III. Zusammenfassendes.

Kaum irgendwo wird der Drang, im Gewirr des Einzelgeschehens große Linien und Zusammenhänge zu sehen, stärker sich geltend


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machen und, wenn man gewaltsame Konstruktion meidet, schwerer zu befriedigen sein als bei der politischen Geschichte des ausgehenden MA. Doppelt dankbar begrüßen wir es, wenn einer, der das Vielerlei beherrscht, uns darin ein Ganzes sehen lehrt. Das leistet Fritz Rörig ( 614) in einem Osloer Vortrage für die Hansische Geschichte, indem er sie als ein geistiges Geschehen faßt. Er betont die Blutsgemeinschaft zwischen den führenden Familien Westdeutschlands, Lübecks und der nahen und ferneren Ostseestädte und schildert, wie die planmäßige Anlage dieses reichen Städtekranzes die hansische Frühperiode (bis etwa 1250) erfüllt. Sie wird abgelöst durch eine zweite (bis 1370), in der nicht mehr die umherziehende Genossenschaft, sondern das starke Individuum, der von seiner skrivekamere (dem Kontor) aus mit Korrespondenz und Buchführung sein Geschäft bewältigende Großkaufmann Träger der Wirtschaft ist, einer Wirtschaft, die wie die Außenpolitik der Hanse sich durch rücksichtsloses Umsichgreifen kennzeichnet. Das Bindeglied zwischen Wirtschaft und Außenpolitik ist die Verfassung, die den starken Wirtschaftsführern politische Verantwortung überträgt. Nach 1370 folgt die Zeit, in der es gilt, trotz wachsender Ungunst der äußeren Verhältnisse das Gewonnene zäh zu behaupten. Auch sie hat ihre eigene geistige Struktur. »Die Hanse wird kleiner und damit auch der hansische Mensch.« --

Aus ähnlich umfassenden Kenntnissen heraus entrollt Isaak Bernays ( 615) ein Bild der Diplomatie um 1500. Ihre auf den ersten Anblick so widerspruchsvollen Züge sind: Beständiger Wechsel in den Machtbeziehungen und Bündnissen trotz einigen konstanten Grundverhältnissen; Leidenschaft, Verträge zu schließen und fürstliche Heiraten zu stiften, trotz mangelhaftester Vertragstreue und vielfältiger Erfahrung von der Wirkungslosigkeit fürstlicher Familienverbindungen; unaufhörliche Versuche, fremde Diplomaten zu bestechen trotz klarer Erkenntnis, daß die eigenen durch Geschenke nicht von ihrer politischen Linie abgelenkt werden. Solche Erscheinungen werden durch zwei Erwägungen begreiflich gemacht. Einmal durch eine psychologische: Man unterschätzt den Gegner, traut ihm zu, bei ihm werde verfangen, was man selber durchschaut und darum nicht mehr fürchtet; man rechnet auch mit dem Eindruck, den das Zurschautragen guter Beziehungen zu einer andern Macht auf dritte machen soll. Sodann durch eine wirtschaftlich-militärische: Das Kriege entscheidende Fußvolk ist teuer, ein langer Krieg ruiniert die Finanzen; daher Kriegsscheu und immerwährend wechselnde Konstellation. »Erst auf die stehenden Heere gestützt, konnte die Politik ein festes System befolgen.«


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