§ 29. Territorialverfassung und Ständestaat.

(H. Spangenberg.)

Die Schrift O. H. Stowassers »Das Land und der Herzog« (vgl. Jberr. 1 S. 239, 341 und 2 S. 383) bekämpft die alte Brunnersche These, Österreich habe in der Entwicklung der Landesherrlichkeit durch besonders frühzeitige Ausbildung derselben alle deutschen Reichslande überflügelt, mit der Begründung, daß in Österreich neben dem Markgraf und Herzog auch sonst noch reichsfreie Grafschaften und Herrschaften bis in die Neuzeit vorhanden gewesen seien, die Landesherrlichkeit mithin erst im 16. Jhd. durch Beseitigung der Reichsstandschaften abgeschlossen worden sei. Diese These Stowassers wird von zwei Seiten angefochten: A. Dopsch ( 1036) weist darauf hin, daß die österreichischen Herzoge sich schon in der zweiten Hälfte des 12. Jhds. »Landesherren« nannten und von unserem »Lande« sprachen; am Ende des 13. Jhds. gab es bereits ein territoriales Landrecht. Die Entstehung der Landesherrlichkeit hat keineswegs zur Voraussetzung, »daß alle noch so unbedeutenden und kleinen Herrschaften im Lande schon beseitigt sein mußten«; vielmehr handelt


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es sich um die Frage, wann aus dem Reichsbeamten (dem Markgraf bzw. Herzog), der seine Hoheitsrechte im Auftrage des Königs ausübte, ein Inhaber selbständiger Herrschaftsrechte wurde; für die Entscheidung dieser Frage ist es gleichgültig, ob der Umfang der Landesherrschaft später noch gewachsen ist. -- Otto Stolz ( 1036) bemängelt, daß Stowasser »offenbar mit Absicht« (?) den historischen Atlas der Alpenländer und Grunds »Beiträge zur Geschichte der hohen Gerichtsbarkeit in Niederösterreich« ignoriere, welche auch die Frage der Grafschaften in Niederösterreich behandeln. Er glaubt zwei wichtige, in Stowassers Darstellung verwischte Stufen der verfassungsrechtlichen Entwicklung vor und nach der zweiten Hälfte des 13. Jhds., seit der sich ein enger Zusammenhang zwischen comecia und Landgericht nachweisen läßt, unterscheiden zu müssen. -- Die Anfänge der hohen Gerichtsbarkeit und der Grafschaften in Niederösterreich sind auch von Ernst Mayer in der Zeitschrift der Savigny-Stiftung (1926 G. A. S. 440 ff.) eingehend erörtert worden.

Die vornehmlich auf Akten rheinischer Territorien (Cleve-Mark, Jülich, Berg, Köln) beruhende Abhandlung K. Weimanns »Landesherr und Allmende« ( 1024b) beklagt mit Recht den Mangel an Untersuchungen über die Beziehungen der Landesherrschaft zu den Allmenden. Er unterscheidet Mark (im wesentlichen Waldgebiet) und Allmende (vornehmlich der Weide dienendes Nutzland). Schon lange vor dem Reichsweistum von 1291 über die communitates unternahmen die Landesherren Rechtshandlungen, die sich auf die Gemeinden (Allmenden) bezogen; rheinische Landesherren vergaben Gemeinden an Einwohnerschaften in Städten und Dörfern, sorgten für Wahrung ihrer Gerechtsame am Weidegebiete. Nicht minder aber suchten die Landesherren frühzeitig schon, zum Teil auf Grund ihrer Stellung als Schirmherren den eigenen Nutzen an der Mark zu steigern und »Beteiligung am Waldregiment zu gewinnen«. Zum Schluß erörtert W. den Rechtsgrund der landesherrlichen Ansprüche. Die stärkere Betonung der hoheitlichen und polizeilichen Gewalt der Fürsten hebt m. E. erst seit dem Ende des MA., d. i. seit der Ausbildung der Landeshoheit in den Territorien an. (Vgl. auch Er. Könning, Die historische Entwicklung der Allmende in Deutschland. Diss. Gießen 1924.).

In die Entstehungszeit der landständischen Verfassung führt Hans Voltelinis Beitrag zur Below-Festschrift: »Der Bericht über die Rechte des Herzogs von Kärnten in zwei Handschriften des Schwabenspiegels« ( 1037). Der Bericht spiegelt nach V.s scharfsinniger Untersuchung nicht uralte Rechtszustände wider; er ist wahrscheinlich erst spät, um 1336, zur Zeit der Belehnung der Habsburger mit Kärnten entstanden, um die Sonderrechte des Kärntner Herzogs dem neuen habsburgischen Erwerber bekanntzugeben und diesen in größere Abhängigkeit vom Adel zu bringen, der zur Zeit der Entstehung einer landständischen Verfassung ein Wahlrecht des Landesherrn durch die Stände durchsetzen und dadurch bestimmenden Einfluß auf die Regierung gewinnen wollte. Zu solchen Zwecken suchte der Bericht alte, die feierliche Einführung des Herzogs in den Besitz des Landes darstellende Formalitäten (Fragen des Herzogsbauern an den Herzog und dgl.) in ein Wahlverfahren umzudeuten, welches den Landsassen, d. i. dem landsässischen Adel sogar das Recht der Ablehnung des Herzogs einräumte. »Als Quelle für die Geschichte der kärntnerischen Herzogseinsetzung,« bemerkt V. (S. 111) zusammenfassend, »wird der Bericht der Schwabenspiegelhandschriften also nicht mehr in Betracht kommen


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können; wohl aber ist er ein merkwürdiges Zeugnis über die politischen Ziele, die im 14. Jhd. der landständische Adel in Kärnten verfolgte.« -- Das Werk von Wold. Goerlitz »Staat und Stände unter den Herzögen Albrecht und Georg 1485--1539« ( 1059) enthält nicht, wie man nach dem Obertitel »sächsische Landtagsakten Bd. 1« annehmen sollte, eine Aktenedition. Da das Aktenmaterial der Ständetage jener Zeit sehr geringfügig und ein rechtes Verständnis der ständischen Verhandlungen nur im Zusammenhang der gesamten inneren Politik des Staates möglich ist, hat sich G. mit Zustimmung der sächsischen Kommission entschlossen, die gesamten Materialien der inneren Politik Albrechts und Georgs (außer der Kirchenpolitik) zu einer »aktenmäßigen« Darstellung zu verarbeiten, ohne die Lücken der Quellen durch Kombinationen oder Vergleiche mit der Entwicklung anderer deutscher Territorien zu ergänzen. Das Ganze zerfällt in 15 Kapitel, von denen das letzte, kurze Kapitel das eigentliche Thema »Fürst und Stände«, die übrigen ganz lose, ohne inneren Zusammenhang aneinander gereiht die Städte, Ämter, Ritter- und Bauerngüter, Heeres-, Finanz- und Gerichtswesen, das Oberhofgericht, die Landesordnung, Zentralverwaltung, Münzpolitik, Steuern, Bergbau, Ständetage, Bischöfe und Dynasten behandeln. Die stoffreiche Darstellung macht den Eindruck der Zuverlässigkeit. Die Ständetage von 1486--1539 (S. 428), sowie die Steuerbewilligungen in derselben Zeit (S. 351 ff.) werden gesondert besprochen. G. betont m. E. mit Recht den Vertretungscharakter der Landstände. Die Aktenbeilagen (S. 483 ff.) enthalten 34 Nummern, darunter wichtige Stücke wie z. B. die allgemeine Verordnung (1490 August 4) und die Hofordnung Georgs (vermutlich aus dem Jahr 1502). Den Beilagen reiht sich die Tabelle der Dynasten, Geistlichen, Städte, Ämter und schriftsässigen Edelleute an; ein Register fehlt.

Die Abhandlung Hans Goldschmidts »Das Erbkämmereramt im Herzogtum Jülich 1331--1796« ( 1048), das vom 14. bis ins 19. Jhd. hinein bei dem Geschlecht der Herren von dem Bongart geblieben ist, liefert einen Beitrag zur Geschichte des territorialen Beamtentums. Die Geschichte dieses Erbamtes ist ein »charakteristisches Beispiel dafür, wie schwierig, wenn nicht unmöglich es im alten deutschen Territorialstaat für den Landesherrn war, die Rechte des persönlichen Lehens wieder an sich zu ziehen; mochte deren Gewährung inzwischen auch längst ihre sachliche Berechtigung verloren haben« (S. 123). -- Die deutsche Sprache als Amtssprache ist, wie E. Keyser ( 383) ausführt, in der Kanzlei des preußischen Ordenslandes schon verhältnismäßig früh eingeführt worden. Den deutschen Fassungen des Mainzer Landfriedens (1235) und des bairischen Landfriedens von 1244 reiht sich die deutsche Fassung der Culmer Handfeste vom Jahre 1250 an. Seit dem Jahre 1250 ist »eine fast lückenlose Reihe von urkundlichen Zeugnissen vorhanden, daß sich die Ordenskanzlei der deutschen Sprache neben der lateinischen bediente«. Weit länger hielten die Kanzleien der geistlichen Fürsten im Ordensland am Gebrauch der lateinischen Sprache fest; erst 1410 begegnet die erste deutsche Urkunde des Culmer Bischofs. In den Städten dagegen überwog das Deutsche schon sehr bald; die älteste deutsche Urkunde der Stadt Elbing stammt aus dem Jahre 1286. Der Deutschorden bediente sich vorwiegend einer mitteldeutschen Mundart.

Das territoriale Rechtswesen ist im Berichtsjahr durch Otto Peterka ( 1067) und Theodor Knapp ( 1045) monographisch bearbeitet worden. Peterkas Rechtsgeschichte der böhmischen Länder Band 2 behandelt, wie


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der im Jahre 1923 erschienene erste Band, diejenigen »von den Ländern der böhmischen Krone, den späteren böhmischen Erbländern des Hauses Habsburg, welche nun Bestandteile der tschechoslowakischen Republik bilden«, nämlich Böhmen, Mähren und die bei der Republik verbliebenen schlesischen Gebietsteile, und gliedert sich in drei Abschnitte: 1. das hussitische Zeitalter, 2. das erste Jahrhundert unter der Herrschaft der Habsburger (seit Erwerbung der böhmischen Länder durch das Haus Habsburg 1526), 3. die Schlacht auf dem weißen Berge und ihre Folgen. Jeder der drei Abschnitte zerfällt wieder in mindestens fünf Unterabteilungen: Königtum, Landstände, Städte, Bauern, Kirche, Rechtsbildung und Rechtsquellen. Das 15. Jhd. hebt sich durch die hussitische Revolution in der böhmischen Geschichte viel schroffer ab, als es in anderen mitteleuropäischen Gebieten der Fall war. Anders das 16., das durch die fortbestehende Teilung der Gewalt zwischen Königtum und Ständen sein verfassungsgeschichtliches Gepräge erhält und daher »keine Grundlage für eine strenge periodische Teilung gibt« (S. 76). Der verfassungsrechtliche Zusammenhang des 15. und 16. Jhds. ist vornehmlich in dem »starken Aufbau des Ständewesens« begründet. Eine scharfe Zäsur dagegen »brachte die verfassungsrechtliche Rückwirkung der Schlacht am weißen Berge«, welche »den jähen Zusammensturz der... bis zur revolutionären Gestaltung gesteigerten Machtfülle der ständischen Macht in Böhmen« zur Folge hatte. Seitdem begannen die absolutistischen und zentralistischen Bestrebungen zur Begründung einer unumschränkten Machtvollkommenheit des böhmischen Königtums. -- Die Geschichte des württembergischen Hofgerichts in Tübingen, mit der sich vorher schon F. Graner befaßte (vgl. Jberr. 1926 S. 384, 385), hat durch Theodor Knapp ( 1045) eine ausführliche und zuverlässige Darstellung erhalten, die mit der ersten, bis auf kleine Reste verlorenen Hofgerichtsordnung (1475) beginnt. Das Hofgericht wurde als besonderes Gericht, hauptsächlich als Berufungsgericht am Hofe des Landesherrn abgehalten und im Jahre 1514 dauernd nach Tübingen verlegt. Es war kein ständiges Gericht, sondern trat wie unsere Schwurgerichte nur von Zeit zu Zeit zusammen. Der Hofrichter sollte ein studierter Mann sein; die Beisitzer bzw. »Urteilssprecher« des Hofgerichts »verteilten sich auf drei Bänke, die edle oder adlige, die gelehrte oder Gelehrtenbank, die landschaftliche oder Landschaftsbank«. Zu den Gelehrten gehörten mindestens seit 1493 Professoren der fast gleichzeitig mit der Einrichtung des Hofgerichts gegründeten Universität Tübingen; dem juristischen Professor kam das votum primum zu. Th. Knapp schildert eingehend soweit möglich -- denn die Hofgerichtsakten sind zum größten Teil bei einem Stuttgarter Kanzleibrand im Jahre 1683 durch Feuer vernichtet worden -- die Geschäftsführung, Stimmabgabe, das Gerichtsverfahren, die Zuständigkeit, den erst 1803 endgültig entschiedenen Streit um die württembergischen Privilegien oder Freiheitsbriefe (insbesondere das privilegium de non appellando). Durch eine Verordnung vom 23. Sept. 1817 wurde von König Wilhelm eine »oberste Justizstelle« unter der Bezeichnung Obertribunal in Stuttgart errichtet; damit hörte Tübingen auf, der Sitz des obersten Gerichts zu sein.

Ein Schüler von R. His (Münster), Alf. Cohausz befaßt sich in einer sorgfältigen Münsterschen Dissertation ( 1051) mit der schwierigen Aufgabe, die umstrittene verfassungsrechtliche Lage der Stadt Herford (am Ausgang des MA.) zu bestimmen, die von einigen zu den unzweifelhaften Reichsstädten gerechnet


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wird, während ihr andere unter nachdrücklichem Hinweis auf die Zugehörigkeit zur Hanse den reichsständischen Charakter absprechen, eine dritte Gruppe die Frage unbeantwortet läßt. C. gelangt zu folgendem Ergebnis: »Es bestand ein höchst eigenartiges Herrschaftsverhältnis über das geistlich-weltliche Gebilde 'Stift und Stadt Herford': ein Kondominat von Rat und Äbtissin«; »Äbtissin und Rat regieren und vertreten Herford gemeinsam; beide haben kein anderes Oberhaupt als Papst und Kaiser« (S. 79, 80). (Vgl. auch S. 466.)


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