a. Italien.

Mit Huizingas Ausführungen über das »Problem der Renaissance« ( 1504) kommt es zur Wiederaufnahme von Forschungen über die Entwicklung des Renaissance-Begriffs, die Goetz, Brandi, Burdach, Borrinski und Philippi vor Jahren angestellt haben. H. faßt die damals gewonnenen Ergebnisse noch einmal zusammen und läßt dabei die Problematik der modernen Renaissance- Auffassung erkennen, die er besonders darin sucht, daß Burckhardts Gleichsetzung der Renaissance mit »Individualismus und Weltsinn« durch fortschreitende Inanspruchnahme für ma.liche »Protorenaissancen« ihre »Spannkraft gänzlich verloren« habe. H. warnt davor, die Bedeutung des »Individualismus« für die Renaissance zu übertreiben, das Zeitalter in einem zu modernen Lichte zu sehen oder ihm gar religiös indifferenten oder heidnischen Charakter zuzusprechen. Er glaubt mit Burdach an eine ursprüngliche Einheit der weltlichen »Renaissance« mit religiösen »Wiedergeburts«-Ideen und erklärt wie dieser die späteren Begriffe Renaissance und Reformation als »partielle und verengerte Anwendungen der anfänglich sehr weiten Erneuerungsidee«. Die Renaissance hat also für H., im Vergleich mit Burckhardt, an Eigenwesen und Eigenwert verloren. Sie hat manche Züge mit der Reformation gemein und steht auch dem MA. näher, als Burckhardt glaubte. Beim Vergleich zwischen MA. und »moderner Welt« erscheine die Renaissance durchaus nicht als der Durchbruch der Neuzeit. »Weder als reiner Gegensatz zur ma.lichen Kultur kann die Renaissance


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gelten, ja nicht einmal als Grenzzone zwischen ma.lich und modern. Von den wesentlichen Trennungslinien zwischen der älteren und der jüngeren Geistesbildung der westlichen Völker verlaufen einige zwischen MA. und Renaissance, andere zwischen Renaissance und 17. Jhd., einzelne mitten durch die Renaissance hindurch und mehr als eine schon durch das 13. oder erst durch das 18. Jhd. Wendungen und Schwankungen, Übergänge und Vermischungen von Kulturelementen: das ist es, was das Bild der Renaissance erfüllt... Es ist ein eitles Streben, den 'Renaissancemenschen' beschreiben zu wollen.« Was aber bleibt dann als Aufgabe der Renaissanceforschung? Man darf H.'s Meinung vielleicht so formulieren: Eine Übertragung der psychologisch-motivgeschichtlichen Fragestellung auf die Renaissance, die H. in seinem »Herbst des MA.« mit so großem Erfolge auf den burgundischen Kulturkreis angewandt hat. »Die besonderen Qualitäten der Renaissance-Gesellschaft, jede für sich genommen, sind es, auf die sich die Untersuchung richten muß. Burckhardt hat diesen Weg glänzend eröffnet, als er die Ruhmsucht und den Spott der Renaissance ins Auge faßte. So möchte man auch den Mut, die Eitelkeit, die Ehrlichkeit der Renaissance behandelt sehen, ihr Stilgefühl, ihren Hochmut, ihre Begeisterung, ihr kritisches Bewußtsein.« Gewiß, psychologisch wäre dies interessant genug, aber würde man dadurch die geistige Bedeutung der Renaissance, das, was ihre kulturelle Leistung einzigartig macht in der europäischen Geschichte, viel klarer sehen? Mir scheint, der Grund, weshalb H. einen wesenhaften Unterschied der Renaissance vom MA. nicht anzuerkennen vermag, liegt gutenteils in der Anwendung dieser, bei aller Lebendigkeit zu sehr im Psychologischen verhafteten Methode.

Ein wichtiges Ereignis für die Forschung über die italienische Renaissance ist der Abschluß von Burdachs großem Rienzo-Werk. Durch den Krieg war dieses auf sechs Bände berechnete Unternehmen -- eine Unterabteilung des Werkes »Vom MA. zur Reformation« -- ins Stocken geraten. Nur die Edition der Briefe Rienzos und der Quellen zu seiner Lebensgeschichte war bei Kriegsausbruch abgeschlossen. Von der Monographie über »Rienzo und die geistige Wandlung seiner Zeit« fehlte die 2. Hälfte, und ebenso fehlten der Kommentar und eine geplante Quellenkunde zur Ausgabe der Rienzo-Briefe. Jetzt endlich sind nach langer Pause die fehlenden Bände rasch hintereinander erschienen. Für 1928 liegen der 2. (größtenteils schon vor dem Kriege ausgedruckte) Halbband der Monographie und die Quellenkunde vor ( 1507); für 1929 wird der Kommentar und damit der Abschluß des ganzen Rienzo- Werkes anzuzeigen sein. Es ist notwendig, sich jetzt noch einmal den Sinn dieser ganzen, schon vor dem Abschluß umstrittenen Arbeit über das italienische Trecento klarzumachen. B.s Forschungen auf diesem Gebiete sind nicht um ihrer selbst willen unternommen worden, sondern um seine neue Auffassung von der Kultur Böhmens im Zeitalter Karls IV. historisch zu unterbauen. (Vgl. über diese Jhg. 1926, S. 492 f.) Denn diese böhmische Bewegung war nach seinen Feststellungen aufs stärkste beeinflußt, ja ausgelöst durch den italienischen Humanismus. B. mußte sich also darüber klar werden, was der italienische Humanismus im 14. Jhd. Deutschland an Anregungen zu bieten hatte. So traten Forschungen über Italien in den Bereich eines Werkes ein, das eine »Geschichte der deutschen Bildung« geben will. B. selber hat oft betont, daß er die Entwicklung Italiens nur heranziehe, soweit sie zur Erklärung


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der deutschen Verhältnisse unentbehrlich sei. Trotzdem stellte er, je länger desto mehr, den Anspruch auf, von seinem zeitlich und räumlich begrenzten Ausgangspunkte aus eine neue Erkenntnis der gesamten italienischen Renaissance zu begründen. Um dem Wert dieser Forschungen und der Tragweite ihrer Ergebnisse gerecht zu werden, muß man sie also anders beurteilen als Arbeiten, die aus einem von vornherein die ganze Breite der Renaissance erfassenden Studium erwachsen sind. Ihr positiver Vorzug ist, daß sie zunächst einen engeren Ausschnitt in helles (freilich vielleicht auch überhelles) Licht setzen und hier zu fruchtbarsten Einzelergebnissen führen. Dieser helle Ausgangspunkt ist für B. die Gestalt des Cola di Rienzo, des wichtigsten Vermittlers italienischer Kulturgüter an den Kreis der Kanzleihumanisten Karls IV. Auch das zeitlich Benachbarte, die unmittelbare Vorgeschichte von Rienzos Ideenwelt und die Gestalten seiner Zeitgenossen Dante, Petrarca und Boccaccio (wenigstens soweit ihr Wesen Rienzo nicht gegensätzlich ist), stehen noch in vollem Licht. Je weiter man sich aber von diesem Mittelpunkt entfernt, desto unschärfer werden die Gegenstände. Für eine Renaissance, die sich der vollen Diesseitigkeit erschlossen hat und bis in ihre Lebensideale hinein an der Antike orientiert ist wie das Quattrocento, ist in dieser von der religiösen Ideenwelt des Trecento ausgehenden Renaissanceauffassung überhaupt kein Platz mehr. Entweder versagt also hier B.s Renaissancebild vor der Wirklichkeit, oder man müßte dem Quattrocento den Anspruch absprechen, einen wesentlichen und maßgebenden Teil der Renaissance zu bilden. B. ist zu dieser letzten Folgerung entschlossen. Unter Berufung darauf, daß die Hochrenaissance in gewisser Beziehung den religiösen und nationalen Tendenzen des Trecento wieder näherstehe, scheidet er das Quattrocento als Zeit des Niedergangs und vorübergehender Verflachung aus der Wesensbestimmung des Zeitalters völlig aus oder läßt doch nur die wenigen Züge an ihm gelten, in denen es zwischen Trecento und Hochrenaissance eine Brücke zu schlagen scheint. Wir kommen also zu einer Auffassung, die der einst von Thode vertretenen (mit der B. denn auch sein Einverständnis ausspricht; 2. Halbbd. S. 541 f.) nahesteht. Alles, was gegen Thode gesagt worden ist, muß also auch gegen B. eingewandt werden. Wer das Quattrocento kennt, wird sich gegen diese subjektive Wertung, die einer falschen Perspektive entspringt, zur Wehr setzen. Ebenso nachdrücklich muß aber betont werden: Man befindet sich mit diesem Quattrocento-Bilde an den Grenzen von B.s Gesichtsfeld. Über den Wert seiner Gesichtspunkte für das Trecento selber ist mit ihrer Unzulänglichkeit für spätere Perioden noch nichts entschieden. Für dieses wird man mindestens B.s nächstliegende Aufgabe: die Rehabilitation von Rienzos Persönlichkeit, in den wesentlichen Punkten als geglückt betrachten dürfen. Wenn die politische Symbolik des Tribunen -- sein Ritterbad in der Wanne Konstantins, seine Krönung auf dem Kapitol mit fünffachem Kranze, die Rhetorik seiner Briefe usw. -- bisher als sinnlose Phantastik galten, so ist jetzt erwiesen, daß eine ähnliche Symbolik der Reden und Festlichkeiten in der kaiserlichen und päpstlichen Politik des 13. und 14. Jhds. durchaus üblich gewesen war, daß also das Neue und Unerhörte in Rienzos Verhalten für die Zeitgenossen nur darin bestand, daß er diese alte imperiale und päpstliche Symbolik für das souveräne römische Volk und seinen Vertreter, den Tribunen, in Anspruch nahm. Dieser Nachweis dient B. zur Grundlage seiner Hauptthese: daß der Inhalt der jetzt verständlich

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gewordenen Symbolik Rienzos nicht mehr der des MA.s war, sondern eine neue Ideenwelt, die der beginnenden Renaissance, ausdrückte und daß Rienzo deshalb künftig als einer der Führer der Renaissancebewegung neben Dante, Petrarca und Boccaccio aufzufassen ist. Diese These wird unterstützt durch die Behauptung, daß auch im übrigen die Eigenart Rienzos, der man bisher nur persönliche Bedeutung beimaß, vor allem die seltsame Verflechtung seines politischen Glaubens an eine nationale Wiedererhebung Roms und Italiens mit der religiösen Wiedergeburtseschatologie der Sekten, als charakteristisch gelten muß für die gesamte Frührenaissance, für Dante, Petrarca wie Boccaccio. Man erhält also, von Rienzo aus weiterschreitend, ein neues Bild des Trecento: Religiöse Mystik und beginnende Renaissance (Renaissance ist für B. ziemlich gleichbedeutend mit Humanismus) stehen nicht zufällig zeitlich nebeneinander, sondern aus den enthusiatisch-eschatologischen religiösen Bewegungen des Trecento »fließt jene leidenschaftliche Sehnsucht nach dem neuen Leben, nach der Rückkehr zu der primitiven Urform der menschlichen Natur, die den Grundzug der Renaissance bildet«. Sowohl für Dante (S. 514 ff.) wie für Petrarca (S. 517 ff.) sucht Burdach den quellenmäßigen Nachweis dafür in dem neuen Halbband zu führen, und zweifellos ergibt sich daraus für viele Einzelpunkte (z. B. die Bedeutung von Petrarcas Dichterkrönung; S. 504 ff.) eine vertiefte Betrachtungsweise, auch wenn man nicht mit B. annimmt, daß die von ihm betonten Züge die für das Verständnis Dantes und Petrarcas richtunggebenden sind.

Der Inhalt von B.s Buch erschöpft sich aber hierin nicht. Wenn Rienzo und die ihm verwandten Züge Petrarcas und Dantes das Wesen der Frührenaissance repräsentieren, so muß auch die ma.liche Vorgeschichte der Renaissance künftig in einem neuen Lichte gesehen werden. Der Darstellung dieser Vorgeschichte wird daher in B.s Werk ein bedeutender Raum gewidmet. Das Ergebnis läßt sich etwa folgendermaßen zusammenfassen: 1. Wenn Rienzos halb mystischer Romkultus (und nicht Petrarcas kritisch-literarisches Verhältnis zur Antike) für das Verständnis des Humanismus entscheidend ist, so muß man folgern, daß der Humanismus des Trecento aus dem Romgedanken des MA. herausgewachsen ist. Das Werk des Humanismus war dann nur die Befreiung des römisch-nationalen Elements der Romidee von ihren byzantinisch-ma.lichen Hüllen, in denen auch Kaisertum und Papsttum sich ihrer hatten bedienen können. B. gibt deshalb einen eindringenden Beitrag zur Geschichte des ma.- lichen Romgedankens und sucht zu zeigen, wie allmählich eine italienisch-nationale Auffassungsweise in Rienzo gipfelnd die ottonisch-kaiserliche verdrängte Aber ist damit schon bewiesen, daß der Romgedanke das vorwärtsführende Element im Bilde des Trecento war? Hat sich Petrarca nicht nach dem Sturze Rienzos endgültig von ihm losgesagt und dann einen ganz andersartigen Zugang zur Antike gefunden? Und gibt es nicht zu denken (worauf auch der neueste Geschichtsschreiber der Romidee des MA., Fedor Schneider, hinwies), daß die Renaissance als Ganzes nicht auf römischem Boden, sondern in Florenz und in den andern wirtschaftlich und sozial fortgeschrittenen Kommunen des italienischen Nordens ihre erste Blüte fand? 2. Wenn religiöse Erneuerungsgedanken, die Hoffnung auf eine spirituale Kirche ohne weltliche Machtstellung, allgemein die Quelle der politisch-kulturellen Erneuerungssehnsucht der Renaissance gewesen ist, so müssen alle Versuche des späten MA., Kirche und


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Papsttum ihrer weltlichen Macht zu entkleiden, als Vorbereitungen auf die Renaissance gelten: Neben der Entwicklung des Romgedankens wird die spätma.liche Vergeistigung des Kirchenbegriffs zu einem Teil der »Vorgeschichte« der Renaissance. Selbst ein Verteidiger der französischen Krone gegen das Papsttum wie Pierre Dubois wird, weil er das Papsttum, sei es auch im Interesse Frankreichs, zu einer »spiritualen« Monarchie umbilden wollte, zu einem Vorläufer der spiritualen Kirchenauffassung der Renaissance! (S. 556.) Mir scheint, daß gerade dieses Beispiel deutlich zeigt, wie B.s Verbindung des Renaissancebegriffs mit Bewegungen, die man bisher als ma.lich ansah -- mit dem Romgedanken und der spiritualen Religiosität des späten MA.s -- die Grenzen zwischen Renaissance und MA. völlig aufzuheben droht. Was B. uns über diese Bewegungen und ihre Fortbildung im Trecento Neues zu sagen hat, wird als Beitrag zur Geistesgeschichte des 13. und 14. Jhds. dauernd seinen Wert behalten, Renaissance und Humanismus aber ist es nicht.

Zur weiteren Kritik Burdachs ist noch einmal auf den Münchener Vortrag von K. Brandi zu verweisen, der nach seinem ersten Abdruck in der V. Schr. f. Literaturw. u. Geistesg. 1926 jetzt in endgültiger Fassung mit ausführlichem Notenapparat vorliegt ( 1509). Brandi nennt Rienzos politische Rhetorik »die letzte ganz große Darstellung des Romgedankens«, aber eben noch in ma.licher Form, vor der Einmündung in die Renaissance; er erkennt selbst Burdachs Ehrenrettung der Persönlichkeit nicht an und kommt zu dem scharfen Urteil, Burdachs Forschung habe gegen seinen Willen gezeigt: »Rienzo war und blieb ein nachgeborenes Kind des gotischen Zeitalters«, »ein Überlebender des MA.« (vgl. Jhg. 1926, S. 495). Den Hauptteil von Brandis Vortrag bildet eine ungemein lebendige Schilderung von Rienzos Persönlichkeit, seinem äußeren Lebensgange, seinen Ideen, politischen Manifesten und Korrespondenzen, die beste kurze Einführung in den historischen Rienzo, die wir besitzen.

Wir wenden uns von Rienzo zu seinem größeren Zeitgenossen Petrarca. Das Buch von Arn. Foresti »Aneddoti della vita di Fr. Petrarca« (Brescia, G. Vannini 1928) stellt keine geschlossene Monographie dar, sondern eine Sammlung von 50 Aufsätzen über Petrarca, die in den letzten 10 Jahren in verschiedenen italienischen Zeitschriften, großenteils schwer erreichbar, erschienen. Es sind lauter kleine kritische Arbeiten, die meist nur Fragen der Datierung und Textgeschichte, der Interpretation von Briefen oder Sonetten berühren, aber fast für Petrarcas ganzes Leben neue biographische Aufschlüsse gewähren und mehrfach auch für die Entstehungsgeschichte seiner Werke und für die Kenntnis von Petrarcas Korrespondenten von Wert sind. Piur urteilt in einer Besprechung in der D. L. Z. 1929, Sp. 430 bis 432, auf die ich für alles Nähere verweise: »Für jeden, der sich ernsthaft mit Petrarca beschäftigt, ist die Kenntnis dieser Aufsätze unentbehrlich.«

Unentbehrlich für die weitere Petrarca-Forschung ist auch die quellenkritische Arbeit, die Piur selber vorlegt. In dem Band »Kritische Darstellung der Quellen zur Geschichte Rienzos« in Burdachs Rienzo-Werk ( 1507) hat, außer drei wichtigen Exkursen über erhaltene Originalfassungen von Petrarca- Briefen vor der Redaktion für die Öffentlichkeit, eine kritische Abhandlung P.s über Handschriften und Entstehung der verschiedenen Briefsammlungen Petrarcas -- die Familiaren, der Senilen und der sog. »Variae« -- Aufnahme


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gefunden, die zusammen mit P.s 1925 erschienener Bearbeitung der »Litterae sine nomine« für jede kritische Benutzung von Petrarcas Briefwechsel künftig grundlegend ist.

Mitten in den Streit um die geistesgeschichtliche Würdigung Petrarcas führt der Aufsatz von A. v. Martin ( 1506). Das Unausgeglichene, Sprunghafte, Romantisch-Sehnsüchtige in Petrarcas Charakter, das, was er selber als ein Sich-nicht-entscheiden-können empfand und mit dem ma.lichen Begriffe der »acedia« benannte, ist oft als der Beginn »moderner« Subjektivität betrachtet worden. M. geht noch einen Schritt weiter und verteilt zugleich die Akzente anders: Er glaubt hinter Petrarcas Unausgeglichenheit eine ausgesprochen »romantische« Seelenverfassung zu erkennen, die mit der Romantik des 19. Jhds. weitgehende Übereinstimmung aufweist, und er hält, was das Wichtigste ist, diese romantische Seelenverfassung für den geistigen und psychologischen Urgrund von Petrarcas Humanismus: Petrarcas Ideale der »vita solitaria«, sucht er zu zeigen, waren nicht ma.liche Weltflucht, sondern »eine durchaus 'romantische' Angelegenheit«, seine leidenschaftliche Hingabe an die Antike psychologisch der »Sehnsuchtstraum« einer »ganz und gar unklassischen Seele«, sein Stoizismus und sein ostentatives Bekenntnis zur Kirche aus seelischem Ungenügen geborene Wunschideale. In alledem sei Petrarca der erste typische Vertreter der Renaissance. Denn mit dem Begriff »Romantik« erfasse man am besten das Wesen der ganzen Epoche. »Die Renaissance stellt eine ganz analoge Reaktion gegen die Scholastik dar, wie die Romantik gegen die Aufklärung ... Hier wie dort handelte es sich um einen inneren Drang zu neuer Unmittelbarkeit, der sich notwendig abkehren mußte von allem Schulmäßigen, Zünftigen, von aller Begrifflichkeit, von den Trockenheiten des Logizismus und der Systematik.« M. steht mit dieser Auffassung dem Buche von Wolf, das den »Irrationalismus« etwas schematisch als das überall hervortretende »Lebensgefühl« Petrarcas nachweisen wollte, im ganzen näher als der Petrarca-Biographie von Eppelsheimer, die im Gegensatz dazu Petrarca als den geistesverwandten Wiedererneuerer des »klassischen« Geistes der römischen Antike schilderte und so gewissermaßen den Gegenpol zu M.s Romantikdeutung bildet. Ein wesentlicher Einwand gegen diese scheint mir zu sein, daß sie die Entwicklung des Humanismus in den auf Petrarca folgenden Generationen schwer verständlich macht. Während die eigentlich »humanistischen« Tendenzen sich nämlich immer reifer entfalteten, trat der »romantisch«-sehnsüchtige Grundton im Humanismus seit 1400 so gut wie ganz zurück. Ungebrochene Lebensbejahung, Abwendung von der »vita solitaria« jeder Art und Kampf gegen den ganzen Stoizismus Petrarcas wurden für Generationen das Kennzeichen des italienischen Humanismus. Da scheint es mir doch nach wie vor näher zu liegen, Petrarcas weltschmerzliche Gebrochenheit aus einer Situation des Übergangs statt aus einer angeblich dauernden Seelenverfassung der Epoche zu erklären.

Die Würdigung des trecentistischen Humanismus hängt also, wie sich immer wieder zeigt, nicht zuletzt von den Ergebnissen der Forschung über das Quattrocento ab. Im ganzen hat das steigende Interesse am Ducento und Trecento in den letzten Jahrzehnten das Quattrocento in den Schatten treten lassen. Es ist daher verständlich, daß die jetzt wieder stärker einsetzende Forschung zunächst einmal mit der Verbesserung der quellenmäßigen Grundlagen


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für den Humanismus des Quattrocento beginnt. Für den Florentiner Humanismus der Zeit von 1400 bis zu den Platonikern bereite ich selber eine auf etwa vier Bände berechnete Quellenpublikation vor, die die Kenntnis von dieser vielleicht wichtigsten Gruppe auf eine erweiterte Grundlage stellen soll. Der jetzt vorliegende erste Band bringt eine kritische Erstausgabe für den Führer der ganzen Gruppe, Leonardo Bruni Aretino ( 1510). Die Forschung über Bruni stand bisher unter besonders ungünstigen Bedingungen. Außer der berühmten »Historia Florentini populi« und Brunis Memoiren, die unter die »Scriptores rerum Italicarum« Aufnahme gefunden haben und neuerdings in musterhafter Neuausgabe erschienen, und außer der alten Brief-Edition von Mehus war nur der »Dialogus ad Petrum Paulum Histrum«, eine Jugendarbeit, der Forschung durch moderne Ausgaben nahegebracht worden. Das ganze Schrifttum, in dem Brunis reifer Humanismus zum Wort kommt, mußte (mit wenigen Ausnahmen) in den Hss. oder Incunabeln des 15. Jhds. benutzt werden. Die neue Ausgabe, die diese Lücke schließt, gliedert sich in drei Teile: Sie gibt zunächst eine Sammlung von Brunis Traktaten und Dialogen über philosophische, philologische und pädagogische Gegenstände; es folgen in chronologischer Ordnung die (großenteils inhaltsreichen) Vorreden, die Bruni seinen zahlreichen Übersetzungen aus dem Griechischen beigab, und die wichtigeren Briefe, die seit dem Abschluß der Mehusschen Briefausgabe noch zutage gekommen sind; den Beschluß macht eine kritische Chronologie sämtlicher Schriften Brunis, gefolgt von einer Neuordnung seines Epistolars, die z. T. auf Vorarbeiten des italienischen Gelehrten Luiso fußt. Ausgeschlossen vom Abdruck sind nur die Schriften, die Brunis Staatsanschauung enthalten. Diese sollen einen Teil des 2. Bandes der Publikation bilden, der das Schrifttum der Florentiner Gruppe über Staat und Politik im Zusammenhang behandeln wird. Die Einleitung, der Vorläufer einer größeren Monographie über Bruni und den Florentiner Humanismus, skizziert kurz die Ergebnisse, die sich aus dem neuen Material für das Verständnis Brunis und der Eigenart der Florentiner im Humanismus des Quattrocento gewinnen lassen.

Günstiger als für Bruni lagen die Verhältnisse für die quellenmäßige Beschäftigung mit Lorenzo Valla, denn dieser hat wenigstens im 16. Jhd. eine Gesamtausgabe bei Henricpetri in Basel erhalten. Wie wenig aber diese späte Sammelausgabe auf die Dauer genügt, zeigt sich jetzt wieder deutlich bei der ersten kritischen Bearbeitung von Vallas berühmter Streitschrift gegen die Konstantinische Schenkung durch L. Schwahn ( 1237). Neues Material über die bisher bekannten vier italienischen Hss. hinaus vermag die im Rahmen der »Bibliotheca Teubneriana« erscheinende Ausgabe freilich nicht beizubringen, aber die Zuverlässigkeit des Textes ist in der Hauptsache doch gewährleistet. Zu bedauern bleibt nur, daß keine Vorrede beigegeben ist, die den Leser über den Zusammenhang der Schrift mit Vallas übrigen Werken unterrichtet, und daß sogar ein Register fehlt, dessen Vorhandensein nachgerade als notwendiges Erfordernis jeder Edition anerkannt sein sollte. Auch unentbehrliche bibliographische Nachweise fehlen. So wäre z. B. eine Notiz angebracht gewesen, daß die edierte Schrift in neuerer Zeit bereits zweimal Neudrucke (wennschon nicht kritische) erfahren hat. (1879 durch Alcide Bonneau, zugleich mit französischer Übersetzung; 1895 durch Giov. Vincent, unter Beifügung einer italienischen Übertragung.)


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Bei dieser Gelegenheit trage ich nach, daß 1927 unter den »Quellen und Forschungen« der Görres-Gesellschaft (Bd. 22) noch eine weitere wichtige Schrift des italienischen Quattrocento ihre kritische Erstausgabe erfahren hat: Bessarions Streitschrift »In calumniatorem Platonis«. Der Herausgeber, Ludwig Mohler, hat dem griechischen Originaltext, der hier überhaupt zum ersten Male zum Abdruck gelangt, fortlaufend die bisher allein bekannte lateinische Übersetzung gegenübergestellt und auch sonst dem kritischen Apparat jede Sorgfalt zuteil werden lassen. (Für das Genauere vgl. die Anzeige von Piur in H. Z. 139, S. 128 ff.)


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