I. Allgemeine Quellenkunde und Hilfswissenschaften.

In einem internationalen Rahmen umreißt Šusta (S. 623 Nr. 40) die Entwicklung und Erfolge der Geschichtsforschung und -schreibung auf dem Gebiete der Tschechoslowakei im letzten halben Jahrhundert und erfüllt damit eine ähnliche Aufgabe wie in seinem im Vorjahre an dieser Stelle besprochenen historiographischen Buche. Freilich mußte schon damals notgedrungen ein fühlbares Zurückdrängen des deutschen Leistungsanteils festgestellt werden, was bei dem vorliegenden Abrisse in verstärktem Maße zu wiederholen ist. Von den 23 Seiten des Berichtes entfallen auf die deutsche Geschichtswissenschaft nur 1½ Seiten, so daß Š.s Bericht in der Hauptsache nur die tschechische Geschichtswissenschaft in den letzten 50 Jahren umgreift. Von Deutschen werden nur genannt Bezold, Lindner, Bachmann, Bretholz, Loserth, Lippert, Werunsky, Zycha, von denen Š. in der Hauptsache nur feststellt, sie hätten tschechische Geschichtsauffassungen bekämpft. Schmerzlich vermißt man die Nennung der Zeitschrift des Vereins für Geschichte Mährens und Schlesiens, der Bibliothek deutscher Schriftsteller aus Böhmen, der wertvollen Quellenveröffentlichungen des Vereins für Geschichte der Deutschen in Böhmen, dessen Leistungen nunmehr aus Schmidts ( 13) sorgfältig gearbeitetem Inhaltsverzeichnis über 60 Bände seiner Mitteilungen bequem ersehen werden können, u. v. a. Über Schlesien hätte man gern ein Wort gehört. Die Entwicklung der tschechischen Geschichtswissenschaft seit den Zeiten Palackýs hat Š. richtig und liebevoll gezeichnet, vor allem die auf deutschem Muster fußende Schule Golls, der die meisten heute lebenden führenden tschechischen Historiker angehören, wobei freilich Šustas Name selbst hätte nicht fehlen dürfen, zumal er Grundlegendes auch zur sudetenländischen Geschichte geleistet hat. -- Wie bisher erfreuten sich die Archive in den Sudetenländern weiterhin dank staatlicher Regelungen sorgsamer Pflege, worüber die den einzelnen geistlichen, Landes- und städtischen Archiven vorgesetzten Leiter übersichtliche Berichte über Bestände und Arbeit vorlegen [Oberdorfer ( 55), Umlauft ( 55), Wenisch ( 55), Bretholz ( 56), Podlaha (S. 622 Nr. 30), Breitenbacher (S. 621 Nr. 3)], von denen besonders auf den ausführlichen Breitenbachers hingewiesen sei, der dadurch die Benützung des Olmützer erzbischöflichen Archivs in Kremsier bedeutend erleichtert hat. -- Nicht immer vorteilhaft unterscheiden sich davon die Archive der benachbarten schlesisch-lausitzischen Gebiete, deren Mendl (S. 622 Nr. 23) eine Reihe (Glatz, Breslau, Görlitz, Bautzen) bereiste, um nach Urkunden Karls IV., die Böhmen betreffen, zu fahnden. Die beigebrachten Bemerkungen über die einzelnen Archive -- die staatlich geleiteten können den hiesigen zum Muster dienen -- sind von Wert. Nachricht von reichen Quellenbeständen zur sudetenländischen Geschichte (auch der deutschen) von den ältesten Zeiten bis in die neueren Jahrhunderte in den siebenbürgischen Archiven und Bibliotheken brachte Ma-


S.608

cůrek (S. 622 Nr. 21) heim. -- Der seit langem bekannte Reichtum des Olmützer Stadtarchivs an Stadtbüchern tritt erst jetzt, da Nešpor (S. 622 Nr. 25) ein genaues Verzeichnis der vorhandenen 1745 Stücke vorlegt, in richtige Erscheinung. Die Bestände reichen bis in den Beginn des 14. Jhds. zurück. Für die Nationalitätengeschichte bleibt wichtig, daß in der Amtssprache neben Latein Deutsch vorherrscht. Nur für ländliche und landrechtliche Angelegenheiten begegnet das Tschechische.

Mit einem Formelbuche aus der Zeit Wenzels IV., dessen vollständigste Handschrift im Wittingauer Archive (zwei verkürzte im Prager Domarchiv) liegt, beschäftigt sich Hadač (S. 621 Nr. 9). Er sieht darin eine Sammlung wirklich in der Kanzlei Wenzels bis 1400 angegebener Urkunden und kommt zu dem Schlusse, daß als Vorlagen die Formelbücher der älteren Zeit bis auf Petrus de Vinea, ebenso die aus der Zeit Karls IV. gedient haben, da manchmal nur der Name Wenzel statt Karl eingesetzt wurde. Diese Sammlung ist in der königlichen Kanzlei entstanden. Ein Exemplar befand sich in der Hand des Johannes Cardinalis von Reinstein, der in den Prager Hussitenwirren eine Rolle spielte. Er ließ diese Sammlung für seinen Gebrauch von einem guten Bekannten der Hofkanzlei zusammenstellen und verwendete sie bei seinen Vorlesungen und bei amtlichen Missionen. Wie die Hs. nach Wittingau kam, ist nicht mehr festzustellen. Die beiden Hs. des Prager Domkapitels stellen schlechte Abschriften dar. Letošnik (S. 622 Nr. 19) setzt seine frühere Studie über die Registerbücher der Böhmischen Kanzlei fort, beschreibt und analysiert den Inhalt der meist aus dem 16. Jhd. erhaltenen 9 Bände und zweier sie ergänzender Repertorien offener Patente, Abschiede und Briefe der Böhmischen Kanzlei, die zumeist in deutscher Sprache abgefaßt sind. Irrtümlicherweise wurden noch 4 Bücher der Böhmischen Kammer diesen Registerbüchern eingeordnet. -- An diplomatischen Untersuchungen kann nur auf die auszugsweise gedruckte Dissertation von R. Hetz: Die Gründungsurkunden der älteren böhmischen Klöster (Jahrb. d. phil. Fak. d. dt. Univers. in Prag III, 12--13) hingewiesen werden, der die Gründungsurkunden von 15 böhmisch-mährischen Klöstern auf Echtheit und Falschheit hin untersucht, darüber hinaus zu dem Ergebnis kommt, »daß der Ursprung des böhmischen Urkundenwesens im deutschen Privaturkundenwesen zu finden ist.«


Diese Seite ist Bestandteil des Informationsangebots "Jahresberichte für deutsche Geschichte" aus der Zwischenkriegszeit (1925-1938)