III. Volkskunde der Einzellandschaften.

Die Volkskunde Vorarlbergs hat ihre Darstellung durch Ad. Helbok erhalten ( 414). Hier gilt als Aufgabe der Volkskunde die Erforschung der Seele des Volkes in ihren Äußerungen in Gegenständen oder in Worten oder in Handlungen, und zwar vornehmlich in der Mutterschicht des Volkes, die ihr Wesen immer erneut in die Tochterschicht (Oberschicht) hineinstrahlt und das aus der Tochterschicht Übernommene sich selber wieder angleicht. »Die Volkskunde ist die Wissenschaft von der Mutterschicht der Kulturvölker, die Völkerkunde hingegen ist die Wissenschaft über die Naturvölker,« denen die Tochter- (Ober)schicht noch fehlt. Erde und Volk werden in ihrer Aufeinanderbezogenheit in einer Darstellung der kulturmorphologischen


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Grundlagen begriffen: liebliche Alpenlandschaft bis zur romantischen Hochgebirgswelt und Moorlandschaft des Bodensees, das Ganze von einer Völkerstraße durchzogen. Alemannen auf keltischem Boden; Haufendorf mit Gewannflur in Streulage mit Flurzwang bestimmt das Siedlungsbild des Tales; die Blockfluren mit Gras- und Viehwirtschaft der Berge sind vordeutscher Rest; die Verbindung wird hergestellt durch die Reihendörfer deutscher Kolonisten und die Gassendörfer romanischen Ursprungs. Die Städte entstammen dem Mittelalter; sie stellen Bauern und Bürger gegeneinander. Auf dieser Grundlage sind Arbeit und Lebensweise beschrieben. Aus der Vielheit der Hausformen treten hervor: Ständerbau, romanischer Steinbau und ihre Vermengung im Fachwerkbau; sie sind sämtlich Gehöfthäuser, gegenüber dem Einhause des Bregenzer Waldes und des Rheintals. In der Hausausrüstung besonders erblüht die Volkskunst, die hier in primitiven Schmuckformen ältestes Völkergut bewahrt und auch die Kunst abendländischer Stilepochen mit besonderer Neigung für das Barock umstilisiert hat. Die Tracht, die an sozialständische Voraussetzungen geknüpft ist, lebt ernstlich nur noch in den Gebirgslandschaften (Montafon- Tracht). Sitte, Brauch und Volksglaube sind an das Bauernjahr und den Zunftbrauch geknüpft und mit Fremdeinflüssen später Zeit stark durchsetzt; sie haben den einheitlichen Volksgeist der Vorarlberger geschaffen. Die mündliche Überlieferung (Sage), die die Rechtsvorstellungen und die Geschichte der Vorwelt erschließt, tritt heute zurück (Glaube an Fenken, Butze und andere dämonische Wesen). Die Sprache des Hinterwaldes erinnert an die des Nibelungenliedes. Im Wesen der einzelnen landschaftlich geschiedenen Gruppen leuchtet das Alemannische überall durch.

Wer die geistige Haltung des Elsaß im Wandel der Zeiten dem Oberflächenbilde der Kulturepochen zum Trotz als eine Einheit erfassen will, muß aus allen kulturgeschichtlichen Äußerungen die volkhaft eigenwüchsigen Züge herauslesen. Diesem Ziele dient auch der Aufsatz von H. Gumbel ( 415), der seine Begrenzung in der Reformationszeit findet. Es ist erfreulich, daß sich die Aufmerksamkeit auf die Sonderart des elsässischen Volkstums immer stärker auch auf deutscher Seite zeigt, man vergleiche den Überblick von P. Wentzcke über die deutsche Kultur in Elsaß und Lothringen (Jahresb. II Nr. 753). Französische Federn sind längst am Werke, mit anscheinend streng wissenschaftlich volkskundlich-historischen Methoden ihre These von der geistigen Wandlungsfähigkeit der Elsässer zu erhärten, wie es das erschreckend unwissenschaftliche, aber von politischer Energie zeugende Buch von Dumon (Jahresb. II Nr. 752) erwiesen hat. -- Einen Einblick in das Stadtregiment Kölns gewährt der von E. Kuphal ( 416) gebotene Abdruck der Großen Morgensprache in der Fassung vom Jahre 1623. Die Morgensprache ist die Verlesung der Stadtordnung durch den Magistrat von der Lehne der Rathauslaube aus. Der Zweck dieser alljährlichen Feierlichkeit ist die Erhaltung von Ordnung, Sitte und Religion. Der Inhalt ist in neunzehn Abschnitte gegliedert. Während des Gottesdienstes muß aller Handel ruhen. Bei Sakramentsprozessionen wird verlangt, daß »zu verehrung desselben ein jeder vor seinem hauss geistliche heiligen tafeln oder tapeten ausshenken oder grass und laub streuen oder auch gröne meyen vor ihre heusser, daselbst es vorübergetragen wird, setzen sollen«. Kleiderluxus, Gelage, Fluchen, »heimliche conventicula«, unkatholische Religionsübung, Grabgeleit bei Nichtkatholiken, Privatschulen sind untersagt. Der Buchdruck steht unter Aufsicht.


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»Offerleuth, tödtengräber, sehlentröster, todtenladenmecher« werden vor Übervorteilung der Trauernden gewarnt; gemeinsame Totenwache von Männern und Frauen ist verboten. Der Bürgereid wird gefordert, Fahrende werden ausgewiesen. Dienstboten sind unter elterlicher Hut zu halten. Unreinigkeit auf den Straßen, Beschädigung der Befestigung, Waffentragen, nächtliche Ruhestörung, Söldnerwerbung, eigenmächtiger Hausbau sind verboten. Feuersicherheit, Brandhilfe sind geregelt. Warenbetrug, Münzbetrug werden bedroht. Vermächtnisse sind genehmigungspflichtig.

Die ostdeutsche Landschaft hat mit der Schlesischen Volkskunde von Peuckert ( 417) eine neue Darstellung erfahren, die das Wesen des Schlesiers mehr aus dem Gegenwartsbilde als aus zurückschauender kulturgeschichtlicher Betrachtung zu erfassen sucht. Die slawische Kultur hat nach dieser Darstellung im Bilde Schlesiens mitgeformt, aber das deutsche Wesen nicht entscheidend abgewandelt. Das Werk ist in erster Linie für einen Laienleserkreis geschrieben. --Klapper ( 418) stellt die bisher unbeachteten reichen Zeugnisse für die Pflege des religiösen Schauspiels in Schlesien zusammen. Man erkennt, daß seit dem 14. Jhd. die Übung des Breslauer Domes (Gang der drei Marien zum Grabe und Apostellauf) für die Osterfeier bestimmend ist. In diesem östlichen Reliktgebiete volkskundlicher mittelalterlicher Überlieferung hat sich aus Kreuzherrenkreisen ein Osterritus der Jerusalemer Grabeskirche erhalten, der die Herkunft sämtlicher abendländischer Osterfeiern aus der Liturgie des Heiligen Grabes im 9. Jhd. höchstwahrscheinlich macht. Für die bürgerliche Weiterbildung zu deutschen Osterspielen, Marienklagen und Passionsspielen seit dem 14. Jhd. werden neue, teilweise mit Noten überlieferte Texte beigebracht. Auch über histriones, fistulatores, ioculatores, goliardi, saltatores und ihre lagyae (Leiche), coreae, cantilenae, dictamina und rhythmi, über Weihnachtslarven, Todaustreiben und Fastnachtsspiele und die kirchlichen Verbote dieser Bräuche sind die handschriftlichen Quellen seit dem Beginne der deutschen Siedlung abgedruckt. -- Das wachsende Verständnis der reichsdeutschen Volkskundeforschung für die Kulturfragen und Grundlagen des Grenzlandsdeutschtums hat auch der volkskundlichen Arbeit in den Grenzlandsgebieten neuen Ansporn gegeben. Die dafür nötige bibliographische Arbeit wird besonders auf beiden Seiten der Grenze im gesamtschlesischen Raume eifrig gefördert. Als wertvolle Ergänzung zu der Bibliographie der schlesischen Volkskunde ist das Heft von Hobinka ( 419) über das Schrifttum der deutschen Volkskunde in Mähren und dem ehemals österreichisch-schlesischen Gebiete zu begrüßen.


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