§ 27. Rechts- und Verfassungsgeschichte des Hochmittelalters.

(H. Hirsch.)

Zwei rechtsvergleichende Aufsätze nehmen Vorstellungen des Altertums zum Ausgangspunkt, um verfassungsrechtliche Bildungen des frühen und hohen MA. in ihrem Entstehen und ihrer Eigenart zu erklären. --Nehring ( 1007) geht von der Feststellung aus, daß »der Gedanke des Gottesgnadentums der Monarchen« in der Kaiserkrönung Karls des Großen »seine endgültige Ausgestaltung und Fundierung« erfahren und damit »das christliche Abendland, das Erbe der Antike angetreten« habe und er setzt sich zum Ziel, die nicht »zufällige Übereinstimmung zwischen Christentum und Antike« aufzuzeigen, indem er den Gedanken des Gottesgnadenkönigtums und des ausgesprochenen Gottestums der Könige im ersten Teil seiner Untersuchung bei den Völkern der altorientalischen Geschichte verfolgt. -- Eine Akademierede von Eduard Meyer ( 1006) gilt dem Ursprung und der Entwicklung des dynastischen Erbrechtes auf den Staat und seiner geschichtlichen Wirkung, vor allen auf die politische Gestaltung Deutschlands. Es ist von hohem Interesse, aus den Darlegungen des jüngst verblichenen Althistorikers zu erfahren, daß jene seit der frühfränkischen Zeit nachweisbare Auffassung, der zufolge »das Reich als Eigentum des Königs und seiner Dynastie angesehen und daher bei Tode des Besitzers ... wie jedes private Erbgut« behandelt werden kann, der Geschichte »in Orient und Okzident völlig fremd« gewesen ist. Lediglich die Auffassung, »daß der Anspruch auf das Königtum nur einer bestimmten Familie zusteht, aus der der Herrscher entnommen werden muß«, ist überall verbreitet. Die Darstellung, wie diese Anschauungen über Erbrecht, Erbteilung und Erbverbrüderung in Frankreich und England, namentlich aber in Deutschland und hier nicht bloß bei den großen Dynastien bis in die Gegenwart sich ausgewirkt haben, gehört weniger der Verfassungs-, sondern mehr der politischen Geschichte an. Die Ausführungen Meyers beziehen hier eine ganze Fülle von Problemen in bestimmter Fassung ein, die man auch in anderer Beleuchtung sehen kann.

Die Untersuchungen von E. M. Meijers ( 1027) über das ligurische Erb-, Ehe- und Familienrecht, von denen ein erster den Alpenländern gewidmeter Teil vorliegt, haben in den Kreisen der deutschen und österreichischen Rechtshistoriker noch nicht jene Beachtung gefunden, die sie m. E. zweifellos verdienen. Das ausgezeichnete Referat von H. Meyer (Zs. d. Sav.-Stift. f. Rg. germ. Abt. 50, 354 ff.) beweist, daß hier weitere Stellungnahme sehr notwendig ist. Der Verfasser hat sich zum Ziel gesetzt, die Geltung ligurischer Rechtsanschauungen in Italien, der Schweiz, in Frankreich, Spanien und den Niederlanden zu verfolgen, und meint, daß weder das römische Recht, noch die Volksrechte der germanischen Frühzeit die primitiven Auffassungen der Ligurer von Familienorganisation zu verdrängen imstande waren, daß man Spuren davon sogar noch


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in modernen Gesetzbüchern nachweisen könne. Der erste Band behandelt die Verhältnisse des Waadtlandes und der angrenzenden Landschaften, ferner von Rhätien und von Tirol und Österreich. Hier will M. kennzeichnende Züge des ligurischen Rechtes noch im 16. Jhd. finden, bis die Rezeption des römischen Rechtes und der Einfluß moderner Ideen Wandel geschaffen haben. Der zweite Teil des Bandes bringt (zumeist Urkunden --) Texte, die nach der nämlichen landschaftlichen Einteilung und innerhalb dieser nach Materien angeordnet sind und, den verschiedensten Rechtsquellen und Jahrhunderten des Mittelalters und der Neuzeit entnommen, von den Grundlagen, auf denen M. seine Darstellung aufgebaut hat, ein buntscheckiges Bild darbieten.

Das umfangreiche Werk von I. W. Thompson ( 1005) Feudal Germany ist diesem Abschnitt zur Berichterstattung überwiesen worden, weil der Verfasser von dem Lehnrecht und der Feudalverfassung ausgeht, um die deutsche Geschichte etwa von 919--1181 darzustellen. Wie in den sachkundigen Besprechungen von H. Mitteis Dtsche Lit. Ztg. 1928, 2273 ff. und Schmeidler HZ. 140, 591 ff. bereits dargetan ist, weist das Buch alle Vorzüge und Schwächen auf, die Darstellungen nicht volkszugehöriger Verfasser eigentümlich sind -- daß sie das eine schärfer und mit richtigerem Blick erfassen, das andere dafür übersehen oder falsch einschätzen. Auch scheint es von Amerika aus trotz all dem Interesse, das man dort jetzt dem MA. zuwendet, auch heute noch nicht ganz leicht zu sein, die Literatur bis zur neuesten Erscheinung zu beschaffen. Bemerkenswert ist das starke Interesse des Verfassers an Umfang und Erfolgen der ostdeutschen Kolonisation. Die Feststellung, daß mit dem Lehnrecht als Grundlage ein föderalistisches, auf der Selbständigkeit der Stämme beruhendes, staatliches Deutschland zu schaffen gewesen wäre, hat Thompson zu Urteilen gebracht, die denen kleindeutscher Historiker merkwürdig nahe stehen, in der Verherrlichung Heinrichs des Löwen und der Verdammung Kaiser Friedrichs I. fast ein Übermaß dessen darstellen, was mit Benutzung der Gedankengänge kleindeutsch gerichteter Historiker gewonnen werden kann.

Das Erscheinen einer Geschichte des deutschen Strafrechtes bis zur Karolina von R. His ( 1015) im Handbuch der ma.lichen und neueren Geschichte, herausgegeben von Brackmann und Meinecke haben wir mit Dankbarkeit und Freude zu begrüßen. Der Verfasser, dem dieser von Juristen und Historikern bisher nicht gerade mit besonderer Vorliebe gepflegte Wissensstoff so viel verdankt, hat in diesem Buch zusammengefaßt, was er im ersten Bande seines Strafrechtes des deutschen MA. in aller Ausführlichkeit der Quellen- und Literaturangaben geboten hat, und vorweggenommen, was der zweite Band hoffentlich recht bald bringen soll. Dazu kamen als Ausgangspunkt und Grundlagen für die ältere Zeit Wildas unvergängliche Leistung und die einschlägigen Abschnitte von Brunners Rechtsgeschichte. Eine klare Sprache und die übersichtliche Anordnung des Stoffes fördern die Benutzbarkeit des Buches. Die Darstellung selbst ist freilich mehr nach systematischen und weniger nach entwicklungsgeschichtlichen Gesichtspunkten gegliedert, bei deren Geltendmachung das Strafrecht »in erster Linie als Exponent der politischen und kulturellen Gesamtlage, als Machtmittel konkreter politischer Organisationen« (vgl. H. Mitteis HZ. 140, 582) zu betrachten gewesen wäre. Aber es kann wohl sein, daß die von H. gewählte Form mehr dem Stande des Wissenszweiges in der Gegenwart entspricht und daß erst jene belebende Wirkung, die wir von dem


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Buche für die Erforschung des Strafrechtes und Strafprozesses erwarten dürfen, bessere Voraussetzungen schafft für eine Darstellung nach den angegebenen Gesichtspunkten. Vielleicht würde später auch leichter als heute zu entscheiden sein, inwieweit zur schärferen Kennzeichnung strafrechtlicher Auffassungen und Verhältnisse Ausführungen einzubeziehen sind, die ganz unmittelbar in das Gebiet des Strafprozesses hinüberführen.

F. Philippi (†) ( 1014) wendet sich gegen die wirtschaftsgeschichtlichen Darstellungen, in denen »die Behandlung der sogenannten 'Gemeinen Marken' einen breiten Raum« eingenommen hatte und meint, daß es die zahlreichen Quellen aus den letzten Jahrhunderten des MA. sind, die dem »Gemeine Marken-Problem« in Forschung und Darstellung eine besondere Bedeutung verliehen haben, während die vereinzelt erhaltenen Markenweistümer des 8. und 9. Jhds. keine Angaben enthalten, durch die sie »als Beweise für das so frühzeitige Bestehen Gemeiner Marken mit festausgebildeter Verfassung ... herangezogen werden könnten«. Diese und die folgenden Ausführungen über die verschiedene »Stellungnahme des deutschen Landwirtes zum Wald und zum Unland« im Laufe der Zeiten können nur den Wert eines kritischen Überblicks, der Stellungnahme des Verfassers zu der Art, in der das Problem bisher behandelt wurde, beanspruchen.

Wie immer, muß auch diesmal der Bericht über Arbeiten, die sich mit der Ausgabe, der Kritik und der Erklärung von Stellen der großen Rechtsbücher beschäftigen, einen breiten Raum einnehmen. -- Die Berichte, die H. v. Voltelini ( 1024) über die Fortschritte der Ausgabe des Schwabenspiegels in der Wiener Akademie erstattet hat, haben zu einer erregten Gegenäußerung K. A. Eckhardts Anlaß geboten, auf die eine Antwort v. Voltelinis und eine nochmalige Erklärung Eckardts gefolgt ist. Wir machen uns den Wunsch, den U. Stutz als Schriftleiter der Zs. der Sav.-Stift. f. Rg. germ. Abt. 49, 729 bei diesem Anlaß ausgedrückt hat, voll und ganz zu eigen, daß diese Auseinandersetzungen der beiden um die Sache besonders verdienten Gelehrten -- es handelt sich um Bewertung einzelner wichtiger Schwabenspiegel-Hss. -- »den im Werke befindlichen Rechtsbücherausgaben zugute kommen« mögen. -- Die Arbeit von E. Sinauer ( 1023) über den Schlüssel des sächsischen Landrechts ist bereits von einem vorzüglichen Kenner des Fragenkomplexes (vgl. K. A. Eckardt Zs. d. Sav.-Stift. f. Rg. germ. Abt. 49, 546 ff.) als ausgezeichnete Anfängerleistung, hervorgegangen aus der Schule Frhr. v. Schwerins, bezeichnet und besprochen worden. In der Tat muß es nicht allein den Rechtshistoriker, sondern auch den Palaeographen, den Vertreter der historischen Hilfswissenschaften überhaupt mit Genugtuung erfüllen, zu sehen, wie die Verfasserin bestrebt ist, auf Grund sorgfältiger Erforschung der Überlieferung die ursprüngliche Fassung jenes Abcedars aus dem Sachsenspiegel, der Sachsenspiegelglosse und dem Schwabenspiegel festzustellen, das den oben angeführten Namen trägt. In der Handschrift der Zwickauer Ratsschulbibliothek ließ sich die Form des Textes finden, dessen allmähliche Entstehung palaeographisch festgestellt werden konnte und der schon deshalb als Archetypus erscheinen muß. Von solchen Erkenntnissen aus war es nicht schwer, die späteren Zusätze auszuscheiden, die nachträgliche Hinzufügung einer Vorrede und die Vornahme einer Schlußredaktion im Jahre 1432 zu erweisen und die übrigen Hss., unter denen die der Gießener Universitätsbibliothek auf der Schlußrevision beruht, in einem Schema


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zu ordnen. Nicht leicht zu entscheiden ist die Frage nach dem Ort der Entstehung. Auf Schlesien weist das Wasserzeichen des Papiers der Zwickauer Hs., auf das Elbostfälische oder Ostanhaltische der Dialekt hin. Die Verfasserin vermutet, daß der Schlüssel in Lehnin, der ältesten Fundstelle der Urhandschrift, entstanden sei oder ein in Leipzig studierender Zisterziensermönch des Klosters Lehnin das Abecedarium zusammengefaßt haben könnte. Auf das sächsische Stammesgebiet im allgemeinen weisen viele Anzeichen hin, Magdeburg kann also, wie Eckhardt a. a. O. 549 f. meint, gleichfalls in betracht gezogen werden. -- Ausgehend von einer zuletzt von Eckhardt erklärten Stelle des Deutschenspiegels (Landrecht 32 b) stellt E. Mayer ( 1009) dar, daß zwischen dem ministerialischen Reichsmarschall aus Schwaben, der bei Behinderung des schwäbischen Herzogs das erste Treffen führt, und dem Reichserzmarschall, dem Herzog von Sachsen, der nur bei Hoffesten als solcher auftritt und militärisch keine Rolle spielt, zu unterscheiden sei. -- K. G. Hugelmann ( 1013) hat seine Studien zum Recht der Nationalitäten im deutschen MA. (siehe Jber. 1927, 309) fortgesetzt. Der zweite Teil gilt dem Judenrecht der Rechtsbücher. Die Stellung der Juden, die der älteren Auffassung nach als Fremde behandelt und deshalb unter Königsfrieden gestellt waren, erscheint noch im Sachsenspiegel ähnlich gekennzeichnet; die Begründung, die Eike gibt, zeigt freilich, daß die ursprüngliche Auffassung der Juden als Fremden nicht mehr allein vorherrschend ist. Die süddeutschen Rechtsbücher stellen bereits ein hartes, erniedrigendes und gehässiges Judenrecht dar; es sind Vorgänge des Wirtschaftslebens, die H. zur Erklärung für diesen Wandel der Anschauungen heranzieht. Seine Ergebnisse faßt er in einem Satze Gierkes zusammen, nachdem er ihn einigermaßen umgeformt hat, demzufolge zuerst mehr die Volksfremdheit (Reichsfremdheit), später mehr die Religionsfremdheit ein Judenrecht bilden geholfen hat.

Das Buch von H. v. Minnigerode ( 1011) über Königszins, Königsgericht, Königsgastung im altsächsischen Freidingsrechte darf als eine sehr erfreuliche Bereicherung der rechtsgeschichtlichen Literatur hingestellt werden. Die im Titel angedeutete territoriale Beschränkung auf die niedersächsischen Freidingsbezirke nördlich und östlich von Hannover hat den Verfasser nicht gehindert, in der Heranziehung von Quellen und Literatur das Gesamtgebiet der Geltung deutschen Rechtes zu berücksichtigen und in der Darstellung selbst von Erwägungen und Feststellungen allgemeiner Art auszugehen, die gewonnenen Ergebnisse aber wieder in diese zurückzuleiten. Manches erscheint mehr angedeutet als ausgeführt, manches, was allgemeines Interesse bietet, ist bescheiden in einer Anmerkung untergebracht. Die Darstellung, die einen Beitrag zur Geschichte des Rechtes der Freien im Sachsenspiegel bietet, ist nicht immer übersichtlich, ein kurzer Bericht über die Ergebnisse deshalb nicht leicht. Der Verfasser bezeichnet seine Schrift als ein Kapitel zur Ständerechtsforschung, es soll die Frage des Abgabenwesens untersucht werden, »eine Seite des Freidingsrechtes, die das Wesen germanischer Freiheit in seinem Kern enthüllt.« Die verschiedenartigen Abgaben der Freien (Freizins, Freischilling, Dingsteuern in Sachlieferungen, Heeressteuern) werden vorgeführt. Die Identität von Königszins und Freizins, ebenso die Herkunft des Freigerichtes aus dem Königsgericht wird dargetan, die Zusammenhänge der Dingsteuern in der älteren Form von Sachlieferungen mit dem kultischen Charakter des Dinggelages


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werden wahrscheinlich gemacht, wie überhaupt die kultische Seite der Richterverpflegung und des Dinggelages scharf betont erscheint. Das servicium regis oder regale deutet M. als die Verpflegung des Königs am Tage, an dem er zum Gericht erscheint, die später auch anderen Gewalten zugänglich gemacht worden ist. Verpflichtungen zur Königsgastung haben auch bei dem von Zeit zu Zeit sich wiederholenden Umritt des Herrschers seit altgermanischer Zeit bestanden. Solche Gastungen sind dann auch den Richtern zugute gekommen, die im Namen des Königs richten. An die Stelle der ursprünglichen Sachlieferungen sind später Geldzahlungen getreten. Die Schrift M.s wird eine Rolle spielen, wenn, wofür mehrere Anzeichen sprechen, die Frage nach der öffentlich-rechtlichen Bedeutung der Steuern und der Herkunft der Bede aus der Gerichtsverfassung wieder einmal von Grund auf zur Erörterung gestellt werden sollte.

Es ist als Kennzeichen unserer Forschungsrichtung zu werten, daß Rechtsbräuche und deren Wandlungen in ihrer Bedeutung verfolgt werden und im Zusammenhang damit den Quellen Aufmerksamkeit geschenkt wird, die darüber zu vernehmen sind. Jedes Jahr bringt einige solcher Beiträge. Der großangelegte Vortrag, den R. Holtzmann ( 1008) auf dem Grazer Historikertag 1927 über den Kaiser als Marschall des Papstes gehalten hat, liegt nun in erweiterter Gestalt und mit Anmerkungen versehen, gedruckt vor. Die Ausdeutung der Ereignisse, die sich bei der Begegnung zwischen Friedrich I. und Hadrian IV. vollzogen hatten, bot Veranlassung zu dem wertvollen Nachweis, daß zwischen dem Stratordienst, dem Zügelführen, und dem Marschalldienst, dem Steigbügelhalten beim Auf- und Absteigen, zu unterscheiden und der erstere erheblich älter sei als der letztere und über Byzanz als Folge religiöser Vorstellungen von der durch Zügel geleiteten Sonne bis in die altorientalische Zeit zurückverfolgt werden kann. Der erste Herrscher, der nicht nur das päpstliche Pferd am Zügel geführt, sondern auch dem Papst den Steigbügel gehalten hat, ist Lothar III., in dem Vorgang zu Lüttich im J. 1131 kann der Versuch erblickt werden, »das Kaisertum zu einem päpstlichen Lehen zu machen« -- ein Höhepunkt der Geltung des Constitutum Constantini, in dem erzählt wird, daß bereits Konstantin Silvester I. Stratordienste geleistet habe. Daher 1155 das Widerstreben Friedrichs I. gegen eine Wiederholung dieses Vorganges, der bezeichnenderweise auch im Bilde festgehalten worden ist, daher auch 1157 das Bestreben der Kurie, zu Besançon auf einem anderen Wege das erstrebte Ziel zu erreichen. Wichtige Ausführungen gehen neben diesen bedeutenden Hauptergebnissen einher, vor allem die, denen zufolge der Kaiserkrönungsordo des Cencius auf Heinrich VI. und nicht auf Otto I. zu beziehen sei. Über die Antwort, die E. Eichmann darauf gegeben hat (HZ. 142, 16 ff.), wird zum J. 1930 zu berichten sein. --Klaiber ( 1010) weist auf eine Stelle im Libro de los Estados des fürstlichen Schriftstellers Don Juan Manuel (1282--1348?) hin, in der sich eine bisher unbeachtete spanische Version des Königslagers findet, d. h. des »befristeten Lagers, das der Electus, ehe er gekrönt wird, vor der Krönungsstadt zu halten hat, um dort den etwaigen Einspruch seiner Gegner zu erwarten«. Diese Nachricht bestärkt die Beobachtung Zeumers über den nichtdeutschen Ursprungs sämtlicher Quellen des 14. Jh., die über das vierzigtägige Königslager vorhanden sind. Erst eine nähere Untersuchung des Libro de los Estados wird zeigen können, ob die


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dort erhaltene Mitteilung auf eine mündliche Nachricht oder eine schriftliche Quelle zurückzuführen ist; diese letztere könnte auf die Bulle Urbans IV. von 1263 (Qui coelum), in der von dem Königslager zum erstenmal die Rede ist, zurückgehen.

Wieder ziehen Arbeiten französischer Forscher zur Rechtsgeschichte der westlichen Grenzgebiete unsere Aufmerksamkeit auf sich. Die Forschungen des belgischen Rechtshistorikers F. L. Ganshof ( 1031) verdienen im besonderen Ausmaß Beachtung, weil seine dem westfränkisch-französischen Staatsgebiet zugewandten Darlegungen stets die entsprechende deutsche Entwicklung in Parallelismus oder Antithese setzt. In diesem Berichtsjahr gilt die Fragestellung eines Aufsatzes den Anfängen der cours seigneuriales oder cours féodales, die im Gegensatz zur deutschen Zweiteilung von Land- und Lehensgerichten aus der alten karolingischen Grafengerichtsverfassung hergeleitet werden und in landrechtlichen Sachen ebenso zuständig waren als in lehenrechtlichen. Aus dem mallus mit den Schöffen als Urteilsfindern wurde allmählich, wie G. namentlich an dem aus der Grafschaft Macon überlieferten Urkundenmaterial zeigt, eine Gerichtsstätte, an der die Vasallen des Grafen im Laufe des 10. Jh. einen cour féodal bildeten. Dieser Übergang hat sich nach G. in allen Teilgebieten Frankreichs vollzogen mit Ausnahme von Flandern und der Normandie, wo sich besondere Verhältnisse entwickelten. Wie diese Arbeit sich einordnet in die Gesamtheit der von G. behandelten Probleme der französischen Verfassungsgeschichte und welche Fragen sich nun an seine Feststellungen sogleich anknüpfen, hat W. Kienast (HZ. 142, 170 f.) sehr klar dargestellt. -- Im nämlichen Ausmaß wie diese Arbeit verdient ein Aufsatz von M. Bloch ( 1012a) über die Ministerialität in Frankreich und in Deutschland das Interesse der deutschen Rechtshistoriker. Schon der Titel gibt zu erkennen, daß es dem Verfasser darauf ankommt, zu dem Buch von Ganshof über die Ministerialität in Flandern und Lothringen (siehe Jber. 1926, 369) Stellung zu nehmen. Er tut dies in sehr verbindlicher Form und tritt vor allem der Behauptung Ganshofs entgegen, die Ministerialität habe sich in Frankreich rascher als in Deutschland entwickelt. Was er entgegenstellt, bedeutet eine teilweise Rückkehr zu der früheren Ansicht, nach der es eine Ministerialität in Frankreich überhaupt nicht gegeben hat. Es ist jedenfalls beachtenswert, daß in der französischen Übersetzung des Schwabenspiegels Dienstmann durch »vavassour« wiedergegeben erscheint. B. meint, der Unterschied zwischen den Verhältnissen in Deutschland und in Frankreich liege nicht in der rascheren Entwicklung hier, sondern darin, daß sich dort im Laufe des 12. Jhts. eine schärfere Gliederung in Stände durchgesetzt habe. Die deutsche Literatur erscheint ausgiebig benutzt; nur hätte B. seinen Hinweis auf das ligische Lehensverhältnis S. 89 in Beziehung setzen sollen zu der Auffassung, die H. Mitteis (Politische Prozesse 119 ff.) von der Bedeutung der Ligesse für den Aufbau der französischen Lehensverfassung vorgetragen hat.

Die italienische Verfassungs- und Rechtsgeschichte ist mit einigen Beiträgen vertreten; das Erscheinen einer eigenen Zeitschrift für italienische Rechtsgeschichte haben wir mit besonderer Freude zu begrüßen. E. Mayer ( 1028) hat die Erörterungen über die Frage, ob die im Codex des Cremoneser Canonico Dragoni enthaltenen Urkunden zur älteren Geschichte der Langobarden als echt oder als moderne Fälschungen anzusehen sind, neu aufgenommen.


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Er stellt fest, daß die Streitfrage sich von dem Gebiete der Rechtsgeschichte mehr weg und dem der Diplomatik mehr zugewandt habe und fordert zur endgültigen Klarstellung eine Ausgabe des Codex Dragonianus. Zu diesen Ausführungen sind die gewichtigen Gegenbemerkungen Schiaparellis (Arch. stor. it. ser. 7, 11, 164 ff.) zu vergleichen, der sich als letzter mit den langobardischen, im Codex Dragonis überlieferten Urkunden befaßt hatte und dessen Ausführungen an der Unechtheit der von ihm vorgeführten Urkunden allerdings kaum einen Zweifel aufkommen lassen. -- Die Fortsetzung, die L. Chiappelli ( 1035 a) von seinen Studien über das italienische Städtewesen bietet, hat ihn teilweise von der verfassungsgeschichtlichen Betrachtungsweise abgezogen und auf das Gebiet der politischen und Kulturgeschichte gelenkt. Ch. geht von einer Kennzeichnung des 10. Jhts. aus, das italienische Historiker das eiserne genannt haben, und stellt am Schlusse seiner Darstellung fest, daß die herrschende Auffassung, dieses Jahrhundert sei für Italien eine der schwersten Krisenzeiten gewesen, nicht voll zutreffe; gerade am Ausgang sei ein Aufstieg in sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht, der Beginn eines Widerstandes gegen die feudalen Gewalten und ein Anwachsen romanischer Traditionen bemerkbar, aus denen die Wiedereinsetzung des römischen Rechtes in einen Teil seiner ursprünglichen Geltung erklärbar würde. Das Bestreben Ottos I., durch Einsetzung von Grafen in den Städten, durch Ausgestaltung der Macht der Bischöfe, die durch Verleihung von Immunitäts- und anderen öffentlichen Rechten zu staatlichen Beamten erhoben worden seien, ferner durch Einsetzung der missi dominici und durch Ausgestaltung der Markgrafschaft Ordnung zu schaffen, wird anerkannt; »non ostante il suo spirito schiettamente teutonico« habe der Kaiser damit eine Fusion des italienischen Volkes mit den germanischen Bevölkerungsteilen herbeiführen geholfen. Besonderes Interesse verdienen die Nachweise über die Befestigung der italienischen Städte im 10. Jht., die unter dem Einfluß der ungarischen Gefahr große Fortschritte gemacht hat. Der Wiederaufbau des Handels trotz der ungarischen und sarazenischen Einfälle wird aus der Zunahme des Schiffverkehrs in Oberitalien und im Adriatischen Meer ersichtlich, eine Folge zunehmenden Wohlstandes ist der Aufstieg des geistigen Lebens gerade in den Städten. Die Darlegungen des Verfassers sind von einem stark nationalen Akzent beschwingt. Zugegeben, daß das 10. Jht. auch als Zeitalter vorbereitenden Aufschwunges zu werten ist, bleibt doch viel bestehen, was die Anschauung, es sei ein Saeculum obscurum gewesen (Chiapelli 62), rechtfertigt. -- In diesem Zusammenhang kann auch ein Hinweis auf die Züricher Dissertation von S. Frey ( 1032) über das öffentlich-rechtliche Schiedsgericht in Oberitalien im 12. und 13. Jhd. angebracht werden, die auf Anregung von Max Huber-Haag entstanden ist und deren Durchführung neuerdings die Vorzüge der Schule von Karl Meyer- Zürich erkennen läßt. In fünf Kapiteln wird die Bedeutung der schiedsgerichtlichen Praxis vorgeführt, die hervorgegangen ist aus einer engen Vereinigung von öffentlichem und privatem Recht, wird die Stellung der Kirche zum Schiedsgericht aufgezeigt, die ihrer Friedensaufgabe zufolge hiezu besonders berufen war, werden Verfahren und Urteil beim schiedsgerichtlichen Prozeß beschrieben. Die Arbeit bietet auch dem Diplomatiker einiges Interesse, da die Bedeutung der Ausdrücke und Formeln, die in den auf das Schiedsgericht bezüglichen Urkunden vorkommen, stets umschrieben wird.

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Die drei an letzter Stelle anzuführenden Arbeiten gehören mit ihrem Hauptinhalt bereits der folgenden Epoche an. Mit jenem Scharfsinn, der den ausgezeichneten Vertreter der spätmittelalterlichen Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte kennzeichnet, hat H. Spangenberg ( 1024 a) die Kanzleivermerke als Quelle verwaltungsgeschichtlicher Forschung gewürdigt und dabei, was schon seit langem nötig war, die aus den verschiedensten deutschen Territorien, namentlich dem österreichischen, vorliegenden Einzelergebnisse kritisch gewürdigt und zu einer Gesamtdarstellung vereinigt. Mehrere Ergebnisse sind besonderer Hervorhebung wert; die Kanzleivermerke sind ebenso wie das Registerwesen und die Ausbildung eines Rates Zeugnisse für die Wirksamkeit jenes neuen Beamtentums, dem als Schöpfung des 13. Jhts. die Aufgabe zufiel, die veralteten Einrichtungen des Lehensstaates durch eine moderne Verwaltung zu ersetzen. Damit ist gegeben, daß die Führung in der Durchsetzung dieser Neuerungen dem Territorium zufiel und nicht dem Reich, das seit dem Fall des staufischen Kaisertumes auf lange Zeit aufhörte »in der Verwaltung und im Ämterwesen schöpferisch zu wirken«. Wie die Kanzlervermerke hervorgehen aus der gemeinsamen Tätigkeit von Rat und Kanzlei, und zwar zuerst aus landesfürstlichen Kanzleien und was sie bedeuten können -- den Überbringer des Urkundenbefehls, des Fertigungsbefehls, die Prüfung des Konzeptes, die Angabe, wer auftraggebende oder ausführende Person gewesen ist, den Ausdruck der persönlichen Art der Geschäftserledigung durch den Herrscher, die in Deutschland bis zum Ausgange des MA. bestehen blieb -- das ist alles bei St. umsichtig dem Leser vorgeführt. Seine Arbeit zeigt wieder einmal gerade für das spätere MA. die enge Verbundenheit diplomatischer und verwaltungsgeschichtlicher Betrachtungsweise und man kann seiner Schlußforderung, die Fragen müßten in einer Aktenkunde des 16. Jhts. besonders behandelt werden, voll und ganz zustimmen. -- Auf Grund handschriftlicher Studien, durch die er Hallers Ansicht von der Bedeutung der Stuttgarter Handschrift G. für die Textgestaltung der Reformation Kaiser Sigmunds bekräftigt findet, gelangt H. Weigel ( 1025 a) zu dem Ergebnis, es sei eine geistige Urreformation als gegeben anzusehen, »ein großzügiger Reformvorschlag eines Mannes in der Umgebung Kaiser Sigmunds, vielleicht im Auftrage oder wenigstens auf Anregung des Kaisers zwischen dem 8. Mai und dem 16. Juli 1434 in Basel oder Ulm entstanden«. Aus diesem Reformvorschlag wurde nach W. unter dem Einfluß der folgenden Ereignisse 1435 in Basel eine Reformflugschrift, die »ständig ihre Gestalt verändernd« 1476 zum erstenmal in Augsburg in Druck gelegt worden ist. -- Die societas magna Alemanniae (saec. XIV bis XVI), deren Entstehen, Zusammensetzung und juristische Natur Lattes ( 1025) beschreibt, ist den deutschen Forschern unter dem Namen »Große Ravensburger Gesellschaft« besser bekannt. Was der Verfasser bietet, ist ein nachdrücklicher Hinweis auf die Glanzleistung, die A. Schulte in seinem dreibändigen Werke geboten hat, und eine Zustimmung zu den Ausführungen der Besprechung Rehmes in der Zs. d. Sav. Stift. f. Rg. germ. Abt. 44, 456 ff. Es ist die Ausdehnung der handelspolitischen Beziehungen dieser Gesellschaft besonders über Oberitalien (Venedig, Genua und Mailand), die einen derartig orientierenden Aufsatz im 1. Band einer Zeitschrift für italienisches Recht verständlich und nützlich erscheinen lassen.


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