IV. Drama.

Cohens Buch ( 372) kommt für uns nicht in Betracht, doch sei auf einen Aufsatz des Vf. La comédie lat. en France au XIIe siècle, Rev. des études lat. 6, 1928, 268 ff. verwiesen. Er macht darauf aufmerksam, daß als Heimat der meisten Comoediae elegiacae die Ufer der Loire zu betrachten sind. Er ist der Ansicht, daß diese Comoediae wirklich aufgeführt wurden. Am interessantesten ist, daß er ein Corpus de la comédie en France au XII siècle für 1929, Paris, G. Budé ankündigt, dessen Erscheinen sich aber zu verzögern scheint. -- Die Reihe dieser Comoediae eleg. ist um ein ganz interessantes Stück De uxore cerdonis vermehrt, das H. Niewöhner ( 371) publiziert. Bisher hatte nur Creizenach darauf aufmerksam gemacht. Sie ist, soweit bekannt, in 5 Hss. erhalten, von denen die beiden Ambrosiani dem Herausg. unzugänglich blieben, die anderen liegen in Pavia, München, Erfurt. Da auch die beiden deutschen Hss. Stücke enthalten, die aus italienischen Quellen geflossen sind, ist die Vermutung berechtigt, daß Italien als Heimat zu betrachten sei. Sie wird, wie mir scheint, dadurch bestätigt, daß einzelne Stellen sich mit der vielgelesenen Elegia des Heinrich v. Septimello berühren, vgl. 90: Heinr. 398. 228: H. 296. 79, vgl. H. 239 ff. Auch Berührungen mit Paulinus und Polla sprechen dafür. Mit dem Speculum stultorum hat das Gedicht einen Vers gemeinsam. Als Dichter nennt sich in der Paveser Hs. ein Jakob, Haskins in dem oben genannten Aufsatz ( 327) vermutet, daß es Jacobus von Benevent ist. -- Der schlecht zugängliche Babio ist von F. Ermini in Verfolg seiner Studien z. mlat. Drama neu herausgegeben worden ( 370); die drei bekannten Hss. sind herangezogen (daß auch in Canterbury eine solche gewesen ist, scheint übersehen zu sein), und der Text ist vielfach lesbarer geworden; freilich bleiben auch jetzt viele Rätsel, manche Verse sind unmöglich, z. B. 268: Igne volo aut aqua, si magis illa placet, 1. volo vel aqua. V. 413 hat nur 5 Füße usw. Den unbekannten Dichter sucht der Herausg. in der Bretagne um 1190. In der Vorrede entwickelt er seine Überzeugung, daß das lat. Drama in den ersten Jahrhunderten des MA. keine Unterbrechung erfahren habe. In derselben Linie liegt auch sein Aufsatz ( 373) über einen Mimus convivalis in der Karolingerzeit. Er will es wahrscheinlich machen,


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daß die bekannte Ecloge des Ermoldus Nigellus von kostümierten Personen (z. B. der Vasacus ganz in Tannengrün gekleidet, der Rhenus als struppiger Flußgott) an der Tafel König Pippins aufgeführt oder wenigstens zu diesem Zweck gedichtet worden ist. Es bleiben doch recht starke Bedenken. V. sagt, es seien vier Interlocutoren, rex, Thalia, Vasacus, Rhenus. Wie wird es aber dann mit Vers 1--60, in denen der Dichter die Thalia beauftragt, sich zu dem Könige zu begeben? Dann müßte zunächst doch der Dichter anwesend sein und im Zwiegespräch mit seiner Muse auftreten. Aber das ist durch Vers 199 ausgeschlossen. Wie man sich das vorstellen soll, daß der Mimus erst mit Vers 61 beginnt, ist mir nicht klar. Und wenn Ermini von einem »proprio mimo convivale cioè una di quelle rapide scene drammatiche« spricht, so stimmt das zu unserem Gedicht recht wenig, das ganz und gar gelehrten Charakter trägt, wie ein Blick in Dümmlers Ausgabe lehrt; überall wird man auf Fortunat, Vergil, Ovid geführt. Ich kann in dem Gedicht nur eine Ecloge sehen, wie bisher geschehen ist. Auch an einen anderen Mimus Erminis kann ich schwer glauben, Il Pianto di Iotsaldo per la morte di Odilone, Stud. med. 1, 1928, 392 ff. Diesen bisher wenig beachteten Planctus zieht er aus Marrier et Duchesne, Bibl. Cluniacensis S. 329 ans Licht. Der Inhalt ist kurz folgender. Er beginnt mit einer bangen Frage: 'Odilio, wo bist du geblieben?' Die Ratio gibt die Antwort; der geliebte Abt sei im Grabe geborgen. Nun hebt ein langes Preislied auf den Entschlafenen an, der nicht gestorben, sondern mit Christus vereinigt sei; es endet mit einer Apostrophe an den Toten. Überraschenderweise nimmt dieser das Wort, er ruhe so süß im Schutze dessen, den er immer geliebt habe. Es folgt eine Aufforderung an die Töchter v. Jerusalem, diese Ruhe nicht zu stören, und eine Ausführung darüber, wie er am jüngsten Tage eine zweite Siegespalme davontragen werde, nachdem er schon jetzt eine erhalten habe. Zum Schluß Bittgebet und Epilog. Am Rande der Hs. stehen zahlreiche Glossen, die Ermini als Didaskalien ansieht wie Ratio ad haec respondens ait, Dilectus quaeritur, Quam suaviter dicat se requiescere. Ermini schließt daraus, daß eine dramatische Leichenfeier stattgefunden habe: in der Krypta steht eine Bahre, auf der ein Mönch, als Abt verkleidet, ruht. Ein Chor kommt und ruft ängstlich nach dem Verschwundenen, die Ratio tritt auf (wie oben). Nun bringt der Chor dem Toten symbolische Geschenke und spricht zu ihm, und der Darsteller des Abtes erwidert. Dann wendet sich der Chor an die Töchter v. J. (wie oben). Da erhebt sich der Darsteller des O. und steigt, geleitet von Engeln, eine geschmückte Treppe empor und verschwindet im Halbdunkel. Ich glaube nicht, daß sich die Auffassung halten läßt, die Randbemerkungen sind keine Didaskalien, sondern Erläuterungen des Textes, z. B. Ex eadem die dominus Wilelmus ab hac luce migravit usw. und man darf schwerlich einige daraus auswählen und als Didaskalien verwerten. An der Schlußszene mit der »Didaskalie« Hic excitatus resurgit scheitert die ganze Konstruktion, in dem durch diese Glosse erläuterten Text steht kein Wort, aus dem man schließen könnte, daß der Tote sich erhebt und über eine Treppe im Himmel verschwindet, es ist m. E. ganz zweifellos, daß in den Versen 98--113 auf den jüngsten Tag hingewiesen wird, an dem der himmlische Richter erscheinen wird, dem Odilo mit der Schar der Heiligen entgegeneilt. V. 100 ff. geben ganz deutlich Matth. 24, 29 ff. wieder, auch der Gebrauch des Futurums deutet darauf hin. Von Erminis

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Darlegungen bleibt nur, daß der Planctus durch die Einführung der Ratio und die sonderbare Teilnahme des Toten an der Handlung einen eclogenartigen Charakter erhält. Der Einfluß des Hohen Liedes ist nicht zu verkennen.


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