IV. Wirtschafts- und Sozialgeschichte.

Die besonders für die ma.liche Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Lübecks aufschlußreichen »Hansischen Beiträge« von Fr. Rörig ( 1109) finden sich in anderem Zusammenhang besprochen (vgl. S. 271 u. 288); ebenso der 2. Teil der Bremer verkehrsgeschichtlichen Arbeit von J. Müller ( 1134) (vgl. S. 289), sowie die Untersuchungen von B. Gätjen über den Rentenkauf in Bremen ( 1136) (vgl. S. 290) und von E. Wiskemann über Hamburgs Stellung in der Welthandelspolitik ( 1193). Zu dem 1926 erschienenen 1. Teil seiner Arbeit über die Bremer Wilhadi-Stephani-Güter bringt Fr. Prüser den abschließenden 2. Teil heraus ( 1135), der die Kämpfe um die Kapitelsgüter


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seit der Reformation schildert. Da das Kapitel nach der Reformation ohne geistliche Pflichten fortbestand, mußte die Stadt zur Bestreitung der Bedürfnisse von Kirche und Schule sich einen Anteil an den Einkünften sichern und erreichte zunächst 1545 vertraglich eine Beteiligung am Kollationsrecht, sodann 1603 die Gewährleistung einer Jahresrente. Inzwischen nutzten Renten- und Zinspflichtige des Kapitels die Streitigkeiten, um sich ihren Verpflichtungen zu entziehen. Als Rechtsnachfolger des Erzstifts Bremen trat ein weiterer Gegner auf den Plan, die Krone Schweden, und verschleuderte große Teile der Güter an ihre Funktionäre. Da das Kapitel sich nicht entschließen konnte, der Stadt gegen Schweden die Hand zu reichen, fand sich schließlich der Rat mit Schweden zu einem Vertrag zusammen, der die Besitzungen in der Hauptsache teilte und den Rest gemeinsamer Verwaltung überließ. In den Genuß des schwedischen Anteils trat 1719 Hannover ein, bis durch den RDH. auch der im Stadtbremischen gelegene zweite Teil der Besitzungen an die Stadt fiel. Die Liquidation des Vermögens zugunsten kirchlicher und sozialer Einrichtungen war erst 1836 beendet. -- Für Hamburg schildert H. Bock ( 1198 b), wie in den Walddörfern die Bauernbefreiung mit der Verkoppelung und der Aufhebung der Gemeinheiten Hand in Hand ging. Mit der Einführung des Erbpachtverhältnisses für die Domäne Wohldorf 1777 begonnen, beschränkte sich das Werk zunächst auf die Befreiung der Hufner von Hofdiensten, wurde 1807 auf die Insten ausgedehnt und kam erst in späteren Jahrzehnten zur Vollendung. Um die 1782 von den Kämmereibürgern angeregte Verkoppelung und Aufhebung der gemeinen Weide und Heide durchführen zu können, bedurfte es eines starken Drucks auf die Eingesessenen. Die größten Schwierigkeiten machte die Beteiligung der Brinkbesitzer. --Wiedenfelds Sammlung »Die deutsche Wirtschaft und ihre Führer« bringt einen Band über die Hansestädte heraus ( 1200), der drei ganz verschiedenartige Arbeiten enthält. O. Mathies beschränkt sich in seinem Hamburger Teil auf die Entwicklung der Reederei, beginnend mit Hamburgs Aufblühen, wie es nach der Franzosenzeit besonders unter Einwirkung der Loslösung der latein-amerikanischen Kolonien von ihren Mutterländern einsetzte. Was der Zeitraum dieser letzten hundert Jahre für Hamburg bedeutete, ist schon daran zu ermessen, daß hier ganze sechs Bogen nur eben ausreichen, um knapp zu umreißen, wie aus ihren verschiedenen Wurzeln -- Kaufmannschaft, Schiffsmakelei und Werftbetrieb -- sich die Fülle der Hamburger Reedereien entwickelte, Linie auf Linie entstand und Konkurrenzkämpfe zu Fusionen und Interessengemeinschaften führten. Mathies behandelt noch den überraschenden Wiederaufbau nach dem Weltkrieg. Für die Persönlichkeiten bleibt etwas wenig Raum. Vorzüglich sind die allgemeinen Ausführungen am Schluß. H. Entholt hat seine Bremer Arbeit zuletzt kürzen müssen und schließt leider schon mit dem J. 1914. Dafür aber berücksichtigt er auch alle Zweige der Wirtschaft. Durch geschickte Gliederung gestaltet er seine flüssig geschriebene Darstellung übersichtlich. Hier gewinnt der Leser nicht nur den Eindruck einer Entfaltung weltumspannender Kräfte, sondern wirklich ein Bild der Wirtschaft und ihrer Führer, wie es im Plan der Sammlung liegt. Daß ein Abriß des letzten Lübecker Wirtschaftsjahrhunderts sich mit dem der beiden Welthäfen an der Nordsee nicht messen kann, versteht sich von selbst. Und eine Schilderung der Zeit von Lübecks Größe würde aus dem Rahmen fallen. Um so weniger hätte L. Leichtweiß im Titel seines Aufsatzes von »alter und neuer Zeit« reden dürfen. Selbst

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das, was er über das letzte Jhd. sagt, ist bescheidener, als es nötig wäre. Wer das sucht, was man an der Seite der beiden anderen Aufsätze hätte erwarten sollen, sei auf die im Jahresbericht 1926 (S. 559) genannte Arbeit von R. Keibel hingewiesen. -- Eine Dissertation von W. Hinrichs über die lübeckische Finanzpolitik 1867--1926 ( 1199 a) erfährt in finanzwissenschaftlichen Kreisen warme Anerkennung. Ihr Wert besteht namentlich darin, daß sie einmal die allgemeine Entwicklung des öffentlichen Bedarfs im Deutschen Reich am Beispiel eines Landes klar aufzeigt, sodann im besonderen die Finanzierung größerer handels- und verkehrspolitischer Aufgaben im begrenzten Rahmen des Haushalts der kleinsten der drei Hansestädte anschaulich vor Augen führt. Zu Beginn des betrachteten Zeitabschnittes hat sich die Stadt durch den Beitritt zum Norddeutschen Bund und zum Zollverein einer autonomen Zollpolitik begeben und blieb fortan auf den Ausbau der direkten Steuern angewiesen. Mit dem Jahre 1910 verschwand erst die Gliederung des Gesamthaushaltes in die selbständigen Haushalte des Staates, der Allgemeinen Armenanstalt und der Städtischen Gemeindeanstalten. Seit Beginn des Weltkrieges zeigt sich die Bewegungsfreiheit der Finanzgebarung durch die Reichsfinanzpolitik stark eingeengt. Hinrichs führt seine einzelnen Abschnitte durch kurze historische Rückblicke ein und stellt vielfach nützliche Vergleiche mit Maßnahmen des Reiches und anderer Länder an. -- Zur Postgeschichte veröffentlicht M. G. Teubner zwei Aufsätze, deren einer die fremden Postanstalten in Hamburg zum Gegenstand hat (Arch. f. Post u. Telegr. Nr. 10 u. 11). Abgesehen von den vorübergehenden Erscheinungen der Franzosenjahre waren die fremdstaatlichen Postämter in Hamburg zumeist Gründungen des 17. Jhds. und haben die Verstaatlichung des Hamburgischen Postwesens (i. J. 1821) überdauert, um erst in den Jahren 1864 bis 1868 zu verschwinden. Das schwedische Postamt überlebte sogar noch um Monate die Übernahme der Hamburger Post durch den Norddeutschen Bund. Die andere der Teubnerschen Studien (ebd. Nr. 6 u. 7) behandelt die Geschichte der Hamburger Börse, weil das Hamburger Postwesen mit der Börse eng verknüpft war. Die Börse wurde 1558 von der Kaufmannschaft gegründet und von den Älterleuten Eines Ehrbaren Kaufmanns verwaltet. Das erste Gebäude errichteten die Gewandschneider. Es nahm 1735 die Registratur der Kommerzdeputation und die Kaufmannsbibliothek auf. 1839 wurde der Grundstein zur neuen Börse gelegt. Teubner gibt einen Überblick über die an der Börse tätigen und verkehrenden Personen und ihre Geschäfte. -- Eine Hamburger Dissertation von Max Fehring über das Amt der Tischler in Hamburg liegt erst im Teildruck vor. Darin wird nach einem Abriß über das Holzgewerbe Hamburgs im 13.--15. Jhd. die Entstehung und Entwicklung des Tischlerhandwerks behandelt.


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