II. Einzelne Historiker.

Es ist eine bedauerliche Erscheinung, daß die Untersuchungen über zeitgenössische Geschichtsschreiber als Quellen der neueren Jahrhunderte 'auch in den vorhergehenden Jahren dünn gesät, diesmal ganz fehlen, obschon doch auf diesem Gebiete eine Fülle nicht nur dankbarer Probleme, sondern auch notwendiger Aufgaben vorliegen. Monographische Arbeit und kritische Untersuchungen beschäftigen sich mit den Historikern der letzten beiden Jahrhunderte vielmehr unter biographischen und historiographischen Gesichtspunkten und in dieser Hinsicht vor allen Dingen unter geistesgeschichtlicher Fragestellung. So untersucht W. Pleister ( 1525) unter erstmaliger und umfassender Verwertung der Möserpapiere auf dem Osnabrücker Archiv, der Göttinger Universitätsbibliothek und der Bibliotheksbestände des Ratsgymnasiums zu Osnabrück, die Mösers eigene Bibliothek enthält, »die geistige Entwicklung Justus Mösers«, allerdings vorerst nur für die Zeit bis zur Abfassung der Osnabrückischen Geschichte (ausschließlich). Für die Historiographie fällt dabei zunächst wenig ab. »Noch drängt sich das Literatentum« (in diesen Jahrzehnten) »vor seine eigentliche historische Aufgabe.« Nur selten, vorwiegend in Fabeln, schleichen sich eigene Gedanken zur Politik und Staatsraison ein. Doch schon Ende der vierziger Jahre klingen die Begriffe »Staat« und »Freiheit« an. Allmählich wächst das Interesse an der Geschichte selbst, an ihren Denkmälern, ihren Urkunden, der Interpretation und Gestaltung. Dann beginnt, wohl auch unter dem Eindruck der Erfahrungen des Siebenjährigen Kriegs, die Auseinandersetzung mit Rousseau. Damit steht Möser schon weit ab von der Aufklärung. Man könne wohl sagen, »der historische Sinn« sei zum Durchbruch gekommen.

Diesem »historischen Sinn« bei Herder nachzugehen, ist die Aufgabe, die sich R. Stadelmann ( 1543) gestellt hat. -- Wie weit, fragt Stadelmann, ist in


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der Reihe der Vorläufer des 19. Jhds. Herders »Geschichtserkenntnis getragen von einem tieferen weltanschaulichen Verständnis für das Historische?« Herder würde, so meint St. mit Recht, sich sonderbar ausnehmen in der Reihe der Geschichtsschreiber; er ist auch kein Geschichtsphilosoph. Und doch wird er sowohl in der Entwicklung der Geschichtsphilosophie als in der Geschichte der neueren Historiographie als einer der schöpferischen Geister mitgezählt. Seine geistige Leistung liegt auf dem Gebiet, das die Grundlage, den Ausgangspunkt der Geschichtsphilosophie, der Geschichtsschreibung und z. T. auch der historischen Kunst bildet: auf dem Gebiet des historischen Sinns selber, der Lehre wie man sich der Geschichte nähern kann und muß. Als allgemeiner Maßstab erscheint bei ihm die Humanitätsidee, die freilich nie eindeutig von ihm definiert wird. Aber bei dem Normcharakter, der diesem Begriff anhaftet, wird er oft zu einem die Geschichte vergewaltigendem Maßstab. So drängt sich der schon überwundene Aufklärungsstandpunkt wieder vor.

Es ist doch kaum richtig, daß sich die Historiographie in den letzten Jahren in besonderem Maße (»wie mit keinem Geschichtsschreiber aus der Wende des 18. und 19. Jhds.«) mit Johannes von Müller beschäftige. Und der umfangreiche zweite Band des Lebensbildes dieses einst so vielgenannten und bewunderten Geschichtsschreibers und Publizisten, den Karl Henking ( 86) nach fast zwanzigjähriger Pause veröffentlicht hat, ist nicht geeignet zu solcher Beschäftigung anzulocken. Henking hat mit großem Fleiß das gedruckte und archivalische Material zusammengetragen und vielfach in wörtlichem Abdruck den äußeren Lebensgang bis ins Einzelne verfolgt. Als Materialsammlung wird man die mühevolle Arbeit des Verfassers dankbar annehmen. Das Bild des Menschen zu gestalten, hat H. kaum versucht: eigentlich in jeder Hinsicht wirkt das Bild, das der Leser gewinnt, unerfreulich und unsympathisch, auch abgesehen von dem, was da etwa mit der Betätigung anormaler Veranlagung in Beziehung zu setzen ist. Auf J. Müllers Bedeutung als Geschichtsschreiber will Henking erst am Schluß des dritten (ausstehenden) Bandes eingehen. Immerhin hat er auch jetzt schon eine Beurteilung seiner beiden Hauptwerke gegeben. -- Bisher ist es dem Verfasser nicht gelungen, das bittere, aber richtige Urteil über Müller, das Fueter (Gesch. d. neueren Historiographie 1911 S. 403 f.) ausgesprochen hat, zu ändern oder gar umzustellen: »bei wenigen Historikern besteht zwischen dem Ansehen, das sie bei den Zeitgenossen genossen und ihrem wirklichen Werte ein so großer Gegensatz wie bei Müller: »die Forschung der Gegenwart kann ihn als Historiker kaum mehr ernst nehmen« (sagt Fueter mit Recht). In einer sorgfältigen und eindringenden Arbeit hat H. Henel ( 87) vom germanistisch-literarhistorischen Standpunkt aus »die Entwicklung des geschichtlichen deutschen Prosastils bei Johannes Müller« untersucht, und zwar im Zusammenhang mit der Geschichtsauffassung. Er geht dabei aus von dem »historischen Stil von Müller« in der Theorie und in der Praxis bei französischen und deutschen Historikern und entwickelt dann im einzelnen die Kunstformen, deren sich Müller teils in pragmatischem, teils in »monumentalem«, teils in »erzählendem« Stil bedient. Das Urteil über den Geschichtsforscher Müller bei Henel ist doch in seiner Wertung von dem Fueters nicht weit entfernt, auch wenn man den Maßstab seiner Zeit anlegt.

Noch immer spendet der Rankenachlaß neue Stücke aus unbekannten Niederschriften des jungen Ranke. So hat L. Keibel ( 91) drei kleine Aufsätze


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und zwei kurze Fragmente veröffentlicht, die außer dem letzten Stück der Leipziger Zeit angehören: einen philosophischen Aufsatz von dem Begriff der φυσισ ausgehend, eine »Luthernovelle« (Luther als Seelenberater zwischen zwei Brüdern als Nebenbuhler um die Geliebte), eine »zeitgeschichtliche Betrachtung« (aus den Papieren eines Landpfarrers, Anfang 1818) -- die erste Beschäftigung mit politischen Fragen, noch unselbständig und romantisch --, schließlich zwei kurze Fragmente: eins politischen Inhalts (über europäische Politik mit großdeutschem Mittelpunkt), schließlich einige theologische Betrachtungen aus späterer Zeit. Dem Rankebilde, das für die Frühzeit durch Oncken, Elis. Schweitzer und Borries gewonnen ist, werden wesentliche neue Züge kaum hinzugefügt. -- In einer Ansprache an eine südslawische Studienkommission in München hat H. Oncken ( 93) an die Entstehung von Rankes Serbischer Revolution im Verkehr mit Karadschitsch erinnert. Bei Ranke sei das Buch zugleich ein Programm für eine politische Aufgabe: die administrative und rechtliche Emanzipation der Rajahvölker gewesen. Die neue Auflage von 1878 habe die Einordnung in die großen europäischen Zusammenhänge gebracht.

An der Besprechung, die Gerhard Ritter ( 91) der »Neuen Ranke-Ausgabe« widmet, wird niemand vorübergehen dürfen, der sich mit der Entwicklung des Geschichtsschreibers Ranke überhaupt oder mit seiner Reformationsgeschichte beschäftigt. R. streift die Gefahr, daß eine Verfolgung dieser Editionstechnik für alle Werke Rankes sich in die vielerörterten Abwege moderner Editionsmethoden des belletristischen Nachbarfaches verirren würde. Hier, bei der Reformationsgeschichte, seien sie im ganzen durch die geistige Souveränität und das wissenschaftliche Taktgefühl des inzwischen verewigten Joachimsen vermieden. R. weist darauf hin, daß für die von Elisabeth Schweitzer im 6. Bande herausgegebenen fragmentarischen Niederschriften, deren Wert anerkannt und näher bestimmt wird, die Bezeichnung als »Lutherfragment von 1817« doch irreführend sei. Er verfolgt schließlich im einzelnen die Bedeutung, die die gewichtige Einleitung Joachimsens für die Erkenntnis vom Werden der Reformationsgeschichte an der innerlichen Einstellung Rankes zu dem Problem der Kirchentrennung überhaupt besitzt.

Ernst Simon ( 92) hat in seiner ausführlichen Untersuchung über »Ranke und Hegel« den Historiker vom Anfang seiner Berliner Zeit in die Reihen der akademischen Gegner des Philosophen eingereiht, von diesem nur ein abfälliges Urteil über Ranke zitiert. Den Hauptteil des Buches bildet ein »systematischer Vergleich zwischen Rankes Ideenlehre und Hegels Philosophie der Geschichte -- ein Thema, das eigentlich über den Rahmen eines Aufsatzes nicht hinausgeht --, wobei Simon, der selbst kurz vorher von der Unvergleichbarkeit beider Männer gesprochen hat, nun der Totalität des Hegelschen Systems einen Ausschnitt aus Ranke unter ihm selbst ganz fremden Gesichtspunkten gegenüberstellt. Wenn Simon nun auch findet, daß Hegel, in dem er nach Denkinhalt und Denkform den letzten großen Aufklärer erblickt, durch den phänomenologischen Zug seiner Philosophie in die unmittelbare Nähe Rankes rücke, so ergibt sich doch aus seiner weiteren Darstellung, daß in allen Auffassung und Methode betreffenden grundsätzlichen Fragen die Berührungen gering, formal, ja gegensätzlich sind. Im religiösen Bewußtsein der beiden Männer sieht Simon letztlich den tiefsten Gegensatz. Ein Kapitel über Rankes religiöse Haltung ist ganz äußerlich am Schluß angehängt.


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Über die Entstehung von Jacob Burckhardts »weltgeschichtlichen Betrachtungen« hat Hermann Bächtold in der Gedächtnisschrift für G. v. Below ( 146) an der Hand des Nachlasses eine aufschlußreiche Untersuchung veröffentlicht. Er verfolgt die Entwicklung von B.'s Gedanken und die Wandlung ihres schriftlichen Niederschlags von einem ersten, in den Jahren 1851 und wieder 1854/55 gelesenen Kolleg, das er als »Einleitung in das Studium der Geschichte« bezeichnet, bis zu der 2. Umarbeitung von 1868/69, die dem Text des posthum veröffentlichten Buchs zugrunde liegt. Die quellenkundlichen Notizen werden überwuchert und schließlich verdrängt, die drei Potenzen Staat, Religion und Kultur werden in sechs Abschnitte für ihre wechselnden Bedingtheiten aufgelöst. Als Burckhardts Zentralwert erscheint die Freiheit: von diesem Wert im Sinne der Freiheit menschlichen Schaffens sind die Betrachtungen »durchpulst«. Die Sphäre der Freiheit ist die Kultur, besonders Kunst und Wissenschaft.

Die kürzeren oder längeren biographischen Aufsätze, die Historikern des 19. Jhds. gelten, sind, unter dem Gesichtspunkt der Historiographie betrachtet, von sehr ungleichem Gehalte. Von Joh. Martin Schröckh, dem langjährigen Vertreter der Kirchengeschichte in Halle (seit 1767) rühmt W. Friedensburg (in 46) u. a., daß er als erster die Einteilung in Zenturien habe fallen lassen. Die Würdigung, die Hans Herzfeld ( 89) Friedrich von Raumer zuteil werden läßt, weiß zwischen dem Politiker und Publizisten und andererseits dem Historiker zu scheiden. Es wird bemerkt, daß auch in Raumers Geschichtsschreibung die Nachwirkung der im Staatsdienst gesammelten Erfahrungen sich geltend mache. Im Vordergrund steht natürlich die Geschichte der Hohenstaufen mit ihrer Bedeutung für den Hinweis weiterer Kreise auf das Mittelalter als eine historische Entwicklungsstufe von besonderer Eigenart, die erste lesbare Darstellung einer Epoche deutscher Vergangenheit, die sogar auf zwei Generationen gewirkt habe, wenn auch die quellenkritische Grundlage bald veraltet war. Anders als von Below -- und mit Recht -- möchte H. Raumer nicht der Romantik zuzählen; was dahin zu weisen scheine, sei mehr eklektische, äußerlich anempfundene Übernahme. Heinrich Leo ist von Gerhard Masur ( 89) als der echteste Romantiker unter den Geschichtsschreibern deutscher Zunge bezeichnet worden; durch Eichhorn habe er noch den Geist der historischen Schule aufgenommen. Freilich nach Temperament und Charakter gehöre Leo nicht unter die Romantiker, weil sein Urteil nicht von ästhetischen, sondern von sittlichen Impulsen bestimmt sei, aber er gehöre zur Romantik, wenn man sich entschließe, sie aus der Wiedergeburt verschütteter Geisteskräfte zu erklären, die über die Historie in ihre eigentliche Heimat nach Haus verlangten. Leo habe versucht, den Lebensbegriff der historischen Schule mit Hegels Begriff des Geistes zu verschmelzen. Er, der Antipode Rankes, erscheint Masur als Vorläufer Jacobs Burckhardts. Die Stellung in der Geistesgeschichte des 19. Jhds. habe sich Leo durch das erste halbe Hundert Seiten seiner Italienischen Geschichte errungen: man habe sie eine Soziologie Italiens genannt; sie sei noch mehr; sie sei völlig original und schöpferisch, Ratzel habe ihn als Wegebereiter angesprochen und eine Linie führe von jener Einleitung zu Kjellens Staat als Lebensform.

Der Aufsatz von H. Ermisch ( 97) über Georg Waitz ist nichts als eine nüchterne annalistische Aneinanderreihung von Äußerlichkeiten seines Lebensgangs, für historiographische Betrachtung ganz belanglos. Von Th. Sickel sagt


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W. Erben ( 98), daß er sich als Bahnbrecher für die gesamte deutsche Geschichte gefühlt habe.

Eine von W. Mommsen herausgegebene Auswahl von Heinr. v. Treitschkes Schriften (Berlin, Volksverlag der Bücherfreunde o. J.) enthält in den beiden ersten Bänden eine ansprechende Auslese aus der »Deutschen Geschichte«, Band 3 und 4 bieten eine entsprechende Auswahl aus den politischen Schriften, darunter vor allem die große Abhandlung »Bundesstaat und Einheitsstaat«. Beiden Bänden hat Mommsen eine Einleitung vorausgeschickt, in der er darauf hinweist, wie schwer, ja unmöglich es sei, den Historiker und den Politiker Tr. zu trennen. Die Studie Hermann Haerings ( 94) über Treitschke und seine Religion greift über das Thema hinaus; sie bietet einen von Sympathie und Verständnis getragenen Beitrag zu Treitschkes Persönlichkeit als Mensch und Patriot, beschäftigt sich daher weniger mit den historiographisch bedeutsamen Momenten. Auch in dem Buche von Ernst Leipprand ( 95) über Treitschkes Stellung zu England tritt der Geschichtsschreiber hinter dem Politiker mit dem Wandel seines Urteils über englische Zustände, Politik und Menschen naturgemäß stark zurück. Die von Elisabeth Gaß ( 96) veröffentlichten Erinnerungen an Treitschke mit Briefen an ihren Vater, den irenischen und so sympathischen Heidelberger systematischen Theologen Wilhelm Gaß sind ein schönes Dokument Treitschkescher Freundschaft, historiographisch ohne Belang.

Wenn man die Nekrologe überblickt, die dahingegangenen Historikern des letzten Jahrzehnts gelten, so stellt man gern fest, wie stark da die Verbindung mit Männern benachbarter Disziplinen, vornehmlich der Kirchengeschichte, der Rechtsgeschichte, der historischen Nationalökonomie ist. Sie zur Historie zu zählen, ist vielfach dem Historiker selbstverständlich. Mit Recht hat C. Mirbt (†) Albert Hauck ( 100) als einen Geschichtsschreiber großen Stils gerühmt; seine Kirchengeschichte Deutschlands im Mittelalter sei ein glänzendes Zeugnis der geistigen Höhe deutscher Geschichtsschreibung; er habe unter den deutschen Historikern einen festen Platz. Es darf hier vielleicht daran erinnert werden, daß ihm einst nach Scheffer-Boichorsts Hinscheiden dessen Berliner Lehrstuhl angeboten war. --Otto Hintze ( 99) erinnert daran, wie für Gustav Schmoller die Wirtschaftspolitik des Merkantilismus Begleiterscheinung des großen Prozesses moderner Staatenbildung war, wie viel er durch seine Studien über preußisches Heerwesen, Verwaltung und Wirtschaftspolitik und die Acta Borussica für das Verständnis preußischer Geschichte getan, und daß er ein Wegebereiter der »verstehenden Soziologie« gewesen sei.

In Heinrich Friedjung erblickt H. v. Srbik ( 102) einen Vertreter der Franzisko-Josefinischen Periode, in dem Geschichtswissenschaft und Politik eine unlösliche Verbindung eingegangen seien. Der Erfolg, der dem Politiker versagt geblieben, sei in reichstem Maße dem Geschichtsschreiber zuteil geworden: er ist der große Geschichtsschreiber des unterlegenen Österreich, sein Werk gehört zu den bleibenden Schöpfungen der Historiographie. Das Buch über Österreich von 1848/60 zeige freilich, daß das Auge des Verfassers für die spezifische Bedeutung konservativen politischen Denkens nicht frei sei; das »Zeitalter des Imperialismus« habe seine Bedeutung als erster wissenschaftlicher Versuch der Darstellung der zwischenstaatlichen Verhältnisse auf dem Erdenrund. -- Bei Rudolf Sohm hebt H. Fehr ( 103), bei Richard Schröder K. Beyerle ( 103) die Bedeutung ihrer Arbeiten zur germanischen Rechtsgeschichte


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hervor; bei Richard Schröder darf man daran erinnern, welche nachhaltige Wirkung auf die Geschichtsschreibung und die ganze Geschichtswissenschaft das -- in Lieferungen nach und nach erfolgende -- Erscheinen seiner deutschen Rechtsgeschichte ausgeübt hat. Die Älteren werden dessen gern eingedenk sein: von da ab war Waitzens Verfassungsgeschichte völlig zurückgedrängt -- ungeachtet ihrer weiteren Unentbehrlichkeit.

Eine eingehende und wichtige Würdigung von Ludwig von Pastors Lebenswerk unternimmt von katholischem Standpunkt aus Bruno Wilhelm O. S. B. ( 109). Er wendet sich gegen die engherzige und übertriebene Verhimmelung, die P. noch in den letzten Jahren von katholischer Publizistik erfahren habe. Denn so herrlich sein Lebenswerk sei, es sei doch mit manchem Mangel behaftet. Eine empfindliche Lücke sei es, daß P. in einer Geschichte der Päpste die Geschichte des Papsttums gar nicht berühre, da doch beides nicht voneinander zu trennen sei. Auch übertrage P. das, was heute das Papsttum sei, auf alle früheren Perioden. Er behandle die Päpste als Menschen objektiv, als Päpste um so milder, und in Konflikten des Papsttums nehme er zu rasch gegen dessen Gegner Partei. Es hänge das mit einer überspannten Auffassung des Autoritätsbegriffs und diese mit blinder Abhängigkeit des Laien von einer einseitigen theologischen Richtung zusammen (W. spricht von »stillen Teilhabern der Firma P.'s Papstgeschichte«). Doch strebe P. nach Wahrheit und die Korrektur der Auffassung von der Staatsomnipotenz durch Geschichtsschreiber vom Schlage Pastors sei dringend nötig gewesen. Im ganzen genommen sei seine Papstgeschichte »eine grandiose Prozession gewaltiger Persönlichkeiten der Vergangenheit mit all ihren Vorzügen und Fehlern«.

In einer Festschrift zum 80. Geburtstage für den inzwischen dahingegangenen Hans Delbrück hat F. J. Schmidt ( 113) D.'s »geschichtsphilosophische Grundgedanken« zu entwickeln versucht. Und von dem Historiker ist K. Molinski ( 113) ein Bild seiner Eigenart und seiner Bedeutung zu entwerfen bemüht gewesen. Als besondere Leistung hebt M. hervor einmal die Bedeutung, die D. in praktischer Anwendung der Sachkritik und -- in der Weltgeschichte -- dem Begriffe der »Totalitätsschau« gegeben habe, andererseits die umstürzenden Ergebnisse, die D. auf dem Gebiete der Kriegsgeschichte geschaffen habe (erläutert vornehmlich an der hellenischen Kriegsgeschichte). Jene Totalitätsschau habe ihm die richtige Erfassung der weltgeschichtlichen Bedeutung der orientalischen Geschichte ermöglicht. Die Einreihung D.'s an Rankes Seite und die Einschätzung von Delbrücks Leistungen überhaupt geht aber doch über den Rahmen dessen hinaus, was man einer Festschrift an Überschwenglichkeit zugute halten darf.

Schon die Zahl der Nachrufe zeugt davon, daß unter den Verlusten, welche die letzten Jahre der Geschichtswissenschaft gebracht haben, sich der Hingang von zwei Männern von ungewöhnlicher Arbeitskraft und Arbeitsleistung besonders fühlbar gemacht hat: Harry Breßlau und Georg von Below. Zu den früheren Nachrufen auf Breßlau (s. Jahrg. 1927) gesellt sich noch die Würdigung durch seinen Schüler A. Hessel ( 106) als Lehrer, als Forscher, als Geschichtsschreiber. Die vielseitige Fruchtbarkeit in selbständiger Förderung der Forschung auf Gebieten, die in benachbarte Sonderdisziplinen hinübergreifen, die mit dem Namen Georg von Belows verknüpft ist, hat für das Gebiet der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte H. Aubin ( 104), für das Gebiet der Rechtsgeschichte


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Alfred Schultze ( 104) in dankbarer Anerkennung gewürdigt; die Frage, ob seine stets streitbare Natur ihre kritische Betätigung stets mit positiver Förderung ausgeübt habe, wird bei aller Würdigung von A. Dopsch ( 104) doch leise gestreift.


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