§ 28. Städtewesen des Mittelalters.

(R. Koebner.)

Mehr und mehr sind die Probleme der Entstehung des Städtewesens aus dem allgemeinen entwicklungstheoretischen Prinzipienstreit in mannigfaltige orts- und landschaftsgeschichtliche Einzelbetrachtung hinübergeführt worden. Aber die Forschung begreift die monographische Aufteilung der verfassungsgeschichtlichen Fragen als Mittel, nicht als Ziel der Erkenntnis; sie sucht den lokalen Eigentümlichkeiten, die sie aufdeckt, immer wieder ihre Stelle in der zeitlichen und sachlichen Gliederung des Gesamtgeschehens zu geben.

Nimmt die Untersuchung ihren Ausgang von den rheinischen Städten, so müssen ihr die Zusammenhänge der deutschen Rechtsentwicklung mit der Kommunebewegung in Frankreich und Cambray zum Problem werden. Es ist kaum richtig, wenn L. v. Winterfeld ( 1035) für ihre Abhandlung über »Gottesfrieden und deutsche Stadtverfassung« die Leistung in Anspruch nimmt, diese Beziehungen aus Vergessenheit und Verdunkelung für die Forschung erst zurückgewonnen zu haben, -- und ich kann nicht umhin, an dieser Stelle insbesondere die bis zur Verkehrung ins Gegenteil gehende Mißdeutung zu vermerken, die die Verfasserin meiner Beurteilung jener Zusammenhänge angedeihen läßt. In der Auffassung und Herleitung der am Rhein um 1100 entwickelten bürgerlichen Rechtsprinzipien stehen ihre Ausführungen denen meines Buches über die Anfänge Kölns nicht allzu fern. Als das Ziel der bürgerlichen Freiheitsbewegung, die damals vom Westen nach Deutschland herübergriff, hatte ich den Gedanken des gemeinbürgerlichen Rechtsschutzes hervorgehoben. v. W. gibt jetzt zahlreiche Belege dafür, daß die Kommune als Institution der Friedensbürgschaft in Deutschland Nachfolge gefunden hat (vgl. auch unten, S. 273), und vertritt die Anschauung, daß mit dieser Anknüpfung eine Rezeption des Gottesfriedens der treuga Dei zusammenging. H. Hirsch hat uns in seinem Buch über die hohe Gerichtsbarkeit erkennen lassen, wie in eben jener Epoche die Idee des Rechtsschutzes in den Gottes- und Landfrieden eine tiefgreifende sachliche Umbildung erfuhr. Die Beziehung des bürgerlichen Friedensverbandes zu dem in jenen höheren Organisationen gestifteten war damit aufs neue zum Problem gestellt. Wenn ich richtig sehe, so knüpfen die Betrachtungen v. W.s an dieser Stelle an. Von Köln aus bis in den kolonialen Osten verfolgen sie die Spuren, die der kirchliche Gottesfrieden -- insbesondere die Kölner Pax Sigewini von 1083 -- im städtischen Strafrecht, in seinen Strafsätzen, Fristen und Prozeßvorschriften hinterlassen hat. Auf Grund der aufgewiesenen Übereinstimmungen widerspricht die Verfasserin der häufig aufgestellten Meinung, der »Gottesfriede« deutscher Stadtrechtsdenkmäler habe mit dem der »treuga Dei« nichts zu tun. Das bürgerliche Verfassungsrecht selbst möchte sie nicht aus der Gottesfriedensbewegung herleiten; sie nimmt aber starke Einwirkungen auf seine Entwickelung an. Diese Einwirkungen werden wenig greifbar. Bemerkenswert ist die These, daß die Parochialgliederung der Kölner Bürgergemeinde mit dem Parochialschwur der Pax Sigewini zusammenhänge. Im weiteren Verfolg der Untersuchung werden jedoch Kommunefrieden, Gottesfrieden und Landfrieden in ihren Einflüssen nicht mehr klar geschieden.

Die Einflüsse des Gottesfriedens setzten, so meint v. W., »bereits irgendwie


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vorhandene bürgerliche Gemeinwesen voraus«. Bei einer so unbestimmt gehaltenen Rückdatierung bleibt die Forschung ungern stehen. Mir scheint es richtiger, anzunehmen, daß die mit der Kommune einsetzende Freiheitsbewegung mannigfache Elemente der Sonderrechtsbildung, die in den städtischen Siedelungen kraft ihrer gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Eigenart zusammentrafen, in innere Verbindung gebracht und mit ihnen gemeinsam das eigentümliche Gebilde der bürgerlichen Stadtverfassung geschaffen hat. Diese bodenständig gewachsenen Elemente sind teils standesrechtlicher, teils immunitätsrechtlicher, teils genossenschaftsrechtlicher und sind an allen drei Stellen zugleich administrativer Natur. Die Begriffe Marktrecht, Gerichtsgenossentum, Patriziat, Gilde vergegenwärtigen in etwa die verschiedenen Richtungen, in denen die Forschung vorschreiten muß, wenn sie die »gewachsenen«, frühma.lichen Grundlagen des Stadtgemeinderechts aufdecken will. Stücke des eigenen Lebenswerkes und fremde, zumal neuere Forschung zusammenfassend, hat F. Philippi ( 1034) den Ausblicken, die sich in diesen verschiedenen Richtungen eröffnen, einen nachdenklichen Rundgang gewidmet. Seine Betrachtungen halten sich oft mehr in der Form der Frage und Anregung als in der der fest formulierten These. Für die Institution des Marktes erwartet er neue Aufschlüsse von der Untersuchung ihrer antiken Vorbilder, wenn diese auch der deutschen Kultur nur indirekt und relativ spät vermittelt worden sind. Für die Bürgergemeinde aber ist nach seiner Anschauung ein Verständnis nur zu gewinnen, wenn man sie als ursprünglich auf die Gemeinfreien der Landgerichtsverfassung und damit auf die mit echtem Eigen Angesessenen beschränkt denkt.

In dieser sozialgeschichtlichen Deutung des Bürgertums, in der Ansetzung einer standesrechtlichen Urgemeinschaft, die dem breiteren Gebilde der Bürgerschaft vorausging und in ihm als »Patriziat« fortlebte, begegnet sich Ph. mit den Problemen und Thesen neuerer Forschungen. Die Soester Forschungen v. Klockes stellen, sofern sie das älteste Bürgertum der westfälischen Stadt betreffen, weitgehend eine Bestätigung und Ergänzung der Anschauungen Philippis dar. Die in seinem Vortrag über »Patriziat und Stadtadel« (vgl. Jahrg. 1927, S. 546) vornehmlich an der ältesten Soester Stadturkunde von etwa 1168 (vgl. ebenda Nr. 1334) gewonnene Überzeugung vom freiständischen Ursprung des Soester Patriziats wird nunmehr ( 172a) in genealogischen Einzelstudien durchgearbeitet. Diese können allerdings, gemäß dem Quellenbestande, nicht auf Überlieferungen aus den Anfängen des Gemeinwesens aufbauen, sondern müssen vom Patriziat des 13. Jhds. ausgehen. Hier erscheinen die Familien, deren Namen und Besitzverhältnisse auf die freie Grundbesitzerschicht des Landes zurückweisen, neben solchen, die wir von Anfang an lediglich als Träger des Fernhandels kennen lernen, und die auch nach v. K.s Meinung nicht notwendig alle aus jener standeseinheitlichen Gruppe hervorgegangen sind. Aber gerade angesichts dieser Tatsache ist es beachtenswert, daß das Soester Patriziat im 13. Jhd. sich mehrfach »durch Zuzug altfreier Elemente aus der Umgebung« ergänzt, die, wie v. K. gelegentlich zeigt, ihre landrechtliche Stellung auch nach der Aufnahme in den Bürgerverband zu wahren vermögen. Der Verf. stellt diese Nachweisungen zwischen Untersuchungen über den Ursprung der Ritterbürtigen der Soester Gegend und über den ständischen Charakter der Salzbauern des nahe gelegenen Sassendorf: er gewinnt


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die Überzeugung, daß die drei wirtschaftlich geschiedenen Gruppen standesrechtlich gleichartigen Ursprungs sind. Dieser ursprünglichen Verwandtschaft entspricht ihre fortgesetzte wechselseitige Annäherung. Wie Angehörige des Landadels, so traten auch Soester Patrizier in die erzbischöfliche Ministirialität des Ortes ein, und aus ihren Kreisen besetzte der Erzbischof im späteren 13. Jhd. die an Stelle der Ministerialenschaft gebildeten Ämter seiner Soester Hofhaltung. Andrerseits nahmen sie, ebenso wie der Landadel, rittermäßige Ministerialen in ihre Reihen auf, und wenigstens ein Patriziergeschlecht -- das sich freilich nicht umsonst durch den Namen »Edelkind« als besonders aristokratisch absonderte -- trat durch Heiraten in Adelsverbindungen, die gelegentlich bis zum Dynastentum hinaufreichten. Ebenso aber sind die Sälzerfamilien von Sassendorf, augenscheinlich auf Grund der »altfreien« Standesverwandtschaft, im 14. Jhd. vielfach ins Soester Patriziat gelangt.

Diesen Feststellungen v. K.s entsprechen aufs eigentümlichste diejenigen, die L. Frölich fernab, aber gleichfalls auf sächsischem Rechtsboden, nämlich in Goslar gewonnen hat (vgl. Jahrg. 1927, S. 495; zur Ergänzung der topographischen Voraussetzungen vgl. Jahrg. 1928, Nr. 291). Den Soester Patriziatsgruppen: 1. der angesessenen und vom Lande zugewanderten Altfreien nebst den sozial in sie herangerückten Ministerialen, 2. der im Fernhandel emporgekommenen Kaufleute, 3. (später) der Sälzer entsprechen in Goslar folgende Gruppen: 1. angesessene Familien von rittermäßiger Lebensweise teils altfreien, teils ministerialischen Ursprungs, -- 2. die »mercatores« der Urkunde Lothars von 1134, die F. nicht als die an Handel und Gewerbe beteiligten Einwohner überhaupt, sondern als eine engere Gruppe »eigentlicher«, namentlich am Fernhandel beteiligter und mit freiem Eigen angesessener Kaufleute versteht, -- 3. zwei Gruppen von Berg- und Wald-(Hüttern-)Interessenten: die »montani« vom Rammelsberge und die »silvani« der Waldmark am Frankenberge, die ursprünglich offenbar mit den »ervexen in dem Harte«, den Eigentümern in der Waldmark identisch sind. Den drei Gruppen ist auch hier der Besitz freien Volleigens gemeinsam. In der Stadt Goslar, die -- nach F. um 1100 -- aus der Zusammenfassung des Pfalzbezirks, des Marktes und des Frankenberges entstand, bildeten die Ritterbürtigen, jener engere -- im übrigen nicht gildemäßig organisierte -- Kreis von Kaufleuten und die Silvanen das Patriziat. F. stellt sich in die Reihe der Forscher, die einen engen Zusammenhang zwischen dieser Gesamtgruppe und dem ältesten Bürgerbegriff annehmen; nach seiner Ansicht sind noch im Goslarer Stadtprivileg Friedrichs II. von 1219 unter den »burgenses« im wesentlichen jene Volleigentümer zu verstehen, wenn er hier auch bereits eine Erweichung des Begriffs zugunsten der Rentenbesitzer als gegeben annimmt. Mir scheint aber der (von F. nicht herangezogene) § 2 des Statuts die Gleichung burgenses = Eigentümer überhaupt auszuschließen.

Die Bewertung des Grundeigentums als eines entscheidenden Faktors in der Heraushebung der bürgerlichen Führerschicht verbindet die Anschauungen der zuletzt genannten Autoren mit denen, die F. Rörig in beständiger Durcharbeitung und Ergänzung seiner Lübecker Forschungen entwickelt hat. In der Sammlung seiner »Hansischen Beiträge« ( 1109) hat, wie schon der Titel andeutet, das wirtschaftsgeschichtliche Interesse das Übergewicht; aber zumal in dem, was der Band an Neuem gebracht hat, in den Anmerkungen zu seinen Forschungen


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über die älteste Geschichte Lübecks und vor allem in dem Breslauer Vortrag über die »Gründungsunternehmerstädte« fördert die wirtschaftsgeschichtliche Interpretation der städtischen Frühzeit eigene Gesichtspunkte der verfassungsgeschichtlichen Auffassung zu Tage. Den Ansatzpunkt dieser Verknüpfung bildet die Gruppe der bürgerlichen Oberschicht, die auch in dem Gesellschaftsbilde v. Klocke's und Frölich's als das eigentlich vorwärtstreibende Element des Patriziats der Grundeigner erscheinen muß: die Kaufmannschaft -- oder genauer, eine sich ständig mehrende und ihren Aktionskreis ständig erweiternde Schicht kaufmännischer Unternehmer, die Deutschland und das benachbarte Ausland im 12. und 13. Jhd. mit einem Netz von Fernhandelsbeziehungen überkreuzt hat. Wo diese Unternehmer Boden fassen, da werden sie auch Grundeigentümer. Aber ihr Grunderwerb entfaltet zugleich eine besondere soziale Funktion: er baut recht eigentlich die Städte als gedrängte Sammelplätze reger und vielseitiger Betätigung in Handel und Gewerbe auf. Vielfältig begegnen uns die kaufmännischen Patrizier als die Inhaber von Grund und Boden in den Erweiterungsvierteln alter Städte; vor allem aber sind sie Hauseigentümer im Marktgelände neugegründeter Städte. Sie beherrschen das wirtschaftlich wichtigste Terrain an den Plätzen, die als Etappen des erwachsenden Fernhandels groß werden. Als Gründer und Grundeigentümer städtischer Siedelungen aber vermögen sie gegenüber den Stadtherrn, wie gegenüber der bei ihnen zur Miete ansässigen gewerbtätigen Stadtbewohnerschaft die Befugnisse auszubilden, aus denen die städtische Selbstverwaltung erwächst. In den neugegründeten Städten entwickelt sich diese Vormachtstellung gradlinig zur Ratsverfassung. Von Anfang an ist hier jeweils die kaufmännische Gründungsunternehmerschaft als fest geschlossene, genossenschaftlich arbeitende Gruppe aufgetreten -- als »Konsortium«, vielleicht als »Gilde«. Dieser Verband eignet sich die Ordnungsgewalt in der Stadt zu. Seine Repräsentanten nehmen lediglich einen besonderen Titel an, wenn sie sich »consules« nennen. Der Sache nach ist ihre Führerstellung bereits in der Gründungsunternehmung vorgebildet. Aus der Organisation des Handels und der Siedelung erwächst die der Stadtverwaltung und Stadtfreiheit.

Wenn Rörigs Theorie auch eine völlig verallgemeinerte Fassung sorgfältig vermeidet und nirgends als Theorie »des Städtewesens« schlechthin ausgesprochen ist, so kann und will sie sich doch der Verantwortung nicht entziehen, den Gesamtvorgang systematisch zu umfassen. Vom Lübecker Markt aus, an dessen Besitzverhältnissen ihre entscheidenden Züge gebildet sind, greifen die ortsgeschichtlichen Einzelbeobachtungen, denen sie ihre Bestätigung entnimmt, nach rückwärts und vorwärts. Mit Freiburg i. B., wo ihr bekanntlich F. Beyerle vorgearbeitet hat, gewinnt sie einen Gründungsvorgang vom Beginn des 12. Jhds. als Hauptinstanz, mit Wien einen noch etwas älteren (denn die Datierung »um die Wende vom 12. zum 13. Jhd.« auf S. 249 ist nach Mitteilung des Verfassers ein Druckversehen und in »... vom 11. zum 12. Jhd.« umzukorrigieren); in Köln, Mainz und Regensburg will sie die frühmittelalterlichen Ausbauten der neuerwachten Römerstädte einbeziehen. Andrerseits sucht die »Unternehmerthese« mit Freiberg i. S., mit mecklenburgischen, böhmisch-mährischen und baltischen Städten Zentren der ostdeutschen Kolonisation zu erfassen. Sie begleitet also das gesamte städtische Werden -- und durch diese universelle Erstrekkung allein kann sie auch über ihren siedlungsgeschichtlichen Inhalt hinaus


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eine Beziehung auf die rechts- und sozialgeschichtlichen Grundprobleme des Bürgertums gewinnen, die sich in den Begriffen »Patriziat« und »Selbstverwaltung« andeuten. Aber damit müssen auch die Stellen sichtbar werden, an denen das Entwicklungsbild R.s die Zusammenfügung mit andern, für das städtische Werden grundlegenden Verhältnissen und Vorgängen noch vermissen läßt. Läßt sich -- wie Philippi beifällig hervorhebt (vgl. oben, S. 270) -- die ständische Stellung der Gründungsunternehmer sehr wohl mit den alten Rang-Ansprüchen des Grundeigentums überhaupt in Zusammenhang bringen, so bleibt der Zusammenhang zwischen ihrer kommunalen Gewaltvollmacht und den Antecedentien der städtischen Gewaltordnung noch dunkel; insbesondere ist eine organische Anknüpfung an die französisch-westdeutsche Freiheitsbewegung um 1100 nicht versucht. Zugleich steht die These unter der Schwierigkeit, daß sie das Unternehmerkonsortium nirgends unmittelbar nachweisen kann. Ihre wesentlichsten Beweismittel sind einmal die Besitzverhältnisse, wo immer sie die Gleichung: Grundeigentümer, insbesondere im Marktgelände = Großkaufleute = Ratsgeschlechter ermöglichen, andrerseits die Geschworenenkollegien der 24, die in Freiburg, Wien und Freiberg die älteste Stadtrepräsentation darstellen und die Ratsverfassung vorbereiten. Aber im ersten Punkte bleibt die Herleitung der einzelnen Familienbesitzmassen aus einem Konsortialerwerb, im zweiten die Rückdeutung des Repräsentationsverbandes in eine Gründungsgenossenschaft notwendig hypothetisch. An beiden Stellen hat die Kritik eingesetzt. Th. Mayer tritt namentlich der Anwendung der These auf Wien und Freiberg i. S. entgegen. In Wien findet er zwischen der frühmittelalterlichen Besitzverteilung in der Altstadt und dem Ausbau der Neustadt im 12. Jhd., bei dem neben bürgerlichen Erwerbungen solche der Kirche und des Adels beteiligt gewesen sein müssen, keinen Moment, an dem sich der Bodengewinn einer Unternehmergenossenschaft einordnen ließe. In Freiberg widersprechen seines Erachtens die Quellen dem Versuch, die »Vierundzwanzig«, die erst für das 2. Jahrzehnt des 13. Jhds. gesichert sind, auf die Gründung der bergmännischen Siedelung um 1181 und deren wirtschaftliche Ausgestaltung zurückzuführen. Zugleich tritt eine grundsätzliche Schwierigkeit zutage, die alle »24er-Städte« angeht: solche festen Mitgliederzahlen vermögen -- wie schon von Below (vgl. Jahrg. 1926, S. 380) hervorhob -- von Haus aus nur ein Verwaltungskollegium, nicht aber einen Unternehmerverband zu charakterisieren. L. v. Winterfeld's Auseinandersetzung mit Rörig (Zeitschr. d. Ver. f. Lüb. Gesch. XXV; 1929), die nach ihrem mannigfaltigen selbständigen Forschungs-Inhalt erst im nächsten Jahrgang zu besprechen sein wird, hat gleichfalls sowohl die besitzgeschichtliche wie die institutionsgeschichtliche Grundlegung der These R.s in Zweifel gezogen. Im ersten Punkte tritt sie ihr auf dem Boden ihrer Entstehung, in der Beurteilung des Lübecker Markt-Aufbaus entgegen. Für die Frage der Vierundzwanziger eröffnet sie neue Ausblicke, indem sie auch hier auf die westlichen Vorbilder der Friedenseinung hinweist; überhaupt stellt sie auch hier den Zusammenhang zwischen deutscher Stadtverfassung, Kommune- und Gottesfriedensbewegung zum Problem.

Dem Titel nach müßte sich auch J. Meyers Abhandlung über die Entstehung des Patriziats in Nürnberg ( 1040) als ein Beitrag zu den vorstehend erörterten Problemen darstellen. Aber diese Arbeit ist ohne Kenntnis der Forschung der letzten Jahre geschrieben. Sie stellt es sich noch zur Aufgabe, die


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Auseinandersetzungen zwischen v. Below und Sombart über die vermögensbildende Kraft des ma.lichen Handels und über den Anteil der Ministerialität am Patriziat zu schließen. Sie bietet nützliche Zusammenstellungen über Handel und Lebensweise der Nürnberger Geschlechter, vermag aber mit ihrer geringen methodischen Ausrüstung nicht in die Ursprungsfragen hineinzuleuchten.

Daß diese Fragen auch den Übergang obrigkeitlicher Befugnisse reichsrechtlicher Herkunft in sich schließen, wird uns durch E. Rütimeyer ( 1047) rechtzeitig in Erinnerung gebracht. Ihre Untersuchung führt uns in das Kampffeld der Bürgerschaftsbewegungen, in die rheinischen Städte zurück. Den Fragen der rechtsgedanklichen und sozialen Inhalte dieser Bewegungen geht sie vorsichtig aus dem Wege; sie möchte »gewagte Konstruktionen« vermeiden und lediglich den Zustand der Verfügung über die Hoheitsrechte in der Zeit von den ersten bürgerlichen Erhebungen unter Heinrich IV. bis 1250 festhalten. In sorgfältiger Nachprüfung viel erörterter Überlieferungen läßt sie den großen Vorsprung erkennen, den die Bürgerschaften der führenden Handelsstädte Köln und Straßburg gegenüber Basel, Mainz, Worms und Speyer in der Aneignung jener Rechte gewonnen haben, obwohl die mittelrheinischen Städte wiederholt die stärkere Initiative im Streben nach Unabhängigkeit zeigten. In den Formen des bürgerlichen Rechtserwerbes und in der Reihenfolge seines Eintritts in die einzelnen Verwaltungsgebiete stellt die Verfasserin eine weitgehende Ungleichartigkeit der Entwicklung fest. Die Einheit der Tendenz und der Rechtsprinzipien spricht sich darin aus, daß zunächst die Stadtherren das Stadtbeamtentum mit bürgerlichen Kräften besetzen müssen, bis um 1200 die Ratsverfassung dem gemeinbürgerlichen Selbstverwaltungsanspruch einen entschiedenen Ausdruck geben. Im Kapitel über die Ratsverfassung macht sich die Zurückhaltung der Verfasserin am meisten fühlbar. Da sie das Problem des Patriziats unberücksichtigt läßt, bleiben ihre Feststellungen über die Anfänge der Institution auf eine Verzeichnung ihrer ersten Nennungen beschränkt. In der Hauptsache wiederholt sie hier Bekanntes; nur in der Untersuchung der Frage, ob die Reihe dieser Nennungen bereits durch das Basler Consilium von ca. 1185 eingeleitet wird, hat sie ein kritisches Problem von Gewicht zu entscheiden. Ihr Urteil lautet verneinend.

In den Erhebungen unter Heinrich IV., die die städtische Emanzipationsbewegung einleiten, stehen die Bürger mit dem König gegen die bischöflichen Stadtherrn im Bunde. Von diesem Anfang an fördern Aufstieg und Ausbreitung des Bürgertums immer von neuem politische Ansätze zu einer engeren Verbindung mit der Reichgewalt zutage; aber immer wieder verfliegen die erschlossenen Möglichkeiten, ehe sie sich im Aufbau der Reichsgewalt organisch auswirken können. Als solche Folge von Anknüpfungen und Trennungen bringt F. Rörig in einer akademischen Rede ( 1033) das Verhältnis von Staat und Bürgertum zur Überschau. Er läßt zumal empfinden, was dem Reiche entging, indem es das politische und militärische Können der Städte nicht nutzte. Er beleuchtet hierbei die Zusammenhänge bürgerlich-administrativer und bürgerlich-wirtschaftlicher Schulung, die, wie er an andrer Stelle noch eindringlicher schildert ( 614), gleichzeitig im Ausbau der hansischen Vormachtstellung ihre Leistungsfähigkeit voll entfalten konnten. So gibt R. den wirtschaftlichen und politischen Erben seiner »Gründungsunternehmer« ihren Platz im Gesamtbilde des späteren Mittelalters.


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Für die Epoche Friedrichs II. unterzieht F. Knöpp ( 587) das in Rörigs Rede behandelte Problem einer gesonderten Betrachtung, die hinsichtlich der »versäumten Gelegenheiten« wesentlich skeptischer urteilt. Einen Gewinn für die Forschung bedeutet, daß hier alle Akte des Kaisers und seiner Söhne, die sich auf Städte beziehen, herangezogen und eingehend interpretiert sind. Dagegen kann ich nicht mit dem Verfasser einen methodischen Fortschritt darin sehen, daß er diese Akte in einer starr chronologischen Abfolge zur Darstellung bringt. Bei dieser Anordnung wird der Einblick in das innere Leben der Städte und damit auch die sachliche Differenzierung des der Untersuchung gestellten Problems abgeschnitten. Wenn in bunter Folge Reichsstädte und Bischofsstädte, große Handelsplätze und kleine Flecken, Bestätigungs- und Neuverleihungsakte miteinander wechseln, so kann von einer fortschreitenden Problem-Entfaltung und gar von einer »Darstellung dynamischen Charakters«, wie sie der Verfasser bieten möchte, kaum die Rede sein. Die Zusammenfassung der Ergebnisse hält sich in Negationen: Friedrich hat im Anfang bürgerliche Ansprüche nicht begünstigt; er hat daher in den Reichsgesetzen von 1231/32 seine Haltung gegenüber den bischöflichen Städten nicht geändert, andrerseits aber auch keine wichtigen Reichsrechte preisgegeben; er hat später seine Politik nicht grundsätzlich in der Richtung der Bürgerfreundlichkeit abgewandelt. Zu diesen Feststellungen gesellt sich die wichtigere positive Beobachtung, daß die Fürsorge Friedrichs für die königlichen Städte vor allem dem Ziele diente, das Reichsgut wirksam zu schützen.

Die Bedeutung dieses Zusammenhangs tritt in einer Untersuchung zutage, die der berühmtesten aller Reichsstädte gewidmet ist. Zu den auszeichnenden Eigentümlichkeiten Nürnbergs gehört das ansehnliche Territorium, für das es Hoheitsrechte in Anspruch genommen hat. Indem H. Dannenbauer ( 282) der Entstehung dieses Territoriums nachgeht, findet er sie so eng mit den Schicksalen des einst von der Burg Nürnberg aus veralteten Reichsguts verknüpft, daß er sich genötigt sieht, der Untersuchung über die Elemente der städtischen Herrschaft auf dem Lande eine solche über die Bestandteile und die Verwaltung des Reichsguts vorauszuschicken. Mit ihr verbinden sich Aufklärungen über den Nürnberger Burggrafen; er ist ursprünglich weder Verwalter des erst in staufischer Zeit ansehnlich gewordenen -- Reichsguts, noch Hochrichter in Stadt und Land, sondern lediglich Burgbefehlshaber; erst während des Interregnums hat er das Landgericht an sich gezogen. Mit dieser Feststellung wird der Weg frei, die eigentümliche geschichtliche Zusammengehörigkeit von Reichsgut und Reichsstadt zu erkennen: beide sind in staufischer Zeit geschaffen; in beiden bilden ursprünglich ministerialische Beamte die Obrigkeit, in der Stadt der Schultheiß, auf dem Lande der Butigler. Die Urkunden des Butiglers aber weisen ebenso wie die Besetzung des Landgerichts (dessen weitgedehnten Zuständigkeitsansprüchen D. mitten in der Analyse der städtischen Territorialgerechtsame eine besondere Studie widmet), noch auf jene ursprüngliche Zusammengehörigkeit von Stadt und Land zurück: Ritter und Nürnberger Patrizier wirken zusammen. Hier stellen sich uns Beziehungen zu jenem Komplex stände- und stadtgründungsgeschichtlicher Fragen her, die uns vorhin bei Soest, Goslar und Lübeck beschäftigten. D.s ohnedies überreich angefüllte Arbeit kann nicht auf sie eingehen. -- Nürnbergs Hoheitsbesitz auf dem Lande, dem der zweite Teil des Buches gewidmet ist, ging nicht unmittelbar aus


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jener Ursprungsgemeinschaft von Stadt und Reichsgut hervor. Er erwuchs allmählich vom ausgehenden 13. bis ins 16. Jhd. in zahllosen Einzel-Erwerbungen. Zum Teil bestand er aus dem Landbesitz der Bürgerfamilien, über den die Stadt Hoheitsgerechtsame in Anspruch nahm. Um das Gewonnene vor dem Zugriff der Nachbarn, zumal des Burggrafen zu schützen, mußte das Gebiet erweitert werden. Von hier aus macht D. begreiflich, daß Nürnberg 1504 als kriegführende und erobernde Macht am pfälzischen Erbstreit teilnahm. -- D. verfolgt das Schicksal der Besitzstücke im einzelnen. Nur beim Güterbesitz der Bürgerfamilien war die individuelle Erfassung unmöglich; D. ersetzt sie mit glücklicher Methodik durch die statistische Auswertung städtischer Untertanen- Bestandsaufnahmen des 15. Jhds. Sein straffes und gediegenes, nur vielleicht mit zusammenfassenden Übersichten allzusehr kargendes Buch gewährt zugleich vielfältige Einsicht in die Struktur der spätmittelalterlichen Landeshoheit. In dieser Richtung hält ein Exkurs ein allgemeines Ergebnis fest: die hohe Gerichtsbarkeit ist nicht notwendig entscheidendes Kennzeichen der Landeshoheit; sie hat diese Bedeutung erst durch den Einfluß des römischen Rechts gewonnen. --

Die Städtegeschichte des deutschen Ostens hat grundsätzlich im gleichen Sinne wie die Altdeutschlands in lokalen Besonderheiten allgemein Bedeutsames festzuhalten, wenn sie auch seltener unter diesem Gesichtspunkte behandelt wird. So verdient Otts Analyse des Brüxer Stadtgrundrisses ( 313) Beachtung, weil sie das Verhältnis der deutschen Stadtanlage zum slavischen Burg- und Marktflecken beleuchtet; so kann Mylius in der Geschichte der Liegnitzer Stadtgemarkung ( 312) Überlieferungen über die Gründungs-Ausstattung einer Kolonisationsstadt mitteilen. E. Keyser ( 1065) verficht gegen Loening, daß Danzig im 13. Jhd. mit Lübecker Stadtrecht bewidmet war. Eigentümliche zwischenstädtische Beziehungen treten in M. Breuers zunftgeschichtlicher Untersuchung ( 1153) zutage: weil das Weißgerbergewerbe sich in Schlesien und benachbarten Gebieten vielfach von Breslau aus verbreitet hat, wird die Breslauer Zunft Oberzeche »inkorporierter« auswärtiger Verbände. Hauptinteressent an dieser Rechts- und Gerichtseinheit ist das Handwerksgesellentum.


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