III. Politische und Wirtschaftsgeschichte.

Die wichtigste Frage, die für die politische Geschichte des Preußenlandes gestellt werden kann, ist die nach dem Wesen des Ordensstaates. Erich Caspar hat sie in klaren, weitausgreifenden Ausführungen zu beantworten gesucht ( 595). Er weist mit Recht darauf hin, daß nicht das »Moderne«, sondern das typisch ma.liche uns heute den Ordensstaat anziehend macht. Er bildete eine Sonderform ma.licher Staatsverfassung neben dem Kirchenstaat und dem Dogat von Venedig. Dabei sind einige Beziehungen zum Stauferstaat in Sizilien zu erweisen. Die Verbindung ritterlicher und mönchischer Ideen und Lebensgrundsätze gibt dem Ordensstaat sein Gepräge. Er ist nicht auf dem germanischen Treubegriff, sondern auf dem mönchischen Gehorsam aufgebaut. Er krankt gleich den Klöstern daran, daß die strenge Durchführung der Zucht nicht nur zu einer moralischen, sondern auch wirtschaftlichen Blüte führt, die wiederum der Idee des Ordens gefährlich wird. Besonders hat C. im Anschluß an seine früheren Forschungen über Hermann von Salza den Widerstreit zwischen den Erfordernissen der Staatsgründungen und den mit ihr ursprünglich verbundenen Aufgaben der Mission herausgearbeitet. Die Bekehrung der heidnischen Preußen führte dem Orden vom Standpunkt der Kirche gleichberechtigte, freie Mitbürger zu. Diese konnten aber vom Orden nur anerkannt werden, wenn sie sich zugleich seiner deutschen Kulturpolitik völlig einordneten.

Die von Caspar kurz angedeuteten Gedanken hat sein Schüler Erich Maschke quellenmäßig weiter ausgeführt ( 597). Er vergleicht die Missionspolitik des Deutschen Ordens mit den Vorgängen bei der Bekehrung der Sachsen und Elbslawen und mit den Geschehnissen in Livland, und bespricht ausführlich alle chronikalischen und urkundlichen Zeugnisse über das Verhalten der deutschen Ritter zu den noch zu unterwerfenden und schon unterworfenen Preußen und Letten. Der Christburger Vertrag von 1249 steht im Mittelpunkt seiner Erörterungen, die einen wichtigen Beitrag zur Geschichte des kirchlichen und nationalpolitischen Minderheitenrechtes im späten MA. darbieten.

Einer überaus schwierigen Frage ist Forstreuter nachgegangen ( 1292). Seit mehr als hundert Jahren ist eine umfangreiche Literatur in mehreren Sprachen über die Frage vorhanden, ob die aus dem J. 1323 unter dem Namen des Litauerfürsten Gedimin abschriftlich erhaltenen Briefe an Papst Johann XXII., an mehrere deutsche Städte, an die Dominikaner und Franziskaner echt oder unecht sind. Diese Frage kann wegen der mangelhaften Überlieferung der Briefe und dem Fehlen entsprechender quellenkundlicher Vorarbeiten mit den üblichen


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Hilfsmitteln der Urkundenlehre nicht beantwortet worden. Sie ist aber außerordentlich wichtig, weil in jenen Briefen Gedimin seine Bekehrung zum katholischen Christentum andeutet oder in Aussicht stellt, wodurch die Missionspolitik des Deutschen Ordens eine starke Einbuße hätte erfahren müssen. Als Fälscher sind das Erzbistum und die Stadt Riga angesehen worden, die damals mit dem Orden in Streit lagen und selbst eine Erweiterung ihrer Macht gegenüber Litauen erstrebten. Auch F. vermag die Frage nicht endgültig zu klären, obwohl er der Unechtheit mehr zuneigt. Er begnügt sich, die verschiedenen Ansichten, die von der deutschen Forschung nur unzureichend beachtet wurden, miteinander zu vergleichen. Er zeigt damit, wie notwendig es ist, auch die einschlägigen Abhandlungen in polnischer und russischer Sprache zu berücksichtigen.

Eines der anziehendsten Gebiete der Rechtsgeschichte des Ordenslandes hat Guido Kisch angeschnitten ( 1148). Das Recht zur Anlegung einer Mühle galt, wie er nachweist, nicht ohne weiteres als Ausfluß des Grundeigentums, sondern war von der landesherrlichen Genehmigung abhängig. Die Kulmer Handfeste, der scheinbar eine andere Auffassung zugrunde liegt, enthält in diesen, wie anderen Punkten vielfach nur theoretische Formulierungen und ist deshalb nicht als Beleg für die tatsächlich bestandenen Rechtsverhältnisse zu betrachten. Im Anschluß an die Forschungen Caspars spricht K. dem Orden von Anfang an volle Landeshoheit zu, von der alle Einzelrechte des Hochmeisters abgeleitet werden müssen. Die ältere, entgegenstehende Anschauung Brünnecks ist zu berichtigen. Auch das Mühlenbaurecht gehörte zu den Regalien. Es wäre zu wünschen, daß bei der angekündigten Fortsetzung dieser Studien auch die Verhältnisse in Pommerellen im 13. Jhd. zum Vergleich herangezogen würden.

Nachdem in den letzten Jahren die städtischen Willküren von Danzig, Thorn, Kulm und Elbing bereits mehrfach veröffentlicht und bearbeitet worden sind, legt jetzt W. Franz auch eine Ausgabe der Königsberger Willküren vor ( 1064). Diese Arbeit ist um so wichtiger, als die ältere Geschichte der Stadt Königsberg bisher nur wenig bekannt ist. Die älteste Willkür stammt von der Altstadt aus der Zeit um 1385. Ihr folgen eine umfangreichere Willkür der drei Königsberger Städte von 1394, einige kleinere Willküren zwischen 1420 und 1600 und die sogenannte revidierte Willkür von 1621. Außer dem Abdruck der Texte bringt der Verfasser genaue kritische Erläuterungen über die Abfassung und den Inhalt der einzelnen Bestimmungen.

Nachdem ältere Abhandlungen Keysers über die Entstehung von Danzig auch die Aufmerksamkeit der allgemeinen deutschen Geschichtsforschung auf die besonderen Probleme der Danziger Rechts- und Verfassungsgeschichte gelenkt haben, nimmt der Verfasser zu den Darlegungen von Loening und Kisch Stellung ( 1065). Während es unsicher bleibt, welches Stadtrecht in Danzig im zweiten Viertel des 13. Jhds. gegolten hat, wird von 1263 ab der Einfluß des lübischen Rechts und von 1295 ab die Geltung des magdeburgisch-kulmischen Rechts behauptet. Seitdem sind weitere Untersuchungen dieser Fragen im Gange.

Die bereits von Paul Simson in seiner großen Geschichte der Stadt Danzig dargelegten Beziehungen zwischen Danzig und England hat Hans Fiedler unter Auswertung der gedruckten Literatur und der Hanserezesse erneut untersucht ( 1146). Leider hat er die von der älteren Forschung noch nicht ausgewerteten, ungedruckten Bestände des Danziger Staatsarchives auch nicht genutzt, so daß er keine wesentlich neuen Gesichtspunkte zu gewinnen vermochte.


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Immerhin tritt die hervorragende Bedeutung des Danziger Handels für die Entwicklung der englischen Wirtschaft und die Ausbildung ihrer Seeherrschaft wiederum deutlich hervor.

Im Hinblick auf die mannigfachen politischen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die in den letzten Jahren durch die Schaffung des Weichselkorridors entstanden sind, wird häufig die Frage aufgeworfen, wie in den früheren Jahrhunderten, als ebenso wie jetzt das Kernland des brandenburgischen Staates von der »Insel« Ostpreußen getrennt war, die Verkehrsverhältnisse geregelt waren, und wie weit die Hohenzollern schon vor der 1. Teilung Polens die Erwerbung des Weichsellandes erstrebt haben. Einer der wichtigsten Versuche dieser Art liegt in der Bemühung des Großen Kurfürsten vor, sich an der von Schweden angeregten polnischen Teilung im zweiten polnisch-schwedischen Kriege zu beteiligen. Sergej Jacobsohn, ein Schüler von O. Hoetzsch, ist jenen politischen Verhandlungen in den Archiven zu Berlin, Charlottenburg, Dresden, Danzig und Elbing nachgegangen und hat der Ostpolitik des Großen Kurfürsten und seiner Nachfolger in den Jahren 1654--1700 eine eingehende, Literatur und Quellen sorgsam verwertende Darstellung gewidmet ( 683). Bekanntlich wurden die Bestrebungen Brandenburgs, bereits vor Abschluß des Friedens von Oliva einen Anspruch auf das Ermland und einige Starosteien an der Weichsel zu erhalten, dahin beschränkt, daß außer Lauenburg und Bütow nur ein Pfandrecht auf Elbing eingeräumt wurde. Erst auf Grund des Johannisburger Vertrages besetzten die brandenburgischen Truppen im November 1698 diese Stadt, die sie jedoch schon 1700 nach langwierigen diplomatischen Verhandlungen der europäischen Mächte wieder verlassen mußten, Begebenheiten, die weit über den Rahmen der Stadt- und Landesgeschichte hinaus einen wichtigen Abschnitt in der Umbildung der osteuropäischen Mächte am Ausgang des 17. Jhds. veranschaulichen.


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