III. Historische Landeskunde.

Als höchst beachtenswerter Beitrag zur Straßenforschung treten zu den bereits für Hessen vorliegenden vorzüglichen Arbeiten von Kofler, G. Wolff und Vonderau fortsetzend und ergänzend die Untersuchungen von Müller ( 287). Veröffentlicht sind sie bisher für das Gebiet zwischen Kinzig und Nidder. Die unbedingt zuverlässige Festlegung der Straßenzüge ist wohl das Hauptverdienst Müllers. Erreicht wurde sie durch eine Methode, die bisher in dieser Konsequenz noch nicht angewandt wurde: Müller ist die durch ein gründliches Studium von Flurkarten, Flur- und Gewannamen, Grenzbeschreibungen u. A. ermittelten Wegestrecken sämtlich erst im Gelände abgegangen, ehe sie kartographisch festgelegt wurden. Die Beschreibung der Straßenzüge -- nur alte Fernwege sind berücksichtigt -- erfolgt nach fünf Gesichtspunkten: 1. Name der Straße, 2. Straßenzug nach der Karte, 3. Straßenzug im Gelände, 4. Geschichtliche und 5. Vorgeschichtliche Siedlungen und


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Zeugnisse an und nahe der Straße. Man wird dem Verfasser dankbar sein, daß er von der Fülle der Beobachtungen beim Studium der archivalischen Quellen und im Gelände ausgiebig Mitteilung gemacht hat, das gilt vor allem für den Abschnitt über die Beziehungen der alten Straßen zur Siedlung und Territorienbildung. Es sei nur, um Einiges herauszugreifen, auf seine Ausführungen über Reichsgut und Kirchen an alten Straßen, über Wildbänne und Bannforsten (nach Müller Grenzmarken), über den Unterschied der Kirchengründungen, Landnahme und Marken westlich und östlich der Rhein-Weserwasserscheide, über den Wert straßenbeherrschender Burgen für einen Territorialherren aufmerksam gemacht. Fünf von Müller entworfene und bearbeitete Karten dienen zur Veranschaulichung der Ergebnisse.

Die weiter hier zu nennenden Arbeiten entstammen dem Institut für geschichtliche Landeskunde in Marburg. Über dessen Gesamttätigkeit, soweit sie sich auf den Geschichtlichen Atlas von Hessen und Nassau bezieht, hat Stengel im 32. Jahresbericht der Historischen Kommission für Hessen und Waldeck eingehend berichtet. Die Arbeitsweise der Einzeluntersuchungen für den Atlas hat in der Arbeit von Wrede (s. Jberr. 1927, S. 146) eine feste Form gefunden. Brauer ( 285) beginnt seine Darstellung mit gaugeographischen Untersuchungen, um sich dann der Zentgliederung der Grafschaft Ziegenhain zuzuwenden. Bei der Ermittelung der alten Einheiten wird die Erkenntnis verwertet, daß sich die alten Dingstätten, die sich dazu durch Besonderheiten ihres Namens und der örtlichen Lage auszeichnen, noch lange erhalten haben. Die territoriale Entwicklung der Grafschaft Ziegenhain ist von der Lehnsgrafschaft ausgegangen, in der auch die Ziegenhainer Allodialgüter lagen. Auf Grund der Besitzverhältnisse stellt Brauer den genealogischen Zusammenhang der Grafen Gozmar des 9. und 10. Jhds. mit den späteren Grafen von Ziegenhain her. Auf hervorragenden Anteil von Reichsgut an der Territorialbildung schließt Brauer aus dem Wappen der Ziegenhainer Grafen, das einen Adler mit Ziegenkopf zeigt. Für die Entwicklung des Territoriums der Reichsabtei Hersfeld weist E. Ziegler ( 284) die Bedeutung der beiden Wildbannbezirke nach, die der Abtei anfangs des 11. Jhds. von K. Heinrich II. verliehen wurden; die geschlossenen Zehntbezirke des Stifts sind dagegen ohne Einfluß geblieben. In beiden Bannbezirken haben Lehnwesen und Vogtei zu Gebietsverlusten geführt. --Anhalts Arbeit ( 286) ist jetzt vollständig mit einem Atlas von 8 Kartenblättern erschienen. Die in den Jberr. 1927, S. 537 noch nicht angezeigten Teile schildern ausführlich das planvolle Vorgehen der Landgrafen von Hessen, die sich in der Gründung der Städte Frankenberg und Frankenau in der 2. Hälfte des 13. Jhds. militärisch-politische Stützpunkte schufen und in ihrem Kampf um die Landesherrschaft schließlich nur in Mainz noch einen Gegner fanden, der im Laufe des 15. Jhds. ebenfalls ausschied. Darauf bespricht Anhalt die hessischen Ämter in ihrer Zusammensetzung und Organisation. Beachtenswert ist der Versuch, im Anfang des 17. Jhds. das ganze Eddergebiet zu einer Verwaltungseinheit (Landvogt an der Edder) zusammenzufassen. Aus dem mit peinlicher Gewissenhaftigkeit gearbeiteten Schlußkapitel über die Grenzen ist die Feststellung hervorzuheben, daß sich zunächst die Außengrenzen festigten, die Innengrenzen labiler blieben, sogar einmal ganz in Vergessenheit geraten sind, daß Wasserscheiden für die Grenzbildung von hervorragender Bedeutung gewesen sind und die Amts(Innen-) grenzen sich häufig an Gemarkungsgrenzen angeschlossen haben. Im Anhang


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findet man Beamtenlisten, in den Beilagen Grenzverträge und -beschreibungen mit einem Register der vorkommenden Flur-, Fluß- und Straßennamen, sowie ein Wüstungsverzeichnis abgedruckt.


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