c) bis

1918. Immer wieder kehrt Hrubý (S. 621 Nr. 10) in die Zeiten des 30 jährigen Krieges, zu den Fragen über Ursachen und Wirkungen der Schlacht auf dem Weißen Berge zurück. Diesmal spürt er dem Schicksal der in Mähren konfiszierten Großgrundbesitze nach, die von der Regierung verkauft wurden. Es wurden daher auf ungefähr 50 solchen Gütern 1622/23 Schätzungen ihres Wertes durch eine auf Antrag von Kardinal Dietrichstein eingesetzte dreigliedrige Kommission vorgenommen. Den Schätzungen wurden zunächst die Einkünfte zugrunde gelegt. Dabei springt in die Augen, wie beim Großgrundbesitz die Eigenwirtschaft die Zinswirtschaft immer mehr zu überwiegen begann. Den Hauptposten unter den Einnahmen füllte der Ertrag der Hofwirtschaft aus. Dagegen war der Ertrag der Wälder gering. Lehrreiche Einblicke in die Lage der Getreidewirtschaft und Viehzucht lassen sich tun. Freilich geht aus allem hervor, daß die Güter überaus niedrig abgeschätzt wurden, so daß sie der Fiskus mit einem bedeutenden Verluste verkaufte. Das Unglaublichste bei den Schätzungen aber war, daß man nicht mit der 1621 eingetretenen Entwertung des Geldes rechnete, sondern bei den Vorkriegsverhältnissen blieb und daß trotzdem mit entwertetem Gelde bezahlt wurde. Das war gerade den fremden Käufern, den Soldaten und Offizieren, sehr recht, die so für den Sold von einigen Monaten sich in der Tat ein großes Gut kaufen konnten. Nachträglich bemerkte die Regierung den Unterschleif und forderte zu freiwilligem Ersatz auf, begegnete aber tauben Ohren. -- Die Verwaltungsreformen des theresianisch-josephinischen Zeitalters waren zugleich hochpolitische Aktionen. 1749 bedeutete für die böhmischen Länder durch die Einrichtung des »Directoriums in publicis et cameralibus«, dessen Urheber Haugwitz war, einen tiefen Einschnitt. Hauptgegner dieser Ordnung war Bartenstein. Dieses Preußen nachgeahmte Directorium erwies sich während des 7 jährigen Krieges immer unhaltbarer, so daß schließlich auch Kaunitz sich 1760 entschloß, alles zu ändern. 1761 brach endlich der durch Prokeš (S. 622 Nr. 33) geschilderte offene Kampf um das Directorium aus. Es wurde eine Enquête einberufen, an der alle damals bekannten Staatsmänner teilnahmen. Kaunitz siegte, die politischen Angelegenheiten der böhmischen und österreichischen Länder wurden der Vereinigten böhmisch-österreichischen Hofkanzlei anvertraut. Die Finanzangelegenheiten, die Haugwitz mit den politischen verbunden hatte, wurden losgelöst und in eigenen Ämtern betreut. Für die neue Hofkanzlei wurde eine genaue Instruktion erlassen, die Prokeš (S. 622 Nr. 34) gleichfalls genau bespricht, deren weiteres Schicksal er noch verfolgt. P. hat mit bisher unverarbeitetem Material aufgebaut.

Für die Zeit des tschechischen Wiedererwachens liegt eine umfängliche Monographie J. Fischers (S. 621 Nr. 7) über die Ideenwelt und das Werk des großen tschechischen Historikers Palacký vor, das auch für die deutsche Geschichte von Belang ist. Kommt es doch F. wesentlich auf die Verbindung und Ableitung Palackýscher Gedanken mit und aus führenden Zeitgenossen, vor allem der westlichen Kulturwelt an. Ein ganzes Heer von Namen läßt F. dabei vorüberziehen, die alle in irgendeiner Weise Palacký befruchtet haben sollen. Die meisten deutschen Aufklärer und Romantiker, vor allem Philosophen, Politiker,


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Ästheten, Historiker werden vorgeführt. Daneben aber ebensoviele Franzosen und Engländer. Gegen diese Art läßt sich aber einwenden, daß damit höchstens Material zur Lösung der Frage nach Palackýs ideengeschichtlicher Abhängigkeit bereitgestellt ist. Erst jetzt beginnt die höchste Aufgabe des Historikers: das Werten, was man bei F. vermißt. Gerade dann wird sich zeigen, daß es nur wenige Männer waren, die maßgeblich auf Palacký einwirkten, auf den Historiker Palacký am meisten Heinrich Luden, wie ich in einem eben erschienenen Aufsatze in der Hist. Z. nachgewiesen habe. Von Wert sind F.s systematische Darlegungen der politischen Gedankenwelt Palackýs, wenngleich auch hier der Historiker lieber eine entwicklungsgeschichtliche als systematisierende Darstellungsweise begrüßt hätte. Aber F. ging ja als Philosoph an seine Aufgabe heran, und als solcher hat er für die noch immer ausstehende Lebensgeschichte Palackýs wichtige Beiträge geliefert. -- In die Zeit des böhmischen Vormärz führt teilweise O. Fischers (S. 621 Nr. 8) Arbeit über das Verhältnis Belgiens und Deutschlands vom 19. Jahrh. bis zum Weltkrieg. In diesem Rahmen interessiert uns vor allem der Abschnitt über Kuranda, den deutschböhmischen Dichter und Publizisten, der zu Beginn der vierziger Jahre in Belgien weilte, sich der flämischen Bewegung widmete, »Die Grenzboten« begründete, in ihnen wegen der nationalen Frage besonders Vergleiche mit seiner böhmischen Heimat anstellte, bis er dann nach Leipzig übersiedelte. Das Buch, das das gesamte Deutschtum angeht, ist mit einer wünschenswerten Unparteilichkeit geschrieben. --Kazbunda ist in der glücklichen Lage, den Archivalien des 19. Jahrh. sehr nahe zu stehen, so daß jede seiner Veröffentlichungen wertvolles neues Material beibringt. Gesamtösterreichische Bedeutung besitzt Kazbundas (S. 622 Nr. 15) neue Arbeit über die böhmische Krönungsfrage von 1861. Böhmen nahm an den Veränderungen der Verfassung zu Beginn der sechziger Jahre teil. Eine Hauptfrage war dabei, ob sich die tschechischnationale Bürgerpartei, geführt von Rieger, und der konservative böhmische Großgrundbesitz, geführt von Clam-Martinitz, dem eine Verbindung von geschichtlichen Werten und nationalen Gedanken vorschwebte, finden würden, was sich sofort bei der Neukonstituierung des böhmischen Landtages hätte bewähren können. Überhaupt machte die Frage dieses Landtages dem damaligen Statthalter Forgach und der Wiener Regierung viel Kopfzerbrechen. Im Zusammenhange mit der zweifelhaften Benennung des Landtagsvorsitzenden schnitt dann der ehemalige Statthalter Baron Mecséry die böhmische Krönungsfrage an. Auch Schmerling beschäftigte sich unter dem Drucke der ungarischen Verhältnisse mit diesen Fragen, wobei vor allem Krönungseid und -form im Vordergrunde der Erörterung standen. Die Beratungen im Ministerrat hatten das Ergebnis, daß der Kaiser nicht abgeneigt sei, sich krönen zu lassen, daß man im böhmischen Landtage abwarten solle, ob ein loyaler tschechischer Antrag in diesem Sinne gestellt werde. Wenn ja, sollte der Statthalter eine zustimmende Antwort geben. In der Tat verlief im Landtag alles programmgemäß. Schon war eine tschechische Deputation nach Wien auf dem Weg, die Audienz beim Kaiser endete günstig. In Prag begann man sich bereits zur Krönung zu rüsten, Krönungsmedaillen wurden entworfen. Aber gerade in Ungarn zeigten sich damals die größten Schwierigkeiten. Der ungarische Landtag wurde aufgelöst. Wegen der böhmischen Krönung aber rührte sich nichts mehr. Nur die ungarischen Verhältnisse vereitelten ihr Zustandekommen.

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Mitten in den Weltkrieg und seine Zurüstung führen dann drei weitere Arbeiten ein, die vor allem der tschechischen Entwicklung gelten, darum nicht weniger für die Geschichte der Deutschen der Sudetenländer von Bedeutung sind. Den ersten Platz nimmt Benešs (S. 621 Nr. 1) Memoirenwerk ein, das bis zur Aufrichtung des neuen Staates führt. Als unmittelbar am Werden dieses Staates Beteiligter bringt er entscheidendes Material bei. Dem Hauptteile stellt er einen kurzen Abriß seiner wissenschaftlich-politischen Entwicklung voraus, den wir gern ausführlicher gesehen hätten. Nach diesem Buche ist B.s Grundeinstellung eindeutig gegeben. Er blieb bei seiner ablehnenden Haltung gegenüber dem »Pangermanismus« -- warum nennt man es nicht richtiger »Alldeutschtum«? --, schloß sich durchaus dem Westen an und verkörpert so den erst in der Neuzeit unter den Tschechen entstandenen Typ des Westlers in vollendeter Weise. An Deutschland sah er nur das Absterbende, auch als er 1908 persönlich dahin kam. Vor allem mit dem preußischen Regime vermochte er sich nicht zu befreunden. Der tschechischen Auslandsbewegung, die er mit Zuhilfenahme der reichen Schätze seines Privatarchivs schildert, ist der Hauptteil des Werkes gewidmet. Daß er während dieser Zeit vor allem die Fähigkeiten des wissenschaftlich gut vorbereiteten Diplomaten verwandte -- er ging von Anfang an wissenschaftlich an die Politik heran --, sei besonders hervorgehoben. Es ist weiterhin zu betonen, daß B. seine Memoiren, von wissenschaftlichem Geiste erfüllt, geschickt angelegt und geschrieben hat, dabei, hält man sich die noch um das sozialistische Moment vermehrte, oben genannte Grundeinstellung vor Augen, in den Grenzen der Sachlichkeit bleibt. Das Gleiche darf Opocenský (S. 622 Nr. 28) nachgerühmt werden, der die letzten Wochen und Tage Österreichs bis zum Zusammenbruch und dann die Bildung der einzelnen »National«- staaten auf seinen Trümmern verfolgt, womit er eine fühlbare Lücke ausfüllt. In kluger Weise enthält sich O. nach Möglichkeit der Werturteile. Ausführlich werden die böhmischen Verhältnisse während der Umsturztage in Prag, vor allem auch die Bestrebungen sudetendeutscher Kreise nach Schaffung einer eigenen Staatlichkeit geschildert. Der den Sudetendeutschen gewidmete Abschnitt trägt den Titel: »Der Traum von Deutschböhmen«. Freilich werden so wichtige Fragen wie die nach den Verhandlungen der Deutschen mit den Tschechen wegen Schaffung eines modus vivendi noch vor Schluß der Friedenskonferenzen erst dann entschieden werden können, bis sich die an den Verhandlungen Beteiligten zu memoirenartigen Veröffentlichungen werden entschließen können. Daß auf deutscher Seite eine deutliche Scheu und Unlust hierzu vorherrscht, ist nur zu begreiflich, obwohl bereits heute der Nachfahre ein Recht zu haben glaubt, die Schleier zu lüften. Denn die Frage nach Schuld und Unschuld an den Ereignissen von 1918/19 taucht allzuoft auf, obwohl nie vergessen werden sollte, in welch tragischem Zwiespalte alle Verantwortlichen jener Tage, besonders die Deutschen, gelebt haben. Ein lehrreiches Kapitel der tschechischen Inlandsrevolution deckt Malý (S. 622 Nr. 22) auf, der die Entstehung der tschechischen radikal-fortschrittlichen Partei darstellt, die immer nur eine geringe Mitgliederzahl besaß, aber gerade in der entscheidenden Kriegszeit das Programm der Unabhängigkeit des tschechischen Volkes hochhielt, besonders in der Zeit, da sich ein deutlicher Widerspruch zwischen den Abgeordneten und der Volksmeinung ergab. Als dann während des Krieges der Reichstag einberufen wurde, war die Frage, was die tschechischen Parteien an Kundgebungen herausgeben


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würden. Für den Abg. Kalina aber wurde in der radikalen Fortschrittspartei eine überaus scharfe Adresse, welche die Unabhängigkeit des tschechoslowakischen Volkes forderte, ausgearbeitet, die er tatsächlich verlas und die im tschechischen Volk Widerhall gefunden hat. M. hat vor allem die Entstehung dieses Manifestes, da er selbst daran beteiligt war, klargelegt. -- Mit überzeugenden Gründen weist Papoušek (S. 622 Nr. 29) nach, daß Rußland in den Weltkrieg nicht aus irgendwelchen panslawischen Idealen eingetreten ist, sondern sich allein von seinen machtpolitischen Bestrebungen leiten ließ, die es vor allem um das große europäische Gleichgewicht besorgt sein ließ, und die es immer wieder nach Konstantinopel und zu den Meerengen trieb. Daher betrachtete Rußland die tschechoslowakische Frage stets als innere Angelegenheit Österreichs, wie es auch die polnische nur als solche wertete. So konnte von Rußland niemals die Befreiung der slawischen Völker kommen, wie es Kramař im Gegensatz zu Masaryk und Beneš immer wieder behauptet. Denn der Kampf war kein Krieg zwischen Slawentum und Pangermanismus, wie das Streben der Deutschen nach Vereinigung aller Volksgenossen von slawischer Seite immer wieder so schief bezeichnet wird. Aus alledem folgt, wie fadenscheinig vor allem der politische Panslawismus ist, der immer noch Vertreter findet. Im Anhange druckt P. sechzig fast ganz unbekannte Dokumente für die tschechoslowakisch-russischen Beziehungen während des Weltkrieges in tschechischer Sprache ab.


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