I. Quellen.

Gregor von Tours, Hist. IX, 40 (ed. Arndt S. 397) berichtet, daß Radegunde mit ihrer Äbtissin nach Arles gereist sei, um von dort die Regel des Cäsarius für ihr Kloster zu holen; dagegen spricht ein Brief der Äbtissin Cäsaria von Arles (MG. Epist. III, 450 ff.) von einer Über sendung der Regel an Radegunde. So hat man denn die Angabe Gregors für unrichtig erklärt; nach Wilhelm Meyer sind die betreffenden Worte sogar ein späterer Zusatz zum Texte der Historien, so daß die Frage für deren Überlieferungsgeschichte nicht ganz ohne Bedeutung ist. Demgegenüber verteidigt René Aigrain, Le voyage de sainte Radegonde à Arles (Bulletin philologique et historique du Comité des travaux historiques 1926/27, Paris 1928, 119--127) mit wenig einleuchtenden Gründen die Glaubwürdigkeit der Nachricht; er erklärt den Brief für verdächtig; wenn er aber echt sei, so könne Radegunde nach Empfang der Regel nach Arles gereist sein, um sie dort in Wirksamkeit zu sehen, und habe erst dann ihre förmliche Annahme bewirkt. Die Ausführungen sind nicht sehr überzeugend.

Die Chronik des sogenannten Fredegar, die bedeutendste erzählende Quelle des Merowingerreichs nach Gregor, gilt in der vorliegenden Gestalt seit der eindringenden Untersuchung Kruschs von 1882 fast allgemein als ein uneinheitliches Werk, als das Ergebnis der Tätigkeit von wenigstens drei Verfassern,


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die nacheinander daran gearbeitet haben. Gegenüber den neueren Ausführungen von Krusch (s. Jahrgang 1926, S. 255) tritt, wie 1914 Lot, Baudot ( 551) wieder für die Einheitlichkeit des Werkes ein, nur daß er Buch- und Kapiteleinteilung als nicht ursprünglich zugibt; der Verfasser habe bald nach 659 geschrieben, seine Darstellung jedoch nicht vollenden können. Er entstammte der Westschweiz (S. 165 Anm. 2 wird seine Heimat gleichzeitig südlich der Loire gesucht!), war Beamter am Hofe Theuderichs II., kam nach 613 an den Hof des Majordomus Warnachar nach Chalon, 627 nach der Aufhebung des burgundischen Majordomats an den neustrischen Hof Chlothars II., um 642 wieder nach Burgund zu dem neuen Hausmeier Flaochad überzusiedeln; vielleicht ist der 642 erwähnte Pfalzgraf Berthar der Verfasser gewesen. Einige Einzelbeobachtungen von Baudot scheinen mir erwägenswert, jedoch die Hauptthesen unbewiesen und unwahrscheinlich; schon die Art der Rechnung nach austrasischen Königsjahren mitten zwischen burgundisch-neustrischen (IV, 87, 88) spricht gegen die Einheitlichkeit der Entstehung, um von anderem abzusehen.

Mit den meist späten Lebensbeschreibungen der wirklich oder angeblich irischen Heiligen Belgiens beschäftigt sich die Arbeit von I. Snieders ( 1331), einer früh verstorbenen Schülerin des auf diesem Gebiete bewährten L. Van der Essen; sie kennzeichnet die Eigenart der Heiligenleben Irlands und sucht danach die oft unsicheren irischen Einflüsse und Motive in den Viten jener belgischen Heiligen zu ermitteln (bei der Vita Ettonis, S. 852, ist Abhängigkeit von der Vita Audoini festzustellen; s. SS. R. Merov. V, 544). Einem Merowingischen Heiligenleben erst des 9. Jhds. gilt auch der Aufsatz von D. Scheludko »Über das Farolied« (Zeitschr. für französ. Sprache u. Literatur 50, 1927, S. 414 bis 429). Ohne auf Kruschs Ausgabe (SS. R. Merov. V, 171 ff.) Bezug zu nehmen, behandelt der Verfasser die Quellen und die Arbeitsweise Hildegars in der Vita Faronis, in der allein das Lied überliefert ist, weist ihm Entstellungen zum größeren Ruhm seines Helden nach und kommt ähnlich Krusch zu dem Ergebnis, daß erst Hildegar Faro in Verbindung mit dem angeblichen Sachsenkrieg Chlothars II. gebracht und das Farolied erfunden habe.

Daß die Petersburger Handschrift von Bedas Historia ecclesiastica 746 vollendet war, weist O. Dobiache-Rojdestvensky ( 331) aus Randbemerkungen nach, in denen der Jahresabstand einzelner Ereignisse von der Zeit des Schreibers vermerkt ist.

M. Buchners Versuch, die Clausula de unctione Pippini als eine Fälschung des 9. Jhds. zu erweisen, hat viel Widerspruch gefunden (s. Jahrgang 1926, S. 257), und er hat sich vergeblich bemüht, die Gegengründe zu widerlegen ( 553; s. auch Zt. der Savigny-Stiftung für Rechtsgesch. 48, Kanon. Abt. 17, 697--705). Eine Quelle dieser Clausula glaubt er in der angeblichen Revelation Papst Stephans II. zu erkennen, die in Wirklichkeit davon abhängig ist; er sieht darin gleich der früheren Forschung ein um 835 verfaßtes Werk des Abtes Hildvin von St. Denis, das er in eingehenden Ausführungen ( 1238) zu den kirchenpolitischen Bestrebungen des ehrgeizigen Abtes und zu den Schicksalen Ludwigs des Frommen in Beziehung setzt; doch hat W. Levison (s. eb.) gezeigt, daß wesentliche Teile dieser Aufstellungen nicht haltbar sind (s. auch L. Levillain, Moyen Age 39, 1929, S. 85--95). -- In dem »Mönch von St. Gallen« erkennt gleich Zeumer u. a. Adelaide Antonelli ( 553a) Notker den Stammler; sie nimmt ihn gegen die Angriffe Halphens in Schutz und sieht in den


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Geschichten von Kaiser Karl nicht sowohl bewußte Erfindung wie die Wiedergabe der Volkssage, deren geschichtlichen Wert sie im einzelnen wohl überschätzt.

Finsterwalder ( 555) veröffentlicht aus zwei kanonistischen Handschriften in St. Petersburg und Laon eine kleine eigenartige Zusammenstellung von Bibelsprüchen, wenigen Stellen Isidors und der Irischen Kanonessammlung. Er erblickt darin »eine politische, geheime Instruktion für einen Kreis von Wissenden« von einem Anhänger Lothars I., der sich »durch die Maskierung hochpolitischer Gedanken mit biblischem Gewande« habe decken wollen; er setzt den Text 835 oder 841/42 und vermutet den Verfasser in dem einen Falle in Wala von Corbie, in dem anderen in Bischof Theoderich von Cambrai. Ich fürchte aber, daß in die kleine Schrift viel zu viel hineingedeutet ist; wohl ist sie sehr wahrscheinlich unter den inneren Wirren des Frankenreichs entstanden, und der zweimal erwähnte 'rex puer' könnte auf den jungen Karl den Kahlen gehen; aber der Text scheint mir im übrigen nur die Grundlage für eine auf die Zeitverhältnisse Bezug nehmende erbauliche Predigt zu sein. Vielleicht führt eine genauere Untersuchung der in den Handschriften benachbarten Stücke weiter.

Ferner ist der 7. Band der Epistolae der Mon. Germ. hist. mit der zweiten Hälfte nach 16 Jahren von G. Laehr zum glücklichen Abschluß gebracht worden; er ist dabei von E. Perels und -- bei den Registern -- von Th. Zwölfer unterstützt worden und konnte teilweise die Vorarbeiten von E. Caspar und W. Henze zugrunde legen ( 119). Hatte die erste Hälfte des Bandes die erhaltenen Teile des Registerbuches Papst Johanns III. gebracht, so folgen nun die sonst überlieferten Briefe Johanns sowie solche seiner Nachfolger Stephan V. und Formosus, ferner das berühmte, in der Chronik von Salerno überlieferte Schreiben Kaiser Ludwigs II. an den oströmischen Kaiser Basilius und die Briefe, meist Widmungsbriefe des auch am politischen Leben des 9. Jhds. so stark beteiligten päpstlichen Bibliothekars Anastasius (vgl. auch 1239). Unter den Briefen Stephans V. findet sich auch die aus der Geschichte der Osnabrücker Zehntstreitigkeiten und Urkundenfälschungen bekannte 'Querimonia' des Bischofs Egilmar von Osnabrück (S. 359 ff.). Die Ausgabe enthält nur vereinzelt bisher ungedruckte Texte; aber durch die Heranziehung der handschriftlichen Überlieferung, durch die Vereinigung vorher sehr zerstreuter Stücke und ihre knappe und doch umsichtige Erläuterung bedeutet sie eine wertvolle Bereicherung der Quellen zur Geschichte des späteren 9. Jhds.


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