I. Quellenkunde.

Die Bibliographie zur Geschichte des Preußenlandes ist von Ernst Wermke mit gleicher Sorgfalt wie in den Vorjahren fortgesetzt worden ( 38). Sie wird in Kürze eine wertvolle Ergänzung durch die große Bücherkunde finden, die derselbe Verfasser über die gesamte landesgeschichtliche Literatur, die vor dem Jahre 1930 erschienen ist, vorbereitet. Dadurch werden die älteren Literaturübersichten von Rautenberg und in der Altpreußischen Monatsschrift durch Zusammenfassung überholt werden. Wichtig ist auch der Überblick über die Literatur in polnischer Sprache, den Lattermann vorgelegt hat, da sie bei keiner Arbeit über die Geschichte des deutschen Ostens übergangen werden sollte ( 42). Einen überaus fesselnden Aufschluß über die Geschichte des Danziger Staatsarchivs enthält die Festschrift zu seinem 25 jährigen Bestehen ( 68). Karl Joseph Kaufmann, der dem Archiv seit seiner Begründung angehörte und es in seiner schwersten Zeit geleitet hat, stellt seine wissenschaftliche und politische Entwicklung dar. In der Geschichte des deutschen Archivwesens kommt dem Danziger Staatsarchiv eine besondere Bedeutung zu. Von Max Bär, seinem ersten hervorragenden Direktor, wurde es nach Grundsätzen aufgebaut und geordnet, die von dem sonstigen Brauch vielfach abwichen, aber sich seitdem glänzend bewährt haben. Die Abteilungen sind nach den Behörden geordnet, zu denen die Akten, Urkunden und Karten kanzleimäßig gehören. Innerhalb dieser Abteilungen werden die Stücke nach Zugängen gelegt. Knappe, mit Schreibmaschine hergestellte Verzeichnisse, die aber alles Wesentliche enthalten, ermöglichen ihre schnelle Auffindung. So konnten durch angespannte Tätigkeit aller Archivbeamten die Bestände des 18. und 19. Jhds. schon nach kurzer Zeit geordnet und der amtlichen und wissenschaftlichen Forschung zur Benutzung zur Verfügung gestellt werden. Auch das sehr bedeutende historische Archiv der Stadt Danzig, das dem Preußischen Staatsarchiv bei seiner Begründung als Dauerleihgabe überwiesen wurde, ist seitdem zum größten Teil nach den gleichen Grundsätzen geordnet worden. Eine große Gefahr trat ein, als nach dem Ende des Weltkrieges Polen Anteil an der Gesamtverwaltung des Archives oder zum mindesten einen sehr großen Teil seiner Bestände verlangte. Es ist das persönliche Verdienst Kaufmanns, daß diese


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Zerreißung abgewehrt werden konnte. Die Freie Stadt Danzig wurde als Treuhänder für die in Danzig verbliebenen Bestände bestellt. So konnten die wissenschaftlich noch lange nicht ausgewerteten Schätze auch weiterhin der Forschung zugänglich bleiben. Die seit dem 16. Jhd. erhaltenen Berichte der Danziger Gesandten an den europäischen Höfen bieten eine unerschöpfliche Quelle zur politischen Geschichte Nord- und Osteuropas; ihre Bedeutung wird in der genannten Festschrift von Recke dargelegt. Keyser bespricht die Quellen zur Siedlungs- und Bevölkerungsgeschichte des Weichsellandes, während Papritz die wichtigsten Quellen zur Danziger Handelsgeschichte, die auch die hansische Geschichtsforschung bisher nur teilweise ausgenutzt hat, erörtert. Nur dem engeren Kreise der Landeshistoriker sind bisher die Archive in Frauenburg, dem Sitz des Bischofs und Domkapitels von Ermland, bekannt gewesen. Ihr Verwalter, Regens Brachvogel in Braunsberg, gewährt einen ersten Überblick über ihre Geschichte und ihren Inhalt ( 69). Abgesehen von der Geschichte des Ermlandes sind die Frauenburger Archivalien auch für die Geschichte des ostdeutschen Humanismus und der Gegenreformation von hohem Wert. Der gleiche Verfasser hat deshalb auch die Geschichte der Bibliothek auf der Burg Heilsberg, dem zeitweiligen Sitz des Bischofs, dargestellt ( 82 b). Neue schwedische Veröffentlichungen und eigene archivalische Arbeiten gestatteten ihm, ihre Geschichte in neuem Lichte zu zeigen. So konnte die Gründung dieser einst bedeutenden Sammlung nicht wie bisher auf den humanistisch gebildeten Bischof Johannes Dantiscus (1537--48), sondern bereits auf den Bischof Johann von Prag (1338--49) zurückgeführt werden, der auch als theologischer Schriftsteller hervorgetreten ist. Aus Katalogen der Bibliotheken in Upsala und Abo konnten heute leider zum Teil nicht mehr erhaltene Handschriften nachgewiesen werden, die sich im 14. und 15. Jhd. in Heilsberg befunden haben. Sie wurden während der Besetzung der Burg durch die Schweden im Winter 1703/04 nach Schweden verschleppt und gelangten schon bald in Privatbesitz. Die Bischöfe Lucas Watzenrode und Johann Dantiscus haben den älteren Beständen weitere theologische und humanistische Handschriften und Incunabeln hinzugefügt. Ein neu gefundener Katalog von 1633 weist 164 theologische, 177 historische, 176 juristische und 267 profane (zusammen 784) Werke nach. Das von Schindler behandelte Archiv des Deutschen Ordens kommt für die preußische Landesgeschichte weniger in Betracht ( 51).

Einen einzigartigen Schatz besitzt die Staats- und Universitätsbibliothek in Königsberg in der sogenannten Silberbibliothek des Herzogs Albrecht von Preußen. Nachdem Schwenke und Lange schon 1894 die Entstehung und den Inhalt dieser Sammlung eingehend geschildert hatten, veröffentlicht jetzt der Königsberger Museumsdirektor Rohde 9 gut ausgewählte Abbildungen der schönsten Einbände. Drei von ihnen waren von Nürnberger oder niedersächsischen Meistern, die übrigen 17 von Königsberger Goldschmieden in der Mitte des 16. Jhds. hergestellt (Bilderhefte des deutschen Ostens 4. Königsberg, Gräfe u. Unzer. 4 S., 8 Taf.).

Dem Altmeister der preußenländischen Geschichtsschreibung, Johannes Voigt, hat der Königsberger Privatdozent Maschke eine anziehende Studie gewidmet ( 90). Er konnte für seine Lebensgeschichte zahlreiche ungedruckte Schreiben aus dem Staatsarchiv Königsberg, der Staatsbibliothek Königsberg, dem Staatsarchiv Breslau und der Staatsbibliothek Bonn verwerten. So erhalten


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die Bemühungen Voigts, Gregor VII. durch universale Auffassung mehr gerecht zu werden als es zuvor die protestantische Geschichtsschreibung vermocht hatte, neue Beleuchtung. Dem gleichen Wunsche nach einer objektiven Beurteilung einer der großartigsten Erscheinungen der ma.lichen katholischen Welt entsprang auch das Lebenswerk Voigts, seine Geschichte des deutschen Ritterordens. Maschke geht seiner Entstehung im einzelnen nach und bekennt mit Recht, daß Voigts Darstellung trotz starker methodischer Mängel, die auf einer einseitigen Bevorzugung der Ordensüberlieferung beruhen, weit über alle seine Vorgänger hervorragte und auch seitdem keine ebenbürtige Nachfolge gefunden hat.

Die gleiche, neu erwachende Teilnahme an dem Schaffen Voigts bezeugt die Herausgabe einer Reihe seiner schönsten Abhandlungen unter dem Titel »Deutsches Hofleben im Zeitalter der Reformation« durch Emil Schaeffer (Verl. Jess, Dresden). Vorausgeschickt ist ihnen die kurze Autobiographie, die Voigt im November 1861 geschrieben hatte und in der er seine Jugend und Studienjahre schildert. Es folgen dann, teilweise verkürzt, seine farbenreichen Aufsätze über »Fürstenleben und Fürstensitte«, »Hofleben und Hofsitten der Fürstinnen im 16. Jhd.«, die gehaltvolle Skizze »Das Stilleben des Hochmeisters des Deutschen Ordens und sein Fürstenhof«. Den Beschluß bildet die Darstellung des Lebens des Grafen Christian d. Älteren von Dohna, der in der europäischen Gesandtengeschichte des beginnenden 17. Jhds. eine nicht unbedeutende Rolle spielte.

Bei dem Mangel einer Darstellung der Danziger Geschichtsschreibung ist es dankbar zu begrüßen, daß Friedrich Schwarz in einem kurzen Überblick die Einwirkungen zusammengefaßt hat, welche die bedeutendsten Danziger Historiker auf die Entwicklung der Stadtbibliothek ausgeübt haben. (Schwarz, Die Danziger Stadtbibliothek und die heimische Geschichtsforschung: Mitt. westpreuß. Gesch.-Ver. 27, 33--47.) Sie bestehen bei dem Bedarf der Gelehrten an landesgeschichtlicher Literatur vornehmlich in der Anregung zum Erwerb bedeutender Bücher- und Handschriften-Sammlungen, die besonders im 18. und 19. Jhd. aus älteren Beständen der Danziger Ratsfamilien gewonnen werden konnten. Literaturangaben, etwa über Curicke, Lengnich, Hanow, Gralath, Loeschin und Bertling erleichtern die künftige Untersuchung ihrer historiographischen Leistungen.

Die bereits im Vorberichte erwähnte Fortsetzung des Ermländischen Urkundenbuches durch Schmauch hat weitere Lieferungen erhalten ( 138). Von einer zusammenfassenden Würdigung soll abgesehen werden, bis der in Arbeit befindliche Band abgeschlossen vorliegt. Als Beitrag zur Urkundenlehre und Verwaltungsgeschichte des Ordensstaates gibt Keyser eine Übersicht über die Ablösung der lateinischen Sprache durch die deutsche Sprache in den Urkunden des Deutschen Ordens, der Landesbischöfe und Städte. Es zeigt sich, daß dieser Umschwung, zum Teil früher als im deutschen Mutterlande, bereits im letzten Viertel des 13. Jhds. begonnen hat ( 383).


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