III. Einzelne Politiker.

Zu Friedrich Ludwig Jahns 150. Geburtstag sind mehrere Schriften über ihn erschienen. E. Neuendorf (Turnvater Jahn, sein Leben und Werk. Jena, 88 S. [in der Sammlung »Deutsche Volkheit«]) hat ein populäres, der deutschen Turnjugend gewidmetes Buch verfaßt, das aber auch die minder erfreulichen Seiten von Jahns Charakter nicht verschweigt und sich von übertriebenen Verherrlichungen fernhält. Einen neuen Weg zur Würdigung dessen, was Jahn als Volkserzieher geleistet hat, geht Piechowski ( 754); er gibt zunächst eine systematische Darstellung von Jahns »Deutsches Volkstum«, dann untersucht er dessen Quellen (Aufklärung, Klassizismus, Romantik und die neuere Philosophie). Als Vorbilder für Jahns Einteilung des Kulturganzen weist P. hin auf Herder und Heeren, für die systematische Zusammenfassung der Teilgebiete des Kulturganzen auf Sebastian Franck und Nikolaus Vogt (der auch Metternichs Lehrer war, s. Srbik Metternich I, S. 91 ff.), für die praktische volkserzieherische Wirksamkeit endlich auf Justus Möser. Hier könnte eine tieferdringende Analyse noch weitere Früchte zeitigen. Von einer solchen Analyse der Werke findet sich in dem Aufsatz von Körner ( 755) überhaupt nichts. Er schildert Jahns Leben und Charakter in den schwärzesten Farben. Wo er etwas ungünstiges über Jahn ermittelt, nimmt er es unbedenklich auf, ohne das einzelne Zeugnis kritisch zu werten. Wer von seinen Zeitgenossen günstig über Jahn urteilt, hat sich von ihm »düpieren« lassen. Körners Neigung zur übertriebenen Negation ist bereits aus seinem Aufsatz über die Wirkung der Reden Fichtes bekannt (Forsch. z. brand. u. preuß. Gesch. Bd. 40). Gegen die berechtigten Einwände, die Scharff gegen Körners Jahnaufsatz erhebt ( 755) beruft sich dieser einfach auf seine bessere Kenntnis. --

Von Görres gesammelten Schriften liegt der 1. Band, herausgegeben von Max Braubach ( 756), vor. Er umfaßt die politischen Frühschriften (1795 bis 1800). Bisher war das seltene und verstreute Material vor allem die von Görres geleiteten revolutionären Zeitschriften »Das rothe Blatt« und »Rübezahl« nur wenigen Forschern bekannt. Jetzt ist dieses für die Erkenntnis der Volksstimmung am Rhein während der französischen Revolution unschätzbare Material allgemein zugänglich gemacht worden. Braubachs Einleitung nutzt manche durch die Görresliteratur der letzten Jahre gewonnene Erkenntnis, aber auch die eigene Forschung über die geistlichen Staaten am Rhein im 18. Jhd. Die Anmerkungen weisen die zahlreichen literarischen Beziehungen nach. Mit Recht sind auch die nicht von Görres selbst verfaßten Aufsätze der Zeitschriften mit aufgenommen, da in dieser Zeit Görres Denken noch einem großen Kreis von Gesinnungsfreunden verwandt war. Am deutlichsten ragt er wohl durch seine Gabe satirischer Darstellung hervor, die sich schon in seinen Frühschriften zu selbständigen Leistungen erhebt. Der Band der mit der Abhandlung »Der Allgemeine Friede« anhebt, schließt wirkungsvoll mit den »Resultaten


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meiner Sendung nach Paris (1800)«. Dieser Band hat weit über die engere Görresforschung hinaus Interesse und reiht sich wirkungsvoll ein in das von Gooch und Stern behandelte Problem von der Einwirkung der französischen Revolution auf Deutschland. Die unter der gleichen nr. 756 genannte Ausgabe des »Rheinischen Merkur« war mir nicht zugänglich, sie wird im nächsten Jahresbericht besprochen. Kaufmanns Aufsatz über Görres im Kampfe gegen die preußische Reaktion ( 757) verwertet neue im ehemaligen Hausarchiv gefundene Briefe: besonders hervorzuheben ist die Charakteristik, welche Clausewitz von Görres gibt; er setzt sich für eine Verwendung von Görres in der rheinischen Verwaltung ein. Die übrigen Briefe zeigen das Unverständnis der Berliner leitenden Männer für Görres.

Benzenbergs von Heyderhoff veröffentlichte politische Briefe geben einen außerordentlich lebendigen Einblick in die schwierigen Jahre der Anfänge der preußischen Verfassungsfrage ( 758). Der Briefwechsel wird mit Gneisenau, Hardenberg, Alexander von Humboldt, Stägemann u. a. preußischen Staatsmännern geführt, auch Freundesbriefe politischen Inhalts (an Doris Focke) sind dabei. Meinecke rühmt diesen Briefwechsel »als eine der reichsten und ergiebigsten Quellen zur inneren Geschichte Preußens und der Rheinlande zwischen 1815 und 1823« (Hist. Zeitschr. 140, S. 601). Benzenberg berührt auch die Stellung Preußens zu Deutschland. Davon zeugt ein Satz wie dieser (S. 110): »Bei uns ist nun jetzt die Kontroverse eigentlich die, daß die Menschen Deutsche sein wollen, auch das Haus Hohenzollern zu ihrem Fürstenhause haben -- aber sie wollen keine Preußen sein.« (Brief vom 10. Dez. 1818 an Gneisenau). Die Gedanken, welche Benzenberg in seinen Schriften über die konstitutionelle Verfassung entwickelt hat, lassen sich in diesen Briefen in ihrer Entstehung und ihren Reihen verfolgen. Andere Briefe Benzenbergs, die mehr familiärer Natur sind, aber seinen reichen Charakter zeigen, hat Heyderhoff in der »Heimat« und im »Bremischen Jahrbuch« veröffentlicht ( 759). Sie bilden eine Fortsetzung und Ergänzung seiner Jugend- und Freundschaftsbriefe (s. Jberr. 3, Nr. 2021, S. 245). --

Wolfgang Menzel als Politiker ist in den letzten Jahren zweimal Gegenstand einer historischen Untersuchung geworden (Bernhard Müller, s. Jberr. 1, Nr. 1142). Jahn ( 761) sucht die Gründe für den Kampf Menzels mit den Jungdeutschen nicht in einer Wandlung seines politischen Charakters zum Reaktionär, sondern in seiner ethischen Grundauffassung, die ihn mit den neuen Anschauungen unvermeidlich in Konflikt bringen mußten. Eine Persönlichkeit, die mehr durch die besonderen Umstände ihres Todes als durch ihre politische Wirksamkeit berühmt geworden ist, war Friedrich Ludwig Weidig. An seinen Selbstmord im Gefängnis, dessen genaue aktenmäßige Darstellung auch seinem jüngsten Biographen Karl Mihm ( 767) nicht gelingt, schlossen sich mehrere politische Schriften u. a. von Welcker, welche für die Geschichte der Schwurgerichte Bedeutung erlangten (vgl. hierüber E. Schwinge, Jberr. 2, 1603). Mihm schildert die Entwicklung des Pfarrers, der auf die Entstehung der Burschenschaft Einfluß ausübt, und mit den Gießener Schwarzen Fühlung besaß. Schon bei der ersten Demagogenverfolgung wurde er angeklagt, aber freigesprochen. Erst 1832 wandte sich der konstitutionell-monarchisch gesinnte Mann republikanischen Gedankengängen zu: es bleibt unklar, wie viel er von den Vorbereitungen des Frankfurter Wachensturms gewußt hat. -- Der großherzoglich hessische


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Ministerpräsident des Jahres 1848, Heinrich Karl Jaup, hat kurze selbstbiographische Aufzeichnungen hinterlassen, die sein Enkel Bernhard Jaup ( 768) jetzt publiziert. Da ihre Form darauf schließen läßt, daß sie für ein Lexikon bestimmt waren, so sind sie auch inhaltlich glatter ausgefallen, als dies bei einem nur für die eigene Familie bestimmten Bericht der Fall gewesen wäre.

Über Johann Carl Bertram Stüwe wissen wir bereits vieles aus der Biographie seines Sohnes. Ihm waren freilich die Akten, zumal über die Zeit seiner Opposition, noch verschlossen. Seither hat sein Bild die meiste Bereicherung erfahren durch das Buch von Warschauer über J. H. Detmold (s. Jberr. 2, 1224). Der gemeinsame Kampf der beiden Freunde gegen die Regierung des Königs Ernst August von Hannover nach dessen Verfassungsbruch und die verschiedene Rolle, die beide, ihrem Charakter entsprechend, dabei gespielt hatten, war dadurch zum erstenmal ganz deutlich geworden. Schuirmann ( 773) hat es nur mit Stüwe allein zu tun. Aus den Akten schildert er dessen zähen Kampf gegen die Regierung, den Stüwe mit allen Mitteln, sogar mit Beschwerdeschriften an den deutschen Bundestag durchführte. Nach dem ablehnenden Bescheid aus Frankfurt geriet er taktisch in den Hintergrund. Es gelang ihm nicht mehr -- aus sittlichen und rechtlichen Bedenken -- die Kampfesweise gegenüber der Regierung zu ändern, wie Detmold und andere Freunde ihm rieten. Er blieb bei der grundsätzlichen Opposition stehen und verlor daher immer mehr an Boden, bis es der Regierung gelang, eine neue Verfassung zu vereinbaren. Der Grundzug seines politischen Denkens wich stark von dem Liberalismus seiner Tage ab, wodurch er als Minister die Hoffnung mancher Mitkämpfer schwer enttäuschte. --

Von Friedrich Lists Schriften, Reden und Briefen ist der 5. Band erschienen ( 1169). Er bedeutet für den Historiker eine reiche Quelle der politischen Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Zeit von 1831--1844. Zwar sind nur die wichtigsten Aufsätze zur Tagespolitik abgedruckt, aber im letzten Band der Werke soll ein genaues Verzeichnis sämtlicher von List herrührender Zeitungs- und Zeitschriftenaufsätze das Auffinden der nicht aufgenommenen Stücke ermöglichen. Auch die vier »wissenschaftlichen Abhandlungen« aus den Jahren 1839--42 wachsen, wie immer bei List, aus dem zeitgeschichtlichen Geschehen heraus. Besonders sei auf den Aufsatz »Die Ackerverfassung, die Zwergwirtschaft und die Auswanderung« hingewiesen, der gegenüber dem Erstabdruck aus der Handschrift vermehrt und ergänzt worden ist (vgl. auch meine Anzeige dieses Bandes in der Deutschen Literaturzeitung 1929, Sp. 1687/1691). -- Der Band 16 der »Klassiker der Politik« gibt eine Auswahl aus Friedrich Lists Schriften ( 1170); es war ein durchaus berechtigter Gedanke der beiden Herausgeber, Fr. Meinecke und H. Oncken, in diese Sammlung Friedrich List aufzunehmen, denn neben und über dem Wirtschaftspolitiker steht der Weltpolitiker List, der am Ende seines Lebens seinem in enge politische Grenzen eingespannten Vaterland die große Konzeption der künftigen Weltmächte zeigte und seine ganze Persönlichkeit für das Ziel eingesetzt hat, Deutschland auf diese Weltlage politisch und wirtschaftlich vorzubereiten. Von diesem Gesichtspunkt ist die Einführung (von H. Christern) und die Auswahl bestimmt, die außer einigen Stücken aus der württembergischen und amerikanischen Zeit mehrere Kapitel aus dem »Nationalen System« und aus dem »Zollvereinsblatt«, sowie die Abhandlung »Über den Wert und die Bedingungen einer Allianz zwischen


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Großbritannien und Deutschland« bringt. -- W. Stieda ( 1171) schildert Lebensgang und Werk Friedrich Lists, um an den »Bestrebungen, einem originellen Denker zu seinem Ruhme, der ihm gebührt und ihm ein wenig verloren gegangen war, zu verhelfen, ebenfalls teilzunehmen«. Die historische Schule der Nationalökonomie hat wenig Verständnis für List gehabt. Es ist darum besonders erfreulich, wenn ein älterer verdienter Vertreter dieser Schule sich jetzt zu Friedrich List und seinem Werk bekennt und »mit ihm die zweite und dauernde grundlegende Epoche der streng wissenschaftlichen Nationalökonomie beginnen läßt«. (S. 27.) Während er für die Schilderung des Lebens die durch die jüngste Listforschung neuerschlossenen Quellen heranzieht, wird Lists wissenschaftliche Leistung und seine Handels- und Zollpolitik vorwiegend an älteren Maßstäben gemessen: Stieda beruft sich hierbei ausdrücklich auf John K. Ingram (S. 24). Die vergleichende Betrachtung zwischen List und Marx von A. Meusel ( 1172) sucht vor allem den prinzipiellen Standpunkt beider auf eine Ebene zu heben. List wird hierbei freilich nur nach seinem Hauptwerk beurteilt und seine Leistung zu einseitig als geschlossenes System behandelt. Das ist wohl eine notwendige Voraussetzung, um überhaupt diesen Vergleich anzustellen, aber es laufen dabei doch -- historisch gesehen -- manche Schiefheiten und Mißverständnisse unter.


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