II. Bevölkerungsgeschichte.

Sehr lebhaft war im Berichtsjahre wiederum die Forschung auf den Gebieten der Bevölkerungsgeschichte und der Siedlungsgeschichte. In die Frühzeit der deutschen Einwirkungen an der Weichsel führt die Arbeit Keysers über die Anfänge des deutschen Handels im Preußenlande ( 1147). Zahlreiche Bodenfunde erweisen bereits für das 10. und 11. Jhd. die


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Ausbreitung deutscher Münzen. Im letzten Viertel des 12. Jhds. setzt dann die Einwanderung deutscher Kaufleute, Bauern, Ritter und Mönche zu Lande von Pommern und Schlesien her und über See ein. In der Umgegend von Danzig, bei Elbing und im Kulmerlande gehen Handel und Mission gemeinsame Wege, so daß beim Auftreten des Ritterordens im Preußenlande um 1230 bereits überall Ansätze zur Eindeutschung des Preußenlandes vorhanden waren. -- Die Verdienste des Deutschen Ordens um die Besiedlung Ostpreußens hat an anderer Stelle Krollmann hervorgehoben, indem er zahlreiche Sonderuntersuchungen in einem großzügigen Überblick zusammenfaßte ( 598). Daneben wird jedoch auch für das 13. und 14. Jhd. die selbständige kolonisatorische Tätigkeit der Klöster, Städte und Grundherren nachdrücklicher, als es bisher üblich war, zu beachten sein.

In diese Richtung weisen die Olivaer Studien Keysers ( 1306). Die große Zahl der dem Kloster verliehenen, noch erhaltenen Urkunden gestatten, die Ausdehnung seines Grundbesitzes von seiner Begründung im Jahre 1178 bis zum großen Privileg des Hochmeisters Ludolf König vom J. 1342 mit aller wünschenswerten Genauigkeit darzustellen. Die Ländereien der aufstrebenden Zisterzienser-Niederlassung umfaßten nicht nur das Gelände zwischen der Weichselmündung und Zoppot längs der Küste der Ostsee, sondern erstreckten sich auch auf ausgedehnte Äcker und Waldungen auf der Danziger Höhe und in der Weichselniederung, sowie auf das Gebiet von Mewe, in dem erst seit 1283 der Deutsche Orden die Besitzungen des Klosters gegen andere Güter für sich eintauschte. Das große Privileg von 1342 wird wörtlich abgedruckt, da es mit seinen sorgfältigen Grenzbeschreibungen für die Ortsgeschichte bedeutsam ist. Für das 16. bis 18. Jhd. wird die Besitzgeschichte der Klosterländereien, die zumeist an Danziger Kaufleute oder deutsche Bauern verpachtet waren, in kurzen Regesten zusammengestellt. Sie erweist, daß auch in der Zeit, als dem deutschen Konvent polnische Äbte aufgezwungen wurden, der Grundbesitz weiterhin von Deutschen bewirtschaftet wurde. -- Die Gründung des Klosters Oliva stellte mit einer Erläuterung der Handfeste des Fürsten Sambor von 1178 ebenfalls Keyser dar ( 1306 a). Die erste Niederlassung deutscher Mönche, die von Kolbatz bei Stettin herkamen, erfolgte um 1175.

Die bereits 1924 herausgegebene Abhandlung Keysers über die Zahl und Herkunft der Danziger Bevölkerung im 13. und 14. Jhd. wurde in 2. erweiterter Auflage veröffentlicht ( 302). Die Heimat der Einwanderer, die nur zu einem Drittel aus dem deutschen Mutterlande westlich der Elbe stammten, konnte in mehreren Fällen genauer ermittelt werden. Ein Namenverzeichnis erschließt das mitabgedruckte Schoßbuch von 1377, das als das älteste Einwohnerbuch der Stadt zu betrachten ist.

Die Urbarmachung und erste Besiedlung des nördlichen Teiles der Landschaft Sassen in der Gegend von Osterode legt Schnippel dar ( 303). Leider hat er die von ihm benutzten archivalischen Quellen im einzelnen nicht angegeben. Das Gebiet wurde vornehmlich durch Luther von Braunschweig, einen Urenkel Heinrichs des Löwen, als Komtur von Christburg in den Jahren 1315 bis 1332 mit preußischen Adligen und Bauern sowie deutschen Ansiedlern besetzt. Der Name der Stadt Osterode wird auf seine Heimat am Harz und nicht auf die von dort vermutete Einwanderung der ersten Bürger zurückgeführt. Für die deutschen Dörfer ist die Form des Langstraßen-Dorfes kennzeichnend.


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Die deutsche Siedlungstätigkeit der samländischen Bischöfe und Domkapitel hat Siegmund behandelt ( 304).

Seiner im Vorjahre angezeigten Geschichte des Kreises Rosenberg hat Kaufmann die Geschichte der Stadt Riesenburg folgen lassen ( 177). Die Ordnung des im Danziger Staatsarchiv aufbewahrten Stadtarchives von Riesenburg bot ihm die dazu nötigen Hilfsmittel dar. Während die Gründungsgeschichte und die erste Entwicklung der Stadt aus Mangel an Quellen noch zeitlich im Dunkel liegen, konnte ein überreicher Stoff für die letzten vier Jahrhunderte zusammengetragen werden. Er ist unter Verzicht auf die Heraushebung der geschichtlichen Entwicklung nach sachlichen Gesichtspunkten, mehr einem statistischen Handbuch, als einer geschichtlichen Darstellung ähnlich, geordnet worden.

Auch der in neuerer Zeit viel umstrittene Kreis Stuhm ist siedlungsgeschichtlich untersucht worden. A. Semrau, der verdiente Erforscher der Thorner und Elbinger Geschichte, hat die dortigen Ortschaften und Pfarreien seit dem 16. Jhd. bis zu ihrem Ursprung zurückverfolgt ( 305). Bedeutsam ist sein Nachweis, daß eine polnische Bevölkerung vor 1500 nicht anzutreffen ist. Im südlichen Teil waren um 1400 fast ausschließlich Preußen ansässig. Im Norden waren auch größere deutsche Zinsdörfer vorhanden. Die Überlieferung gestattet es, auch die wirtschaftlichen Verhältnisse des Ordenshauses Stuhm klarzulegen. S. bietet tabellarische Übersichten über seinen damaligen Viehbestand und seine Aussaaten. Die Stadt Stuhm selbst wurde erst ziemlich spät, 1416, mit einer Handfeste versehen. Die große Zahl der nachgewiesenen Flurnamen wird der jetzt auch in Ostpreußen aufblühenden Flurnamenforschung wichtige Aufschlüsse ermöglichen.

Nachdem Hermann Bink darauf hingewiesen hatte, daß die Besiedler der Stadt und Umgegend von Mohrungen in Ostpreußen auf die Umgebung von Mansfeld, Merseburg und Halle zurückzuführen sind, hat B. Sommerlad die bevölkerungsgeschichtlichen Beziehungen zwischen dem Preußenlande und Mitteldeutschland im Anschluß an die Forschungen von Krollmann, Timpel, Ziesemer, Semrau und Keyser genauer zusammengestellt und durch wichtige Einzelbeobachtungen erweitert (Mitteldeutsche Ansiedler in Preußen. Thür.-sächs. Z. Gesch. u. Kunst 17, 66--67 und 214--228).

Dem zweiten großen Abschnitt der Siedlungsgeschichte des Preußenlandes ist die Untersuchung von Barkowski über das Hauptamt Insterburg gewidmet ( 1149). Es wurde von Herzog Albrecht 1526 eingerichtet und war bestimmt, die große Wildnis, die sich im Osten des Ordenslandes seit Jahrhunderten ausdehnte, zu bevölkern. Die sorgfältige Bearbeitung der Amtsrechnungen, Zinslisten und Ortschaftsverzeichnisse aus der Zeit zwischen 1539 und 1590 hat dem Verfasser ermöglicht, die Entstehung der neuen Siedlungen genau darzulegen. Die erste Verschreibung erfolgte 1531. Während 1539 erst 145 Siedlungen in dem Gebiet um Insterburg, Gumbinnen und Darkehmen bis hin nach Goldap vorhanden waren, stieg ihre Zahl zwischen 1554 und 1565 von 171 auf 411 und die Zahl der Zinsbauern von 825 auf 1075. Zeitweise trat durch Pest und Abwanderung von Bauern ein Bevölkerungsrückgang ein, der jedoch bald wieder ausgeglichen wurde. Die Siedler kamen zum größten Teil aus Litauen, das sie nicht aus Mangel an Ackerland, sondern zur Wahrung ihres protestantischen Glaubens verlassen haben dürften. Erst aus dieser Zeit stammt somit die »litauische


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Urbevölkerung« dieser Gegend, von der in den politischen Schriften der letzten Jahre so viel die Rede war. Die ortsgeschichtliche Forschung wird durch die Aufführung aller Ortschaften mit der Zahl ihrer Einwohner unterstützt.

Zur Vorbereitung der Gedenkfeier der Begründung der französisch-reformierten Gemeinde in Königsberg vor 250 Jahren beginnt ihr Geistlicher Lic. Dr. Conradt die wichtigsten Quellen zur Gemeindegeschichte herauszugeben ( 1478). Vorangestellt sind das Glaubensbekenntnis und die Kirchenordnung Pariser Herkunft von 1559 und das Edikt von Potsdam von 1685. Außer der Liste der Führer und Ältesten seit 1686 folgen Auszüge aus den Protokollbüchern und Akten bis 1692. Da erst die Vervollständigung dieser Quellenauszüge ihre wissenschaftliche Auswertung ermöglicht, ist zu wünschen, daß die geplante Arbeit des Herausgebers bis 1936 geschlossen vorliegt.


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