c) Salier:

Mit besonderem Eifer hat sich die Forschung der Aufhellung der Vorgänge des Investiturstreites zugewandt, vor allem veranlaßt durch ein umfangreiches Buch, welches B. Schmeidler (1927: 691) auf Grund der Diplome und Briefsammlungen zur Zeit Heinrichs IV. veröffentlicht hat. Sch. hat geglaubt, neue Erkenntnisse gewinnen zu können, indem er die Methode der Stilkritik weitgehend und entscheidend für eine Sonderung der Quellenbestände und die Erkenntnis ihrer Verfasser anwandte. Die Grundsätze dieser Methode hat er in einem letzten Kapitel entwickelt. Mit Hilfe der Stilkritik ist nun in mühevoller Arbeit eine ganz erhebliche Reihe von Diplomen Heinrichs IV. und Briefen des Codex Udalrici, der Hannoverschen Sammlung bei Sudendorf und der St. Emmeraner Sammlung bei Pez in mehrere stilkritisch zusammengehörige Gruppen geschieden worden. Hinter jeder dieser Gruppen hat Sch. versucht, Leben und Tätigkeit eines Diktators zu erschließen. So erhält er vier hauptsächliche Figuren, die er als Helfer Heinrichs IV. im Investiturstreit anspricht. Der Propst Gottschalk von Aachen war als Diktator Heinrichs IV. schon seit Gundlach bekannt. Sch. hat jedoch wesentliche und berechtigte Abstriche an den Gundlachschen Zuweisungen vorgenommen. Gottschalk


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erscheint nach ihm in einer mehr subalternen Stellung am Hofe, die auch seiner Beamtennatur entsprochen habe. Ein recht bewegtes Leben wird für den Dominus H. aus Bamberg angenommen, den Sch. mit dem Adalbero A Breßlaus gleichsetzt. In Bamberg, bei Adalbert von Bremen, in Hildesheim und bei Benno von Osnabrück, schließlich im Dienste des Kaisers findet Sch. die Spuren seiner Tätigkeit. Als ein skrupelloser Geist, der zuletzt auch den Kaiser treulos verlassen habe, wird er geschildert. Als entscheidenden Helfer des Kaisers, ja sogar als seinen »bösen Dämon«, als den eigentlichen Leiter der Politik des dritten Saliers aber stellt Sch. den »Mainzer Diktator« hin, der aus den Diensten des Erzbischofs Siegfried von Mainz in die Kanzlei übergetreten sei. In allen großen Geschehnissen des Investiturstreites sei seine Wirksamkeit zu erkennen, die in fanatischem und echtem Ringen für die Größe des Königtums, aber auch vor keinem politischen Mittel zurückschreckend die Politik Heinrichs IV. nicht immer gerade günstig beeinflußt habe. Treu habe er bei dem Kaiser bis zu dessen Tode ausgeharrt, ja ihm wird in einem besonderen Kapitel in Anknüpfung an bereits veröffentlichte Forschungsergebnisse Schmeidlers die Verfasserschaft der Vita Heinrici erneut zuerkannt. Als vierten Helfer glaubt Sch. einen Italiener (Ogerius A) erschließen zu können. Er ist ein reiner Idealist, begeistert für die Sendung des römischen Kaisertums und ständig bemüht, den Zwist zwischen regnum und sacerdotium beizulegen. In der zweiten Hälfte des Buches versucht Sch. seine Ergebnisse für eine Reihe von diplomatischen und allgemeinhistorischen Einzelfragen auszuwerten. Nach ihm sind mit Hilfe des Adalbero A unter Adalbert von Bremen eine ganze Reihe von Urkunden, die Stellung und Machtbereich der Erzbischöfe betreffen, bewußt und absichtsvoll gefälscht worden, ebenso glaubt Sch. in die Fälschungen des Osnabrücker Zehntstreites neues Licht bringen zu können. Er behauptet eine Mithilfe von Notaren des Hofes, ja eine Mitwisserschaft des Königs selbst bei diesen Fälschungen. Dasselbe wird von der von Berthold behaupteten Verfälschung der Promissio von 1076 angenommen; für ihre Herstellung wird der Mainzer Diktator verantwortlich gemacht, vor dessen Erzeugnissen überhaupt als politisch berechnet und historisch unwahrhaftig gewarnt. Eine neue Beurteilung einiger wichtiger historischer Vorgänge, vor allem bei der Absetzung Hermanns von Bamberg und der Absetzung Heinrichs IV. selber, ergibt sich daraus. In abschließenden Kapiteln äußert sich der Verfasser zur Organisation der Reichskanzlei, wobei der Codex Udalrici als aus Konzeptbüchern der Notare entstanden erscheint, und in einigen kurzen Bemerkungen zur Persönlichkeit des Kaisers selbst.

Das nicht zu unterschätzende Verdienst des Buches besteht fraglos darin, daß der gewaltige Stoff in mühsamster Arbeit einmal stilkritisch durchgearbeitet und gesondert worden ist. Mit den Ergebnissen Gundlachs ist dabei zu Recht gründlich aufgeräumt, darüberhinaus sind mehrere stilkritisch erschlossene große Bestände ausgesondert worden. Wieweit aber dahinter in der Tat bis in dargestellte Einzelheiten hinein die Persönlichkeiten der Diktatoren erschlossen werden können, erscheint immerhin schon nicht bedenkenlos erwiesen. Vollends bei der sachlichen Auswertung der Ergebnisse kann man in recht vielen Punkten anderer Ansicht sein als Sch. Ich erwähne nur die Osnabrücker Fälschungen und die Absetzung Hermanns von Bamberg in Verbindung mit der Ehrenrettung Lamperts von Hersfeld, ja den überragenden Einfluß des


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»Mainzer Diktators« überhaupt. Urteile, wie sie über die deutsche Reichskirche auf Grund einiger Typen gefällt werden, wird man sogar energisch ablehnen müssen. Für die Entstehung des Codex Udalrici hat bereits Zatschek, MJÖG 43, 20 ff., eine andere Hypothese aufgestellt, die mir glaubwürdiger erscheint. Nicht verschwiegen soll endlich werden, daß Sch. der politischen Persönlichkeit Heinrichs IV. selber in seinem Buche wohl nicht ganz gerecht wird. Dennoch wird an dem Buch hinfort niemand vorbeigehen können, der sich mit der ereignisreichen und doch noch so ungeklärten Regierungszeit Heinrichs IV. beschöftigen will. In einem für das allgemeine Verständnis berechneten Aufsatz hat Schmeidler (1928: 580) die hauptsächlichsten Ergebnisse dieser Forschungen noch einmal knapp und klar zusammengefaßt.

Noch bevor Schmeidler seine Ergebnisse in breiter Form vorlegte, aber doch bereits bezugnehmend auf seine Forschungen, äußerte sich H. Hirsch (1927: 274) zur Frage der Bedeutung des Codex Udalrici und kam dabei zu wichtigen Rückschlüssen für die Reichspolitik besonders unter Heinrich V. und zum Problem des Wormser Konkordats. Ausgehend von der Frage, ob für die kaiserliche Kanzlei eine gleiche sorgsame Vorbereitung politischer Schritte anzunehmen sei, wie sie für die päpstliche gesichertes Ergebnis ist, wird in umsichtigen diplomatischen Untersuchungen erwiesen, wie unter Heinrich V. und unter Heinrich III. enge Beziehungen zwischen Bamberg und der Reichskanzlei bestanden, die dem Codex Udalrici einen hohen Quellenwert verleihen und ihn zu einem Gegenstück des Registers Gregors VII. machen. Der ostfränkische Bischofssitz erscheint als Mittelpunkt des salischen Einflusses. Aus der Lage der auf Bamberg weisenden Überlieferung der berühmten Fälschungen des Investiturstreites, der Investiturprivilegien für Karl und Otto den Großen, des Papstwahldekretes und endlich der Fassung des Wormser Konkordats im Codex Udalrici, die H. durchaus als Ergebnis einer bewußten Überlegung bezeichnet, wird auf Beziehungen des Hofes zu diesen und damit auf eine weitgehend vorbereitete und überlegte Politik der Kanzlei geschlossen. In Verbindung damit werden die Ansichten Schäfers und Hofmeisters über die Bedeutung des Wormser Konkordats erneut gestützt und der politischen Persönlichkeit Heinrichs V. neue Gesichtspunkte abgewonnen.

Ebenfalls veranlaßt durch Schmeidlers Buch hat A. Brackmann (1927: 692) zu der Politik Heinrichs IV. im Beginne des Investiturstreites Stellung genommen. In dankenswerter Weise werden einmal die politischen Verhältnisse, die Vorteile und Nachteile beider Parteien, im Beginn des Jahres 1076 aus dem Gesichtswinkel des politischen Beobachters der Zeit selbst aufgezeigt. Besonders nachdrücklich wird klar gemacht, daß Gregor VII. damals politisch auf ganzer Front, in Frankreich, England, Italien, Byzanz und Ungarn, Niederlagen erlitten hatte, und darauf fußend die Ansicht abgelehnt, als sei der Beginn des Kampfes von seiten Heinrichs IV. angesichts der Machtverhältnisse eine grobe Unbesonnenheit gewesen. In einem zweiten Teile versucht B., die Politik des Königs in Tribur und Oppenheim zu verteidigen, indem er vor allem die Geschichte der Entstehung der sogenannten Promissio für eine kluge, aber würdevolle politische Haltung des Königtums Zeugnis sein läßt. Es kann nicht geleugnet werden, daß B. neue und beachtenswerte Linien zeichnet; dennoch muß der Versuch, Heinrich IV. im Beginn des Investiturstreites als Politiker von Format hinzustellen, wie mir scheint, abgelehnt werden. Selbst B.


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muß zugeben, daß sich Heinrich IV. in der Beurteilung der Haltung der Fürsten täuschte, daß ihn die geistige Bewegung der Reformer letztlich besiegte; ein politischer Kopf hätte diese dem Königtum gefährlichen Gruppen trotz ihrer äußeren, scheinbaren Niederlagen klar erfassen und seine Politik dementsprechend mehr klug als kühn gestalten müssen, und es kann wohl nicht geleugnet werden, daß die jähe Natur Heinrichs IV., in seiner Jugend noch öfter als später, den Politiker verdrängte. Darum wird man auch einen Satz wie den: »Heinrich ist nie größer gewesen als in Tribur und Oppenheim« nicht anerkennen können.

Zeit, Bedeutung und gegenseitiges Verhältnis der beiden uns erhaltenen Fassungen des Absagebriefes Heinrichs IV. an Gregor VII. vom Jahre 1076 klärte K. Hampe (1928: 578) wohl endgültig auf. Er lehnt die auch in den M. G. Const. vertretene Ansicht, als sei die erste Fassung erst von Utrecht erlassen worden, ab und betrachtet vielmehr die in dem Schreiben an die Römer eingefügte zweite Fassung als eine politisch berechnete Umarbeitung der ersten Fassung.

Über die politischen Hintergründe der Auseinandersetzung zwischen Heinrich IV. und Heinrich V. hat P. Rassow (1928: 579) gehandelt. Er weist mit Recht auf die entscheidende Bedeutung hin, die die Haltung der römischen Kurie in dem Konflikt besitzt, und betont, daß Entstehung und Verlauf des Kampfes wesentlich durch die päpstliche Politik bestimmt worden seien. In dem Brief Paschalis II. sieht er eine folgenschwere Entscheidung der Kurie, die durch ihre unnachgiebige Haltung Heinrich V. den politischen Grund für seine Empörung entzog und Heinrich IV. damit als Sieger sterben ließ. Über die politischen Motive Heinrichs IV. und seines Sohnes, wie den politischen Sinn der einzelnen Phasen des Kampfes in Deutschland wird man freilich auch anderer Ansicht sein können.

Eine wünschenswerte und nützliche Zusammenstellung lieferte H. Banniza von Bazan (1927: 693), indem er die Äußerungen der zeitgenössischen Quellen über Heinrich V. einmal gesammelt hat. Methodisch hätte man wohl wünschen mögen, daß die Abhandlung sachlich nach den einzelnen Quellen gegliedert worden wäre; dem Leser wäre ein einheitlicheres und klareres Bild von der Stellungnahme der mittelalterlichen Verfasser vermittelt worden. Auch hätte der Bearbeiter wohl dann etwas näher auf Abhängigkeit und Grundlagen der einzelnen Meinungen eingehen müssen. So wird der Stoff in zeitlicher Reihenfolge in drei Kapiteln geboten, die die Urteile über 1. Empörung und erste Romfahrt, 2. Fürstenempörung und zweite Romfahrt, 3. Konkordat und letzte Jahre jedesmal gesondert aufführen. Zu begrüßen ist eine Zusammenfassung, die die Abhängigkeit der verschiedenen Ansichten von ma.- licher Welt- und Geschichtsauffassung zu ergründen sucht und eine Gruppe lebensnäher eingestellter Quellen (Paderborner Annalen, Erfurter Peterschronik u. a.) heraushebt.

Über die Persönlichkeit des Gegenpapstes Gregor VIII. gab C. Erdmann (1927: 1608 a) auf Grund von Studien in spanischen und portugiesischen Archiven neue und wertvollste Aufschlüsse. Er richtet sein Augenmerk vor allem auf die eigentümliche Laufbahn des Mauritius Burdinus vom Erzbischof von Braga zum Gegenpapst und auf die Frage, welche politischen Kräfte Gregor VIII. gestützt hätten. Anschaulich wird geschildert, wie aus Rivalitätsstreitigkeiten


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der spanischen und portugiesischen Metropoliten der Gegensatz des Mauritius zur Kurie erwuchs, der ihn schließlich zum Gegenpapst werden ließ, als der er aber doch nur von den Frangipani gestützt, mehr eine stadtrömische als eine allgemeine historische Bedeutung errang. In einem Anhang wird die Echtheit von drei bisher überwiegend als echt behandelten päpstlichen Urkunden bestritten.


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