IV. Kirchengeschichte und Geistesgeschichte.

Die bedeutendste Darstellung zur Geistesgeschichte des Preußenlandes bietet Ziesemer in seinem Werke über die Literatur des Deutschen Ordens in Preußen ( 382 a). Ausgebreitete eigene Forschungen ermöglichten ihm eine tiefgreifende Zusammenfassung des vorher bereits in kurzer Form von Strauch, Helm und Nadler behandelten Stoffes. Nach einer kurzen Übersicht über die Entwicklung der Baukunst, der Verfassung und der Geschichte des Bibliothekswesens werden die weltlichen und geistlichen Dichtungen geschildert, die im Orden entstanden sind oder wenigstens in den Ordenshäusern geschrieben und gelesen wurden. Sorgfältige Schriftenverweise gestatten weitere Nachforschungen. Leider fehlt eine Gliederung nebst Inhalts- und Sachverzeichnis, die das Buch viel leichter benutzbar gemacht hätten. Bewußt ist nur die Literatur des Ordens behandelt. Das geistige Schaffen der Städte, das durchaus nicht unbedeutend war, tritt leider demgegenüber zurück. Auch dürfte es wohl nicht richtig sein, den Ursprung der deutschen Kultur im Preußenlande nur dem Deutschen Orden zuzuschreiben. Denn bereits vor seinem Auftreten waren deutsche Mönche, Missionare und Kaufleute im Lande tätig. Auch haben sie unabhängig vom Orden ihre zum Teil ganz andersartige Kunst- und Geisteskultur entwickelt.

Über die Beziehungen von Comenius zu Elbing und Danzig hat Walter Faber neue Forschungsergebnisse vorgelegt ( 1559). In Danzig ist die erste Übersetzung seines berühmten Buches »Janua« entstanden; hier wirkte in seinem


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Geiste auch Johann Raue, der, 1610 in Berlin geboren, als Professor in Erfurt und Rostock für die Umbildung des lateinischen und theologischen Unterrichts eingetreten war. Da er an beiden Orten sich häufige Anfeindungen zuzog, folgte er 1639 einer Berufung an die dänische Ritterakademie Sorö. Er knüpfte von hier Beziehungen zu dem gleichgesinnten Comenius an, suchte ihn auch in Elbing 1645 auf und gewann von dem Danziger Rat die Zusicherung einer künftigen Anstellung. Raues philosophisches und pädagogisches Hauptwerk »tabula pansophiae«, an dem auch der berühmte Conring tätig war, wurde in Danzig gedruckt. Kurz darauf trat er selbst eine Professur am Danziger Gymnasium an. Faber hat für seine literarische Tätigkeit zahlreiche neue Quellen aufgedeckt. Wegen erneuter Streitigkeiten mußte R. jedoch auch Danzig verlassen und wurde vom Großen Kurfürsten 1659 mit der Begründung der Berliner Staatsbibliothek betraut.

In der Veröffentlichung der Briefe von und an Georg Scheffner, dem bekannten Königsberger Dichter (1736--1820), enthält der 3., noch von dem kürzlich verstorbenen A. Warda herausgegebene Band 137 Briefe des Generals David Neumann aus den Jahren 1760--1804, die vornehmlich über das Kriegswesen im preußischen Heere bemerkenswerte Mitteilungen enthalten, ferner in alphabetischer Anordnung der Briefschreiber u. a. mehrere Briefe Scheffners an Friedrich Nicolai (1787--1789), den Briefwechsel mit dem Prinzen August von Preußen 1806, einen Brief an Friedrich den Großen 1774, zwei Briefe von und an Friedrich Wilhelm III. von 1789--1818, 21 Schriftstücke aus dem Verkehr mit der Königin Luise 1807--1810 und mit der Prinzessin Wilhelm von Preußen 1808--1819. Die umfangreiche Veröffentlichung wird in einem vierten Bande abzuschließen sein, dem hoffentlich auch eine Würdigung und ein zusammenfassendes Namen- und Ortsverzeichnis des gesamten Briefwechsels beigegeben wird.

Völliges Neuland hat Waschinski in seinem zweibändigen Werke über das kirchliche Bildungswesen in Ermland, Westpreußen und Posen der Wissenschaft erschlossen ( 1575). Jahrelange mühsame Durchforschung der zuständigen Archive hat ihn befähigt, einen erstaunlich reichhaltigen Stoff zur Kirchen- und Schulgeschichte zusammenzutragen. Er umfaßt die Zeit, in der zwischen 1454 und 1772 das Weichselland und Posen unter polnischer Oberhoheit standen, und erweist somit, wie viel oder besser gesagt wie wenig die katholische Kirche unter polnischem Einfluß imstande war, das Kirchenwesen und die Volksbildung auf jener Höhe zu erhalten, die sie in der vorausgegangenen Ordenszeit erreicht hatten, und auch etwa im Territorium der Stadt Danzig sich bewahren konnten. Nur das Ermland, in dem auch unter dem katholischen Klerus die deutsche Einwirkung stärker war, zeigte erfreulichere Verhältnisse. W. führt viele Quellen, wie die Synodalstatuten, häufig im Wortlaut an, behandelt die Pfarrschulen und höheren Schulen, die Priesterseminare und die Jesuitenseminare, die auch im 18. Jhd. noch große Wirksamkeit ausübten. Die heute so lebhaft geschmähten Leistungen der preußischen Regierung seit 1772 treten gegenüber den hier geschilderten Zuständen in einem um so helleren Licht hervor; sie sollten gerade unter den Eindrücken der Gegenwart in ihrer vielfach übernationalen, rein kulturellen Bedeutung einmal dargestellt werden.

Einen Schritt in dieser Richtung bedeutet die Arbeit von P. Schwartz über die Schulen in Westpreußen zwischen 1787 und 1806 ( 1574). Es war eine


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schwere Aufgabe, die das 1787 begründete preußische Oberschulkollegium gerade mit der Einrichtung des Schulwesens in dieser Provinz übernahm. Ein Bericht von 1798 legte als die wichtigsten Gründe für seine Rückständigkeit die Verschiedenheit der Religionen, die Verhältnisse in den Elternhäusern und die mangelhafte Einrichtung der Schulen dar. Der Bischof von Kulm und spätere Fürstbischof von Ermland, Prinz Karl von Hohenzollern, war auf die Hebung der Schulen und die Eröffnung neuer Lehrerseminare zwar eifrig bedacht. Auch legte der Oberschulrat Meierotto eingehende Nachweisungen und Vorschläge vor, für die er auf einer Reise 1792 sich vorbereitet hatte. P. Schwartz ist allen diesen Bemühungen der preußischen Verwaltung nachgegangen und hat die Denkschriften und Reiseberichte zum Teil in wörtlichen Auszügen veröffentlicht. Aber erst die Reise, die der Minister von Massow zusammen mit dem Oberschulrat Zöllner 1802 durch die ganze Provinz unternahm, führte zur endgültigen Aufstellung eines Planes der Neuordnung des gesamten Schulwesens. Die Direktoren Jachmann in Danzig und Süvern in Thorn waren an seiner Ausarbeitung beteiligt. Doch wurde die Befolgung ihrer Ratschläge zunächst durch die Kriegsereignisse des Jahres 1806 unterbrochen.

Einem besonderen Abschnitt der ostpreußischen Kirchengeschichte ist Pfarrer Lenkitsch in seinem Buche »Die Innere Mission in Ostpreußen in ihrer geschichtlichen Entwicklung bis zur Gegenwart« nachgegangen. (Festschrift Königsberg. 279 S.) Obwohl Ostpreußen bis 1864 mit Westpreußen kirchlich eng verbunden war, hat sich der Verfasser auf die erstgenannte Provinz beschränkt und die in den kirchlichen und staatlichen Archiven befindlichen Quellen zur Geschichte der Wohlfahrtspflege, der Bibelgemeinschaften und Rettungsvereine geschickt ausgewertet. Die Tätigkeit der Inneren Mission setzte, nachdem ältere gleichartige Bemühungen im 18. Jhd. gescheitert waren, um 1825 ein. Erzbischof Borowski machte seinen Einfluß auch in dieser Richtung geltend. Der Verbreitung von Bibeln in der Muttersprache unter Masuren und Litauern wurde zum Teil mit englischer Hilfe besondere Aufmerksamkeit gewidmet. In den vierziger Jahren führte die von Königsberg ausgehende freireligiöse Bewegung bedauerliche Spaltungen herbei. Unter dem Eindruck der Revolution und der Wittenberger Rede von Wichern wurde 1849 der Provinzialverein für die Innere Mission in Ostpreußen geschaffen. Die Ausführungen des Verfassers über die Arbeit der Mission in den folgenden Jahrzehnten enthalten fesselnde Einblicke in die Sozialgeschichte des Landes. Auch zur Geschichte der in der Mission tätigen Persönlichkeiten ist viel neuer Stoff zusammengetragen worden. Leider fehlt am Schluß ein Namen- und Ortsverzeichnis. Auch hätten die Leistungen der Inneren Mission während des Weltkrieges genauer geschildert werden können.

Conrad Steinbrecht, der Begründer der modernen preußenländischen Burgenforschung, hatte unter der Fülle der Einzelaufgaben keine Zeit gefunden, die Ergebnisse seiner Untersuchungen über den Ursprung und die Entwicklung der Ordensburgen in einem zusammenfassenden Werk darzulegen. Auch Bernhard Schmid, sein Nachfolger im Amte und in der wissenschaftlichen Arbeit, hat den Augenblick dafür noch nicht als gekommen erachtet. Er hat vielmehr zunächst nur eine neue, auf Auswertung aller urkundlichen und baulichen Zeugnisse gestüzte Abhandlung über einen weiteren Abschnitt der Marienburger Baugeschichte veröffentlicht. Nachdem die Wiederherstellung der Marienburg im Hochschloß und im Mittelschloß im wesentlichen bereits vor dem


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Kriege ausgeführt war, wurde noch während des Krieges und in den Jahren darauf begonnen, mit den zwar geringen Mitteln auch die Vorburg und die Umfassungsmauern auf der Nord- und Ostseite in ihren ursprünglichen Zustand zu versetzen. Die als Grundlage für diese Bauarbeiten erforderlichen geschichtlichen Untersuchungen hat B. Schmid mit gewohnter Sorgfalt vorgenommen ( 305 b). Obwohl Quellen des 16. Jhds. den Mauerbau auf der Vorburg dem Hochmeister Dietrich von Altenburg (1335--1341) zuschreiben, hat die neuere Forschung ergeben, daß er lediglich die Brücke über die Nogat 1340 errichtet hat und die Mauern bereits älter sind. Aber auch noch am Anfang des 15. Jhds. wurde die Zahl der Türme an dieser Stelle vermehrt. Das Heinrich von Plauen zugeschriebene Bollwerk ist nicht diesem, sondern seinen Nachfolgern Michael Küchmeister und Conrad von Erlichshausen zu verdanken. Die Ausführungen werden durch mehrere Briefe und Rechnungsauszüge belegt.

Erich Keyser ist der Geschichte der Danziger Ordensburg nachgegangen. Die erstmalige Auffindung größerer Mauerreste bot ihm den Anlaß, ihrer Geschichte quellenmäßig nachzuforschen ( 301). Die schon Mitte des 12. Jhds. vorhandene Burg war der Sitz der Fürsten von Danzig bis 1294. Sie ging mit der Erwerbung Pommerellens an den Deutschen Orden über, der an ihrer Stelle um 1340 eine neue große Burg erbaute. Sie bestand aus dem »Hause«, einer Vorburg und ausgedehnten Befestigungsanlagen, die, abgesehen von den Bodenfunden, nach Karten des 17. Jhds. festzulegen sind. Alle diese Baulichkeiten wurden 1454 nach dem Abfall Danzigs vom Hochmeister von den Bürgern in kurzer Frist zerstört, damit nicht dem König von Polen Gelegenheit geboten war, die Burg als Zwingfeste für sich einzurichten. Nach 1648 wurde die Stelle der Burg zur Anlage neuer Siedlungen endgültig aufgeteilt. Für die übrigen Burgen fehlt es noch durchaus an den notwendigen archivalischen und baulichen Forschungen. Trotzdem hat Clasen es unternommen, die Ergebnisse älterer Arbeiten und seiner eigenen Beobachtungen zu einer Entwicklungsgeschichte der Burgtypen zu vereinigen: Die ma.liche Kunst im Gebiete d. Deutschordensstaates Preußen. Bd. 1: Die Burgbauten. Königsberg, Gräfe u. Unzer. 4. XII, 224 S. Als erster Überblick über eins der wichtigsten Gebiete der deutschen Kunstgeschichte verdient sein Buch Dank und Anerkennung, auch wenn es nicht alle Forderungen der Fachwissenschaft zu befriedigen vermag. Es ist dem Architekten zu wenig technisch unterbaut und dem Historiker zu wenig quellenmäßig begründet. Es ist in weitem Umfange Konstruktion. Dieses Urteil gilt auch von dem Versuch, die modisch gewordene, erneuerte Generationenlehre zur Periodisierung der Baugeschichte zu benutzen. Auch verbietet die bisher noch bestehende Unsicherheit der zeitlichen Ansetzung der einzelnen Bauabschnitte auch nur bei den größeren Burgen eine derartige Einreihung. Immerhin durften, wenn schon ein ähnlicher Versuch gemacht wurde, die Bischofsburgen nicht als eine Sondererscheinung behandelt werden.


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