IV. Verfassungs- und Wirtschaftsgeschichte. Geistesgeschichte.

Der Gottorper Anteil der Herzogtümer Schleswig-Holsteins, das kleine Land, das durch die verwandtschaftlichen Beziehungen seines Herrscherhauses und dessen Katastrophen im 17. und 18. Jhd. europäische Bedeutung erlangt hat, ist trotz des ungemein reichen archivalischen Materials bis jetzt noch nicht der Gegenstand einer zusammenhängenden, allseitigen Geschichtsdarstellung geworden. Auch die außerordentlich fleißigen und verdienstvollen Untersuchungen von L. Andresen ( 1086) bieten nur eine freilich sehr bedeutsame Vorarbeit hierzu. Sie geben eine Übersicht über die Entwicklung und den Aufbau der Verwaltung sowie über wesentliche Züge der Wirtschaft des Gottorper Territoriums in der Zeit der hervorragendsten Herzöge, Adolfs, Johann Adolfs und Friedrichs III. In diese Zeit fällt auch die scharfe Auseinandersetzung zwischen Fürstengewalt und der in Schleswig-Holstein besonders stark entwickelten ständischen Macht und im Zusammenhang damit die Herausbildung eines schlagfertigen Beamtenstabes, einer durchgegliederten Zentralverwaltung, durch die das Landesfürstentum für seine absolutistischen Ziele die kräftigste Stütze erhielt. A. konnte zugleich viele neue Mitteilungen über die führenden Persönlichkeiten am Gottorper Hof und in der Gottorper Zentralverwaltung machen. Schon allein das 1. Kapitel enthält eine Fülle interessanter Nachrichten über den Hof, auch das höfische Leben auf Schloß Gottorp (bei Schleswig). Bei seiner Schilderung geht A. mit Recht von der für alle landesherrlichen Verwaltungen in den deutschen Territorien des 16. Jhds. charakteristischen Erscheinung aus, daß Hofverwaltung im engeren Sinne mit der allgemeinen Landesverwaltung aufs unmittelbarste verknüpft ist. Da die älteste noch vorhandene gottorpsche Hofordnung erst aus dem Jahre 1662 stammt, die früheren Hofordnungen, die fraglos bestanden hatten, aber nicht mehr aufzufinden sind, hat A. sich bei seinen Studien namentlich an die gottorpschen Bestallungen sowie die Rechnungen der Rentekammer und andere Quellen, die in dem 2. Bande seines Werkes wiedergegeben sind, gehalten. Aufschlußreich sind für das 17. Jhd. die Aufzeichnungen des gottorpschen Hofpredigers Jacob Fabricius des Jüngeren, auch die schriftlichen »Ermahnungen« des Kanzlers Dr. Junge an Herzog Johann Adolf sowie die »Leichenpredigten«. A. zeigt, daß im allgemeinen das aus diesen Quellen gewonnene Bild des Gottorper Hoflebens nur wenig von dem in anderen Territorien abweicht, vielmehr häufig dieselben patriarchalischen Züge trägt, so daß die Begriffe »Hof« und »Staat« noch durchaus zusammenfallen. So finden sich auch Einrichtungen wie die, daß die Gehälter der Beamten aus Natural- und Bareinnahmen sich zusammensetzen; erst allmählich wurde das »Kostgeld« eingeführt. Die derb materiellen Lebensäußerungen des 16. Jhds., an erster Stelle der Trunk, treten auch hier in voller Stärke zutage. A. ist sodann zu einer sehr sorgfältigen Behandlung der einzelnen Beamtengruppen, am Hof, im Heer, in der Kanzlei, im landesherrlichen Rat übergegangen und schildert weiterhin in den Hauptzügen die Geschichte der Gottorper Kirchenverwaltung bis 1659,


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dabei die Befreiung der landesfürstlichen Kirchengewalt von der Beschränkung durch Rechte und Ansprüche des Schleswiger Domkapitels. Gerade hierdurch hat A. einen beachtenswerten Beitrag zur Personalgeschichte der damaligen Zeit geliefert; es wird dabei von ihm nicht verschwiegen, wie sehr verwandtschaftliche Beziehungen, »Vetternschaften«, in dem Gottorper Beamtenkörper eine Rolle spielten. A.s Forschungen hat W. Stephan durch eine brauchbare Übersicht über den Personalbestand der gesamten Gottorper Verwaltung in dem Zeitraum von 1544 bis 1658 ergänzt, eine Zusammenstellung, die als ein Ersatz der späteren Hof- und Staatskalender gedacht ist. Das Gottorper Finanzwesen ist damals insofern sehr mangelhaft gewesen, als auch die Herzogtümer Schleswig-Holstein in die allgemeine Münzverwirrung hineingerissen und von der Steigerung der Preise sowie die Entwertung des Geldes und damit auch von den Tendenzen der Münzverschlechterung erfaßt wurden, wie A. ebenfalls deutlich macht. Die Abhängigkeit der Fürsten vom »Landkasten«, in den die Steuern aus den königlichen wie aus den gottorpschen Gebieten flossen, und die mit ihm verbundene Kontrolle der Stände haben die fürstliche Finanzverwaltung in vieler Hinsicht gehemmt, um so mehr aber die Bemühungen der Fürsten entfacht, sich von dem Mitreden der Stände in Finanzfragen freizumachen. A. betont jedoch, daß die erfolgreichen Bestrebungen der Gottorper, ihren Hof zu einem Mittelpunkt künstlerischen und wissenschaftlichen Lebens zu machen, doch trotz der dadurch erwachsenen hohen Ausgaben für das Finanzelend des Gottorper Staates keineswegs entscheidend gewesen sind.

V. Pauls erörtert ( 1058) die Unterschiede, die zwischen der älteren Eiderstedter Gerichtsverfassung und der des Eiderstedter Landrechts des 16. Jhds. vorhanden waren. Jene baute sich auf der Teilnahme des ganzen Volkes auf, während diese eine solche auf ein verschwindendes Maß reduzierte. Es ist der Unterschied zwischen altgermanischer Volksfreiheit und neuer Autorität des absoluten Staates, der auch hier sich feststellen läßt. -- H. Stoltenberg untersucht die historischen Quellen über die Verbreitung des Waldes auf dem Kolonialboden Ostholsteins (Mitt. geogr. Ges. Lübeck, Reihe 2, H. 32, S. 163 bis 220): die Geschichtschreiber aus dem Altertum wie die aus dem MA., die Urkunden, die Landesbeschreibungen und Statistiken, die Gesetze und Forstverordnungen. Es ergibt sich dabei, daß Ostholstein bis zu Beginn der Neuzeit als ein waldreiches Land angesehen wurde, daß dann aber im 17. und 18. Jhd. eine bedeutende Verringerung des Waldareals stattfand, die auch während des 19. Jhds. fortschritt. Jedenfalls ist auch hier die heutige Verteilung von Wald, Feld und Wiese künstlich und stammt aus der Zeit der zu Siedlungszwecken vorgenommenen Rodungen. -- W. Mohrhenn ( 732) entwirft auf Grund der »Helgolander Gerichts-Protokolle« des Brandversicherungskatasters von 1805, der Korrespondenz des Gouverneurs Hamilton mit dem Londoner Auswärtigen Amt und anderer Berichte ein buntes Bild des Helgoländer Lebens während der Jahre 1807--1813, der Zeit, in der die Felsenklippe das größte Schmugglernest Europas und mit den europäischen Wirren verflochten gewesen ist. Der Vorgang des Raubes Helgolands durch die Engländer im Anschluß an das Bombardement Kopenhagens 1807 und sein Ausbau zu einem englischen Depot für Kriegsbedürfnisse aller Art wird im einzelnen beschrieben: Helgoland sollte, wie die Engländer selbst verkündigten, zu einem zweiten Gibraltar umgewandelt werden. Nach dem Ende der großen Kriegsära, die den Bewohnern infolge


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des Schmuggelhandels viele -- scheinbare -- materielle Vorteile gebracht hatte, fiel das Leben der Insel der Verödung und ihre Einwohnerschaft der Verarmung anheim.

R. Bülck ( 1596) gibt die erste umfassende Darstellung der Frühzeit des schleswig-holsteinischen Zeitungswesens (bis zur Französischen Revolution). So groß der Tiefstand der schleswig-holsteinischen Presse zu Beginn des 19. Jhds. war, in so hoher Blüte stand sie im 18. Jhd. Die älteste, nachweisbare Zeitung in den Herzogtümern erschien in Wandsbeck als »Postzeitung« 1630, alsdann erlangte Altona durch den »Altonaischen Merkur« eine große Bedeutung, später machten sich andere Ortschaften der Herzogtümer gegenseitig den Vorrang streitig: so ist vor allem das gottorpische Dorf Schiffbek (vor Hamburg) durch den »Schiffbeker Correspondenten« geradezu berühmt geworden. B.s vortreffliches, auf ausgedehnten Aktenstudien beruhendes Buch fördert insofern die Erkenntnis der Geistesgeschichte Deutschlands, als es nicht bei der Betrachtung der »Zeitungen« stehen bleibt, sondern auch die große Anzahl der -- in der Aufklärungszeit besonders stark gelesenen -- Zeitschriften, so der sogenannten moralischen Wochenschriften, in diese miteinbezogen hat; zugleich hat B. die Einflüsse aufgezeigt, die von jenseits der Grenzen Schleswig-Holsteins, von Dänemark, Holland, Frankreich, ausgegangen sind. Aber selbst Buchdruck, Post- und Verkehrswesen, das Vorgehen der Zensur, die Abonnentenzahl der verschiedenen Blätter hat er berücksichtigt. Die Arbeit darf als vorbildlich für die Erforschung der öffentlichen Meinung in anderen deutschen Territorien im gleichen Zeitraum bezeichnet werden. -- Aus T. O. Achelis' Abhandlung (Schleswiger Studenten auf d. Kopenhagen. Universität, Arch. f. Kulturgesch. 18, 297--308) geht hervor, wie gering der Besuch der Kopenhagener Universität seitens der Schleswiger Studenten im Laufe der Jahrhunderte gewesen ist, so daß von einem geistigen Einfluß der dänischen Hochschule auf die Herzogtümer überhaupt nicht die Rede sein kann. Der Hauptgrund dafür, daß die jungen Schleswiger Kopenhagen mieden, lag in dem Umstand, daß das Leben dort ungewöhnlich teuer war und sie außerdem nicht in die »Kommunität« der dänischen Studenten aufgenommen, vielmehr durchaus als Ausländer behandelt wurden. Selbst nach der Gründung der Universität Kiel durch den Gottorper Herzog Christian Albrecht änderte sich darin nichts. Welche seelischen Qualen einzelne Schleswiger Studenten litten, als sie in Kopenhagen das Herannahen des Krieges von 1864 erlebten, bezeugen die von A. mitgeteilten Briefstellen. Freilich gab es auch solche, die sich -- in Adressen an den dänischen Kriegsminister -- scharf gegen die schleswig-holsteinische Bewegung erklärten. Übrigens teilt A. mit, daß die Schleswiger sich im 17. Jhd. in der Regel als »Holsati« in Kopenhagen immatrikulieren ließen. -- In breitangelegter Schilderung behandelt A. Linvald ( 1489) die Entwicklung der Judenemanzipation in Dänemark und den Herzogtümern Schleswig-Holstein. Wie in andern europäischen Ländern hat im deutsch-dänischen Norden -- entsprechend sonstigen fortschrittlichen Ideen -- einerseits infolge der geistigen Bewegung der Aufklärung, anderseits infolge des Triumphzuges der französischen Heere auch der Gedanke Wurzel gefaßt, den Juden die bürgerliche Gleichberechtigung zu gewähren. L. führt überzeugend die Gründe an, weshalb im Königreich Dänemark die Juden über ein Menschenalter früher dieses Ziel erreichten als in den Herzogtümern. In Dänemark befand sich eine geistige Oberschicht, die auf einer höheren


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Bildungsstufe lebte als die Kreise der schleswig-holsteinischen Juden. Auch ist in Dänemark König Friedrich VI. bei seiner rationalistischen Einstellung als entschlossener Vorkämpfer der Judenemanzipation hervorgetreten, während sich in dieser Frage seine Macht in den Herzogtümern als beschränkt erwies. In den Herzogtümern hat eine starke Bürokratie, an ihrer Spitze der Statthalter Prinz Karl von Hessen, die Gleichstellung der Juden mit den andern Untertanen des dänischen Königs bewußt verzögert. Aber auch die viel kompliziertere Struktur der Herzogtümer, die Mannigfaltigkeit ihrer Verwaltungsorgane erschwerte von vornherein hier die Emanzipation der Juden. Im Herzogtum Schleswig wurde die Emanzipation erst 1854, in Holstein sogar noch viel später, 1863, durchgeführt. L.s Untersuchung ist demnach auch insofern aufschlußreich, als auch aus ihr die Tatsache einer weitgehenden Sonderstellung der Herzogtümer noch um die Wende des 18. Jhds. bekräftigt wird, die selbst ein so absolutistischer Herrscher wie Friedrich VI. nicht zu ignorieren vermochte. -- H. Skalberg geht den Schicksalen der Lektoren und Professoren der dänischen Sprache und Literatur an der Kieler Universität unter Benutzung bisher nicht herangezogener Archivalien nach (Deutsch-nordische Ztschr. 1, 87--110). Jens Baggesen, Henning, Christopher Gøtzsche, J. L. Heiberg, Christian Flor, Carsten Hauch und Chr. K. F. Molbech hatten in den Jahren 1811--1864 diese Stellung inne, die zur gleichen Zeit, da die Veröffentlichung des Sprachreskripts von 1810 erfolgte, geschaffen wurde. Man wird diese Danisierungsbestrebungen nicht, wie Skalberg möchte, als bloße Uniformierungsbemühungen, sondern sehr wohl auch schon als Ausfluß eines nationalistischen Dranges der dänischen Machthaber zu betrachten haben. Übrigens war der Besuch der dänischen Vorlesungen in Kiel sehr gering. Baggesen, dessen Anstellung, wie Sk. belegt, einerseits auf Betreiben Julia Reventlows von Emkendorf, anderseits auf das persönliche Interesse Friedrichs VI. an dem Dichter zurückgeht, hat schon bald in dem »halbrussischen Kiel« versagt. Die Kämpfe um seine Pension, aber auch die Schwierigkeiten und Reibungen, die seinen Nachfolgern dort erwuchsen und sie jedesmal rasch diesem Amt den Rücken kehren ließen, werden ausführlich beschrieben, wenn auch die nationalpolitische Rolle Flors, als dänischen Agitators, allzu wenig Berücksichtigung findet. -- G. Junges gründliche Geschichte des Kieler Theaters ( 1557a) ist ein lehrreicher Überblick zugleich über die gesamten Theaterverhältnisse in Schleswig-Holstein, auch über die Stellung der Kieler Universität zu dem Gedanken eines ständigen Theaters. Der Wirksamkeit des Prinzen Karl von Hessen, des Statthalters der Herzogtümer auf Schloß Gottorp, sowie des bekannten »Theatergrafen« Hahn als eifriger Förderer der Schauspielkunst in Schleswig-Holstein wird besonders gedacht; auch die einzelnen Schauspielertruppen und ihr Auftreten in Kiel werden näher charakterisiert.


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