7. Gewerbe und Industrie.

Die Entwicklung der Cottbuser Tuchindustrie von F. Schmidt ( 1217) ist eine gewissenhafte verständnisvolle Arbeit, geschöpft aus den Beständen des dortigen Stadtarchivs. Die Entwicklung jenes wichtigen Gewerbezweiges wird von den frühesten Zeiten bis zur Gegenwart verfolgt, das Buch ist mit Bildern und statistischen Nachweisen gut ausgestattet. Nicht glücklich ist die Einteilung: 1. Zunftmäßiges Handwerk als Hausindustrie bis 1700 (S. 3--24), 2. Zunftgerechte Handarbeit unter der Herrschaft des Merkantilismus bis 1806 (S. 27--137). Das Jahr 1700 bedeutet doch in keiner Hinsicht einen Einschnitt; dagegen wird ein wirklich wichtiger, ja epochemachender Vorgang, nämlich die Aufnahme der feinen Tuchfabrikation mit spanischer Wolle nach Aufhebung des Lagerhausmonopols seit 1787 in der Darstellung (S. 92 ff.) so wenig hervorgehoben, daß der nicht schon mit den Verhältnissen Vertraute ihn kaum genügend beachten wird. Tuchscherer und Tuchbereiter werden einmal als ein, dann als zwei Gewerke hingestellt (S. 45 ff.); in Berlin und anderwärts bildeten sie getrennte Zünfte.

Die Monographie von Trensch über die Chemnitzer Strumpfwirkerinnung ( 1209) gibt zugleich einen guten Einblick in die Geschichte der gewerbsmäßigen Strickerei und Wirkerei überhaupt. Innungen entstanden dabei erst spät: die der Barettmacher und Strumpfstricker 1653, die der Wirker 1723, deren Artikel von 1755 sind abgedruckt. Die Wirkermeister wurden wirtschaftlich immer abhängiger von kaufmännischen Verlegern, und aus diesen wurden im 19. Jhd. Fabrikanten, die Lohn- oder Heimarbeiter beschäftigten. Ihr formelles Ende fand die Innung aber erst nach Einführung der Gewerbefreiheit in Sachsen, 1863.

Eine Sonderstellung nimmt die Eisen- und Stahlindustrie in der Grafschaft Mark insofern ein, als dort aus den üblichen Konkurrenzkämpfen heraus von den Interessenten Produktions- und Absatzorganisationen, ähnlich den heutigen Kartellen, damals Stapel genannt, an den drei Hauptgewerbeorten Altena, Iserlohn und Lüdenscheid geschaffen wurden. So bestand der Iserlohner Kratzendrahtstapel von 1722 bis 1814. Die Abhandlung von Klingelhöfer ( 1195) bringt neues Material über die eigenartige Wirtschafts-, Zunft- und Kartellgeschichte dieses Zweiges. In Iserlohn wurden vornehmlich Kratzendraht, Nadeln und von der Panzermacherzunft anstelle der ehemaligen Ketten- und Ringpanzer sog. Panzerwaren d. h. Haken, Ketten, Ringe u. a. Kleineisenwaren hergestellt. Die englische Konkurrenz vernichtete nach den Befreiungskriegen die Drahtindustrie und andere Zweige und es blieben nur noch Nähnadeln, Stahlfedern und Messingwaren der Iserlohner Industrie erhalten.


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Mit eindringlichem liebevollem Verständnis, klug und anschaulich schildert Pischel die Thüringische Glashüttengeschichte ( 1205). Die Darstellung beruht auf gründlichen Forschungen. Die erste, kürzere Hälfte behandelt Entstehung und Schicksal der einzelnen Hütten, die zweite das allen Gemeinsame: Technik der Herstellung und Handel, das Soziale -- Familienzusammenhänge und Werkgenossenschaften --, das geistige Leben, die Verflechtung mit der Wirtschaftspolitik, den Übergang vom Holz zur Kohle, die Ausweitung der Fabrikation im 19. Jhd. und schließlich ihren heutigen Stand. Treffend wird betont, daß die Fortschritte in dieser Industrie nicht dem Kapitalismus, sondern einzelnen Persönlichkeiten zu danken sind.

Das prächtige Buch von Bayer über die Ansbacher Fayence-Fabriken ( 1182) ist kunstgeschichtlich, nicht wirtschaftsgeschichtlich orientiert. Neben der von 1710 bis 1804 bestehenden Fayence-Manufaktur wird auch die dortige Porzellanfabrikation (seit 1758) und die Herstellung von Braunporzellan und Steingut berücksichtigt.

Ganz abweichend davon geht Dorothea Bensch ( 1213) bei der Behandlung eines nah verwandten Gegenstandes durchaus von wirtschaftsgeschichtlicher Fragestellung aus; sie unterscheidet sich dadurch auch von Erzgraber, Königlich Berlin, 1925, welche Schrift sie übrigens nicht zu kennen scheint. Die Berliner Porzellanmanufaktur wird von B. als ein Zweig der Friderizianischen Wirtschaftspolitik, ein besonders ausgezeichnetes Beispiel intensiver und erfolgreicher merkantilistischer Praxis sorgfältig systematisch untersucht, wobei neben den Akten des Staatsarchivs auch die der staatlichen Porzellanmanufaktur selbst benutzt sind. Im besonderen werden die Organisation des Betriebes, dabei auch die soziale Seite, die Lohnverhältnisse behandelt, ferner die Maßnahmen zur Förderung des Betriebs und die Organisation der Absatzverhältnisse, schließlich Friedrichs Stellung als Fabrikherr. Wir erhalten damit ein vortreffliches Bild der Anfangsentwicklung jener bedeutenden Manufaktur der Zeit, die ihren Weltruf begründete und die zugleich ihre Glanz- und Blütezeit war.

Es sei hier noch verwiesen auf die große illustrierte Geschichte des deutschen Fleischerhandwerks vom 12. Jhd. bis zur Gegenwart, von O. D. Potthoff, im Verein mit einigen Mitarbeitern verfaßt und 1927 im Askanischen Verlag erschienen (XIV, 510 S.), ein Werk, das mir im vorigen Jahre nicht zugänglich war und daher nicht rechtzeitig angezeigt werden konnte. Das stattliche und prächtig ausgestattete Buch ist dazu bestimmt, die Vergangenheit dieses Gewerbes dessen Angehörigen bekannt zu machen, ist aber trotz seines populären Gewandes wissenschaftlich gut fundiert. Nur hätte der Verf. hinsichtlich der Entstehung der Zünfte nicht der überholten Eberstadtschen Theorie folgen und die »Magisterien« des 12. Jhds. als Urformen der Innungen hinstellen sollen. Als ältestes überliefertes Privileg einer Fleischerzunft wird das der Basler »Zunft zu Metzgern« von 1248 mitgeteilt.

Die Arbeit von Lindow über die gewerbliche Sozialpolitik in der brandenb.-preußischen Merkantilzeit ( 1164) benutzt nur gedrucktes Material und auch dieses nicht vollständig; ihr ist das wichtigste in Betracht kommende Werk, Meyers zweibändige Handwerkerpolitik, entgangen, auch einige Berliner Zunftgeschichten hätten gut zustatten kommen können. In der Hauptsache sind die brandenb. Ediktensammlungen und die gedruckten Berg- und Hüttenordnungen verwendet. Indem aus unzulänglicher Kenntnis heraus konstruiert wird, kommen


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oft sehr schiefe Urteile zutage. Die Schrift ist also eher irreleitend als fördernd, sie ist auch durch das im vorigen Jahresber. (S. 339) angezeigte, sehr viel gründlichere Buch von K. Hinze über die Arbeiterfrage gutenteils überholt.


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