§ 3. Buch- und Bibliothekswesen.

(G. Abb.)

Mit der deutschen Ausgabe seiner 1927 erschienenen »Geschichte des Buches« ( 72a) hat der Direktor der Kopenhagener Universitätsbibliothek und verdienstvolle Herausgeber des dänischen Handbuchs für Bibliothekskunde, Svend Dahl, die deutsche Fachliteratur um eine wertvolle Gabe bereichert. In sehr klarem und anschaulichem Stil und fast populärer Darstellung behandelt der Verfasser das gesamte Gebiet von der Papyrusrolle der Ägypter bis zur Leninbibliothek in Moskau. Der Begriff »Buch« ist dabei im weitesten Sinne aufgefaßt; alle Sondergebiete, wie Geschichte der Bibliotheken, des Buchhandels, der Bücherpreise, die Entwicklung der Schrift und der technischen Ausgestaltung des Buches, sind in Betracht gezogen. Bei strittigen Fragen, wie dem Gutenberg-Coster-Problem oder der Vernichtung von Klosterbibliotheken z. Z. der Säkularisationen, zeigt der Verfasser ein ruhiges und unparteiisches Urteil. Nimmt man die übersichtliche Gliederung, den vorzüglichen Druck und die sachkundig ausgewählten Abbildungen hinzu, so muß zugestanden werden, daß bisher in deutscher Sprache keine bessere Einführung in das Gesamtgebiet der Bücherkunde erschienen ist. Nicht minder weit als das Dahlsche Buch hat sich die dem früheren Ersten Direktor der Berliner Staatsbibliothek Ernst Kuhnert gewidmete Festschrift ( 73) die Zeitgrenze gezogen. Eingeleitet von der auf eindringende Quellenbeherrschung gestützten Studie von O. Procksch über die Tätigkeit der hebräischen Amtsschreiber, Schriftsteller und Schriftgelehrten, bringt sie im ersten Teil die für den Historiker besonders interessante Untersuchung Fritz Milkaus, in der er für eine günstigere Auffassung des Menschen und Schriftstellers Cassiodor eintritt. Der zweite Teil der Festschrift ist hauptsächlich der Bibliotheksgeschichte gewidmet. Hervorgehoben seien die Arbeit W. Polthiers über die Havelberger Dombibliothek, zu der wahrscheinlich Norbert von Magdeburg den Grund legte, die aktenmäßige Darstellung der ersten Maßnahmen der preußischen Verwaltung für die Universitätsbibliothek Greifswald nach der Erwerbung Pommerns 1815 von Joh. Asen und Schillmanns Studie über das Bücherwesen des Deutschen Ritterordens, für das ihm


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die in den Inventaren und Rechenschaftsberichten der Ordensbeamten überlieferten Verzeichnisse zur Verfügung standen. Sehr nützlich ist auch die Zusammenstellung aller Hilfsmittel für die Familienforschung, die in der Staatsbibliothek vorhanden sind, von W. Transfeldt.

Das großzügige Unternehmen der vereinigten deutschen Akademien, die Herausgabe der mittelalterlichen Bibliothekskataloge ( 76), hat einen dritten starken Band hervorgebracht. Nach Niederösterreich und Bistum Konstanz ist nun auch Mitteldeutschland mit Erfurt an die Reihe gekommen. Zwei Universitätsbibliotheken, -- die Amploniana, besonders reich an rheinischen Handschriften, und die allgemeine Sammlung des Collegiums Universitatis, -- und zwei Klosterbibliotheken sind darin enthalten. Von dem Bibliothekar Jacobus Volradi der Karthause Salvatorberg stammt ein Riesenkatalog aus der 2. Hälfte des 15. Jhds., ein für Deutschland einzigartiges Denkmal bibliothekarischer Sorgfalt aus dem Mittelalter. Er umfaßt etwa 350 Druckseiten der Publikation und ist um so wertvoller, als die meisten Schriften nach Aufhebung der Karthause (1803) aus Erfurt fortkamen und durch ganz Europa verstreut wurden. Die buch- und bibliotheksgeschichtlichen Erkenntnisse, die aus diesem Quellenwerk geschöpft werden können, sind heute noch unübersehbar.

Der unvergleichliche Reichtum der Bibliotheca Augusta in Wolfenbüttel lenkt die Aufmerksamkeit auf ihre glänzenden Anfänge zurück, da der gelehrteste Vertreter des deutschen Fürstentums, Herzog August der Jüngere von Braunschweig-Lüneburg, sie 62 Jahre lang mit gleichbleibender Liebe betreute. Im Herrenhaus zu Hitzacker begann er 1604, wie P. Zimmermanns Studie im einzelnen darlegt ( 80), den systematischen Ausbau seiner Bibliothek, die bis zu seinem Tode auf 28 000 Bände anwuchs, fast das Dreifache des Druckschriftenbestandes der damaligen Königlichen Bibliothek zu Paris. Am erstaunlichsten aber ist die Katalogisierungsarbeit des Herzogs, die er 1625 nach einem an das System Konrad Gesners sich anlehnenden Plan eigenhändig begann. 3 Katalogbände, insgesamt 3692 Seiten, stammen von seiner Hand. Das nach seinen Angaben angefertigte komplizierte Drehpult, das die leichte Handhabung der schweren Katalogbände ermöglicht, reiht ihn unter die Ahnen der modernen Bibliothekstechnik ein.

Das neuere Bibliothekswesen nimmt seinen Ausgangspunkt von der Göttinger Universitätsbibliothek, und solange deren Geschichte nicht geschrieben ist, läßt sich eine solche für das deutsche Bibliothekswesen überhaupt im Zusammenhang nicht darstellen. Reiches Aktenmaterial ist sowohl im Göttinger Bibliotheksarchiv, wie im dortigen Universitätssekretariat vorhanden; seine Ordnung energisch in Angriff genommen zu haben, ist ein großes Verdienst der Bibliotheksverwaltung. Die Früchte dieser Arbeit werden in den Vorarbeiten zur Geschichte der Göttinger Universität und Bibliothek gesammelt und veröffentlicht, deren 5. Heft im Berichtsjahr vorliegt ( 74). Aus seinem Inhalt seien nur zwei Beiträge hervorgehoben: R. Ficks Untersuchung über das interimistische Bibliothekariat des Orientalisten Michaelis, der als Mensch, wie als Bibliothekar in eigentümlichem Helldunkel erscheint, und H. Füchsels Untersuchung zum Werdegang des Berufsbibliothekars, der sich erst spät aus der Personalunion mit dem Universitätsprofessor löste. Ein Erlaß des Hannoverschen Universitäts- Kuratoriums von 1843 hat für diese Entwicklung programmatische Bedeutung.

In Göttingen haben in den Jahren 1830--1837 die Brüder Grimm als Bibliothekare


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gewirkt. Wie P. Zimmermann für Lessings Wolfenbüttler Bibliothekariat, hat L. Zoepf ( 81) für die amtliche Tätigkeit der Brüder Grimm den wahren Sachverhalt von dem Legendenschleier befreit, der ihn verdunkelte. Es zeigt sich, daß auch hier der Widerstreit zwischen der wissenschaftlichen Produktion und der bibliothekarischen Berufsarbeit sehr zum Nachteil der letztgenannten ausfiel, da es diesen Männern nicht gelang, die zwischen beiden mögliche Synthese zu erkennen und zu verwirklichen.

Die außerordentlich sorgfältig gearbeitete und methodisch vorbildliche Monographie M. v. Hases über einen unbedeutenden Drucker der Reformationszeit ( 79) erzielt für die Identifizierung unsignierter Reformationsdrucke, für die Geschichte des Reformationsholzschnittes und überhaupt für die Ausbreitung reformatorischer Gedanken in lokaler Begrenzung neue Ergebnisse. Die Hauptquelle bilden die Erzeugnisse der Presse Johann Michaels, der mit einem kleinen Buchladen in den Lauben der Fundamente des Erfurter Domchors seine Tätigkeit begann. Durch Umfragen bei 130 deutschen und ausländischen Bibliotheken gelang es dem Verfasser, die erhaltenen Exemplare der 44 Drucke Michaels wohl fast vollständig aufzuspüren und sie in einer peinlich genauen Bibliographie zu verwerten. Luthers, Huttens und Cronbergs Schriften, meist Nachdrucke, stehen im Vordergrund, aber auch Karlstadt stellte Michael nach dessen Zerwürfnis mit den Wittenberger Freunden seine Presse zur Verfügung.

Gegenüber der fast im Übermaß anschwellenden zeitungskundlichen Forschung erscheint die Untersuchung, die J. Kirchner den kulturgeschichtlichen Grundlagen des Zeitschriftenwesens widmet ( 77), sehr verdienstlich. Die Arbeit setzt zeitlich die mit dem zweiten Jahrzehnt des 18. Jhds. schließende »Geschichte des Journalismus« von R. Prutz fort und umfaßt die erste große Blütezeit des Zeitschriftenwesens bis zum Jahre 1790. Schwierig war zunächst die begriffliche Abgrenzung der Zeitschrift von der Zeitung jenes Jahrhunderts; sie ist dem Verfasser zweifellos gelungen, wenn er die Zeitschrift als einheitlich geleitetes Ganzes mit begrenztem Interessentenkreis und Bezogenheit auf ein besonderes Fach- und Wissensgebiet über die mit der Zeitung gemeinsamen Merkmale hinaus begreift. Die erhaltenen Geschäftsbücher der Leipziger Verleger Breitkopf und Weidmann lieferten dem Verfasser den archivalischen Unterbau für die Darstellung der Produktionsverhältnisse der Zeitschriften, der sich eine aufschlußreiche Untersuchung über die Entwicklung der Zeitschriftentitel anfügt. Der zweite Halbband, der die Bibliographie der Zeitschriften bis zum Beginn der französischen Revolution umfassen soll, steht noch aus.


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