2. Allgemeine und diplomatische Gesamtgeschichte des Krieges.In der fraglichen Literatur überwiegen bei weitem die Erscheinungen, die als Bereicherung
unserer Quellenkenntnis von Wichtigkeit sind. Stärker als in den Vorjahren tritt die Literatur zur deutschen
Geschichte im engeren Sinne hervor, die
S.237 vor allem durch den Abschluß der Arbeiten des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses zu den inneren Ursachen des Zusammenbruchs von 1918 einen starken Antrieb erhalten hat. Versuche zusammenfassender Darstellung sind nur für einzelne Länder gemacht worden, für den Gesamtkomplex des Weltkrieges fehlen sie im Berichtsjahre völlig.Der englische Ministerpräsident der ersten Kriegsjahre, Asquith, hat Erinnerungen veröffentlicht ( 937), die für die Friedensjahre bis 1914 biographische Ergänzungen seiner Bücher über »Fünfzig Jahre Parlamentarischer Tätigkeit« und die »Entstehung des Weltkrieges« enthalten. Bis 1914 fast nur von kulturgeschichtlichem und englisch innenpolitischem Interesse, setzen von der Julikrise 1914 ab Tagebuchaufzeichnungen ein, die für die Jahre 1914/16 die bedrängte Stellung des Verfassers als Leiter der ersten Kriegskabinette illustrieren. Besonders eingehend sind die Kabinettskrisen von Mai 1915 und Dezember 1916 behandelt. Das ganze Material zeigt, daß die Kritik an den Leistungen dieses parlamentarischen Taktikers, der im Kriege nur vermittelnde Tätigkeit auszuüben verstand, recht begreiflich war, weil ihm unter den erschwerten Bedingungen des Krieges völlig die Kraft abging, der englischen Politik den notwendigen einheitlich kraftvollen Impuls zu verleihen. Von hohem Interesse sind die vertraulichen Denkschriften von Crewe, Lansdowne und Robert Cecil, in denen Ende 1916 die Bilanz der englischen Kriegsführung in übereinstimmend sehr ernster Weise gezogen wird. Im Gegensatz zu dem scharfen Pessimismus Lansdownes lehnt Cecil einen Friedensschluß gerade wegen dieser ungünstigen Kriegslage entschieden ab und fordert äußerste Konzentration aller Kräfte. -- Ein Beitrag zur Parteigeschichte Englands im Kriege ist die von Irene Cooper Willis ( 924) veranstaltete Sammelausgabe älterer Schriften zur Kritik des englischen Liberalismus im Weltkrieg, der die Kriegshaltung dieser Partei als Verleugnung ihrer früheren pazifistischen Ideale kritisiert und in dieser Schwächung die Wurzel des bis zur Gegenwart dauernden Niederganges der Partei erblickt, die im Grunde gegen eigene Überzeugung die Forderung der kock-out-Politik unterstützt habe und infolgedessen den Abschluß des Versailler Gewaltfriedens nur mit ohnmächtiger literarischer Kritik begleiten konnte. Stark von gegenwartspolitischem Interesse erfüllt, methodisch nicht unbedenklich, da sie als Typ der liberalen Meinung ganz überwiegend nur eine einzige Zeitung, die Daily News, zugrunde legt, kann die Schrift nur als ein Hinweis auf das von ihr behandelte Thema gewertet werden. Ebenso bedeutsam und inhaltsreich wie ihre
Vorgänger sind auch die beiden jetzt erschienenen Schlußbände der Papiere des Colonel
House (
938). Sie führen von Anfang 1917 bis zum Ende des Versailler Kongresses
und sind, da House bis zum Höhepunkte der Friedenskonferenz der maßgebende Vertraute Wilsons geblieben ist,
eine unendlich reiche Quelle für die amerikanische Politik und ihre Zusammenarbeit mit sämtlichen Alliierten.
Zwei Themen der Eingangskapitel sind bezeichnend für die Problematik des Ganzen. House hat als
Verhandlungsführer des Präsidenten die Besprechungen geführt, in denen Amerika Kenntnis von der Existenz
der alliierten Geheimverträge erhielt, ohne eine restlose Klärung dieser Frage zu erzwingen, und hat zugleich
die grundlegenden Vorarbeiten für Wilsons Völkerbundsplan geleistet, in dem der doktrinäre Präsident
ebenfalls ganz von seinem langjährigen Vertrauten abhängig erscheint. Der unbedingte Wille des Obersten, den
Krieg an der Seite der Ententemächte
S.238 bis zum restlosen Erfolge durchzuführen, hat ihn die Frage bedenkenlos zurückschieben lassen, welche Lage den amerikanischen Weltordnungsplänen nach diesem Siege von den Verbündeten bereitet werden würde. Wenn er Ende 1918 noch einmal Frankreich und England zu einer scheinbaren Anerkennung der 14 Punkte als Friedensprogramm nötigte, so hat er doch während der Konferenz viel stärker als Wilson selbst die Politik des Kompromisses mit der Entente von Anfang an als unvermeidlich angesehen. Der Herausgeber hat House mit großem Eifer gegen die Anklage St. Bakers in Schutz genommen, daß die Taktik des Obersten im Widerspruch zu Wilsons Wünschen während der Amerikareise des Präsidenten den Grund zu der schließlichen Niederlage der amerikanischen Politik gelegt habe. Aber es ist nicht zu verkennen, daß die Zwangslage Wilsons gegenüber den von jedem deutschen Drucke befreiten Verbündeten die durchaus logische Folge der von House stets vertretenen Politik gewesen ist. Die schließliche Abkühlung des Verhältnisses zwischen beiden Freunden ist ebenso wie durch diese Entwicklung herbeigeführt worden durch Differenzen über die innere Politik Amerikas, in der House vergeblich den vom Erfolg gehobenen Präsidenten vor kurzsichtiger Herausforderung der republikanischen Opposition zu warnen versucht hatte. Den Einzelinhalt der Publikation auch nur anzudeuten, fehlt hier der Raum. Es sei aber nochmals unterstrichen, daß es sich auch bei dieser Fortsetzung um eins der inhaltreichsten und bedeutsamsten Quellenwerke zur diplomatischen Geschichte des Weltkrieges handelt, die wir überhaupt besitzen.In dem großen Sammelwerke der Carnegie-Stiftung hat H. Pirenne auf Grund der schon zahlreichen Bände der belgischen Serie eine politische Gesamtgeschichte des besetzten Belgiens im Weltkriege ( 924 a) erscheinen lassen. Sie knüpft an Thesen der Kriegsschuldanklage an, wenn sie die Schärfe des deutsch-belgischen Zusammenstoßes in den ersten Kriegsmonaten allgemein auf den Gegensatz des demokratisch friedlichen Belgiens mit dem systematisch militaristischen und imperalistischen Wesen Deutschlands zurückführen will, eine These, die für ihn schwer vermeidlich war, da er den Franktireurkrieg ganz als deutsche Illusion hinstellen will. Die Geschichte der deutschen Okkupation versucht jedoch, bei aller Kritik in den bekannten Streitfragen, die strategischen Notwendigkeiten der deutschen Besatzungsverwaltung nicht zu übersehen. Sie gelangt in manchen Punkten, so der Beurteilung Bissings, zu einem Urteil von relativer Objektivität. Die ausführliche Darstellung der flämischen Bewegung im Kriege, die weiter unten zu besprechendes neues Aktenmaterial (s. S. 245. Nr. 955) auswertet, ist als Repräsentation belgischer Auffassung, die doch zu grelle Urteilsschärfen vermeiden möchte, so beachtenswert, daß das Werk als geschlossene Darstellung der Besatzungsgeschichte von belgischer Seite her um so stärkere Beachtung verdient, weil es nicht wie die meisten Teile der Sammlung im Wirtschaftlichen und Sozialen haften bleibt, sondern ein wichtiges Stück politischer Geschichte des Weltkrieges zusammenfaßt. Nach dem großen Memoirenwerk von Masaryk hat jetzt ein
zweiter der führenden tschechischen Politiker des Weltkrieges, Benesch (
925), seine Erinnerungen geschrieben, die als Ergänzung jener ebenfalls
ein nicht zu übersehendes Quellenwerk darstellen. B. hat im Weltkrieg als Vertrauensmann Masaryks, dessen
nächster Mitarbeiter er gewesen ist, bis 1915 in der Heimat an dem ersten Aufbau der Geheimorganisation der
tschechischen
S.239 Maffia gearbeitet. Vor allem ist er seit 1916 als Generalsekretär des tschechischen Nationalrates in Paris hervorgetreten. Seitdem Masaryk im Mai 1917 seine große russische Reise antrat, ist er selbständiger Träger der Verhandlungen über die Anerkennung der Tschechen als kriegführende Macht durch die Entente gewesen, eine Rolle, die für ihn das Sprungbrett zu seiner späteren Stellung als erster Außenminister der tschechischen Republik abgab. Für diese Zeit der selbständigen politischen Arbeit und das Thema des tschechischen Ringens um die Anerkennung der Entente, die nach vielen Rückschlägen und Sorgen -- mit die ernsteste wurde die durch die Friedensversuche Kaiser Karls und die Sonderfriedensneigungen der Westmächte bereitete -- erst im Sommer 1918 erreicht wurde, ist das Buch eine wichtige Quelle.Die Memoiren des Prinzen Nicolaus von Griechenland ( 939) sind begrenzt auf die Geschichte der griechischen Neutralität im Weltkrieg. Die beiden Missionen, die er 1914 und 1916 in Petersburg zu erfüllen hatte, führen doch nicht in die allgemeinen Zusammenhänge der Entente-Politik hinein. Für die Geschichte des Bruches der griechischen Neutralität ist das als warme Verteidigung König Konstantins geschriebene Buch eine stoffreiche Quelle. Es betont, die Politik seines Bruders habe stets mit der Notwendigkeit eines schließlichen Anschlusses an die Entente gerechnet, ihn aber 1914/15 aus militärischen Gründen unter den von der Entente vorgeschlagenen Bedingungen für untunlich gehalten und später den Wettlauf mit Venizelos, der den Alliierten diesen Anschluß bedingungslos anbot, niemals aufnehmen können. Die sehr eingehende Darstellung der Periode, in der Griechenland vor allem durch Frankreich in Revolution und Krieg gezwungen wurde, ist wie die Erinnerungen Bosdaris (s. o. S. 228) erfüllt von bitterster Anklage gegen die brutalen Methoden der französischen Gewaltpolitik. Der erste
Band der ungarischen Akademieausgabe von dem Weltkriegsbriefwechsel Stephan Tiszas (
934) ist in deutscher Übersetzung erschienen und bringt noch nicht zur
Geschichte der Julikrise, wohl aber zum Kriegsverlauf bis Sommer 1915 reiches und interessantes Material bei. Die
Grundlinien der bisherigen Beurteilung Tiszas sind doch im Gegensatz zu der warm bewundernden Einleitung des
Herausgebers O. Wertheimer eher bekräftigt. T. erscheint wieder als unleugbar stärkste Persönlichkeit der
Doppelmonarchie, aber doch auch als starr und begrenzt ungarischer Politiker, der Konzessionen an Italien oder
Rumänien, sobald sie auf ungarische Kosten gehen sollten, so lange mit fanatischer Energie bekämpfte, bis es
auf jeden Fall zu spät war, falls eine solche Politik der Zugeständnisse gegen die beherrschende Einwirkung
der Kriegslage jemals Aussicht geboten hätte. Neu ist, daß ihn die Gefahr der italienischen
Kriegserklärung Ende April 1915 fast in panikartigen Zusammenbruch versetzte, da er den Ernst der Lage bis dahin
niemals voll gewürdigt hatte. Er verlangte damals ein sofortiges Friedensangebot der Mittelmächte trotz der
Ungunst dieser Lage und prophezeite im anderen Falle die baldige Notwendigkeit einer Kapitulation vor
italienischrumänischem Doppelangriff, ohne fortan gegen Rumänien wesentlich opferbereiter als bisher gegen
Italien zu werden. Bei aller Energie der Persönlichkeit, die unter Burián die österreichische Politik
völlig bestimmte, bleibt bestehen, daß der ungarische Patriot in ihm den Staatsmann bei weitem überwogen
hat. -- Das Verhältnis der Czerninschen Politik zu den Westmächten untersucht, im
S.240 wesentlichen in den Bahnen Richard Festers, ein Aufsatz von K. Wortmann ( 935). Er stützt hauptsächlich auf das Material der Erinnerungen M. Karolyis den Versuch, Czernins Neigung zu direktem Abfall von Deutschland und Abschluß eines Sonderfriedens während der Sixtusverhandlungen noch stärker einzuschätzen, als dies Fester getan hat. Das kritische Gesamturteil über Czernin folgt den grundlegenden Anschauungen Festers. -- Eine typische Selbstverteidigung enthält das Memoirenbuch des Grafen Polzer-Hoditz ( 927), der bis zur Isonzoschlacht vom Herbst 1917 Kabinettschef Kaiser Karls gewesen ist. Konservativer Österreicher durch und durch, hat der Verfasser vor dem Kriege den Anschauungen Franz Ferdinands nahe gestanden. Seine zeitig angeknüpfte Bekanntschaft mit Karl läßt Einblick in die Übernahme mancher Elemente aus dem Gedankenkreis des ermordeten Thronfolgers in die Ideenwelt des jungen Kaisers gewähren. Polzer-Hoditz hat unter Karl zu den extremsten Vertretern des Sonderfriedensgedankens gehört und in Verbindung zu dem pazifistischen Kreise der Lammasch und F. W. Foerster gestanden. So wenig wie andere Ratgeber hat er wirklich gründlichen und dauernden Einfluß auf den unruhigenden Dilettantismus Karls gewinnen können. In der für sein förderalistisches Verfassungsprogramm entscheidenden Frage der Haltung zum ungarischen Krönungseide blieb er sogar gänzlich ausgeschaltet. Trotz aller Leugnungsversuche hat sein Einfluß doch wohl in der Vorgeschichte der Kramarč- Amnestie eine wichtige Rolle gespielt. Bis in den Sommer 1917 hat er sporadisch in wichtigen politischen Fragen eine bedeutsame Rolle gespielt, scheiterte aber mit dem hartnäckig fortgesetzten Versuche, Czernins Stellung zu untergraben, nachdem der Minister sich nach dem Scheitern seiner Friedensversuche wieder dem deutschen Bündnis zugewandt hatte. Das durch und durch politisch-apologetische Buch ist als Quellenbeitrag zur Geschichte Kaiser Karls von erheblicher Bedeutung. -- Schließlich liegt noch eine wertvolle zusammenfassende Darstellung der österreichischen Katastrophe von dem heutigen Leiter des österreichischen Kriegsarchives, Glaise-Horstenau ( 973) vor, der als wissenschaftlicher Arbeiter zur Geschichte des Weltkrieges bereits anerkannten Namen und Ruf besitzt. Glaises umfangreiches Werk versucht die Auflösung Österreichs vom Standpunkt des österreichischen Gesamtstaatsgedankens, aber mit ernstestem Streben nach objektiver Sachlichkeit zu schildern. Militärische und politische Gesamtgeschichte Österreichs im Kriege und innerer Zersetzungsprozeß sind in stetem Zusammenhang gesehen und zur Darstellung gebracht. Die Betonung von Wert und Eigenrecht der alten Doppelmonarchie, die in weitem historischem Rahmen begründet wird, paart sich mit ruhigem Begreifen des Selbständigkeitsdranges der Nationalitäten. Im Gegensatz zur deutschen Literatur wird der Versuch gemacht, die Friedenspolitik Kaiser Karls und Czernins als von österreichischem Standpunkt aus begründet oder doch begreiflich darzulegen. Stofflich am neuesten ist das Buch durch die eingehende Darstellung des nationalen Zersetzungsprozesses von 1916--19, die die allmähliche Auflösung der Doppelmonarchie zum ersten Male in ganz umfassender, alle Teillinien möglichst gleichmäßig berücksichtigender Darstellung zu schildern sucht.Aus der sehr umfangreichen deutschen Literatur sind zunächst ebenfalls zwei Versuche
umfassender Darstellung zu erwähnen. Sehr persönlich und individuell ist das Buch Aug. Winnigs
(
920) über das Reich als Republik,
S.241 das, letzten Endes einer Analyse der deutschen Lage von 1928 zustrebend, diese gewinnt aus einer umfassenden Skizze der deutschen Gesamtgeschichte. Sie erhält ihre Eigenart durch die persönliche Stellung des Verfassers, der als nationaler Sozialist den Schnitt gegen die marxistische Tradition der deutschen Sozialdemokratie radikal vollzogen hat. Für den hier in Frage kommenden Zeitabschnitt sind die Erinnerungen Winnigs an die Jahre gewerkschaftlicher Arbeit vor 1914 wichtig, die den inneren Zwiespalt der Arbeiterschaft, Widerstand gegen sozialen und politischen Druck des bestehenden Staates und Tendenz zum Hineinwachsen in ihn, lebendig vergegenwärtigen. Der Abschnitt über den Weltkrieg nimmt in sehr knapper Weise selbständig Stellung zu der Entwicklung der Sozialdemokratie während des Krieges. -- Sehr viel stärker von eigentlich historischem Stoff erfüllt, ist das aus Sachverständigenarbeit für den Parlamentarischen Untersuchungsausschuß entstandene Buch A. Rosenbergs über die Entstehung der deutschen Republik ( 921). Es steht seiner Grundanschauung nach der Auffassung Ziekurschs nahe, indem auch er schon in der ganzen Struktur des Bismarckreiches die letzte und entscheidende Wurzel der Revolution von 1918 erblickt. Seine Eigenart erhält das Buch dadurch, daß es das Machtverhältnis der sozialen Klassen als entscheidenden Bestimmungsgrund der geschichtlichen Entwicklung ansieht. Rosenberg vertritt die Auffassung, daß die deutschen Zustände schon vor Ausbruch des Weltkrieges 1914 unhaltbar gewesen seien und das typische Gepräge vorrevolutionärer Jahre getragen hätte. Die von ihm behauptete Diktatur Ludendorffs wäre die unvermeidliche Zwischenstufe zwischen dem schon zusammengebrochenem Alten und der bürgerlich demokratischen Republik gewesen, die nach und durch die Niederlage Deutschlands notwendig und eigentlich kampflos zur Vorherrschaft gelangen mußte. Das gewandt geschriebene Buch ist unleugbar durch eine einheitlich gesehene, großzügige Gesamtauffassung zusammengehalten; von diesem Boden aus vermag der Verfasser auch ihm politisch fremde Erscheinungen ruhig und persönlich anerkennend zu würdigen, wie sein Urteil über Ludendorff beweist. In dem knappen Rahmen des Buches ist nur eine vielfach skizzenhafte, andeutende Darstellung möglich gewesen, die auch nur einen beschränkten Quellenkreis verarbeitet. Trotzdem ist es in seiner Gesamtheit als bestreibare, aber in sich beachtliche Erscheinung, die repräsentativ wichtige Tendenzen aufweist, von Bedeutung.Von darstellenden
Einzelarbeiten sind zwei deutsche Studien zum Thema Propaganda und öffentliche Meinung im Weltkrieg zu nennen. G.
Hubers Buch über die französische Propaganda (
944) gibt nach den reichen Beständen der Stuttgarter
Weltkriegsbücherei eine stofflich reiche Charakteristik seines Gegenstandes, die freilich zeigt, daß wir zwar
die Produkte der französischen Propaganda kennen und uns danach ein Bild ihres Wesens und ihrer Ziele zu machen
vermögen, dagegen noch recht wenig über ihre zentrale Organisation und politische Leitung wissen. Bei dieser
Lage ist es verständlich, daß der Verfasser eine systematische Anordnung gewählt hat, die von vornherein
die Erfassung des Stoffes als einheitliche Gesamterscheinung erstrebt, den Historiker aber insofern unbefriedigt
läßt, als er den Zusammenhang dieser Propagandaarbeit mit dem Gang des Krieges in seiner fortschreitenden
Entwicklung fassen möchte. -- Der deutsche Pazifismus im Weltkriege hat eine brauchbare orientierende Darstellung
von G. Fuchs (
942) erhalten, die den Sieg einer radikal
S.242 utopischen Strömung über den reformerischen Pazifismus im Weltkrieg betont und besonders die Frage seiner Einstellung zu Kriegsschuldfrage, Kriegszielfrage und sein Verhältnis zur feindlichen Propaganda behandelt. Die Arbeit beschränkt sich auf die Kreise des organisierten Pazifismus, dessen wichtigste Persönlichkeiten besonders untersucht sind; das schwierige, aber hinter diesem Thema als entscheidend wichtiger Gehalt stehende Problem seines Einflusses auf die Friedensbewegung im weiteren Sinne während des Weltkrieges ist nicht in den Bereich der in ihren Grenzen brauchbaren Studie gezogen. -- Eine Gesamtdarstellung der politischen Entwicklung der Sozialdemokratie im Weltkriege ist vom Referenten ( 940) versucht worden.In großer Fülle liegen wieder Memoiren und memoirenähnliche Werke vor. Am wichtigsten sind für die diplomatische Geschichte des Weltkrieges die Dokumente und Argumente von V. Naumann ( 928), die ein früheres Versprechen des Verfassers erfüllen, indem sie im großen Ausmaße seine während des Weltkrieges gleichzeitig gemachten Aufzeichnungen vorlegen. Sie zeigen, daß dieser viel verwendete politische Vertrauensmann tatsächlich über beste Informationsquellen verfügt hat. Von bayrischem Boden herkommend, hat er dem Kreise des Kronprinzen Rupprecht, vor allem aber Hertling nahe gestanden, dessen Kanzlerkandidatur er mit allen Kräften gefördert hat, um erst zu spät zu sehen, daß die Last des Amtes seine Kräfte bei weitem überstieg. Hertling hat ihn zeitweise zum Chef eines einheitlichen Propagandaamtes machen wollen. Von München aus hat Naumann seine Fäden nach Berlin in Hofkreise (Hausminister Graf Eulenburg), das Reichsmarineamt (Schramm) So vermag er gleichmäßig zur Außenpolitik Deutschlands und Österreichs seit und das Auswärtige Amt, mindestens ebenso stark aber nach Wien gesponnen. der Julikrise 1914 und zu den Kämpfen der inneren Politik im Weltkriege wichtige Nachrichten und Kommentare zu bringen. Von der bayrischen Befürwortung des unbeschränkten U-Bootkrieges im Jahre 1916 zu den Friedensmöglichkeiten von 1917 -- Naumann weist auf österreichische Anregung der päpstlichen Friedensaktion im Rahmen der Politik Czernins hin -- gehen seine Mitteilungen zu dem föderalistischen Widerstand Bayerns gegen Preußen, in dessen Dienst der Verfasser 1918 vergeblich versuchte, einen Zusammenschluß der Mittelstaaten zu organisieren. Stets als privater und amtloser Vertrauensmann im Hintergrund bleibend, trat Naumann doch mit einer solchen Fülle politisch wichtiger Aktionen in Verbindung, daß dies neue Buch, weit wichtiger als seine frühere mehr andeutende Darstellung in den »Profilen«, ein quellenmäßig sehr beachtlicher Fundort interessanter Angaben ist. Das Material zur Biographie W. Rathenaus ist
vermehrt worden durch zwei Bände nachgelassener Schriften (
930), aus denen für seine politische Entwicklung besonders Materialien zu
den Jahren 1907/14 wichtig sind. Eine Reihe von Zeitungs- und Zeitschriftenaufsätzen zeigt ihn als Kritiker der
deutschen Außen- und Innenpolitik, der stark die Belastung unterstreicht, die die konservative Art des Reiches und
Preußens in einer Epoche allgemein fortschreitender Demokratisierung bedeutete. Daneben stehen Gutachten, die er
in den Jahren 1907/08 über die Entwicklungsaussichten von Deutsch-Ostafrika und Deutsch- Südwestafrika
kritisch, aber mit starker Betonung ihrer nationalpolitischen Bedeutung erstattete. Politisches Material zur Kriegs- und
Nachkriegszeit ist nur sehr begrenzt in den beiden Bänden enthalten, die außerdem noch eine Reihe
S.243 von Reiseschilderungen, ästhetischen und philosophischen Beiträgen enthalten. -- Dies neue Material ist schon eingearbeitet in die feinsinnige und wertvolle Biographie Rathenaus aus der Feder des Grafen H. Kessler ( 929), die geistig und literarisch bei weitem das durchschnittliche Maß zeitgenössischer Biographien überragt. Rathenaus Werdegang, der Zusammenhang der verschiedenen Seiten seines Wesens, des Industriellen, Denkers, Schriftstellers und Politikers ist noch nie so feinsinnig und verständnisvoll auch für die tragischen Seiten dieser vielseitigen Erscheinung erfaßt worden. Persönliche Mitteilungen von Rathenaus Schwester, seinem Sekretär Geitner, der sehr inhaltreiche Briefwechsel Rathenaus mit einer ihm nahe stehenden Frau und eine Fülle verschiedenartigster Einzelauskünfte zeugen von der Liebe, mit der der Verfasser neues Quellenmaterial erschlossen hat. Kessler fühlt sich als Anhänger des englischen Gildensozialismus den sozialpolitischen Anschauungen Rathenaus ganz persönlich verwandt und hat diese Seite seines Wirkens verständnisvoll geschildert. Der Politiker R. ist freilich eingehend erst für die Nachkriegszeit behandelt, in der der Verfasser ihm als Mitarbeiter so nahe gestanden hat, daß er für die Konferenz von Genua und die Entstehung des Rapallovertrages wichtige persönliche Erinnerungen beisteuern kann. Gerade für das tragisch schwere Ringen Rathenaus in den Kriegsjahren ist die Biographie nicht sehr ergiebig. Als feinsinnige psychologische Biographie von selbständigem Quellenwert stellt sie aber auf jeden Fall eins der anziehendsten Bücher des Berichtsjahres dar.In reicher Fülle sind biographische Materialien zur Geschichte des deutschen Sozialismus
in der Kriegszeit erschlossen. Scheidemann (
931) hat zweibändige Memoiren erscheinen lassen, die die Grenzen dieses
ausgesprochenen Parteipolitikers nicht verleugnen, dabei aber eine lebendige und als typisches Beispiel sehr lehrreiche
Jugend- und Entwicklungsgeschichte geben. Für die Kriegszeit besitzt das neue Werk nur begrenzten
Ergänzungswert zu dem weniger von nachträglicher Reflexion erfüllten, mehr ursprüngliche
Aufzeichnung gebendem Buche über den »Zusammenbruch«. Interessant ist außer
Einzelergänzungen die sehr eingehende, von Kritik nicht freie Darstellung seines Verhältnisses zu Fr. Ebert
und die sehr ausführliche Polemik gegen die Erinnerungen des Prinzen Max von Baden. Abgesehen von seinem
psychologischen Wert als Selbstcharakteristik, ist das Werk trotz des starken polemischen Einschlages stofflich nicht zu
entbehren. -- Frühere Kriegsarbeiten und Reichstagsreden der Kriegszeit, darunter Teile seiner Schrift über
die Sozialdemokratie im Kriege (
1915) und seine Denkschrift für die Stockholmer Konferenz (1917), hat
Ed. David neu herausgegeben. Das Büchlein enthält kein eigentlich neues Material und soll nur
eine rechtfertigende Illustration für die Kriegspolitik des rechten Flügels der Mehrheitssozialdemokratie
abgeben, in der die innenpolitische Kritik (Wahlrechtsfrage, Reichsverfassungsreform) stark hervorgehoben ist. -- Eine
Ausgabe von Reden Rosa Luxemburgs (
933) enthält vor allem Kongreßreden der Vorkriegszeit in
beschränkter Auswahl, die an die Lebendigkeit und den persönlichen Reichtum der von ihr vorliegenden
Briefsammlungen nicht heranreicht. Sehr deutlich tritt ein entscheidendes Moment ihrer Entwicklung, der Ausgang von
russischen Verhältnissen und russischem Vorbild, hervor. Es ist greifbar zu erkennen, daß Eindrücke und
Erfahrungen der russi- Revolution von 1915 ihr ganzes politisches Denken entscheidend geformt haben. Hier wurzelt der
Glaube, daß auch für Deutschland die Möglichkeit einer Revolutionierung
S.244 der Landbevölkerung bestehe. Der Schluß des Bandes bringt noch einige Reden aus der Revolutionsbewegung des Winters 1918, in denen sie ebenfalls auf diesen Gedanken zurückgreift. --Hermann Müller hat sorgsam abgedämpfte Erinnerungen an die Novemberrevolution ( 969) geschrieben, die jedes Anklingen einstiger Gegensätze in der Partei möglichst zurücktreten lassen, aber durch den umfassenden Anteil, den er an den Einigungsversuchen zwischen USP. und MSP. im Juli, an den Kieler Revolutionsereignissen im November 1918, am Vollzugsrat des Berliner Arbeiter- und Soldatenrates, schließlich am Zentralrat der deutschen Arbeiter- und Soldatenräte, genommen hat, manche beachtenswerte Notiz bringen. Müller nimmt zweifelnd Stellung zu den Angaben Groeners über den sog. Pakt Ebert-Groener zur Erhaltung der staatlichen Ordnung nach dem Siege der Revolution.Die umfassendste Bereicherung
unseres Wissens zum inneren Zusammenbruch haben schließlich die im Berichtsjahre erschienenen zahlreichen
Bände aus der vierten Reihe des Untersuchungsausschußwerkes (
919) gebracht. Die Verhandlungsberichte des Ausschusses zeigen alle
Schwächen, die einer solchen politischen Körperschaft bei der kollektiven Ausführung historischer Arbeit
anhaften. Das Ringen um die Ursachenfrage des inneren Zusammenbruches ist naturgemäß in weitestem
Maßstabe Ringen der Parteien um Rechtfertigung der eigenen, Belastung gegnerischer Gruppen geworden. Die
Schlußresolutionen stellen z. T. einen mühsamen Kompromiß dar, klaffen zum anderen Teil unrettbar
auseinander. Sind die Aussagen der Reichstagsmitglieder, die selbst an den Kriegsereignissen teilgenommen haben,
häufig von Quellenwert, so steht dem gegenüber, daß in bedenklicher Weise apologetisch interessierte
Personen wichtigen Einfluß auf die Verhandlungen in persönlichem Sinne gewinnen konnten. Aber es darf trotz
aller Schattenseiten nicht verkannt werden, daß durch diesen Meinungsstreit neben vieler Spreu eine große
Fülle wertvollen historischen Materiales zutage gefördert ist. Am wenigsten gilt das für die
Diskussionen, die sich ganz allgemein mit der sog. Dolchstoßfrage beschäftigen. Wichtig sind dagegen die
Bände VII und VIII über die Stellung des Reichstages im Weltkriege. Das Gutachten Bredts über diese Frage
versucht eine umfassende Geschichte der politischen Machtstellung des Reichstages im Weltkriege, die bei aller
Umstreitbarkeit des Urteils das Problem doch als Ganzes und mit konsequent erwogener Grundanschauung behandelt. Die
Erörterung dieses Gutachtens führte zu ausgedehnter Diskussion der päpstlichen Friedensaktion im Jahre
1917 und veranlaßte erneute Zeugenvernehmungen von Michaelis und Kühlmann. Die Debatte konnte sich noch immer
nicht völlig frei bewegen, weil die Rücksicht auf auswärtige Mächte Grenzen in der öffentlichen
Benutzung des diplomatischen Materiales zog, sie gab aber doch neue Klärung strittiger Punkte, so des
Verhältnisses zwischen den beiden verantwortlichen Staatsmännern und der Bewertung der deutschen Antwort an
die Kurie. Auf Grund dieses neuen Materiales hat Fr. Meinecke (
963) das Problem in einer Akademieabhandlung behandelt, die das Bredtsche
Gutachten in sehr wesentlichen Punkten berichtigte und in der Kritik der deutschen Politik sehr viel nüchterner und
zurückhaltender ist. Leidenschaftlich umstritten waren im Untersuchungsausschuß vor allem die Frage der
Marinemeuterei von 1917 und das Problem der Flottenzersetzung überhaupt. Gutachten und Verhandlungen haben,
trotzdem die erregten politischen Gegensätze zeitweise alle Schranken zu
S.245 sprengen drohten, die stärkste Ergänzung unseres bisherigen Wissens erzielt. Die Folgerungen, die hieraus zu ziehen sind, blieben freilich im Ausschuß bebestritten und das meist diskutierte Problem des Verhältnisses von USP. und Meuterei im Jahre 1917 ist im schließlichen Ergebnis keinesfalls einfacher als bisher geworden. Die Erweiterung unseres materiellen Wissens von diesen Vorgängen muß jedoch auf jeden Fall als positives Ergebnis der Ausschußarbeiten anerkannt werden. -- Ein erweiterter Absenker eines Gutachtens für den Ausschuß ist die Schrift des Grafen Westarp über Konservative und Regierung Max von Baden, die den prinzipiellen, aber ohnmächtigen Protest der Partei gegen die letzte Phase der inneren Entwicklung vor dem Umsturz nach den damaligen Kundgebungen der Partei behandelt, in gelegentlichen Einzelheiten auch über diesen Bereich hinausgreift. (2. Aufl. XVI, 128 S.) |
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