§ 31. Territorialstaat im Zeitalter des Absolutismus.

(H. Schubert)

In dritter Auflage erschien im Berichtsjahre F. Hartungs Deutsche Verfassungsgeschichte vom 15. Jhd. bis zur Gegenwart ( 1072).

W. Rohr ( 1078) weist auf Grund neuen Materials für die Altmark nach, daß entgegen der bisherigen, von O. Hintze und F. Hartung vertretenen Auffassung


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die ländlichen Kriegs- und Kreiskommissarien keineswegs im Verlaufe des 17. Jhds. verschwinden, sondern vielmehr während dieser ganzen Zeitepoche weiterbestehen. Er zeigt zugleich, wie in jedem der beiden Ämter, Kreisdirektor und Kreiskommissarien, welche die Wurzeln des späteren Landratsamtes bilden, ständisches und landesherrliches Element von Anfang an zusammenflossen.

Beweisen Rohrs Darlegungen, wie wertvoll für die Erweiterung des geschichtlichen Gesichtsfeldes eine umfassende und gründliche Benutzung archivalischer Quellen werden kann, so läßt H. Lippold in seiner Königsberger Dissertation über Die Kriegs- und Domänenkammer zu Bialystock ( 1079) es an einer solchen fehlen. Er gründet seine Ausführungen über Einrichtung und Verwaltungstätigkeit der von dem Freiherrn von Schrötter als Organisator der 1795 erworbenen Provinz Neuostpreußen ins Leben gerufenen Kammer einseitig auf die Akten dieser Behörde. Die Akten der vorgesetzten Behörde, des Generaldirektoriums in Berlin, berücksichtigt er gar nicht, obwohl bei demselben, wie auch ihm bekannt ist (S. 20), ein besonderes neuostpreußisches Provinzialdepartement gebildet war. Diese Unterlassung ist um so bedauerlicher, als die damals in den neuerworbenen Landesteilen eingerichteten Kammern verwaltungsgeschichtlichen als Zwischenstufen, die durch manche hier bereits durchgeführten Reformen, z. B. Trennung der Rechtspflege von der Verwaltung, zu den späteren preußischen Regierungen hinüberleiten, eine besondere Bedeutung haben, die auch Lippold mit Recht hervorhebt, und daher eine eingehendere Berücksichtigung verdienen.

A. Mell ( 1090) schildert Entstehung und erste Verwirklichung des großzügigen und weitschauenden Planes, durch den Kaiser Josef II. eine Verstaatlichung der Privat-Landgerichte in den sämtlichen böhmisch-österreichisch deutschen Erbländern mit Einschluß Galiziens erstrebte. Zwar ist die josefinische Kriminalgerichtsorganisation an finanziellen Schwierigkeiten, dem Widerstande der Patrimonialgerichtsherren und dem wachsenden allgemeinen Widerstreben gegen Josefs Reformtätigkeit im großen und ganzen gescheitert. Daß aber dem Organisationsplane Josefs II. durchaus der Blick für das Notwendige zugrunde lag, zeigt sich auch darin, daß sich die Gedanken des Kaisers etwa sechzig Jahre später in der österreichischen Gerichtsorganisation schließlich doch durchgesetzt haben. Daß Mell die Verdienste, welche sich Josef II. in seiner Reformtätigkeit gerade auf diesem Gebiete unstreitig erworben hat, hervorhebt, ist um so wertvoller, als diese Verdienste bisher nur in A. von Domin-Petrushevecz's Neuerer österreichischer Rechtsgeschichte, Wien 1869, eine eingehendere Würdigung gefunden haben. (Vgl. auch S. 510.)

Über die ortsgeschichtliche Bedeutung hinaus erhebt sich F. W. Mitters Arbeit über die Grundlagen der Gerichtsverfassung und das Eheding der Zittauer Ratsdörfer vom Beginne des 16. bis zum Ende des 18. Jhds. ( 1089). Mitter wendet besonderes Augenmerk der Stellung des Richters in der Gerichtsverfassung und seiner Bedeutung in grundrechtlicher Beziehung, sodann dem sogen. Eheding und den Ehedingsrügen zu. Er unterscheidet zwischen Erb- und Lehnsrichter und leitet die besondere Bedeutung des letzteren von der Stellung der Lokatoren der Kolonisationsperiode ab. Das Eheding, dessen Namen er mit dem aus der germanischen Gerichtsverfassung überlieferten echten Ding glaubt in Zusammenhang bringen zu dürfen, erklärt er als die jährliche Versammlung


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der gesamten dingpflichtigen Bewohnerschaft eines Zittauer Ratsdorfes, die für Geschäfte öffentlichrechtlicher Natur, insbesondere Fragen der Gemeindeverwaltung und der Ortsgerichtsverfassung zuständig war und sich dadurch wesentlich von dem Ortsgerichte, der Behörde der freiwilligen Gerichtsbarkeit, unterschied. Der ursprüngliche Zweck des Ehedings war (S. 130), der Ortsbevölkerung und dem Rate Gelegenheit zu geben, Angriffe auf Rechte der Grundherrschaft, der Gemeinde oder Einzelner in der Öffentlichkeit zu rügen, so daß sich in ihm das gesamte Gemeindeleben spiegelt. Die Ehedingsrügen decken sich inhaltlich im großen und ganzen mit den süd- und westdeutschen Weistümern und haben wie sie die Regelung des gutsherrlich-bäuerlichen Verhältnisses zum Gegenstande. Sie unterscheiden sich aber von ihnen dadurch, daß sie außer Gewohnheitsrecht auch Reste eigener rechtlicher Schöpfungen der Vorfahren enthalten wie Gemeindeordnungen, Dorfordnungen und Statuten, die aus einem beschränkten, allmählich von der Grundherrschaft eingedämmten Selbstsatzungsrechte der Kolonisationsgemeinden heraus geschaffen worden sind (S. 149/150). Miller hat es verstanden, an der Hand der vom 16. Jhd. an entstandenen Ehedingsrügen vor Augen zu führen, wie viel innere Kraft sich der Bauer des ostdeutschen Kolonisationslandes bis in die Neuzeit bewahrt und wie er sie rechtsbildend zu entfalten gewußt hat.


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