I. Bis zum Ende des 14. Jhds.

Die allgemeine Anteilnahme an der politischen Geschichte des ausgehenden MA. ist schon seit Jahren -- was auch die Neubearbeitung des Dahlmann-Waitz bestätigen wird -- zurückgetreten, während Wirtschafts- und Verfassungs-, vor allem aber Geistesgeschichte mehr Bearbeiter anlocken. Immerhin sind auch im Berichtsjahr 1928 manche Leistungen und Fortschritte zu verzeichnen, vor allem auch Arbeiten, die den in der politischen Geschichte wirkenden Geist aufsuchen.

Für das ausgehende 13. Jhd. ist wichtig ein Aufsatz von Nabholz ( 606), der schon 1927 erschien, also schon im vorigen Bericht hätte erwähnt werden sollen. Er schildert, wie Bern, Freiburg im Uechtland und Murten allmählich zu selbständiger Politik heranreifen. Sie geraten nach der Absetzung Friedrichs II.


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in Gegensatz zueinander, weil Freiburg den päpstlich gesinnten Kiburgern untertan ist, während Bern und Murten zum Kaiser halten. Nachher kommt Bern unter savoyischen Einfluß, stellt sich aber bei Rudolfs v. Habsburg Regierungsantritt unter dessen Herrschaft. Gegen Ende des Jhds. treiben Bern und Freiburg Territorialpolitik auf eigene Rechnung, jenes an Habsburg-Kiburg, dieses an Habsburg-Österreich angelehnt. Die Verträge zwischen diesen Städten sollen in der ersten Phase kriegerische Zusammenstöße, die die Politik der Stadtherren hervorruft, abwenden oder mildern; es wird da sogar ausgemacht, daß eine Stadt der anderen, sobald die Feindseligkeiten beendet sind, Beutestücke und Eroberungen wieder herausgeben soll. Die späteren Verträge enthalten diese Bestimmung nicht mehr, dafür sind in ihnen die Satzungen über den rechtlichen Austrag möglicher Streitfälle reichhaltiger. Zum Schluß wertet N. diese westschweizerischen Bundesurkunden aus für die Deutung des ältesten erhaltenen Bundesbriefs der Urkantone (vgl. auch S. 513).

Eine Untersuchung über Konzil und Reichstag von Würzburg im Jahre 1287 gibt G. Frhr. v. Gaisberg-Schöckingen ( 607 a). Ihr Hauptverdienst liegt in äußeren Feststellungen wie der Übersicht über die Konzilsteilnehmer, für die der Verfasser Ablaßbriefe ausgiebig heranzieht. Nicht geglückt ist ihm der Versuch, die Konzilsbeschlüsse auf ihre Quellen zurückzuführen. Er behauptet da gelegentlich inhaltliche Übereinstimmung, wo keine vorhanden ist, und findet neu, was auf ältere Vorlagen zurückgeht. Das kommt daher, daß er mit dem Corpus iuris canonici nicht umgehen kann und z. B. das Lehrbuch von Hinschius nicht gebührend verwertet. Das Hauptproblem ist natürlich die stürmische Auflösung des Konzils schon in seiner zweiten Sitzung, am zehnten Tage nach der Eröffnung. Den Anstoß gab Erzbischof Sigfrid von Köln. Sicher waren seine Worte, der Papst, das eine der beiden Lichter, wolle das andere, das Imperium ganz auslöschen, eine agitatorische Übertreibung. Ob aber gar nichts anderes dahintersteckt als die Abneigung gegen die Wahl eines römischen Königs, und ob Sigfrid nur darum den Zehnten und damit den Romzug zu Fall gebracht hat, das ist doch nicht vollkommen sicher. Die Ausführungen über Rudolfs Italienpolitik leiden darunter, daß der Verfasser Baethgens Aufsatz in Hist. Vjschr. 22 (1925) nicht kennt.

Der eben genannte Forscher Baethgen ( 608) analysiert das schon mehrfach behandelte Versprechen Albrechts für Bonifaz VIII. (enthalten in M. G. Const. IV n. 181). Es bestätigt die päpstliche Lehre von der translatio imperii und verschärft ihre Anerkennung gegenüber Rudolfs Vorgang noch dadurch, daß es die Unterordnung des weltlichen Schwerts unter das geistliche hinzufügt. Albrechts Urkunde vereinigt Gehorsamsversprechen, Schutzeid und Sicherheitseid. Die Eidesformel i. e. S. ist als ein Untertaneneid anzusprechen. Somit nimmt Albrecht hier ganz den Platz ein, den ihm der Papst im System von Unam sanctam zuweist. Damit ist, wie Baethgen am Schluß ausdrücklich feststellt, nur der theoretische Inhalt der Urkunde klargelegt; wieviel davon Wirklichkeit wurde, aus welchen Gründen Albrecht sich zu diesem Entgegenkommen verstand, das soll im Rahmen seiner Arbeit nicht erörtert werden.

Albrechts Nachfolger Heinrich VII. hat in Friedrich Schneider ( 609) einen Biographen gefunden. Dieser schloß im Berichtsjahr sein Werk durch eine dritte Lieferung ab. Nachdem er schon in der zweiten in chronologischer Erzählung Heinrichs Leben bis zum frühen Ende in Buonconvento dargestellt


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hatte, behandelt er nun ergänzend Clemens V. und sein Verhältnis zu Heinrich, Heinrich und Robert von Neapel, die Rechtspolitik Heinrichs im Kampfe gegen Robert und die Politik Clemens' V. nach Heinrichs Tode, um mit einigen Seiten über die imperiale Gedankenwelt Heinrichs VII. und Dantes die eigentliche Darstellung zu schließen. Daran fügt er Abschnitte über Archiv- und Kanzleiwesen Heinrichs, über sein Münzwesen und etliche Einzelfragen. Zuletzt folgt eine sehr verdienstliche genealogische Übersichtstafel mit Quellenbelegen. Der wissenschaftliche Benutzer wird besonders angenehm vermerken, daß überall auch die neueste italienische Literatur hineingearbeitet ist. Durch Samaneks Studien zur Geschichte Adolfs I. (soeben erschienen und daher an dieser Stelle erst später anzuzeigen) und Hessels wohl bald zu erwartenden Albrecht I. werden wir in Kürze für die Zeit von Rudolf I. bis zu Heinrich VII. eine fortlaufende Reihe von Königsbiographien haben. Dann schreibt uns vielleicht auch jemand eine Geschichte des Kaisergedankens und Romgedankens in dieser Spätzeit. Er wird freilich ungewöhnliches Geschick haben müssen, um sicher hindurchzusteuern zwischen völliger Ablehnung dieser damals doch noch sehr lebendigen Gedankengänge und Bestrebungen und einer allzu willigen Hingabe an Dantes ghibellinische Ideale. Auch die realen Möglichkeiten jener Zeit wird er sehr sorgsam abzuwägen haben. Ich möchte da Schneider doch nicht ganz zustimmen, wenn er die Folgen jenes päpstlichen Befehls an Robert von Neapel, das Kapitol zu räumen (den Clemens V. dann, französischem Drucke weichend, nicht aufrechtzuerhalten wagte), so umschreibt: »Das Imperium konnte sich mächtig genug entfalten, um selbst die französische Macht weit zu überschatten.« (S. 258).

Der Gestalt Heinrichs VII. gilt noch eine weitere Arbeit. Davidsohn zeichnet in einem sehr lebendigen und anziehenden Vortrage ( 610) auf Grund seiner Darstellung im dritten Bande der Geschichte von Florenz des lützelburgischen Kaisers Romzug und Persönlichkeit, am Schlusse eine Auswahl von Bildern aus dem Zyklus des Codex Balduineus erläuternd, die den gesprochenen Vortrag als Lichtbilder begleiteten. Trotz der Überschrift »Heinrich VII. und Dante« spricht er sich nicht nochmals über die Berührungen dieser beiden Männer aus.

Mit der kurzlebigen Herrschaft Johanns von Böhmen in Oberitalien, speziell in Lucca beschäftigt sich Francesco Landogna ( 611). Er benutzt dazu Dokumente aus dem Archiv von Lucca, u. a. druckt er das Statut ab, das die Herrschaft Johanns und seines Sohnes Karl IV. begründet (Einzelheiten wären durch Konjektur zu bessern). Da alle männlichen Einwohner von mehr als 18 Jahren sowie Witwen, die Familienhäupter waren, den Herren persönlich oder durch Stellvertreter Treue schwören mußten, bietet der Codex mit den Einträgen darüber eine Übersicht der damaligen Bevölkerung mit Einschluß der z. B. als Bankiers und Handelsagenten auswärts (in Florenz, Venedig, Avignon, Paris usw.) weilenden Lucchesen. Bekannt ist, wie Johanns Macht rasch zusammenbricht. Am längsten behält er Lucca, das er 1333 an die Herren de'Rossi verkauft. -- Mehr ins Gebiet der Literaturgeschichte -- wie sämtliche Beiträge in den Studi medievali -- gehört der Aufsatz von Ezio Levi ( 612) über den Messer Dolcibene, der am Hofe der Visconti, der Malatesta, der Ordelaffi, der Carrara sein Glück versuchte, die beste Aufnahme aber bei Karl IV. fand. Auf ihn könnte das eine und andere in der Summa cancellariae veröffentlichte Stück scherzhaften Inhalts (Nr. 20 und 64 ed. Tadra) sich beziehen. Insofern kann


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man das Ganze als einen kleinen Beitrag zur Geschichte des geistigen Lebens um Karl IV. ansehen. Karls Regierungszeit wird auch erhellt durch die Regestenwerke von Hruby und Mendl ( 601 und 602).


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