VI. Kirchengeschichte.

Einen schätzenswerten Beitrag zur Geschichte der Fritzlarer Stiftsverfassung wie zur Verwaltungsgeschichte der Mainzer Kirche bietet die Arbeit von Lennarz ( 1285). Man muß nur immer wieder bedauern, daß die urkundliche Überlieferung Fritzlars so recht erst mit dem zweiten Drittel des 13. Jhds. einsetzt. Für die vor diesem Zeitpunkt liegende Zeit glaubt L. eine Verbundenheit des Propstes auch mit den innerkirchlichen Verhältnissen erweisen zu können. Die Bedeutung der Propstei für das Stift sinkt bereits im 13. Jhd., bis sie ihm 1594 vollkommen inkorporiert wird. Diese Entwicklung wurde dadurch begünstigt, daß der Propst zugleich Archidiakon war und in engere Verbindung mit dem Mainzer Domkapitel geriet. Der Archidiakonatssprengel wird mit Recht dem Gebiet des bonifatianischen Bistums Büraberg gleichgesetzt. Ein Exkurs geht näher darauf ein. Auch den erzbischöflichen Kommissaren ist ein besonderes Kapitel gewidmet, aus dem sich ergibt, daß hier bischöfliche und archidiakonale Jurisdiktion reibungslos nebeneinander bestand. Bei der Besetzung der Propstei ist bis zur Mitte des 15. Jhds. der Einfluß des Mainzer Erzbischofs und Domkapitels maßgebend, danach treten die römische Kurie und die hessischen Landgrafen mitbestimmend auf. Die Propsteiinhaber gehörten bis in die erste Zeit der päpstlichen Provisionen dem Adel an, danach sind sie Bürgerliche. Die bisher immer noch nicht einwandfrei ergründete Zeit der Umwandlung des Benediktinerklosters in ein Stift setzt Lennarz hoch hinauf, noch in das 8. Jhd. Die mit der Pfarrseelsorge betrauten Kanoniker haben »das mönchische Element absorbiert«. Der Arbeit sind Listen der nachweisbaren Pröpste, Offiziale, Kustoden und Kommissare beigefügt. -- Mit der Einwirkung der Windesheimer Kongregation auf das innere Leben des Klosters Volkhardinghausen beschäftigt sich E. Boer in dem ihre Arbeit abschließenden Teil (s. Jberr. 1927, S. 541) ( 1284 a). 16 für den Zeitraum von 1497--1517 erhaltene Visitationsprotokolle stellen eine sichere Quelle dar, die dahin fein ausgedeutet wird, »daß V. damals auf einer Stufe geistlicher Zucht stand, wo die äußere Pflichterfüllung als selbstverständlich galt, aber die innere Bedeutung der mönchischen und priesterlichen Aufgaben noch immer erneut eingeprägt werden mußte.« Die kulturelle Bedeutung des Klosters ging über Seelsorge und Wohlfahrtspflege nicht hinaus. Auf wissenschaftliche Bestrebungen im Sinne der Windesheimer deutet immerhin eine verhältnismäßig umfangreiche Bibliothek, in der wie bei den Franziskanern die Predigt- und Erbauungsliteratur am meisten vertreten ist. In der Priorbibliothek tauchen seit 1543 reformatorische, und zwar zumeist reformationsfreundliche Schriften auf. Wirtschaftlicher Rückgang und Verfall der Zucht führten zu einem Eingreifen der Landesherren, die das Kloster schließlich 1567 in ihre Verwaltung nahmen. Die Kongregation machte hierbei keine Schwierigkeiten, und doch ist es ihrem Einfluß zuzuschreiben, daß das mönchische Leben so lange festgehalten worden ist. Die Verfasserin unterrichtet im Anhang über Klosterarchiv, Siegel und Dignitäre und verleiht damit ihrer Arbeit eine vorbildliche Vollständigkeit. Den Bearbeiter klösterlicher Wirtschafts- und Verwaltungsgeschichte hat sie sich zudem durch ihre Zusammenstellung der neueren Arbeiten auf diesem Gebiet zu Dank verpflichtet (Anm. 1 zu Kap. 3 der Arbeit).

Nachträglich sei noch auf den sehr wertvollen Fund hingewiesen, der


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N. Weiß geglückt ist (s. Jberr. 1926, Nr. 2258), auf einen 1529 in Marburg gedruckten französischen Traktat Franz Lamberts von Avignon, den dieser im Auftrage des Landgrafen Philipp von Hessen für Karl V. verfaßt hat. Für das Verständnis Lamberts und seiner Ideen wichtig beseitigt diese Entdeckung auch endlich das Rätselraten, welches Büchlein eigentlich 1529 dem Kaiser vom Landgrafen überreicht worden ist (vgl. W. Schmitt, Die Homberger Synode und ihre Vorgeschichte. Homberg 1926, S. 120, Anm. 155). Mit Lambert, insbesondere seiner alleinigen Verfasserschaft der Homberger Reformationsordnung, beschäftigt sich auch Bess ( 1463). Bess sieht in der reformatio den Einfluß des »enthusiastischen« Luther, wie ihn Lambert in Wittenberg kennen gelernt hatte. Die Ablehnung der Ordnung durch Luther habe Lambert zu Zwingli geführt. -- Diehl legt den 3. Band seiner Hassia sacra vor (1462, s. Jberr. 1925, Nr. 2357). Der Band bringt Nachrichten über die evangelischen Pfarreien der Gebietsteile, die 1816 in der Provinz Rheinhessen zusammengefaßt wurden, sowie über die ehemals kurpfälzischen Pfarreien der Provinz Starkenburg. Behandelt werden die Parrochialverhältnisse, die geistlichen Stellen, die Errichtung von Pfarr- und Filialschulen und die Personalien der Pfarrer und Schulmeistertheologen. Mit diesem und dem 1. Bande, an den er sich inhaltlich anschließt, ist ein festes Gerüst für die Kirchengeschichte Hessen-Darmstadts nach der Reformation geschaffen. Der vorliegende Band enthält aber, was der Titel nicht vermuten läßt, noch eine Darstellung der Entstehung der vereinten evangelisch-protestantischen Kirche in Rheinhessen, in der die fruchtbare Organisationsarbeit während der französischen Zeit hervorgehoben wird, und ihrer Einfügung in die Evangelische Landeskirche des Großherzogtums Hessen. Weiter sind von allgemeingeschichtlichem Interesse seine Darlegungen über die »Reformationen nach der Reformation« in Kurpfalz und ganz besonders über das Bemühen Gustav Adolfs und seines Kanzlers Oxenstierna »im Kurfürstentum Mainz und in den benachbarten Gebieten ... nach und nach eine ecclesia lutherana episcopatus Moguntini ins Dasein zu bringen«, wie ähnliche Maßnahmen auch für Würzburg, Magdeburg und Halberstadt bekannt sind.

Die Entschädigungen Nassau-Usingens für seine verlorenen linksrheinischen Besitzungen auf Kosten von Kurmainz stellt Veit ( 1383) ihrem Umfang und Werte nach fest. Der Verfasser der temperamentvoll geschriebenen Untersuchung hat hierauf große Sorgfalt verwendet und damit zugleich für die Wirtschafts- und Finanzgeschichte einen wertvollen Beitrag geliefert, auch auf bisher unbenutzte archivalische Quellen hingewiesen. Wenn hier wieder einmal der überreichliche Gewinn der 1803 entschädigten Staaten grell beleuchtet wird, so geschieht das dazu in dem bittern Gefühl des materiellen Verlustes, den der deutsche Katholizismus und die deutschen Katholiken durch die Säkularisationen erlitten haben.


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