I.--II. Allgemeines und Sammelwerke; Ortsnamenkunde.

An Schriften ganz allgemeiner Art zur historischen Geographie ist im Berichtsjahr 1928 wenig erschienen. Erwähnung verdienen Ausführungen H. Hassingers »Über einige Beziehungen der Geographie zu den Geschichtswissenschaften« (in der Festschrift für O. Redlich nr. 154). Ausgehend von der ursprünglichen Gemeinschaft der Wissenschaft von den Schicksalen der Menschen und der Wissenschaft von der Erde und ihren Ländern, worauf später die Abtrennung der physischen Geographie folgte, werden die Symptome einer Wiederannäherung


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erörtert. Die Geographie behandelt den Raum um die Erdoberfläche, in dem sich die Wechselbeziehungen zwischen Mensch und Natur abspielen, und stellt deshalb eine Brücke von den Natur- zu den Geisteswissenschaften her. Auch in den Kulturwissenschaften setzt sich der Raumgedanke durch, womit zugleich die Bedeutung kartographischer Darstellung wächst. Betont wird daher das Problem der Landschaft im Hinblick auf Staat und Kultur, wobei ebenso Nahwirkungen wie Fernwirkungen sich geltend machen und darum die »Lagebeziehungen« eine vertiefte Erörterung verlangen. -- Einen Überblick über den Stand der historisch-geographischen Forschung in Deutschland hat Fr. Curschmann zu internationaler Orientierung in dankenswerter Weise geboten ( 269). -- War auf historischer Seite dem Erfassen der Landschaft schon in jüngster Zeit stärkere Beachtung geschenkt, so zeigt sich, daß nunmehr auch die Fragen nach dem Wesen des Stammestums lebhaft erörtert werden. Ein Versuch, in dieser Hinsicht zu wirklich vertieftem Verstehen zu kommen, liegt in den Beiträgen vor, die von der Fehrsgilde (Kiel) in dem Buch »Was ist niederdeutsch?« herausgegeben worden sind (Altona, Ruhe in Komm., 260 S.). In einer Folge zusammenhängender Aufsätze behandeln die Mitarbeiter die mannigfaltigen hierbei auftauchenden Fragen; zur Darstellung kommen: die niederdeutsche Landschaft und ihr Einfluß auf den Charakter der Bewohner, wobei auch die Siedlungsweise berührt wird (Ew. Banse), die vorgeschichtlichen Zeiten und die Urbevölkerung (G. Schwantes), die Rassen in Niederdeutschland (H. Günther), die Stämme der geschichtlichen Zeit (O. Bremer), die Sprache in ihrer mannigfaltigen Entwicklung (C. Borchling), die niederdeutsche Art mit manchem Eingehen auf Sitte und Brauch (O. Lehmann), das Niederdeutschtum in der Geschichte, wobei die staatsbildende Kraft unter Heinrich I. und den Ottonen, auch Lothar, sodann die Fähigkeit zur Kolonisation (unter Heinrich dem Löwen) und zur Selbstverwaltung (Hanse) hervorgehoben werden (E. Rosendahl), das niederdeutsche Schrifttum (Ad. Bartels), die Kunst als Ausdruck niederdeutschen Wesens (R. Nissen), die Eigenart des Katholizismus in Niederdeutschland (F. Hammerschmidt), die Weltanschauung und Religion (W. Lueder); endlich bietet Chr. Boeck ein zusammenfassendes Schlußwort, wobei noch einmal der Zusammenklang von Landschaft und Stammestum betont wird. Die Ausführungen in all diesen Beiträgen gründen sich auf umfassende Kenntnis und zeigen ein ernstes Bemühen, zu wirklich prüfender Auffassung durchzudringen; namentlich die Darlegungen geistesgeschichtlicher Art sind wertvoll. Das Buch will das Stammesbewußtsein und das Gemeinschaftsgefühl im gesamten Niederdeutschland pflegen; auch die Form der Darbietung ist diesem Ziel angepaßt, doch ist es auch als ein verdienstlicher Forschungsbeitrag unter wissenschaftlichem Gesichtspunkt zu beachten und nimmt unter den der deutschen Stammeskunde gewidmeten Schriften einen hohen Rang ein.

Über Förderung der topographischen Nachschlagwerke ist z. Zt. besonderes nicht zu erwähnen. Was die Ortsnamen betrifft, so liegt wieder ein wertvoller Band der Zeitschrift für Ortsnamenforschung (IV) vor. Aus dem mannigfaltigen Inhalt seien hervorgehoben die Darlegungen Edw. Schröders zur Wortbildung und Altersbestimmung der Ortsnamen auf -rode (vgl. auch S. 146), die Fortführung der Untersuchungen über Flußnamen von Jos. Schnetz, sowie die Beiträge von E. Schwarz zur Ortsnamenforschung in den Sudeten- und Alpenländern. Eine Veröffentlichung, die zugleich abschließend


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und in die Zukunft weisend ist, wird H. Beschorner verdankt, dem seit Jahren rührigen Leiter der Dresdner Zentralstelle für Flurnamensammlung: das Handbuch der deutschen Flurnamenliteratur bis Ende 1926 ( 271). In 2049 Nr. wird hier das einschlägige Schrifttum für das deutsche Sprachgebiet im weiteren Sinne verzeichnet. An erster Stelle werden die unter allgemeinen Gesichtspunkten geschriebenen Bücher und Aufsätze vorgeführt, dann die zahlreichen Arbeiten nach einzelnen Ländern und engeren Bezirken, endlich die Untersuchungen besonderer Flurnamen und Flurnamengruppen; ein Verzeichnis der Verfasser und der im Handbuch erörterten Flurnamen ist am Schluß beigefügt. Das Handbuch bietet nicht nur Wiedergabe der Titel; vielfach sind auch kurze Angaben über den Inhalt der Schriften, sowie kritische Bemerkungen beigefügt. Dabei ist die Auswahl und Erläuterung nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Namenforschung getroffen; auch für Siedlungs- und Agrargeschichte, für Rechtsgeschichte und Volkskunde findet sich darin viel Beachtenswertes. Sicher liegt ein Werk großen Sammelfleißes und liebevoller, eingehender Beschäftigung mit dem reichen deutschen Flurnamenschatz vor. Gewiß ist nicht zu verkennen, daß manches minder Wertvolle wohl besser von vornherein ausgeschieden worden wäre, daß natürlich auch Ergänzungen notwendig sind. Doch als ein erster mühevoller Versuch, den ungeheueren Stoff zu bewältigen und ihn leichter als bisher der wissenschaftlichen Benutzung wie auch dem Verständnis in weiteren Kreisen zu erschließen, bedeutet das Handbuch sicher einen Markstein der Flurnamenliteratur. Die Flurnamenforschung in engere Beziehung zur Geschichte zu setzen ist die Absicht in einem Aufsatz von W. Uhlemann ( 272); er zeigt die vielerlei Möglichkeiten zur Aufhellung der Flurgeschichte aus der Flurnamenüberlieferung und betont zugleich die Notwendigkeit, das Geschichtliche bei der Namenerklärung zu berücksichtigen.


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