I. Allgemeines:

Die preußische Historiographie ist in den Jahren 1928 und 1929 durch ein Werk bereichert worden, dessen Gegenstand zentrale Bedeutung beanspruchen, dessen Fertigstellung freudige Anerkennung finden darf. Es ist die Geschichte der Königl. Preußischen Armee bis zum J. 1807, die C. Jany in drei stattlichen Bänden vorgelegt hat ( 666). Gegenüber den umfassenden Bemühungen, die der Staatsverwaltung, der Politik und der Wirtschaftsentwicklung Brandenburg-Preußens im 17. und 18. Jhd. gegolten hatten, war die Erforschung der Vergangenheit seines Heeres zurückgeblieben, von dessen Geschichte keine Acta Borussica militaria berichteten, obgleich es das wichtigste Instrument der preußischen Staatsbildung gewesen ist. Was der Große Generalstab durch die Behandlung einzelner Probleme und durch die Darstellung hervorragender Epochen der Kriegsgeschichte geleistet hatte, konnte wohl als wertvolle Vorarbeit angesehen werden, nicht aber eine zusammenfassende, aktenmäßig begründete Geschichte der preußischen Armee ersetzen. Ein solches Werk zu schaffen, konnte nur ein Mann berufen sein, der, wie Jany, aus der Tradition der alten Armee hervorgewachsen und noch von ihrer Gesinnung erfüllt, gründlichste Kenntnis des weitschichtigen Quellenmaterials mit der Gabe exakter Einzelforschung und glücklicher Leichtigkeit der Darstellung in sich verband und so dem oft trockenen Stoff Leben einzuhauchen verstand. Auf den ersten Blick wird es überraschen, daß Jany sich nicht darauf beschränkt, die innere Geschichte des Heeres vorzuführen, sondern daß er sie in enger Verflechtung mit der allgemeinen Staats- und mit der Kriegsgeschichte behandelt hat. Man wird sich jedoch davon überzeugen müssen, daß eine Isolierung nicht möglich war und daß die eigentliche Organisationsgeschichte der Armee so eng mit den Zeit- und Kriegsereignissen zusammenhängt, daß ohne deren Berücksichtigung ein fragmentarisches, vielfach unverständliches Bild der Heeresentwicklung entstanden wäre. Der erste Band des Werkes setzt mit einer knappen Schilderung der Kriegsverfassung der Mark Brandenburg im 15. und 16. Jhd. ein, zeigt die Entstehung des Miles perpetuus aus den Nöten und Bedürfnissen der Zeit des Großen Kurfürsten und führt bis zur Ausgestaltung des Heereswesens unter Friedrich Wilhelm I., der zweite Band behandelt die drei schlesischen Kriege Friedrichs d. Gr., der dritte die Zeit vom Hubertusburger bis zum Tilsiter Frieden. Innerhalb der einzelnen Bände verteilen sich naturgemäß die Akzente verschiedenartig auf die inneren oder äußeren Momente der Heeresgeschichte. Bei der Darstellung des entscheidenden Zeitraumes von 1640 bis 1688 sind drei Bücher den eigentlichen militärischen Ereignissen gewidmet,


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zwei den Betrachtungen über Stärke und Gliederung des Heeres, über Verfassung und Verwaltung, über Bewaffnung und Ausrüstung. Während dann unter dem ersten Könige die innere Entwicklung der Armee zurücktritt und nur schmalen Raum einnimmt, drängt sie sich in der Epoche Friedrich Wilhelms I. in den Vordergrund, in einem breit angelegten und höchst anschaulichem Bilde der altpreußischen Armee gipfelnd. Die Bücher des zweiten Bandes ziehen die Summe der eifrigen Einzelarbeit, die bisher den schlesischen Kriegen Friedrichs d. Gr. gegolten hat, und erwecken in lebendig gesehenen Schlachtschilderungen das Bild jener »Höhezeit in der Geschichte des preußischen Heeres, deren ein preußisches Herz niemals ohne Erhebung gedenken wird.« Auch hier bleibt ein umfangreicher Abschnitt der organisatorischen Ausgestaltung und dem inneren Ausbau des Heeres vorbehalten, deren Erörterung dann auch im dritten Bande zunächst dominiert und erst durch die Erzählung der Revolutionskriege und des Krieges von 1806/07 verdrängt wird. Zahlreiche nützliche Übersichten, wie die tabellarischen Zusammenstellungen der Bekleidungsabzeichen, die Verzeichnisse des Regimentschefs usw. erhöhen die praktische Brauchbarkeit des Werkes. Ein leises Bedauern mag dem Verzicht auf Angabe der archivalischen Fundorte gelten, den die Knappheit der zum Druck verfügbaren Mittel verursacht haben wird, den aber spätere Forscher, denen die einzigartige Quellenkenntnis Janys abgeht, oft unangenehm empfinden werden. Doch sollen diese Erwägungen zurücktreten gegenüber der Freude am Besitze dieses großen und für lange Zeit abschließenden Werkes.


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