1. Gesamtdeutsche Entwicklung.

Johannes Ecks ( 1349) zuerst 1538 veröffentliche »Explanatio psalmi vigesimi« verdient eine erheblichere Beachtung höchstens der hebräisch-aramäischen Notizen wegen, die sie aufweist, nicht als Beitrag zur Bibelexegese. Denn Eck verfügte als Lehrer der Exegese zwar über eine lebendige und individuell betonte Darstellungsgabe, pflegte aber kompilatorisch -- natürlich im guten Sinne dieses Begriffes -- zu verfahren und ungebahnte Wege nicht zu gehen. Der Neuherausgeber Walde hat der Schrift in einem sehr anerkennenswerten Ausmaß seine gelehrte Fürsorge angedeihen lassen. Zur Feststellung von Zitaten und Klärung von grammatisch-lexikalischen Abhängigkeitsverhältnissen ist sogar ein erheblicher Teil von Ecks Bücherbesitz in seinen in der Universitätsbibliothek München noch heute nachweisbaren Beständen verglichen worden.

Von Pastors ( 1350) »Geschichte der Päpste« ist ein Doppelband zu verzeichnen, der in den Pontifikaten des ersten Zöglings der Gesellschaft Jesu auf dem päpstlichen Stuhl, des trotz seiner körperlichen Hinfälligkeit verdienstvollen Gregor XV. (1621--1623), und des mit geistigen Gaben reich ausgestatteten, dennoch angesichts der Zeitlage nicht sehr erfolgreichen Urban VIII. (1623--1644) die Aera des Dreißigjährigen Krieges bis kurz vor ihr Ende führt. Es bedarf keines Wortes, daß innerhalb dieses Bandes den vielgestaltigen, freilich in ihrer Mehrzahl wenig ansprechenden politischen Vorgängen der Epoche eine hervorstechende Bedeutung auch für den Ablauf der innerkirchlichen Entwicklung eignet. Insbesondere für den langen Pontifikat des Barberini-Papstes vermag Pastor dank seinem heißen Bemühen um archivalische Funde und seinem die Dinge mehr glättenden als gegeneinander treibenden Urteil die Ergebnisse der Forschung unmittelbar vor ihm -- vgl. über die Sachlage namentlich G. Wolf in Zeitschrift für Kirchengeschichte 48 (1929), S. 94 f. -- noch wieder zu bekräftigen. Urbans Haltung zur Gesamtheit der Mächte erscheint also trotz seiner nach wie vor unzweifelhaften französischen Sympathien erneut gerechtfertigt. Die böse Rückwirkung der Politik Richelieus auf die katholische Restauration in Deutschland wird in erfreulicher Übereinstimmung mit Ranke und Späteren rückhaltlos bejaht. Ein bevorzugtes Augenmerk gilt dem in einer großen Zahl deutscher Territorien und bischöflicher Sprengel festzustellenden Fortschreiten der kirchlichen Reform, deren Durchführung mittels des staatlichen Armes zum Teil »den strafenden Charakter der Gewalttätigkeit« an sich


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trug. Auch manche Ausführungen des Bandes über die zahlreichen allgemeinkirchlichen Neuentfaltungen der Periode, ihr besonders reiche Blüten treibendes Ordens- und Missionswesen, sonstige Angelegenheiten des Frömmigkeitslebens und der geistlichen Disziplin sind für die deutsche Kirchengeschichte wesentlich. Der heimgegangene Verfasser der »Geschichte der Päpste« hat, wie inzwischen im Vorwort zu Band XIV, 1 (1929) seines Werkes authentisch bestätigt worden ist, nicht nur Helfer für das Archivalische und Bibliographische und Technische, sondern auch Kenner von Einzelgebieten zu regelrechten Mitarbeitern gehabt. So ist laut P. M. Baumgarten (in 1350) an seinen den Jesuitenorden direkt oder indirekt berührenden Abschnitten C. A. Kneller S. J. wesentlich beteiligt, so stammen in dem uns hier beschäftigenden Band die Kapitel über die Gründung der Propaganda und über Propaganda und Missionen großenteils von J. Schmidlin -- vgl. Zeitschrift für Missionswissenschaft 19 (1929), S. 183 ff. --; die Mitarbeit weiterer Gelehrter darf als wahrscheinlich gelten. Baumgarten hat durch seine Hinweise, daß sich in den in früheren und dem diesmaligen Band der Gesellschaft Jesu und ihren Gegnern gewidmeten Abschnitten Einseitigkeiten zugunsten des Ordens und seiner Meinungen finden sollen, sowie durch einige eigene Arbeiten -- besonders das Buch: Neue Kunde von alten Bibeln 1 (1922); 2, 1 (1927) -- Kontroversen zur Kirchengeschichte der zweiten Hälfte des 16. und des beginnenden 17. Jhds. heraufgeführt, in denen bisher eine Einigung nicht möglich war. Vgl. namentlich den Disput zwischen ihm und Kneller in der Zeitschrift für katholische Theologie 52 (1928), S. 74 ff., 312. Die gegen die Haltung Pastors in dieser oder jener Hinsicht erhobenen Bedenken können und dürfen die Anerkennung dafür nicht verringern, daß der hier neu anzuzeigende Teil seines Werkes in der quellenmäßigen Belichtung und darstellerischen Zusammenschau der Geschichte der deutschen Kirche im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges sehr Erhebliches leistet.

Duhr ( 1351) hat seine »Geschichte der Jesuiten in den Ländern deutscher Zunge« für die ersten drei Viertel des 18. Jhds. bis zur Aufhebung des Ordens unter Clemens XIV. fortgesetzt. Auch in diesem Teil seines Werkes ist es ein ungemein vielgestaltiges Panorama, das sich vor uns auftut. Der erste große Rundblick erläutert die Gliederung des deutschen Zweiges der Gesellschaft in die ganze Reihe seiner Provinzen und Missionsbezirke und steigt auch zu den zahlreichen ein mehr oder weniger individuelles Leben führenden Einzelniederlassungen herab -- das alles für den weiten Raum zwischen Österreich und den im Norden liegenden Gebieten, vom Oberrhein bis nach Ostpreußen. In ihrer zweiten Hälfte versucht die Darstellung in die inneren Verhältnisse und die Schicksale der Gesellschaft während des Aufklärungsjahrhunderts in Deutschland einzuführen, sowie uns mit der damaligen Betätigung und den Leistungen ihrer Mitglieder bekannt zu machen, auf so mannigfaltigen gelehrten und seelsorglichen Gebieten sie immer auch liegen mochten, ob sie sich in der Heimat oder ob sie sich etwa in den überseeischen Missionen auswirkten. Jenseits alles bloßen Zusammentragens von Einzeltatsachen soll aber auch in wahrheitsgetreuer Spiegelung der Vergangenheit über die für ein solches Werk gewiß sehr naheliegende allgemeine Frage entschieden werden, »ob die Jesuiten, speziell in den Ländern deutscher Zunge, ihren Idealen untreu geworden sind und ihren Untergang verdient haben«. Duhr sieht durch sein Werk diese Frage endgültig nach der negativen Seite hin entschieden. Der kritische Beurteiler wird bei uneingeschränkter


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Anerkennung der in dem Buche steckenden Arbeitsleistung, wie ich vermute, Anstand nehmen, sich einer so weitgehenden Folgerung anzuschließen. Gewiß, an der zuverlässigen Wiedergabe der vielen tausend aus ungedruckten Quellen und der Literatur belegten Mitteilungen bei Duhr darf ebensowenig gezweifelt werden wie an dem einleitend noch einmal ausdrücklich beteuerten guten Willen des vielverdienten gelehrten Verfassers, peinliche Objektivität zu wahren. Anderseits neigt der ganze Tenor des Bandes gewiß mehr einer mit Vorliebe ausgleichenden und belobenden Beurteilung aller in Frage kommenden Personen -- nicht zuletzt derjenigen der Ordensgenerale! -- und Dinge zu als der Anwendung bohrender historischer Kritik, obwohl nur diese den so empfindlich reagierenden Problembereich gut durchleuchten würde. Zweitens gebricht es der Darstellung an der erforderlichen engen Verklammerung ihrer Einzelthemen mit der allgemeinen kirchlichen, politischen und kulturellen Zeitentwicklung; der geruhsame Fluß einer Sondererörterung oder gar die Einzelheit verstehen es, mehr als erwünscht die große Linie zurückzudrängen, oder sie lassen es überhaupt nicht zur Bildung einer solchen kommen. Schließlich hat sich auch eine ganz gleichmäßige Beackerung der verschiedenen Tätigkeitsfelder der Gesellschaft nicht als möglich erwiesen; Duhr hat z. B. die Schwierigkeiten einer erschöpfenden Behandlung des Schrifttums des Ordens selbst stark betont. Vgl. über diese Dinge meine Einzelbesprechung des Bandes in der »Theologischen Revue«. Wir besitzen nun also eine gewichtige Stoffsammlung über die Geschichte der deutschen Jesuiten im 18. Jhd., die auch schon der künftigen völligen Aufhellung des umfassenden Gegenstandes wesentlich vorarbeitet. Heute reichen für eine letzte Durchdringung und abschließende Beurteilung die Vorstudien noch nicht aus.

Löst man den Kern des Aufsatzes von Körner ( 1352) aus der ihn umkleidenden Hülle mehr allgemeiner Reflexionen zur Theorie und Geschichte der Romantik los, so bleibt die Analyse einer persönlichen Entwicklungsphase August Wilhelm Schlegels, die ihn zwischen 1800 und 1818, also auf dem Anstieg zur Höhe seines Lebens, nicht ohne erhebliche Beeinflussung durch seinen Bruder Friedrich über einen »halbschlächtigen Philokatholizismus« hinweg zu einer, wie es heißt, »einfältigen Überzeugung« in katholischen Sinne brachte. Diese Entwicklung orientierte sich trotz »umfassender historisch-theologischphilosophischer Studien über Religionsgeschichte, Bibel und Kirchenväter« vornehmlich an den Empfindungen der Romantik, an Mystik und Theosophie; ich finde bei Körner nichts darüber, daß sie je in ein verstandesklares Überzeugtsein von der Wahrheit des kirchlichen Dogmas eingemündet ist. Erst Schlegels Verlobung mit Sophie Paulus in Heidelberg, der Tochter des rationalistischen Theologen, ließ ihn sich wieder von der katholisierenden Bahn entscheidend abwenden. Dieser Zusammenhang ist auch nach Körner »doch wohl ein starker Beweis für die Schwäche seiner religiösen Anlage, für die Unursprünglichkeit seiner Glaubensbedürfnisse, für die innere Verlogenheit seines übersinnlichen Schwärmens« (S. 78).

Kapfinger ( 1356) zeigt den durch Ringseis, Görres, Cornelius, Baader, Oberkamp, Aretin, Döllinger und andere 1828 bis 1832 in München gebildeten, nach dem von ihm übernommenen literarischen Organ seinen Namen tragenden »Eos«-Kreis in seinem tief gedanklich und grundsätzlich, von einem »katholischrestaurativen« Standpunkt aus geführten Kampf mit dem zeitgenössischen Liberalismus


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auf. Auf kirchenpolitischem Gebiete wurden die christliche Grundlegung des Staates und das gleichberechtigte Nebeneinanderwirken von Staat und Kirche, auf verfassungspolitischem die ständisch-patriarchalische Gliederung der Gesellschaft, auf dem Gebiete des Wirtschaftslebens die Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte Parole und Forderung. Der laute Gegensatz des Liberalismus zu diesen Anschauungen und der Umstand, daß König Ludwig I. ihn ausgiebig in Rücksicht zog, brachten die »Eos« bald in Schwierigkeiten und einige Zeit später zum Erliegen. Kapfingers mit erheblicher Anregungskraft geschriebene Untersuchung will in erster Linie der Geschichte der Publizistik dienen und stellt deshalb eine sorgsame Analyse des Inhalts der Zeitschrift in den Vordergrund. Aus ihr ist gerade auch für die kirchlichen Anschauungen und Beziehungen der »Eos« und des Münchener Kreises viel zu lernen.

Lösch ( 1357) legt einen vorzüglich ausgestatteten Band von Aktenstücken, Briefen und Erinnerungsblättern vor, die alle die bedeutende und anziehende Persönlichkeit Johann Adam Möhlers umranken. Er ist als Vorläufer zu einer endgültigen Biographie des schwäbischen Theologen gedacht. Der stattlichen Zahl der bisher schon bekannten, aber zum Teil an für die Allgemeinheit schwer zugänglichen Stellen bereitgehaltenen Stücke gesellt er noch eine beträchtliche Reihe Möhler ergänzend charakterisierender hinzu: Ich mache nur auf die neuen Briefe von der Studienreise des angehenden Dozenten im Winterhalbjahr 1822/23 sowie auf die ansehnliche Reihe der Schreiben aufmerksam, die der Professor seit 1828 seinem in der Seelsorge stehenden jüngeren Bruder Antonin gesandt hat. Die mit gewissen Abweichungen chronologisch geordnete Folge des Ganzen begleitet den Verfasser der »Symbolik« von Anbeginn seines akademischen Studiums 1813 bis in die Zeit der Klage um seinen frühen Tod. Wiegt das Persönliche, Wissenschafts- und Zeitgeschichtliche in ihm vor, so ist doch auch der fachtheologischen Auseinandersetzung und dem religiös-apologetischen Zuspruch an Laien ein erheblicher Raum verstattet. Der theologische Genius in Möhler leuchtet etwa in seinem Sendschreiben von 1835 an den Straßburger Fachgenossen Bautain, der religiöse namentlich in manchen der Familien- und Freundesbriefe auf, das Werden des Menschen entschleiert sich noch nicht ganz. Der Herausgeber des Bandes macht einleitend eine Feststellung zur Zeitlage von damals, die seine innere Unabhängigkeit und geistige Weitsicht ehrt. Er erklärt nämlich, daß die Akten aus Möhlers Leben der im 19. Jhd. »fast zum festen Bestand gewordenen Überlieferung« den Boden entzögen, »als ob die Errichtung des Katholischen Kirchenrats Stuttgart nur als Ausdruck einer staatskirchlichen Periode erfolgt wäre und nur als Ausfluß eines derartigen Systems in der ersten Hälfte des 19. Jhds. sich bewährt hätte« (S. VI). Man vergleiche zu diesem Gegenstand auch noch das weiter unten zu besprechende Werk von Hagen Bd. I, S. 53 ff. Was die Sammlung von Lösch jedem für die kirchliche Entwicklung der Frühzeit des vorigen Jhds. tiefer Interessierten auch über das Möhler-Thema hinaus unentbehrlich machen wird, ist die Ausstreuung einer wahrhaft köstlichen Fülle von bibliographischen und biobibliographischen Hinweisen in ihr, die auch an manches entlegene Gut heranführen.

Schrörs ( 1359) stellt uns noch einmal das Zeitalter der Kölner Wirren in anschaulicher Pinselführung vor Augen. Wenn etwas geeignet erscheint, zu zeigen,


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bis zu welcher Siedehitze die Atmosphäre im Rheinland damals politisch und kirchenpolitisch geladen war, dann dürften es diese Mitteilungen von ihm über die in der Provinz im Dienste Berlins tätige Geheimpolizei sein, ganz besonders über ihren, man ist versucht zu sagen, klassischen Repräsentanten, den Landrat Schnabel von Mülheim am Rhein. Kein Zweifel, der Argwohn, der ihn und seinesgleichen beseelte, die Aufbauschungen und Verwechslungen, die diesen Leuten bezüglich der kirchlichen »Partei« von damals, namentlich ihrer in der lebendig katholischen Grenzstadt Aachen wohnenden Häupter und Vertreter und derer belgischer Beziehungen untergelaufen sind, berühren uns Nachgeborene zum Teil grotesk. Schrörs ist der letzte, den übereifrigen und wenig urteilsfähigen Akteuren im preußischen Beamtenrock leichthin Pardon zu geben. Anderseits ringt ihm seine durch und durch wissenschaftliche Einstellung zu den Dingen auch wieder das Zugeständnis ab, daß trotz allem die Angaben der Geheimpolizei »mit ernster und vorsichtiger Kritik als geschichtliche Quelle« benutzt werden müssen (S. 60). --Bastgen ( 1360) leuchtet mit Hilfe etlicher in den Bereich der Wiener und Münchener Nuntiatur fallender vatikanischer Aktenstücke hinter einige Kulissen des ersten Kölner Dombaufestes vom 4. September 1842. Es ergibt sich, daß Metternich die Feier als eine Episode im Kampfe um die Vorherrschaft zwischen dem katholischen Österreich und dem protestantischen Preußen betrachtete, daß er deshalb König Friedrich Wilhelm IV. vom Festgottesdienst fernhalten wollte -- ein Plan, gegen den sich das »ius murmurandi« der Kölner Bevölkerung erfolgreich wehrte --, daß er sich durch die Beteiligung Österreichs am Dombau »das Einspruchsrecht gegen eine drohende Einführung des protestantischen Kultus« im Dome sichern wollte (S. 299), daß er die Gelegenheit benutzen wollte, den König von Preußen auf die Gefahren »seines falschen, den Revolutionären angenehmen politischen Systems« hinzuweisen (S. 301). Metternich war von Geißel und dem religiösen Sinn der rheinischen Bevölkerung entzückt, bedauerte aber das Fernbleiben der römischen Prälatur, zumal unter den 73 Ehrengästen im Dom nur 6 Katholiken waren.

Foersters ( 1361) Vortrag über Liberalismus und Kulturkampf verficht die These, daß die Verkörperung der auf der Seite des Staates eigentlich anspornenden und treibenden Kräfte, der preußische Kultusminister Falk, »den Kampf nicht von liberalen Grundsätzen aus geführt hat, sondern gerade aus seiner Gebundenheit an die alte Tradition des preußischen Staates, die in seinem Charakter als ein protestantisches Gemeinwesen verwurzelt war« (S. 558). Er gibt auch zu, daß der katholischen Seite von ihrem Kirchenbegriff aus der Kampf als ein »Kampf gegen die Religion und gegen die Kirche als religiöse Institution« erscheinen mußte (S. 555). Ich stehe nicht an, bei aller Reserve gegen Einzelheiten Foersters wohldurchdachte Studie im ganzen als Fortschritt in der Vertiefung und Annäherung der Meinungen zu werten, und weise unter diesem Gesichtspunkt gern eindringlich auf sie hin.


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