II. Literaturgeschichte.

Nicht glossographisch, wie man vielleicht erwarten könnte, sondern wesentlich literarhistorisch ist der interessante Artikel von P. Rajna ( 328) über Trivium und Quadrivium. Die Zahl 7 für die freien Künste stammt aus früherer Zeit, sicher findet sie sich bei Augustin und dann bei Martianus Capella. Aber ma.lich ist die Teilung in die zwei Gruppen Tr. und Quad. Die Zusammenfassung der letzten 4 als quadrivium tritt zuerst bei Boethius auf und scheint auch von ihm erfunden zu sein, die Bezeichnung der drei ersten als trivium ist viel später. Sie kommt in den Scholia Vindobonensia in Horatii artem poeticam vor und würde auf Alchvine zurückzuführen sein, wenn Zechmeister mit seiner Zuweisung an diesen im Recht wäre. Rajna legt in eingehender Untersuchung dar, daß diese abzulehnen sei, und begründet die Vermutung, daß der Kommentar vielmehr wohl im Einflußkreise von Bobbio oder Peronna entstanden sei. Mag dies zweifelhaft bleiben, so hat der Verfasser doch wahrscheinlich gemacht, daß die Teilung der Artes in trivium und quadrivium in die Zeit Karls d. Gr. fällt. -- U. Moricca ( 325) hat von seiner umfassenden Geschichte der christl.-lat. Literatur den 2. Band zu Ende geführt, in dem er auf über 1400 Seiten das 4. Jhd., l'età d'oro behandelt. Eine eingehendere Prüfung des mächtigen Bandes war mir noch nicht möglich, aus einzelnen Stichproben habe ich einen günstigen Eindruck gewonnen. Hervorheben möchte ich die sehr umfassende Bibliographie. -- In frühe Zeit führt uns auch E. K. Rand ( 324), der Vorlesungen, die er 1928 vor dem Lowell-Institut in Boston gehalten hat, zu einem hübschen Bande vereinigt und durch einige Ergänzungen und einen reichhaltigen bibliographischen Anhang erweitert hat. »I say Founders and not the Founders«, aber trotz dieser Beschränkung muß gesagt werden, daß im ganzen alle wichtigen Punkte, die für das Thema in Frage kommen, behandelt sind: I. the church and pagan culture, 1. the problem, 2. the solution, II. St. Ambrose the Mystic, III. St. Jerome the Humanist, IV. Boethius the first of the scholastics, V. the new Poetry, VI. the new Education, VII. St. Augustine and Dante. Der Verfasser beherrscht den Stoff mit bekannter Meisterschaft und trägt ihn in lichtvoller und origineller, stets anregender Weise vor, man wird das Buch nicht ohne hohe Befriedigung aus der Hand legen. -- Einen wichtigen, aber bisher stark vernachlässigten Abschnitt der späteren ma.lichen Literatur behandelt Ch. H. Haskins ( 327). Er legt dar, wie Friedrich II. am Hofe selbst die treibende Kraft war, hatte er doch in seiner Jugend gelernt, sich in der lateinischen Sprache frei zu bewegen; das ihm mit Sicherheit zuzuschreibende Werk De arte venandi cum avibus zeigt einen schlichten Stil, was ja im Wesen des behandelten Stoffes liegt. Friedrich war bemüht, Gelehrte an seinen Hof zu ziehen, freilich wissen wir mehr von deutschen und provenzalischen Dichtern als von lateinischen. Doch gibt der Verfasser eine Liste von lateinischen Werken, die Friedrich gewidmet sind, wobei auffällt, daß offizielle Historiographie fehlt, während die welfische Partei in vielen Werken des Kaisers Charakterbild ungünstig beeinflußte. Eingehend wird natürlich Petrus de Vineis behandelt, soweit bei der reichen noch nicht ausgebeuteten Überlieferung über ihn als literarische Persönlichkeit geurteilt werden kann, die Schule von Capua und die Ars dictaminis; einige Proben von Dictamina werden mitgeteilt, darunter


S.127

eine Epistula notabilis de pecunia, die stark an das Evangelium secundum marcas argenti erinnert. Besonderer Wert wird auf den Nachweis des geistigen Zusammenhangs der Literatur mit der des 12. Jhds. gelegt, Übersetzertätigkeit aus dem Griechischen und Arabischen, Pflege der Ars dictaminis, fictive Briefe, elegische Comödie und antiklerikale Satire. Beachtenswert ist der ausgesprochen säkulare Charakter der Literatur dieser Zeit.

Durch die Feier des 150jährigen Bestehens der Landesbibliothek in Fulda und die aus diesem Anlaß herausgegebene Festschrift ist die Aufmerksamkeit in besonderem Maße auf diese ehrwürdige Stiftung des hl. Bonifatius gelenkt worden. P. Lehmann ( 326) handelt dort S. 9--23 über Fuldas Bedeutung für die Erhaltung der antiken Literatur. Wenn auch von der aus dem Hss.katalog des 16. Jhds. erschlossenen äußerst stattlichen Reihe von Hss. antiker lat. Autoren, die die ma.liche Bibliothek des Klosters Fulda zierten, die meisten versprengt oder ganz verschollen sind, so kann man doch dank den emsigen Nachforschungen der Gelehrten, an denen bekanntlich der Verfasser besonderen und führenden Anteil hat, eine nicht unbeträchtliche Liste von noch erhaltenen ehemals Fuldaer Codices zusammenstellen, die der Leser S. 12 ff. findet. Anschließend wird die überlieferungsgeschichtliche Rolle, die Fulda für viele Autoren, namentlich Historiker, gespielt hat, dargelegt: Tacitus, Suetonius, wo die neue These von E. K. Rand diskutiert und in Zweifel gezogen wird, Justinus, Pliniusbriefe, Ciceros Briefe, Valerius Flaccus u. a. Zum Schluß der lichtvollen Abhandlung wird auch die schwierige Frage nach der Herkunft der Fuldaer Klassiker wenigstens gestreift. -- Aus Anlaß der erwähnten Feier hat derselbe Gelehrte einen Vortrag gehalten, Die alte Klosterbibliothek Fulda und ihre Bedeutung ( 326). Der Vortrag ist mit palaeographischem, literar- und überlieferungsgeschichtlichem Material aufs reichshaltigste ausgestattet. Der Verfasser entwirft in ihm ein äußerst fesselndes und lebensvolles Bild des Fuldaer Geisteslebens der ersten Jahrhunderte und läßt den Leser fast vergessen, daß die einst so bedeutende Bibliothek in alle Winde zerstreut ist und unsere Kenntnis aus lauter einzelnen, mühsam herbeigebrachten Bausteinen gewonnen wird. -- Derselben Bibliothek gilt auch die in der genannten Festschrift S. 24--39 folgende Abhandlung von K. Christ, Die Hss.verzeichnisse der F. Klosterbibliothek aus dem 16. Jhd. Der Verfasser hat im Vaticanus Palatinus lat. 1928 (er teilt merkwürdigerweise die Signatur nicht mit) ein Bücherverzeichnis von F. entdeckt, das er um 1557 setzt. Er beschreibt die Anordnung (die Hss. sind durchgezählt bis 509, daneben geht eine Einteilung in 48 Ordines) und weist nach, daß es kein Katalog sein sollte, sondern eine Sammlung von Notizen und Auszügen darstellt, die für einen bestimmten Zweck, vielleicht Bücherkauf, gemacht wurde. Ein Vergleich mit dem von Kindlinger veröffentlichten Verzeichnis, dessen Entstehung um 1561 gesetzt wird, -- es ist ebenfalls keine Katalogabschrift, sondern angesichts der Hss. selbst angefertigt -- führt zu dem Ergebnis, daß sich das Aufstellungsschema der Bibliothek wieder herstellen läßt. Die Neuordnung der Büchersammlung und die Einführung der 48 Ordines schreibt Verfasser dem Gelehrten Joh. Knöttel, Ende des 15. Jhds., zu. Zu den genannten kommt noch ein 3. Verzeichnis in einer Pariser Hs., das nach 1557 entstanden ist. Christ bereitet die Veröffentlichung dieser drei Verzeichnisse vor, die die Bibliothek noch in dieser Zeit in einem Reichtum zeigen wird, der ihren alten Ruhm rechtfertigt. -- Ein altes Bücherverzeichnis von 36 Nummern macht E. A. Lowe ( 330) aus


S.128

dem Laudianus misc. 126 bekannt, wo es auf dem Vorsatzblatt f. 1 um 800 in angels. Schrift eingetragen ist. Es ist derselbe Codex, aus dem P. Lehmann, Fuldaer Studien N. F. 1927, 1 ff. die alte Fassung von Karls Epistola de litteris colendis mitgeteilt hat. Der Katalog gehört also nach Würzburg. Die einzelnen Nummern werden diskutiert, bes. eingehend Cod. 1, Actus apostolorum, den der Verfasser in dem berühmten griech.-lat. Codex der Actus (E.) Bodlej. Laud. Gr. 35 wiederfinden will. -- Über eine alte in England geschriebene Petersburger Hs. von Bedas Historia ecclesiastica, die Plummer trotz ihres Wertes mit Stillschweigen übergangen hat, handelt O. Dobiasch-Roschdestvensky ( 331). Die Zeit, in der die Hs. geschrieben wurde, setzt sie unter sorgfältiger Beobachtung eines ausgeklügelten chronolog. Systems, das am Schluß verwendet ist, mit Wahrscheinlichkeit in das Jahr 746. -- Von der von E. Schulz bearbeiteten Bibliotheca manuscripta II ( 329) kann dasselbe gerühmt werden wie von Teil I, vgl. Jberr. I, S. 189, Nr. 171, namentlich sei auch hier auf die literarhistorischen Anmerkungen hingewiesen. Während im ersten Teil vor allem theol. Hss. beschrieben waren, sind hier die weltlichen Wissensgebiete und illuminierte Hss. (21 vorzügliche Tafeln) aufgenommen worden. Für die Geschichte wichtig ist besonders Cod. 106 mit den Annales Fuldenses und Vita Caroli, 172 Histor. Rom. des Paulus diaconus, 179 und 101 mit Aktenstücken von den Konzilien zu Konstanz und Basel. Außerdem seien genannt Hugucios liber derivationum Nr. 148, eine Biblia pauperum italienischer Provenienz Nr. 123, ein Original-Notizbuch von Cyriacus von Ancona vom J. 1436, Nr. 132. Von Gedichten seien hervorgehoben Nr. 172 eine unbekannte Mahnung an Schüler Dies vestros ne perdatis, Nr. 113 Viri venerabiles, viri litterati, Nr. 159 [0] viri dilectissimi, sacerdotes dei, Nr. 131 Dialogus inter monacham et scolarem. -- F. Schillmann, Z. Gesch. d. Bücherwesens des Deutschen Ritterordens. Von Büchern und Bibliotheken. Festschrift f. E. Kuhnert 278--282 ( 73) teilt ein Bücherverzeichnis der Deutschordensballei Hessen v. J. 1476 mit, das im Staatsarchiv in Marburg aufbewahrt wird.


Diese Seite ist Bestandteil des Informationsangebots "Jahresberichte für deutsche Geschichte" aus der Zwischenkriegszeit (1925-1938)