III. Ost-, Mittel- und Norddeutschland.

Im Berichtsjahre sind wichtige Erfolge organisatorischer Art für Ostdeutschland zu verzeichnen, vor allem die Begründung des Ostdeutschen Verbandes für Altertumsforschung. Haben West- und Süddeutschland ihren Bestrebungen auf dem Gebiete der Altertumskunde schon seit langem durch die Zusammenfassung in zwei Verbänden den nötigen Rück- und Zusammenhalt gegeben, so mußte Ostdeutschland bisher diese Gemeinschaftsarbeit und die aus ihr hervorgehende Förderung entbehren. Möge der unter dem Vorsitz von Professor La Baume- Danzig ins Leben gerufene Verband der Ostdeutschen Altertumskunde bald eine feste und weitere Grundlage schaffen. Die Denkmalpflege hat in Pommern durch die Eröffnung des Provinzialmuseums Pommerscher Altertümer in Stettin einen erfreulichen Schritt vorwärts getan. Auch hier hat jetzt wie in den meisten anderen preußischen Provinzen die Provinzialverwaltung die Pflege der heimischen Bodenaltertümer übernommen, die bis dahin von der »Gesellschaft für pommersche Geschichte und Altertumskunde« betreut worden ist. Die ständig wachsenden Aufgaben der Bodendenkmalpflege heischen eben überall gebieterisch eine amtliche Verwaltung, weil für sie die Kräfte der privaten Vereinigungen, deren Verdienste um die Altertumskunde nicht hoch genug anzuschlagen sind, nicht mehr ausreichen.

Unter den Darstellungen der gesamten Vorgeschichte einer Landschaft ist vor allem Schránils ausführliche Vorgeschichte Böhmens und Mährens ( 541) hervorzuheben. Die tschechische Forschung zeigt in diesem fleißigen Werke, daß sie mit Erfolg bestrebt ist, den Anschluß an die europäische Altertumskunde, den sie unter dem Einflusse von Pič verloren hatte, wieder zu gewinnen. Zum ersten Male wird hier der Allgemeinheit eine modernen Ansprüchen gerecht werdende Behandlung der gesamten Vor- und Frühgeschichte der Sudetenländer in deutscher Sprache vorgelegt, während Menghins 1926 erschienene Vorgeschichte dieses Gebietes die slawische Epoche unberücksichtigt läßt. Der Wert der Schránilschen Arbeit liegt in der Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit, mit der alle Kulturen und ihre Einzelformen in Bild und Schrift vorgeführt werden. Es ist daher ein unentbehrliches Hand- und Nachschlagebuch, das insbesondere wegen der großen Zahl von Bildbeilagen dauernden Wert behalten wird. Freilich nehmen die reinen Formenschilderungen in dem Buch einen unverhältnismäßig großen Raum auf Kosten der besiedelungsgeschichtlichen Fragen ein, so daß die Lektüre vor allem für Fernerstehende etwas spröde ist. Trotzdem wird die sachliche Art der Arbeitsweise des Verfassers sehr viel dazu beitragen, die vielen irrigen Deutungen und Fehlschlüsse einer jetzt auch in den Sudetenländern überwundenen Forschungsperiode zu beseitigen.

Keine zusammenfassende Darstellung, aber eine ganze Reihe von Aufsätzen über die wichtigsten Zeitstufen der Altmark bietet die stattliche Festschrift des Magdeburger Museums zur 10. Tagung für Vorgeschichte ( 521), deren Zustandekommen vor allem Engel zu danken ist. Er selbst hat in dieser Sammelschrift Übersichten über die alt- und mittelsteinzeitlichen Funde des Mittelelbegebietes verfaßt. Ist auch sicher über diese Fundgruppen noch nicht das letzte Wort gesprochen, so fördert die Zusammenstellung des Fundstoffes seine weitere Erforschung. Überhaupt liegt der Wert der Festschrift darin, daß in größerem Umfange Fundmaterial aus einem Gebiete vorgelegt wird, aus dem lange Zeit keine Veröffentlichungen zu verzeichnen waren. Auch die von Engel


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durchgeführte Neuaufstellung der Vorgeschichtlichen Abteilung des Magdeburger Museums hat in gleicher Weise dazu beigetragen, die Bodenfunde der Magdeburger Gegend mehr als bisher der Allgemeinheit zugänglich zu machen. Von den Beiträgen der Festschrift ist Kossinnas Bearbeitung der Bronzezeit des mittleren Elbegebietes ( 522) besonders gehaltvoll, weil der Verfasser aus seinen schier unerschöpflichen Fundstoffsammlungen eine ganze Anzahl wichtiger Typengruppen in ihrer vollständigen Verbreitung aufzählt und bespricht.

Einem eng begrenzten, aber bedeutungsvollen schlesischen Teilgebiet, dem Zobten, widmet Geschwendt ( 530) eine Monographie. Seitdem die Wissenschaft die Gleichsetzung dieses Berges mit dem wandalischen Heiligtum, von dem Tacitus berichtet, anerkannt hat, wird in Schlesien der Versuch unternommen, wieder an seinen altgermanischen Namen, der erst im späten MA. durch den Namen des slawischen Marktfleckens Zobten verdrängt worden ist, anzuknüpfen und dieses schlesische Wahrzeichen »Siling« zu nennen, ein unterstützenswerter Vorschlag, der zumindesten im wissenschaftlichen Schrifttum Anklang finden wird. Gemäß der Anlage der Führerreihe, in der das Büchlein erschienen ist, macht der Verfasser den Leser in knappester Form mit den mannigfachen Schicksalen des ehrwürdigen Schlesierberges bekannt, vortrefflich unterstützt durch eine ganze Anzahl ausgezeichneter Bilder.

Von zusammenfassenden Arbeiten über einzelne Zeitabschnitte sei die Behandlung der nordischen Alt- und Mittelsteinzeit durch Schwantes ( 513) hervorgehoben, die in übersichtlicher Form zu den gerade jetzt besonders eifrig diskutierten Fragen der mittelsteinzeitlichen Kulturen Stellung nimmt. Wenn Schwantes die primitiven Steingeräte der Fundplätze von Schaalsee, Ahrensburg und Lavenstedt in das Eiszeitalter zu setzen versucht, und somit die Menschheitsgeschichte des Nordens um ein gewaltiges Stück verlängern möchte, so bedürfen diese Ansetzungen noch dringend einer weiteren Nachprüfung, weil gewichtige Gründe geologischer und stilkritischer Art für ein jüngeres Alter der Fundschichten sprechen. Petzsch ( 525) gibt eine Darstellung der Steinzeit Rügens, das wegen seines Reichtums an Feuerstein ein Mittelpunkt nordischer Steinzeitkultur gewesen ist. Obwohl eine Unmenge von Steingeräten aus Rügens Erde gehoben worden ist, hat die wissenschaftliche Erforschung davon verhältnismäßig wenig Nutzen gehabt, wie die gewissenhafte Behandlung von Petzsch zeigt. Leider nur der kleinste Teil des Fundstoffes ist sachgemäß geborgen worden; der unselige Handel mit Altertumsfunden, der in Rügen wie in kaum einer zweiten deutschen Landschaft geblüht hat, riß die einzelnen Fundstücke aus ihrem für die Forschung so wertvollen Fundzusammenhang, und die amtliche Denkmalpflege setzte viel zu spät und mit viel zu wenigen Kräften ein. So kommt es, daß die Erforschung der reichsten Fundprovinz weit hinter anderen, weniger ergiebigen Gebieten zurückgeblieben ist und daß Petzsch nur eine verhältnismäßig dürftige Nachlese halten konnte.

Ins Bronzealter leitet Kiekebuschs Bearbeitung des Königsgrabes von Seddin ( 523) über, dieses gewaltigsten norddeutschen Hügelgrabes im Nordwestzipfel der Mark Brandenburg, dessen reichhaltiger Inhalt eine der Hauptzierden des Berliner Märkischen Museums bildet. Die neue monographische Behandlung des vor 30 Jahren gehobenen Fundes wird dazu beitragen, die Bedeutung dieses 3000 Jahre alten, einzigartigen Begräbnisses eines germanischen Fürsten auch weiteren Kreisen näher zu bringen. Mit besonderer Wärme setzt


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sich Kiekebusch dafür ein, daß die mit dem Grabe verknüpfte Sage, in dem Hügel sei ein Riesenkönig in dreifachem Sarge begraben, der Rest einer unmittelbaren Überlieferung aus der Zeit der Errichtung des Grabes sei, die trotz zweifachen Bevölkerungswechsels durch die Jahrtausende von Mund zu Mund fortgepflanzt worden sei. Obwohl Kiekebusch alle Gründe, die für diese Auffassung sprechen könnten, mit Geschick zusammenträgt, ist ein strikter Beweis hierfür nicht erbracht und wohl auch nicht zu erbringen. Die Gleichsetzung der Fundumstände mit dem dreifachen Sarge des Volksmundes wirkt m. E. nicht überzeugend und verliert um so mehr ihre Beweiskraft, als es sich um einen Sagenstoff handelt, der nicht dem Seddiner Hügel eigentümlich, sondern in der Mark weit verbreitet ist.

Aus der frühen Eisenzeit liegen eine ganze Reihe von erwähnenswerten Arbeiten vor. Jacob-Friesen ( 517) veröffentlicht einen nordhannoverschen Fund von vier großen Bronzerädern, die wahrscheinlich zu einem Opferwagen gehört haben. Es ist der nördlichste und auf germanischem Gebiet einzige Fund solcher Räder, die sonst nur im Bereiche der keltischen Kultur, insbesondere in Frankreich, auftreten. Wertvoll ist die eingehende technische Untersuchung der Fundstücke, die Jacob-Friesen veranlaßt hat; sie erweitert in förderlicher Weise unsere Kenntnis von dem hohen Stande der Gußtechnik in vorgeschichtlichen Zeiten. -- Mit einer für die germanische Kulturgeschichte sehr wichtigen Fundgruppe, mit den bildlichen Darstellungen auf ostgermanischen Tongefäßen, macht uns La Baume ( 527) in einer guten Zusammenfassung bekannt. Seine Arbeit ist geradezu ein Musterbeispiel für die Notwendigkeit, in der vorgeschichtlichen Forschung sämtliche Belege einer Quellenart zusammenzutragen und nicht nur einzelne hervorragende Stücke herauszugreifen. So manche Fehlschlüsse können auf diese Weise vermieden, viele oft überraschende Ergebnisse gewonnen werden. Die sorgfältige Vertiefung in den Inhalt der primitiven Darstellungen führt den Verfasser zu wertvollen Erkenntnissen über die Verschiedenheit der Tracht bei Frauen und Männern, über die Bewaffnung und über religiöse Vorstellungen der damaligen Zeit. Eine vollständige Fundliste und zahlreiche Abbildungen erhöhen den Wert der Arbeit in erfreulicher Weise.

In anschaulicher Weise sucht Jahn in zwei Arbeiten ( 531-- 532) das wechselvolle Besiedlungsbild Schlesiens in den letzten vorchristlichen Jahrhunderten zu schildern. Der Forschungsmethode Kossinnas folgend, vermag er auch in vorgeschichtlichen Zeiten -- allein auf Grund der Bodenfunde -- Völkergeschichte zu treiben und nachzuweisen, daß Schlesien fast 1000 Jahre vor der geschichtlichen Völkerwanderung ein vielumkämpftes Streitobjekt der verschiedensten Nationen war. Die alte, seit der Steinzeit hier ansässige, wohl illyrische Bauernbevölkerung wurde im 6. Jhd. v. Chr. zu einem Teile von ostgermanischen Basternen unterjocht, zum anderen Teile im 5. Jhd. von skythischen Reiterscharen überrannt und dann im 4. Jhd. endgültig von Kelten verdrängt. An die Stelle der Kelten setzten sich seit dem 1. Jhd. v. Chr. einwandernde Wandalen, die dann bis zur Völkerwanderungszeit Schlesien beherrschten. Es ist erstaunlich, wie klar und ausführlich die Besiedlungsgeschichte eines Landes erschlossen werden kann, wenn die Bodendenkmalpflege und die wissenschaftliche Bearbeitung der gesamten Bodenfunde seit langem auf so hoher Stufe stehen wie gerade in Schlesien. Freilich müssen die beiden Vorbedingungen erfüllt sein, sollen die Forschungsergebnisse auch Tragfähigkeit erhalten. Im


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benachbarten Freistaat Sachsen ist die Wissenschaft des Spatens noch nicht so lange und so weit ausgebaut. Fehlt Sachsen doch immer noch ein gesetzlicher Bodendenkmalschutz! Viele Vorarbeiten müssen dort noch geleistet werden und siedlungsgeschichtliche Fragen lassen sich kaum mit der notwendigen Sicherheit lösen. So ist es verständlich, daß Bierbaum ( 536) bei dem Versuche, die Schlußstufe der früheisenzeitlichen Kultur Sachsens im Gegensatz zu den schlesischen Verhältnissen bis in die Mittel-Latènezeit herabzuziehen, zu Fehldatierungen kommt. Gerade die von ihm herangezogenen Funde, deren Bekanntgabe dankenswert ist, sind ausgesprochene Formen der ältesten Latènestufe und gehören ins 5. vorchristliche Jhd. Bierbaums Arbeit ermutigt Frenzel ( 537), seine alte, schon in unserem vorjährigen Berichte (Jberr. III S. 190 f.) abgelehnte Anschauung, die früheisenzeitliche Lausitzer Kultur der Oberlausitz müsse sich bis zum Beginne unserer Zeitrechnung nachweisen lassen, mit größerer Bestimmtheit vorzutragen. Nach ihm »ist die Kontinuität der Siedlung in den hauptsächlichsten Gefilden seit der jüngeren Steinzeit bis in das MA. für Mitteleuropa durch die Urlandschaftsforschung unumstößlich nachgewiesen«. Fundleere Zeitstufen in einmal besiedelten Gegenden sind für ihn also unmöglich, obwohl ihr Vorkommen auch durch geschichtliche Quellen bezeugt ist. Sprechen typologische oder chronologische Gründe gegen seine Hypothese, so ist er lieber geneigt, die Sicherheit des Forschungsfundamentes unserer Wissenschaft, Chronologie und Typologie, anzuzweifeln, als von seiner vorgefaßten Meinung abzugehen. So überaus schwierige Fragen wie die vorzeitliche Besiedlungsgeschichte sind nur bei völliger Beherrschung des gesamten einschlägigen Fundstoffes einigermaßen sicher zu beantworten; greift man hingegen nur die für eine Anschauung günstigen Punkte heraus, so muß die Arbeit unfruchtbar bleiben, auch wenn sie mit der größten Liebe ausgeführt wird.

Mit großer Sorgfalt wendet Schulz ( 520) die siedlungsgeschichtliche Methode an dem Kulturnachlaß des letzten vorchristlichen Jhds. Thüringens an. Das mitteldeutsche Saalegebiet setzt insofern der Aufhellung seiner Siedlungsverhältnisse besondere Schwierigkeiten entgegen, weil es infolge seiner geographischen Lage stets ein Tummelplatz für die verschiedenartigsten Kulturströmungen und Völkerbewegungen gewesen ist. Auch sind planmäßige Grabungen noch nicht in dem Maße durchgeführt worden, wie es wünschenswert wäre, obwohl die Museen Halle und Jena einige sehr umfangreiche Friedhöfe der vorrömischen Eisenzeit sachgemäß durchforscht haben. Die Untersuchungen von Schulz bieten daher eine erwünschte Förderung unserer Forschung, auch wenn sie in manchen Punkten aus den angegebenen Gründen noch nicht endgültig sein sollten. Seine Aufteilung des spätlatènezeitlichen Fundstoffes in mehrere Zeitgruppen und die Herausschälung einer kurz vor Beginn unserer Zeitrechnung aus Norddeutschland einwandernden Hermundurengruppe sind beachtenswert, ganz abgesehen von den zahlreichen Fundlisten, dem gut aufgeschlossenen Material und den vielen gewissenhaften Einzelbeobachtungen, welche diese Arbeit aufzuweisen hat.

Aus der germanischen Zeit seien weiterhin eine Anzahl von Einzelveröffentlichungen wichtiger Funde aufgeführt. Petersen ( 533) gibt das Ergebnis einer schlesischen Siedlungsgrabung bekannt, bei der ein Gehöft des letzten vorchristlichen Jhds. freigelegt wurde, dessen 15,5 m langes, von 54 Pfosten getragenes Haupthaus auffallende Ähnlichkeit mit nordgermanischen, speziell


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dänischen Wohnbauten aufweist. Diese Verwandtschaft spricht neben sonstigen Übereinstimmungen in den Kulturresten Schlesiens und Dänemarks für die Herkunft der schlesischen Wandalen aus dem Westrandgebiet der Ostsee. Kostrzewski ( 528) hat durch eigene Grabungen die wahre Bedeutung der Steinkreise und Hügelgräber von Odry, Kreis Konitz, aufgeklärt, die lange Zeit für steinzeitlich angesehen worden sind. Skelett- und Brandbestattungen in diesen Anlagen erbringen den Nachweis, daß es sich um Grabmale von Ostgermanen aus den ersten nachchristlichen Jahrhunderten handelt. So anerkennenswert dieses Ergebnis des Posener Archäologen ist, so verknüpft er es leider wieder mit seiner oft genug widerlegten Urslawentheorie, nach der die Slawen von der bronzezeitlichen Bevölkerung Ostdeutschlands abzuleiten seien und während der germanischen Siedlungsepoche neben und unter diesen »Eindringlingen« im Lande fortgelebt hätten. Die Hügel von Odry liefern ihm endlich die so lange gesuchten Gräber der »Einheimischen« während der Germanenzeit. Die Hauptbestattungen bergen nach ihm die Skelette der Germanen, die in den oberen Teilen der Hügel mehrfach nachgewiesenen Nachbestattungen (Brandgräber) sollen hingegen von den Einheimischen herrühren, obwohl sie gleichfalls germanische Kulturreste enthalten. Als Beweis für diese Unterscheidung genügt ihm allein die verschiedene Bestattungsform. Dabei ist die gleichzeitige Anwendung von Körperbestattung und Leichenverbrennung bei den Germanen gar nicht selten und recht weit verbreitet gewesen. Auch die Veröffentlichung des reichen Männergrabes von Marwedel an der Niederelbe durch Krüger ( 515) gibt hierfür ein Beispiel. Im 1. Jhd. n. Chr., in welchem das Grab der Erde anvertraut worden ist, ist sonst auf diesem Gebiet durchaus Leichenverbrennung üblich. Das Marwedeler Grab hingegen enthielt ein Skelett, das wohl wegen seiner besonders reichen Beigaben an römischen Bronzegefäßen und germanischen Geräten das einer hochstehenden, führenden Persönlichkeit gewesen ist. Jacob-Friesen ( 518) bringt eine kurze Einführung in den für Deutschland einzigartigen Brunnenfund von Pyrmont. Am Rande der alten Mineralquelle sind hunderte von germanischen Fibeln und anderen Gegenständen gefunden worden, die in den ersten vier Jahrhunderten n. Chr. der Quellgottheit geopfert wurden. Der Fund ermöglicht einen Einblick in die religiöse Gedankenwelt unserer Vorfahren, an die noch Volksgebräuche unserer Zeit anklingen. Der kürzlich verstorbene Jenaer Universitätsprofessor Eichhorn ( 519) berichtet über ein reich ausgestattetes Frauengrab der Merowingerzeit aus Burgau bei Jena, das eigenartigerweise mitten in einem slawischen Friedhof unter zwei slawischen Bestattungen aufgefunden worden ist. Die zahlreichen Beigaben des Grabes vermitteln ein recht vollständiges Bild von der Tracht und dem Arbeitsgerät einer Germanin des 6. Jhds. Selbst ein Webeschwert fehlt nicht in der Totenaussteuer dieser fleißigen Hausfrau.

Schließlich seien noch einige systematische Arbeiten aus der germanischen Epoche erwähnt. Preidel ( 540) sucht die von Almgren auf Grund der Fibelentwicklung geschaffene feste Grundlage für die Chronologie der ersten nachchristlichen Jahrhunderte zu vertiefen. Eine Neubearbeitung der umfangreichen Fibelfunde Germaniens wäre, da seit dem Erscheinen von Almgrens klassischem Werke ein volles Menschenalter vergangen ist, sehr erwünscht. Sie müßte jedoch, ebenso wie es s. Zt. Almgren getan hat, das gesamte Fundmaterial, auch das unveröffentlichte, heranziehen. Preidel stützt sich aber in der Hauptsache


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nur auf das im Schrifttum bereits niedergelegte Material. Wenn er weiterhin noch über das Blumesche Zeitsystem, das die ersten beiden Jahrhunderte in vier Unterstufen gliedert, hinauszugehen versucht, indem er jedes Jahrhundert in drei Abschnitte teilt, so übersteigert er meines Ermessens die chronologischen Möglichkeiten der typologischen Methode. Trotz allem Formenwechsel haben auch die Fibeln im Gebrauch eine so lange Lebensdauer gehabt, daß mit genügender Sicherheit nur Zeitstufen von etwa 50 Jahren Umfang unterschieden werden können. Jeder noch schärfere Gliederungsversuch führt, wie auch die Preidelsche Arbeit im einzelnen deutlich zeigt, zu so viel Abweichungen von den aufgestellten Zeitregeln, daß deren tatsächlicher Wert recht illusorisch ist. Mit den Hauptformen der oberschlesischen Keramik des 4. Jhds. beschäftigt sich von Richthofen ( 534). Seine Fundkarte zeugt für eine dichte germanische Besiedlung in dieser, der Völkerwanderung unmittelbar vorausgehenden Zeitstufe. Besonders wertvoll sind des Verfassers Zusammenstellungen von ähnlicher Töpferware in den umliegenden Ländern, welche der weiteren Forschung gute Dienste leisten werden. Einer anderen Gefäßgruppe des 4. und 5. Jhds. widmet Roeder ( 516) im Rahmen seiner Studien zur angelsächsischen Besiedlungsgeschichte einen kurzen Abriß. Die Verbreitung der Henkelgußurnen, deren Entstehung er in knappen Zügen darstellt, in Hannover und das Auftreten eines gleichen Gefäßes in Northamptonshire ist neben anderen siedlungsarchäologischen Zeugnissen ein Hinweis dafür, daß auch Mittelanglien ursprünglich von südalbingischen Sachsen des Elbe-Wesergebietes erobert worden ist. Eine siedlungs-geographische Behandlung Süd-Hannovers durch Gusmann ( 514), die versucht, unter Auswertung aller erreichbaren Quellen die waldfreien Siedlungsflächen zwischen Cassel und dem Harz für die Zeit vor den ma.lichen Rodungen festzustellen, ist auch für den Vorgeschichtsforscher von Belang, da sie die vorgeschichtlichen Funde mit benutzt und auf der recht anschaulichen Karte verzeichnet, und weil sie zum ersten Male innerhalb der Provinz Hannover eine wohlbegründete Darstellung der ursprünglichen Verteilung von bewaldetem und unbewaldetem Gebiet bietet, die der künftigen Forschung außerordentlich wertvolle Dienste leisten wird. Wenn nach den Ergebnissen Gusmanns noch im 5. Jhd. n. Chr. ungefähr zwei Drittel von Süd-Hannover mit großen, zusammenhängenden Waldungen bedeckt war, so ist zu beachten, daß diese große Ausdehnung des Waldes sich durch den gebirgigen Charakter des Hauptteils des Landes erklärt. Desto klarer treten auf der Karte die in Nordsüdrichtung streichenden, auch in der Vorzeit waldfreien Streifen längs der Hauptflüsse hervor.

Über die Slawen liegt ein zusammenfassender Reallexikon-Beitrag von Beltz ( 512) vor, der um so wichtiger ist, als in unserem Schrifttum immer noch eine allgemeine Behandlung der slawischen Kultur fehlt. In knappen Zügen, aber mit genauer Materialkenntnis schildert Beltz den slawischen Kulturnachlaß; leider sind seinen Ausführungen nur gar zu wenige und recht anspruchslose Abbildungen beigegeben, ein Mangel, der am empfindlichsten bei dem wichtigen Leitfossil slawischer Kultur, der Keramik, empfunden wird. Siedlungsgeschichtliche Fragen überläßt Beltz ganz dem unmittelbar anschließenden Beitrag von Diels, der objektiv und kritisch die Theorien über die Urheimat und die Wanderungen der Slawen behandelt, aber rein vom sprachwissenschaftlichen Standpunkte aus. Die Stellungnahme der Archäologen hierzu


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und die archäologischen Quellen werden daher von ihm nicht herangezogen. Ja, in der Frage der Dauer und der östlichen Ausdehnung der germanischen Besiedlung bewegt er sich noch in veralteten Anschauungen, die von der Vorgeschichtsforschung in letzter Zeit schlagend widerlegt worden sind. Eine Zusammenstellung der schlesischen Hacksilberfunde der spätslawischen Zeit gibt Seger ( 535) Gelegenheit, in Fortführung der Beltzschen Untersuchungen die kulturgeschichtliche Bedeutung dieser Schatzfunde in anschaulicher Weise darzulegen und in engste Verbindung mit der Geschichte des Landes zu bringen, insbesondere mit den starken Beziehungen Schlesiens zu den Wikingern seit der polnischen Reichsgründung durch den Normannen Misiko I. Seger zeigt treffend, zu welch schönen Erkenntnissen die Beschäftigung mit den slawischen Altsachen, die von der Forschung immer noch recht stiefmütterlich behandelt werden, führen kann, wenn man die archäologischen Ergebnisse in einen größeren Rahmen einfügt, der ebenso wirtschafts- und handelsgeschichtliche, wie rein politische Fragen mit umfaßt. Schuchhardt ( 526) hat im weiteren Verlauf seiner planmäßigen Untersuchungen von slawischen Burgwällen auch auf der Tempelburg von Garz auf Rügen den Spaten angesetzt. Sein Hauptziel, -- ähnlich wie in Ankona -- die drei von dort überlieferten Tempel im Grundriß freizulegen, konnte nicht erreicht werden, weil bei der Anlage der ma.lichen Fürstenburg die Tempelfundamente zum großen Teil zerstört worden sind und auch sonst die Beobachtungsmöglichkeiten gering waren. Mehrere Schnitte durch den Wall und die Freilegung des Tores erbrachten aber klare Einblicke in den Aufbau der Befestigung, die freilich dem Leser wenig zugänglich gemacht werden, weil Abbildungen von der Toruntersuchung gänzlich fehlen und die Wallschnitte nur durch eine ganz flüchtige Skizze veranschaulicht werden. Es wäre sehr erwünscht, wenn so umfangreiche und unter der Aufsicht eines anerkannten Spezialisten durchgeführte Grabungen außer den Übersichtsplänen auch ausreichende Wiedergaben von genau aufgenommenen Einzelplänen und Profilen bringen würden. Zum Schluß sei noch auf die Zusammenstellung frühma.licher Bildsteine aus Ost- und Westpreußen durch La Baume ( 529) hingewiesen, der mit Recht hervorhebt, daß diese Grabsteine altpreußisch, nicht slawisch sind, obwohl sie stilistisch und inhaltlich mit slawischen Steinbaben große Verwandtschaft aufweisen.[M. Jahn.]


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