1. Quellenveröffentlichungen, Quellenkunde.

Zu den wichtigsten Erscheinungen des Berichtsjahres zählt die seit langem erwartete Veröffentlichung der Akten des polnischen Königs Alexander (1501--1506), mit dessen Tod in der polnischen Historiographie die Darstellung der mittelalterlichen Geschichte ihren Abschluß zu finden pflegt ( 3). So schließt dieser jüngste Band der »Monumenta medii aevi historica« die Lücke, die in diesem großen Sammelwerk nach der Veröffentlichung der drei Bände des »Codex epistolaris saeculi XV« noch offen war, und stellt gleichzeitig die Verbindung zu den großen Quellensammlungen zur Geschichte des XVI. Jhds., namentlich zu den Acta Tomiciana, her. Wie jene Sammlungen, erstrebt die jetzt veröffentlichte keine unbedingte Vollständigkeit im Sinne eines Urkunden- oder Regestenbuches: nur Aktenstücke »publici momenti« sind in sie aufgenommen. Um so unmittelbarer ist ihre Bedeutung für die deutsche Geschichtsforschung: spielen doch die Beziehungen Polens zum Deutschen Orden, die seines Herrschers zu den westpreußischen Städten, aber auch zu dem pommerschen Herzog in ihr eine bedeutende Rolle; die Archive in Danzig und Königsberg haben, wie der als bester Kenner der Zeit, aus der diese Quellen stammen, mannigfach bewährte Herausgeber F. Papée in seiner das Wichtigste, was seine Publikation an Neuem bringt, zusammenstellenden Einleitung hervorhebt, fast ein Drittel des Materials beigesteuert. So fällt u. a. auf die Verhandlungen über die Leistung des Lehnseides durch den Hochmeister neues Licht, das Bild der Persönlichkeit des Ermländischen Bischofs Lukas Watzelrode gewinnt neue Züge, ganz neu ist die Kunde, daß 1504 Herzog Bogislaw X. von Pommern sich freiwillig erboten hat, alle seine Länder vom König von Polen zu Lehen zu nehmen. Auf die Ergiebigkeit der Sammlung für die Geschichte der Beziehungen Polens zu Moskau und der Moldau, an deren Gestaltung ja auch der Deutsche Orden durch sein Lehnsverhältnis zu Polen unmittelbar interessiert war, kann hier nur hingewiesen werden. Die Benutzung des Aktenschatzes wird durch ein erschöpfendes Namen- und Sachregister, das J. Fijałek bearbeitet hat, erleichtert.

Die in erster Linie für Übungszwecke bestimmte Sammlung von Quellen zur Geschichte des Humanismus und der Reformation in Polen, die I. Chrzanowski und St. Kot bearbeitet haben ( 48), wird auch dem deutschen Historiker willkommen sein: bietet sie ihm doch ein bisher zerstreutes, nicht immer leicht zugängliches Material in handlicher Form und in zum Teil auf Grund der handschriftlichen Überlieferung verbesserten Texten. Für die deutsche Geschichte des Spätmittelalters haben vor allem die Abschnitte Bedeutung, in denen die Quellen zur Kenntnis der Beziehungen Polens zum Konstanzer und zum Basler Konzil und der Ausbreitung der hussitischen Lehre in Polen wiedergegeben sind.

Nach einer Münchner Handschrift veröffentlicht T. Tyc von neuem ein früher schon von C. Höfler (1856) und J. Huemer (1895) publiziertes Streitgedicht gegen Polen und Litauer ( 118 a), das in der Zeit durch die Kandidatur


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des polnischen Königssohnes Kasimir auf den böhmischen Thron und der durch sie veranlaßten Gegensätze zwischen dem luxemburgisch-habsburgischen und dem jagellonischen Lager (1437--1444) entstanden ist und einige beachtenswerte Angaben über das litauische Heidentum enthält.

Wichtige Quellentexte bringt auch die gehaltvolle Untersuchung Wł. Abrahams ( 1) über eine liturgische Handschrift, die er als ein Pontificale der Krakauer Bischöfe aus dem XII. Jhd. erkennt, in dem Abdruck ihrer auf die Benedictio principis, die Ordinatio episcopi und den Ordo iudiciorum Dei, bezüglichen Teile. Die für die Benediktion ungekrönter Fürsten, wie es die polnischen Herzöge seit 1079 waren, vorgesehenen Gebete decken sich mit entsprechenden Stücken englischer Herkunft, das Rituale der Bischofsexamination hat seine Parallelen in deutschen und französischen Texten, nimmt aber in höchst bemerkenswerter Weise auf die in Polen tatsächlich herrschenden Verhältnisse -- die Einsetzung des Bischofs durch den Landesherrn -- Rücksicht, die Ordaliengebete unterscheiden sich von den bekannten Texten des Elbinger polnischen Gewohnheitsrechtsbuches einmal sachlich durch die ausführliche Behandlung des jenem unbekannten iudicium cum pane et caseo, dann aber auch in ihrem Wortlaut, der auf Vorbilder westlicher Herkunft, aus dem rheinfränkischen Stammesgebiet, Frankreich oder England, hinweist. Dort, am ehesten in der Diözese Lüttich, dürfte auch der Codex selbst, aber unter Berücksichtigung der Wünsche der polnischen Besteller, geschrieben worden sein. Abraham hat seine Untersuchung durch wichtige Hinweise auf Fragen der kirchlichen Verfassungsgeschichte (Eigenkirchenwesen, Entstehung der wirtschaftlichen Machtstellung der polnischen Hochstifte) und namentlich durch eine eingehende Darstellung des Standes der Forschung über das polnische Ordalienwesen bereichert, in dessen liturgischer Einkleidung man nach den Ergebnissen der vorliegenden Untersuchung nicht mehr, wie bisher, eine unselbständige Nachahmung deutscher Vorbilder wird sehen dürfen (vgl. auch die ausführliche Besprechung durch H. F. Schmid, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte XLVIII, Kan. Abt. XVII, 1928, S. 682--686).

Von größter Bedeutung für die Geschichte des Magdeburger Rechts im polnischen Staatsgebiet, von hohem Interesse für die deutsche Stadtbücherforschung ist der von K. Badecki scharfsinnig durchgeführte Versuch einer Rekonstruktion des Inhalts der verlorenen Teile des einstigen Bestandes an mittelalterlichen Stadtbüchern, den Lemberg aufzuweisen hatte ( 7): auf Grund sorgfältigster Prüfung aller Handschriften, Aktensammlungen und Quellenpublikationen, in denen sich Hinweise auf den Inhalt dieser verlorenen Stadtbücher befinden, gelingt es ihm, wesentliche Stücke des Ratsbuches für die Jahre 1402 bis 1459, des Rechnungsbuches für die Jahre 1414--1459, der Schöffenbücher für die Jahre 1401--1440, 1449--1470 und 1487--1515 inhaltlich wieder herzustellen und dadurch unsere Kenntnis des Rechts- und Wirtschaftslebens in dem ja nicht nur seiner Verfassung, auch der Volkszugehörigkeit der führenden Schichten seiner Bevölkerung nach großenteils deutschen mittelalterlichen Lemberg in grundlegender Weise zu fördern.

Als einzigen Beitrag zur Urkundenforschung hat uns das Berichtsjahr eine Untersuchung von St. Kętrzyński über die Schwierigkeiten gebracht, die sich für die chronologische Einreihung und Auswertung mittelalterlicher polnischer Urkunden aus dem öfters zu beobachtenden zeitlichen Auseinanderfallen


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von »actum« und »datum« ergeben ( 58): wie sich, wenn der Urkundentext dafür irgendwelche Anhaltspunkte in der Fassung des Datierungsvermerks gibt, in vielen Fällen feststellen läßt, ob sich die angegebene Datierung auf die beurkundete Handlung oder auf die Ausstellung der Urkunde bezieht, wird an einer Reihe instruktiver Beispiele gezeigt. Schon, weil manche von ihnen auf Schlesien bezügliche Urkunden verwerten, verdient die Studie das Interesse der deutschen, namentlich der schlesischen Urkundenforscher.

Ein bewährtes, zunächst für Zwecke des hilfswissenschaftlichen Seminarunterrichts bestimmtes Lehr- und Anschauungsmittel wird in St. Krzyżanowskis Album Palaeographicum in neuer, unveränderter Auflage ( 69) vorgelegt.

Im Anschluß an A. Hofmeisters Aufsatz über die Bezeichnung des Lebensalters in den mittelalterlichen, lateinisch geschriebenen Geschichtsquellen weist B. Stachoń darauf hin, daß die von jenem gewonnenen Erkenntnisse auch dem besseren Verständnis einzelner Angaben polnischer Quellen dienen können ( 113).

Schließlich mag in diesem Zusammenhang auch wieder auf einige Archivverzeichnisse und ähnliche heuristische Hilfsmittel hingewiesen werden, die dem deutschen Forscher nützlich sein können ( 10, 22, 50, 122).


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