I. Allgemeines.

Die »Methoden der Verfassungsschöpfer im 19. Jhd.« unterzieht A. Wahl ( 1073) einer vergleichenden Betrachtung. Stofflich bietet er nichts Neues, denn er leitet die Methoden aus der Vergleichung der Verfassungstexte ab, ohne sich im einzelnen um die wirkliche Entstehungsgeschichte zu bekümmern. Infolgedessen hören wir für Deutschland nur die bekannten Tatsachen, daß die Charte von 1814 die ersten süddeutschen Verfassungen beeinflußt hat, daß später Belgien das Musterland geworden ist und daß die Paulskirche sich in vielem nach den bundesstaatlichen Verfassungen der Vereinigten Staaten und der Schweiz gerichtet hat. Eigenartig dagegen ist das Urteil, das W. auf Grund seiner Betrachtungen über die Verfassungen fällt. Es ist nicht historisch, sondern politisch. Für W. ist der Rationalismus »heute wieder der Feind« (S. 198 Anm.), und ihm will er zu Leibe gehen, indem er alle Verfassungen kritisiert, an deren Entstehung er, sei es in rein theoretischem Neugestalten, sei es in Nachahmung fremder Vorbilder, mitgewirkt hat. Seltsam ist dabei nur, daß W. selbst in seinem Kampf reinster Rationalist ist, nur bewußtes »Machen« von Verfassungstexten kennt und die die Entwicklung bestimmenden Kräfte völlig übersieht. So kann er die groteske Ansicht aufstellen, daß der »für das 19. Jhd. so maßgebende konstitutionelle Verfassungstypus durchaus infolge eines Mißverständnisses« entstanden sei (S. 200), während er doch Ausdruck eines Gleichgewichts zwischen den alten monarchischen und den neuen demokratischen Elementen der einzelnen Staaten ist und in seiner weiteren Gestaltung durch die Verschiebung der Gewichte bedingt ist. Als allmähliche Verschiebung der Gewichte, die also durchaus als organisch-historische Entwicklung, nicht als bewußte Übernahme englischer Einrichtungen zu bezeichnen ist, möchte ich auch im Gegensatz zu W. (S. 217) den Übergang vom monarchischen


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Konstitutionalismus zum parlamentarischen System verstehen, den W. einmal als (doch wohl unbewußtes) Hineingleiten, wenige Zeilen später aber als eine der historischen Methode ins Gesicht schlagende Nachahmung charakterisiert.

Angeregt durch die tagespolitische Frage der Reichsreform betrachtet Fleischmann ( 1074) das »Verfassungserbgut von Reich zu Reich«. Als solches erscheinen ihm besonders die territoriale Gliederung des Reichs, von der er freilich eher als Erbübel sprechen möchte, und die Spannung zwischen Einheit und Föderalismus. Kann auch in dem knappen Rahmen einer akademischen Rede nichts wesentlich Neues gesagt werden, so finden sich doch neben der klaren Heraushebung des »Erbguts« manche gute Formulierungen, z. B. der Vergleich der Novemberverträge von 1870 mit den alten kaiserlichen Wahlkapitulationen. Verwandt mit dieser Schrift ist die gleichfalls aus einem Vortrag erwachsene Schrift Hallers ( 1073 a) über Bundesstaat und Einheitsstaat, die gegenüber der aus politischen Interessen erwachsenen Dogmatisierung der Bismarckschen Verfassung diese aus ihren historischen Voraussetzungen würdigt. Nichts Neues bietet Moser ( 1075 a) mit seiner Behandlung der Ministerverantwortlichkeitsfrage von 1867. Auch G. Meyers Dissertation über Unitarismus und Föderalismus ( 1076) läßt unbefriedigt, weil sie die Haltung von vier Münchener Zeitungen zu den wichtigsten innerpolitischen Fragen der Jahre 1871--1890 nur summarisch behandelt und in die feststehenden Kategorien »Unitarismus« und »Föderalismus« einschachtelt, statt durch Eindringen ins einzelne eine feinere Nuancierung zu erzielen. An den Problemen, die der Stoff bietet, z. B. an dem Verhältnis von Unitarismus und Reichstagsparlamentarismus geht die Arbeit vorüber, obwohl es sowohl bei der Frage der Reichsfinanzen wie der der Reichseisenbahnen in dem behandelten Zeitraum berührt worden ist.


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