Pranger stellt H. in eine Linie. -- Die Entstehungsgeschichte der bekannten leopoldinischen Rechtskodifikation des Tractatus de juribus incorporabilibus für Niederösterreich, dessen Ausarbeitung mehr als 150 Jahre in Anspruch nahm, wird von F. Wisnicki ( 1369 b) als ein Teil der Kodifikationsgeschichte des Privatrechtes überhaupt jenen ganzen langen Zeitraum hindurch verfolgt, wobei er auch der weiteren Novellierungsversuche gedenkt, die erst 1848 ihr Ende fanden.

Der Geschichte der Wiener Polizei hat V. Bibl ( 1370) ein umfangreiches Buch gewidmet, doch beschäftigt sich seine z. T. aktenmäßig gegründete Darstellung vorzüglich mit der Zeit vom »Ordnungs- und Wohlfahrtsstaat« Ferdinands I. bis zum Regierungsantritt Franz Josephs. Sie ist nicht staatswissenschaftlich oder rechtsgeschichtlich aufgebaut, sondern wählt den kulturhistorischen Standpunkt, wendet sich an weitere Kreise, schildert Sitten, Uniformen, äußere Vorgänge und wendet ihre Aufmerksamkeit ganz besonders auch der Zensur in Wien zu. Ein Verzeichnis der wichtigsten Verordnungen seit 1221 bis 1890, die das Polizeiwesen in Wien betreffen, und eine Anzahl guter Abbildungen unterstützen und ergänzen die Ausführungen des Verfassers. (B.) -- Ungleich mehr als Bibl sucht F. Walter ( 1371) in seiner Studie über die Organisierung der staatlichen Polizei unter Joseph II. die grundsätzlichen und theoretischen Fragen zu erläutern, die sich an das Wesen dieser neuen Einrichtung knüpfen. Der Verf. zeigt, wie trotz den Darlegungen von Justi in seinem Buche »Grundsätze der Policey-Wissenschaft« (2. Aufl. 1759), wie trotz den freilich nicht sehr originellen »Grundsätzen der Policey«, die von Sonnenfels herrührten, erst die Praxis selbst den Begriff »Polizei« schärfer gefaßt hatte. Erst Graf J. A. von Pergen, der als niederösterreichischer Landmarschall und Regierungspräsident 1782 an die Spitze der Polizei in Niederösterreich trat -- eine eigene Polizeihofstelle wurde erst 1793 gegründet -- hatte Umfang und Aufgaben der Polizei im modernen Sinne bestimmt. Die durch kaiserliches Handschreiben vom 1. März 1782 bestimmte Neuordnung der staatlichen Verwaltung in Niederösterreich sah nicht nur die Ernennung eines Polizeidirektors vor, sondern vom 1. Mai jenes Jahres an auch eine neue Amtsorganisation, die sich in Wien so bewährte, daß der Kaiser daran dachte, diese Einrichtung einheitlich auf die ganze Monarchie auszudehnen. Später wich er allerdings von seinem ursprünglichen Entschlusse einen Schritt zurück und ernannte


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1784 nur für Prag und Brünn Polizeidirektoren. Aber schon 1785 folgten Preßburg, Ofen und Troppau, in den folgenden zwei Jahren Linz, Mailand, Pest, Hermannstadt, Innsbruck. Nach einigen Schwankungen dauerte es bis 1790, bis Pergen die zentrale Leitung einer einheitlich geordneten Polizeieinrichtung in dem Kaiserstaate übernehmen konnte. Gleichzeitig wurde die schon unter Maria Theresia geschaffene Geheimpolizei weiter ausgebaut. W. druckt die »Geheime Instruktion« ab, die 1786 Joseph II. allen Länderchefs übersandt hatte, in der auf die spätere Entwicklung, wie sie unter Franz II., beziehungsweise Sedlnitzky in die Erscheinung getreten ist, bereits deutliche Schatten fallen. In der Tat lebte unter diesem Herrscher das von Pergen eingerichtete System, das 1791 mit dem Rücktritt dieses Mannes länderweise zersplittert wurde, von neuem auf, und Pergen selbst kehrt unter Franz II. als »Polizeiminister in allen Erblanden« 1793 in sein Amt zurück. (B.) -- In Ergänzung seiner Jahresberichte 2, S. 651 angezeigten Untersuchung über die österreichischen Landesverfassungen und Landesordnungen von 1848--1861 behandelt K. Hugelmann ( 1371 a) nunmehr im besonderen das Organische Statut über die Landesvertretungen und die 18 Einzelstatute derselben, die 1854 beschlossen, 1856 ausgearbeitet, aber niemals genehmigt worden sind. Die Texte sind als Beilagen angeschlossen.


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