3. Einzeldarstellungen zur politischen Geschichte nach der Reihenfolge der Ereignisse.

In die ersten Anfänge der polnischen Geschichte und gleichzeitig in die der deutsch-polnischen Beziehungen führt uns die außerordentlich scharfsinnige und ergebnisreiche Untersuchung von J. Widajewicz über die Licicaviki des Widukind ( 130): der Chronist erwähnt zum Jahre 963, der deutsche Verbannte Wichmann habe als Führer eines slavischen Stammes -- wie die spätere Untersuchung ergibt, der Redarier, -- zweimal den rex Misaca (Herzog Mieszko von Polen) besiegt, in dessen Botmäßigkeit sich die L. genannten Slaven befunden hätten. Der rätselhafte Name hat zu den verschiedensten Kombinationen Anlaß gegeben, die Widajewicz übersichtlich zusammenstellt; am bekanntesten ist seine Gleichstellung mit dem Lechen-Namen geworden. Widajewicz lehnt alle Versuche ab, den Wortlaut des Widukind-Textes zu korrigieren: der Name läßt sich in seiner überlieferten Form als ein Patronymikon zu einem Personennamen Licika erklären, dessen Spuren sich in späten urkundlichen Zeugnissen aus dem uckermärkischen Prenzlau wiederfinden lassen. Diese Erklärung hat im wesentlichen die Zustimmung M. Rudnickis gefunden ( 100), während sie von A. Brückner abgelehnt wird (Slavia Occidentalis VII, 1928, S. 73--76): für die Haltbarkeit der wichtigsten Ergebnisse der Untersuchung hat sie keine entscheidende Bedeutung; denn zu ihnen führt die von jener unabhängige Untersuchung der Frage des Wohnsitzes der L. Auf Grund der verschiedensten Argumente entscheidet sich Widajewicz für die Annahme, daß wir das Gebiet der L. in der Gegend von Zehden in dem Winkel zwischen Oder und Warte nördlich von der Mündung dieser letzteren zu suchen haben, und daß wir unter ihrem Lande den Teil von Mieszkos Reich zu verstehen haben, für den dieser nach Thietmars Angabe (»bis zur Warte«) dem deutschen König tributpflichtig war, --


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jedenfalls auf Grund seiner Niederlagen im Jahre 963, die von deutscher Seite ebenso ausgenutzt werden konnten wie von seiten der eigentlichen Sieger, der Redarier, denen Mieszko jedenfalls das Land östlich der Odermündung abtreten mußte. In dem Namen einer Mühle bei Zehden (Leckow) scheint die alte Stammesbezeichnung fortzuleben. So gelingt es der auch an wertvollen Nebenergebnissen -- so der Feststellung, daß das Land Lebus jedenfalls nicht zum Herrschaftsgebiet Mieszkos gehört hat -- reichen Abhandlung, die durch ihre Kürze dunklen Angaben Widukinds und Thietmars über das älteste Polenreich in Einklang zu bringen und verständlich zu machen, zum Nutzen namentlich der Geschichte der Zeit Ottos I. und der historischen Geographie des deutsch-polnischen Berührungsgebietes.

Wir haben im letzten Bericht (Jahresberr. 2, S. 707 f.) der ergebnisreichen Untersuchung gedacht, in der sich Wł. Semkowicz mit den als Darstellung der Stanislaus-Legende anzusprechenden Skulpturen des romantischen Taufbeckens einer südschwedischen Dorfkirche beschäftigt: ihre Bedeutung und ihre Entstehungszeit werden von dem Kunsthistoriker M. Gębarowicz erneut untersucht ( 39). Dabei ergibt sich, daß ihre Beziehung auf das Martyrium des hl. Stanislaus (1079) zwar festzuhalten ist, ihre Entstehung aber nicht, wie das Semkowicz auf Grund des Urteils des schwedischen Kunsthistorikers Roosval angenommen hatte, in das XII., sondern in das XIII. Jhd. fällt. Dadurch werden die Vermutungen von Semkowicz, daß sich in ihnen ein durch die Verwandtschaftsbeziehungen des polnischen Herrscherhauses zu dem dänischen zu erklärender Familienkult noch vor der Kanonisation des Heiligen (1253) seinen Niederschlag gefunden habe, hinfällig, der Wert seiner von uns wiedergegebenen Ausführungen aber nicht berührt. Die Bedeutung der Untersuchung von Gębarowicz erschöpft sich indessen nicht in der Kritik: in tiefschürfender Analyse der hagiographischen Quellen zeigt sie, daß nicht nur die bildliche Darstellung der Stanislaus-Legende, sondern auch diese selbst, ebenso wie die verwandte Motive zeigende des hl. Werner von Płock, jedenfalls erst in der ersten Hälfte des XIII. Jhds. entstanden ist, in der Zeit des großen Kampfes der polnischen Kirche um ihre Befreiung von der übermächtigen landesherrlichen Kirchengewalt, namentlich um die Immunität der Kirchengüter, um die es sich ja auch in der legendarischen Erzählung handelt. Einen entsprechenden Kampf hatte nun auch der dänische Erzbischof Jakob Erlandsen von Lund (1253--1274) mit seinen Königen auszufechten: er hatte der Kanonisation des hl. Stanislaus beigewohnt, sich auch wiederholt in der Zeit des Aufblühens seines Kultes in Polen aufgehalten und konnte daher diesen sehr wohl nach dem Norden verpflanzen, wo übrigens schon die Verehrung eines anderen slavischen Märtyrers, des hl. Wenzel, bekannt war. So eröffnet die Arbeit des jungen Lemberger Kunsthistorikers weite Ausblicke von kirchen- und kulturgeschichtlicher Bedeutung.

Viel erörtert worden ist in der polnischen Forschung die Frage nach dem Verhältnis, in dem nach dem Tode ihres Vaters (1102) die beiden Söhne Wła- dysław Hermanns, der jüngere Bolesław (III. Krzywousty) und der von ihm schon 1108 überwundene und vertriebene, angeblich uneheliche ältere Sprößling Zbygniew zu einander standen: in erneuter Untersuchung des Problems ( 122) gelangt T. Tyc zu dem Ergebnis, daß beide nach dem Willen ihres Vaters, in dem eine Reaktion des partikularistischen Magnatentums gegen die


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zentralistische Herrschaft des Palatins Sieciech zum Ausdruck kam, unabhängige, gleichberechtigte Herrscher in den jedem von ihnen zugewiesenen Gebieten sein sollten; dann hätte also die Einführung des Prinzipats des Seniors als des alle polnischen Teilherzogtümer vereinigenden Faktors im Testament Krzywoustys (1139) einen durch die eigenen Erfahrungen seines Verfassers gezeitigten Fortschritt in der Gestaltung der Erbfolge der Mitglieder des Herrscherhauses im Interesse der Wahrung der Reichseinheit bedeutet, zumal durch sie jedenfalls auch eine Einflußnahme der Bevölkerung auf die Thronfolge -- durch Auswahl unter den Berechtigten -- unmöglich gemacht werden sollte. Sind diese Erwägungen für die Vorgeschichte der selbständigen staatlichen Entwicklung Schlesiens von Bedeutung, so gewinnt die Kenntnis der Geschichte Pommerns durch die von Tyc gemachte Beobachtung, daß Zbygniew augenscheinlich, im Gegensatz zu seinem Halbbruder, eine friedliche Politik den Pomoranen gegenüber verfolgte: sein freundnachbarliches Verhältnis zu den heidnischen Fürsten und Stämmen erregte augenscheinlich das Mißfallen der für eine aktive Christianisierungspolitik begeisterten Geistlichkeit, namentlich des Gnesener Metropolitankapitels, und vermehrte so die Zahl seiner Feinde. Feinsinnige Bemerkungen über die engen Beziehungen, die den Panegyristen Boles- ławs III., den anonymen Verfasser des ältesten polnischen Geschichtswerks, mit der erzbischöflichen Kurie in Gnesen verbunden haben müssen, und über den ausgesprochen »bischöflichen« -- nicht klösterlichen -- Charakter der ältesten polnischen Historiographie im allgemeinen beschließen die aufschlußreiche Abhandlung, die letzte größere Arbeit des jungverstorbenen Verfassers.

Mit seiner im vorigen Jahr gewürdigten Studie über die polnisch-pommerschen Beziehungen in der Zeit Krzywoustys (vgl. Jahresberr. 2, S. 708) stehen die wertvollen Beiträge zur Geschichte Pommerns und Pommerellens im Zusammenhang, die uns das Berichtsjahr gebracht hat. K. Tymieniecki beschäftigt sich in seiner Übersicht der Entwicklung Pomoraniens (Pommerns und Pommerellens) im X.--XII. Jhd. ( 123) in erster Linie mit den Gründen der Sonderstellung, die diese Landschaft schon im entstehenden polnischen Staat, dem sie seiner Meinung nach schon zur Zeit Mieszkos angehörte, einnahm -- trotzdem die Verwandtschaftsbeziehungen zwischen den Pomoranen und dem Kern des polnischen Staatsvolkes nach seiner, auf die Studien des polnischen Dialektforschers K. Nitsch gegründeten Anschauung nicht loser waren als die zwischen diesem und dem masovischen Stamme. Die durch die Küstenlage bestimmte wirtschaftliche Struktur Pomoraniens war eine andere als die des benachbarten, aber durch breite Ödlandsgürtel getrennten Großpolens, sie beeinflußte auch die Entwicklung des Verfassungslebens und führte zur Entstehung einer fast republikanischen Organisation in den stadtähnlichen Handelszentren. Unter dem Eindruck der Erfolge der heidnischen ljutizischen Nachbarn als der Bundesgenossen Heinrichs I. in seinen Kämpfen gegen Bolesław Chrobry festigt sich der Widerstand auch des pomoranischen Heidentums gegen die Christianisierungspolitik der polnischen Herrscher: damit entsteht eine zweite trennende Mauer zwischen den heidnischen Pomoranien und dem christlichen Polen. So gelingt es den polnischen Herrschern des XI. Jhds. nicht, dauernd in Pomoranien Fuß zu fassen. Doch müssen sich damals schon in dem späteren Pommerellen die Verhältnisse anders gestaltet haben als in (West-)Pommern: die Gegensätze gegen Polen waren dort weniger scharf ausgeprägt, so daß


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dann Krzywousty im beginnenden XII. Jhd. seine Herrschaft und die der christlichen Kirche im Weichsellande augenscheinlich ohne besondere Schwierigkeit zur Anerkennung bringen kann. Anders im Oderlande: hier bedarf es wiederholter Kriegszüge, um in der politischen Unterwerfung des Landes die Voraussetzung für die erfolgreiche Missionstätigkeit Ottos von Bamberg zu schaffen. Die Neuordnung der Verhältnisse führt aber auch zur Stärkung der vorher wenig bedeutsamen Macht des heimischen Herrscherhauses: Wartislaw von Pommern benutzt sie alsbald, um seine Herrschaft auf Teile des nicht zur polnischen Machtsphäre gehörigen Ljutizenlandes auszudehnen und kommt dadurch in engere Berührung mit den deutschen Gewalten, durch die das Ausscheiden Pommerns aus jener vorbereitet wird, dem sich die polnischen Teilherzöge der zweiten Hälfte des XII. Jhds. nicht kraftvoll widersetzen können. In der gleichen Zeit gelingt es dem polnischen »marchio« in Danzig, sich zu fürstengleicher Stellung zu erheben: so entsteht die Staatlichkeit Pommerellens unter der Herrschaft einer eigenen Dynastie. Wertvolle Hinweise auf die Bedeutsamkeit der kulturellen Einflüsse für die Entwicklung Pomoraniens und auf die Tatsache, daß die verschiedenartige Gestaltung des Verhältnisses seiner beiden Teile zu Polen für das Schicksal ihrer slavischen Bevölkerung entscheidend sein sollte, beschließen den Aufsatz, in der die heutige Anschauung der polnischen Forschung über die an strittigen Punkten reiche Frühgeschichte des Küstenlandes zwischen Oder und Weichsel treffenden, durchaus sachlichen Ausdruck findet.

In seiner Besprechung von E. Caspars »Hermann von Salza« -- der jetzt eine zweite, noch ausführlichere, aus der Feder J. Karwasińskas ( 55) gefolgt ist, in der die Rezensentin bei aller Anerkennung der großzügigen Anlage des Buches gegen seinen Verfasser den Vorwurf erhebt, daß er die Frage nach der Echtheit der für die Begründung der preußischen Herrschaft des Deutschen Ordens maßgebenden Urkunden zu leicht nimmt, insbesondere das auch von Perlbach preisgegebene sog. Kruschwitzer Privileg von 1234 unbedenklich als vollgültig verwertet, und in der sie Zweifel daran äußert, ob tatsächlich das persönliche Programm Hermanns für die tatsächliche Gestaltung der Verhältnisse die Bedeutung gehabt hat, die ihr Caspar zuschreibt -- hatte T. Tyc die Forderung nach einer dem deutschen Buche ebenbürtigen Darstellung des ideengeschichtlichen Hintergrundes der preußischen Polenpolitik erhoben (vgl. Jahresberr. 2, S. 709). In seinem Aufsatz über das polnische Küstenland und die Deutschordensritter ( 121) bemüht er sich, sie uns selbst zu geben. So führt er uns zunächst die einzelnen Versuche der polnischen Kirche und ihrer Missionare, der polnischen Staaten und ihrer Fürsten, in Preußen Fuß zu fassen, vor Augen: von den Missionsversuchen der Heiligen Adalbert von Prag und Bruno von Querfurt zieht sich eine fortlaufende Entwicklungslinie zu dem Kreuzzug von 1147, dem vielleicht schon eine Missionstätigkeit von dem großpolnischen Kloster Łekno aus gefolgt ist, wie sie dann im beginnenden XIII. Jhd. im größeren Stile -- wohl unter dem Eindruck der Erfolge der jungen livländischen Missionsunternehmung -- wieder aufgenommen wird und in dem Preußen-Episkopat Christians ihren organisatorischen Rahmen erhält. Ganz Polen fördert durch reiche Schenkungen seiner Fürsten und Magnaten das verheißungsvolle Unternehmen -- und kommt ihm, als der Widerstand der Preußen fühlbarer und namentlich für die Grenzgebiete, Masovien und Pommerellen,


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gefährlich wird, in den beiden Kreuzzügen von 1222 und 1223 zu Hilfe; an führender Stelle unter den polnischen Fürsten steht dabei Herzog Heinrich der Bärtige von Schlesien. Dabei zeigt es sich immer deutlicher, daß dauernde Erfolge nur errungen werden können, wenn in unmittelbarer Nähe des Preußenlandes ein militärisch organisiertes Kräftezentrum geschaffen wird. Der Versuch, dieses durch die Ansetzung von dem Preußenbischof lehenspflichtigen Rittern zu sichern, mißlingt, und so entschließt man sich zu dem Ausweg der Heranziehung bzw. der Neugründung von Ritterorden, des Ordens von Calatrava und des Deutschen Ordens einerseits, des Christusordens von Dobrzyń andererseits. Dadurch, daß die Wahl auch auf die Deutschordensritter fällt, die durch Erfahrung und geschickte Führung befähigt sind, ein eigenes politisches Programm aufzustellen und zu verwirklichen, tritt zu jener ersten Entwicklungsgrundlage der Verhältnisse im bisherigen Missions- und Expansionsgebiet der polnischen Preußenpolitik, eine zweite. Eine dritte liefert die päpstliche und die kaiserliche Kreuzzugs- und Missionspolitik, die beide gerade in der ersten Hälfte des XIII. Jhds. universale Geltung beanspruchen und durch deren Eingreifen die Angelegenheit der preußischen Mission aus einer polnischen zu einer weltpolitischen wird. Als er dem Deutschen Orden das Kulmerland verlieh, dachte Konrad von Masovien nicht im entferntesten daran, einen Staat in oder neben dem seinen zu schaffen: die Verleihung erfolgte in der gleichen Form, in der sich die Ausstattung der polnischen Hochstifte vollzogen hatte, durch Überweisung einer Kastellanei, wie deren jene regelmäßig eine oder mehrere besaßen, ohne daß aus ihnen -- mit Ausnahme der durch besondere Verhältnisse bedingten Entwicklung des Breslauer Bistumslandes -- staatsähnliche Gebilde hervorgegangen wären. So unterblieb in den Schenkungsurkunden Konrads der ausdrückliche Hinweis auf die Wahrung seiner Landeshoheit, weil sie unter den in Polen herrschenden Verhältnissen als etwas Selbstverständliches erschien. Die Deutschordensritter dagegen, mit der Begriffswelt und dem Rechtsbrauch ihrer deutschen Heimat operierend, werteten jene Verleihungen als Überlassung der vollen Landeshoheit: zu fälschen brauchten sie die grundlegenden Urkunden darum nicht, nur das Kruschwitzer Privileg von 1234 ist nach Tyc eine dreiste, nicht zu rechtfertigende Fälschung. Warum ist Konrad von Masovien dieser Umwertung der ihm verliehenen Rechte durch den Orden nicht tatkräftig entgegengetreten? Weil seine Kräfte völlig durch den Kampf um Krakau und den polnischen Prinzipat in Anspruch genommen waren und er die ganze preußische Angelegenheit als nebensächlich betrachtete. Anders Swatopolk von Pommerellen und die Angehörigen seiner Dynastie, denen die Landnahme des Deutschen Ordens das einzige Feld nahm, auf dem sie, die sich seit 1220 als völlig selbständige Landesherren betrachten, ihr Streben nach Machterweiterung hätten betätigen können. So wurden sie in dem Bewußtsein der Überlegenheit und Gefährlichkeit des neuen Nachbarn zu der schwankenden Bündnis- und Lehnsnahmepolitik getrieben, die für die pommerellische Geschichte des XIII. Jhds. charakteristisch ist. Ihre Folgen hat dann wieder der Deutsche Orden in zielbewußter, aber skrupelloser Weise zu nutzen gewußt -- durch die Inbesitznahme Pommerellens. Polen kann sich um die Rückerwerbung des Landes mit Erfolg erst bemühen, nachdem es, namentlich dank der Regierungstätigkeit Kasimirs des Großen, sich innerlich dem Deutschordensstaat gleichwertig gemacht hatte. Und

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als das der Fall war, hatte dieser auch schon seine Daseinsberechtigung verloren: in der Welt der Zeit um 1400 war er schon ein dem Untergang geweihter Anachronismus. -- So ist es eine Fülle neuer, höchst anregender Gedanken, die uns der durch größte Objektivität, die auch den guten Seiten der Ordensherrschaft in Pommerellen volle Gerechtigkeit widerfahren läßt, ausgezeichnete Aufsatz von Tyc vermittelt: man wird ihn unbedenklich zu den Besten zählen dürfen, was uns die Literatur der pommerellischen und Deutschordensgeschichte zu bieten hat.

Einen weiteren Beitrag zu ihr liefert Tyc in seiner ihren Ergebnissen (vgl. Jahresberr. 2, S. 709 f.) voll zustimmenden Besprechung der Geschichte des Dobrzyńer Ordens von W. Polkowska-Markowska ( 120): er weist darauf hin, daß infolge der geographischen Lage ihres Operationsgebietes die Christusritter ihre Grenzschutzaufgabe nur erfüllen konnten, solange das Kulmerland von den Preußen besetzt -- und noch nicht durch den Deutschen Orden von diesen befreit war --, daß ihre Tätigkeit also durch die seine überflüssig gemacht wurde; eine Zusammenarbeit beider Orden war also jedenfalls nicht beabsichtigt. Eine zweite Rezension der gleichen Schrift, aus der Feder J. Karwasińskas ( 56), läßt gewisse Zweifel an der Durchschlagskraft der Verteidigung der Echtheit der umstrittenen Urkunden laut werden, ergänzt die historisch-geographischen Darlegungen der Verfasserin und weist auf eine Erwähnung des Christusordens in der russischen Chronik (zum Jahre 1238) hin.

Wie sich im Bewußtsein der nächsten polnischen Nachbarn allmählich das Bewußtsein durchsetzte, daß ihnen in dem Deutschen Orden nicht eine willkommene Grenzschutzorganisation zur Seite, sondern der Träger eines neuen, eigene, weit gespannte Ziele verfolgenden staatlichen Organismus gegenüberstand, zeigt in meisterhafter Weise die eindringliche Untersuchung Karwasińskas über das Nachbarschaftsverhältnis zwischen dem Deutschen Orden und den kujavischen Teilherzogtümern ( 57). Über die Beziehungen des Ordens zu den polnischen Einzelstaaten im 13. Jhd. waren wir bisher nur sehr mangelhaft unterrichtet: und doch muß ihre Erforschung einen der Schlüssel für das Verständnis des tiefgreifenden Gegensatzes zwischen dem Ordensstaat und dem neugeeinten polnischen Reich liefern, der die Geschichte ihres Verhältnisses im 14. Jhd. beherrscht. Die Verfasserin verfolgt zunächst die Beziehungen der einzelnen kujavischen Teilfürsten zu dem mächtigen Nachbarn: sie stehen sämtlich -- auch der spätere Wiederhersteller der polnischen Staatseinheit, Wladysław Łokietek, in seinem Erbherzogtum Brześć Kujawski -- von Haus aus dem Deutschen Orden nicht nur ohne feindselige Gefühle, sondern voller Respekt für seinen geistlichen Charakter und nicht ohne Bewunderung für die Überlegenheit der westlichen ritterlichen Kultur, als deren Träger er erscheint, gegenüber. Eng sind namentlich die wirtschaftlichen Bindungen zwischen den Städten des Kulmerlandes und den Landes- und Verkehrszentren Kujaviens, die nach ihrem Muster zu deutschrechtlichen Städten werden, in deren Bürgerschaft das deutsche Element eine wichtige Rolle spielt. Am stärksten ist der Einfluß des Ordens, aber auch das Einströmen deutscher Siedler in Stadt und Land spürbar in dem dynastisch mit Kujavien verbundenen, rechts der Weichsel gelegenen Herzogtum Dobrzyń. Trotz dieser Voraussetzungen für die Entwicklung eines freundnachbarschaftlichen Verhältnisses werden die kujavischen Herzöge einer nach dem anderen in eine feindliche Stellung dem Orden


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gegenüber hineingedrängt, nicht etwa, weil sie sich zu einer bewußt polnischen Politik aufraffen -- bei ihrer Verfolgung findet Władysław Łokietek kaum irgendwelche Unterstützung, eher passiven Widerstand bei seinen nächsten Verwandten, und nur in den Versuchen seines Vaters, Kasimirs I. von Kujavien, eine selbständige Missions- und Expansionspolitik im Jadwingerlande zu treiben (1254--1257), kann man die Wahrnehmung weiterer, allgemein polnischer Gesichtspunkte erkennen --, sondern weil sie der Orden stets nur als Werkzeuge seiner eigenen, weitausschauenden Politik betrachtet und sie ohne Rücksicht auf bestehende Freundschaftsverträge fallen läßt, wenn er ihrer nicht mehr bedarf. Gegenüber der kurzsichtigen, den engsten partikularistischen Interessen dienenden Handlungsweise der Herzöge, die auch vor so folgenschweren Maßnahmen, wie der Verpfändung (1303) und dem schließlichen Verkauf des Michelauer Landes (1317) an dem Orden nicht zurückschrecken, zeichnet sich die Politik der Kirchenfürsten durch größte Konsequenz in der Wahrung der Rechte ihrer Anstalten aus: von ihnen, die anfänglich sämtlich dem Orden nicht ohne Sympathie gegenüberstehen, werden die Bischöfe von Kujavien (Włocławek) durch den Widerstreit ihrer Interessen mit den seinen in immer schärferen Gegensatz zu ihm geführt, während die masovischen Bischöfe von Płock meist in gutem Einvernehmen mit ihm leben. Uneinheitlich wie das Verhältnis der Beherrscher und Bewohner Kujaviens zu dem Deutschen Orden in Friedenszeiten, ist denn auch ihre Stellungnahme während seines Kampfes mit Władysław Łokietek (1326--1332): die Herzöge waren allerdings bis auf Kasimir von Argenau durch den König aus dem Grenzgebiet entfernt und mit innerpolnischen Teilfürstentümern abgefunden worden, Ritterschaft und Bürgertum aber teilten, je nach ihren Familienverbindungen und ihrer Volkszugehörigkeit, ihre Sympathien zwischen den beiden kriegführenden Parteien, während die Niederlassungen der Johanniter, Pauliner und der Bettelmönche, die größtenteils deutschen Charakter trugen, durchweg die Sache des Deutschen Ordens förderten. Es bestand zweifellos für den polnischen Staat die Gefahr, daß Kujavien seinem Machtbereich ebenso entgleiten werde wie Schlesien: daß sie abgewandt wurde, ist nach Ansicht der Verfasserin wesentlich auf den Umstand zurückzuführen, daß Władysław Łokietek selbst von Haus aus kujavischer Fürst war und daher eine Fülle persönlicher Beziehungen und ideeller Momente für ihn in die Wagschale fielen. So regt sich trotz der äußeren Erfolge des Ordens, trotzdem er in den elf Jahren der Besetzung des Landes (1332--1343) die Grundlagen einer die Bedürfnisse der Bevölkerung neben den staatlichen Erfordernissen berücksichtigenden Verwaltungsorganinisation zu schaffen sich bemühte, der Karwasińska ein eigenes, höchst aufschlußreiches Kapitel ihres Buches widmet, gerade in den Jahren der Bedrängnis und der deutlich als solcher empfundenen Fremdherrschaft in Kujavien ein starkes Gefühl der Zugehörigkeit zum polnischen Gesamtstaat, das in den Aussagen der kujavischen Zeugen in den Prozessen vor den päpstlichen Schiedsrichtern deutlichen Ausdruck findet. Auch diese ungemein sorgfältige und scharfsinnige Untersuchung, deren Wert durch eine große Zahl historischgeographischer und urkundenkritischer Exkurse gesteigert wird, bildet eine außerordentlich wichtige Bereicherung der Literatur der Deutschordensgeschichte.

Den Stand der Forschung über die mit der Geschichte des Deutschen Ritterordens


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eng verknüpften Anfänge des litauischen Staates kennzeichnet in lichtvollem, wegen der Berücksichtigung der Ergebnisse der Sprachforschung besonders dankenswertem Überblick F. Papée ( 91): wichtig sind insbesondere seine Ausführungen über die germanischen und slavischen Kultureinflüsse in Litauens vorhistorischer Zeit, dann seine Stellungnahme zur Frage der Echtheit der Urkunden Mendogs (Mindowes). An die Vermutung K. Chodynickis, daß die Dynastie Gedymins aus Samaiten stamme (vgl. Jahresberr. 2, S. 710 f.) knüpft St. Zajączkowski aufschlußreiche Betrachtungen ( 138) über die Rolle, die sie vor der Erwerbung der großfürstlichen Gewalt spielen konnte, an: er stellt fest, daß Samaiten im 13. und im beginnenden 14. Jhd. in eine größere Anzahl (etwa 30) selbständiger, je etwa fünf bis acht Dörfer, einen Fürstensitz, oft auch eine Burg enthaltender terrae zerfiel, deren jede das Herrschaftsgebiet eines Kleinfürsten bildete. Derartige Kleinfürsten waren jedenfalls auch die Vorfahren Gedymins, und zwar sprechen gewisse Anhaltspunkte dafür, daß ihre Heimat im südlichen Samaiten, nahe dem Memelfluß, zu suchen ist. Nach der Thronbesteigung der Gedyminiden sinkt die Macht der Kleinfürsten, so daß ihre Nachkommen im 15. Jhd. als einfache Adlige (Bajoren der Quellen aus dem Deutschordensland) erscheinen.

Die Frage nach den Gründen, die zu dem Verlust Schlesiens für das polnische Volkstum und den polnischen Staat geführt haben, ist im Anschlusse an das Referat J. Dąbrowskis (vgl. Jahresberr. 2, S. 171 f.) auf dem Posener Historikertag 1925 in einer lebhaften Diskussion (89, S. 47--50) erörtert worden, in der gegen die Behauptung des Referenten, die böhmische Herrschaft in Schlesien habe bewußt das deutsche Element gefördert, der tschechische Historiker V. Chaloupecký Stellung genommen hat, während K. Sochaniewicz und A. Parczewski dankenswerte Hinweise auf bisher ungenutzte Quellen zur schlesischen Geschichte gaben, die sich in polnischem Besitz befinden. Der letztere bietet außerdem (a. a. O. und in 92) Hinweise auf die Erhaltung polnischer Bevölkerungsteile in Mittel- und Niederschlesien bis in die neueste Zeit. F. Kozubowski behandelt die Gründe der Abwendung Schlesiens von Polen (deutsche Kolonisation, Hinneigung der Herzöge zu Böhmen) mit anerkennenswerter Objektivität in einem freilich eingehendere Kenntnis der Quellen, der Literatur und der Institutionengeschichte vermissen lassenden Überblick ( 67); er würdigt dabei besonders die Verdienste der Geistlichkeit um die Erhaltung der Zugehörigkeit der Diözese Breslau zur Gnesener Kirchenprovinz im 14. Jhd. Die von H. Paszkiewicz ausgesprochene Anschauung, daß Kasimir der Große niemals auf Schlesien rechtsgültig verzichtet habe (vgl. Jahresberr. 2, S. 713), bedarf nach der Auffassung von St. Zajączkowski ( 137) der Nachprüfung an Hand der Angaben der Selbstbiographie Karls IV.

Stark im Vordergrunde des Interesses steht auch im Berichtsjahr wieder die Vorgeschichte und Geschichte der Erwerbung »Polnisch-Preußens« und die Entwicklung des Landes unter polnischer Herrschaft: in der angeregten Diskussion (89, S. 40--42) im Anschluß an den Kongreßvortrag F. Papées (vgl. Jahresberr. 2, S. 714) weist Z. Wojciechowski auf die Rolle hin, die (West-)Pommern in der pommerellischen Politik Władysław Łokieteks und Kasimirs des Großen gespielt hat, deren letztes Ziel immer die Angliederung


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des ganzen Küstenlandes zwischen Oder und Weichsel an den polnischen Staat gewesen ist; Br. Dembiński, Fr. Papée sowie -- im Anschluß an die Referate A. Mańkowskis und Z. Mocarskis (vgl. Jahresberr. 2, S. 715) -- Wł. Konopczyński, T. Glemma, J. Fijałek und M. Łodyński weisen auf einzelne Aufgaben der Forschung auf dem Gebiete der westpreußischen Geschichte hin, berichten über den Stand in Angriff genommener Arbeiten und erheben Forderungen organisatorischer Art (89, S. 41--44). Zusammenfassend untersucht die Ursachen und den Verlauf des Verfalls der Deutschordensherrschaft in Westpreußen K. Tymieniecki ( 125): die allgemeine Krise der Ritterorden im 14. Jhd. hatte der Deutsche Orden überstehen können, weil seine Christianisierungsaufgabe noch nicht erfüllt war. Die Bekehrung Litauens infolge der dynastischen Union mit Polen raubt ihm seinen Daseinszweck; die Nichtanerkennung beider Tatsachen beantwortet Polen mit der Wiedergeltendmachung seiner Ansprüche auf Pommerellen und das Kulmerland. Der Orden sucht sich der geänderten Lage anzupassen, indem er -- nach 1404 -- seine Expansionspolitik nur noch auf die Erwerbung Samaitens richtet. Die Bedeutung des polnisch-litauischen Sieges bei Tannenberg ist in erster Linie eine moralische, ebenso wie die des Eindrucks der Ausführungen des polnischen Wortführers auf dem Konstanzer Konzil, Paweł Włodkowicz, durch die das Ansehen des Ordens in Mittel- und Westeuropa erschüttert wird. Um so wichtiger ist die gegensätzliche Entwicklung der Innenpolitik in Polen und Preußen nach 1411: während dort der Einfluß der ständisch organisierten Gesellschaft ständig wächst, bemüht sich der Deutsche Orden zunächst durch absolutistische Maßnahmen die Widerstandskraft seines Staates zu stärken und ruft dadurch den Widerspruch des deutschen wie polnischen Landadels und der deutschen Städte hervor. Schon ist namentlich unter der polnischen Ritterschaft des Kulmerlandes das Gefühl für ihre Volkszugehörigkeit erwacht: nur widerwillig beteiligt sie sich an kriegerischen Unternehmungen gegen Polen. So kann die im Frieden am Melno-See 1422 den beiderseitigen Untertanen zugestandene Handlungsfreiheit für den Fall eines Vertragsbruchs seitens der kontrahierenden Staaten nur Polen zugute kommen: in den Friedensschlüssen von Łęczyca 1433 und von Brześć Kujawski 1435 wird sie schon durch die Übernahme der Vertragsgarantie seitens der preußischen Stände ersetzt, die, da gleichzeitig die vorher vom Orden ständig in Anspruch genommene kaiserliche und päpstliche Intervention in seinen Streitfällen mit Polen ausgeschlossen wird, damit gewissermaßen die Stellung von Schiedsrichtern in diesen Streitigkeiten erlangen. Ihr Zusammenschluß im Preußischen Bund vollzieht sich ohne Einwirkung Polens, das freilich als ihr natürlicher Bundesgenosse erscheinen muß, noch ehe es 1454 ihre Sache zu der seinen macht. Dann, im dreizehnjährigen Kriege, zeigen sich freilich auch die Schattenseiten der polnischen Adelsfreiheit: während das polnische Adelsaufgebot über neue Zugeständnisse verhandelt, findet der Orden Zeit, Kräfte zu sammeln, die ihm die Behauptung wenigstens seines ostpreußischen Besitzes ermöglichen. Czaplewski ergänzt den Aufsatz von F. Lorentz über die Bevölkerung der Kaschubei zur Ordenszeit durch einige Mitteilungen aus handschriftlichen Quellen ( 25). Während er der Objektivität und Sachkunde des Verfassers warmes Lob spenden kann, hat K. Chodynicki die undankbare Aufgabe, sich mit der ohne Kenntnis der neueren polnischen und russischen Forschung geschriebenen Arbeit von K. Heinl über Witolds

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Verhältnis zum Deutschen Orden in den Jahren 1382--1401 (vgl. Jahresberr. 1, S. 502) auseinanderzusetzen ( 21 a): auch die Quellen konnte Heinl wegen mangelnder Sprachkenntnis nicht vollständig heranziehen, deshalb und wegen der mangelhaften Literaturbenutzung mußte seine Darstellung einseitig ausfallen, Wert hat nur die erschöpfende Zusammenstellung der deutschgeschriebenen Literatur des Themas. Auf die von L. Kolankowski behandelte Frage nach den Gründen des Planes der Krönung Witolds zum litauischen König (vgl. Jahresberr. 2, S. 714) kommt A. Prochaska zurück ( 95): seiner Ansicht nach entsprang der Plan nicht dem wohlüberlegten Wunsche Jagiellos, sondern der Initiative Kaiser Sigismunds, der beide Brüder entzweien und dadurch an tatkräftigem Eingreifen in die mitteleuropäischen Angelegenheiten, namentlich in die Geschicke Böhmens im Zusammenhange mit den Hussitenkämpfen, hindern wollte.

Die geistvolle Darstellung der polnischen Ostseepolitik aus der Feder Wł. Konopczyńskis ( 61) berührt nur in ihrem ersten Teile die mittelalterliche Geschichte: nach dem Zweiten Thorner Frieden (1466) mußte das Augenmerk der polnischen Herrscher wesentlich auf die Abwehr der vom Deutschen Orden unternommenen, von seinen Freunden im deutschen Mutterlande geförderten Versuche, Polen von neuem von der Ostseeküste abzudrängen, gerichtet sein. Erst die Unterwerfung Herzog Albrechts in Preußen (1525) gibt die Möglichkeit zu einer aktiven Ostseepolitik, deren Ziel jetzt in erster Linie die Gewinnung der livländischen Küste bildet.

Die Geschichte der im Laufe des Mittelalters germanisierten Elb- und Ostseeslavenländer -- abgesehen von Pommern -- ist in der Produktion des Berichtsjahres außer durch eine auch für den Historiker wichtige sprachgeschichtliche Abhandlung ( 8) nur durch den Auszug aus einer an seine numismatische Untersuchung (vgl. unten C 8 a) anknüpfende Arbeit M. Gumowskis über den letzten slawischen Fürsten von Brandenburg, Pribislav- Heinrich ( 45) vertreten, auf deren Inhalt bei der Besprechung ihres 1928 in ausgeführter Gestalt erschienenen Textes zurückzukommen sein wird.


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