II. Verfassungs-, Rechts-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte.

Den ersten Platz verdient ein Hinweis auf die (jur.) Dissertation von Cohausz ( 1051) über Stadt und Stift Herford, wegen der Vielseitigkeit ihres Inhalts und nicht minder wegen der Reife ihrer Ergebnisse. Es ist nicht nur der Zustand am Ausgang des MA. geschildert, sondern auch seine geschichtlichen Grundlagen sind eingehend klargelegt. Ähnlich wie die Äbtissin des Stifts Essen war auch die Herforder nur dem päpstlichen Stuhl unmittelbar untergebenes geistliches Oberhaupt in Stift und Stadt. Eine Landeshoheit über die auf rein stiftischem Boden entstandene Stadt hat sie nicht erlangt, so daß diese bis zur Unterwerfung durch den Großen


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Kurfürsten als reichsunmittelbar anzuerkennen wäre. -- Die beiden Gegner auf dem Gebiete der westfälischen Ständegeschichte, O. Schnettler und F. von Klocke, treten diesmal mit Arbeiten umfassenderen Charakters auf den Plan. Doch hält des ersteren Büchlein »Westfalens alter Adel und seine Führerrolle in der Geschichte« (Dortmund, R. Dreist. III, 47 S. 2 RM.) nicht ganz, was der Titel verspricht. In der Hauptsache ist es auf den Geschlechterkreis des Edelherrenstandes abgestellt, dessen Umfang und Kennzeichen in Anlehnung an Al. Schulte behandelt sind; dabei fällt manche zutreffende Berichtigung zu O. Forst-Battaglia (Vom Herrenstande II, 1915) ab, fehlt es andererseits auch bei Schnettler nicht an neuen Irrtümern (vgl. von Klocke, Westf. Adelsblatt 5, S. 92 f.). Ausführlich setzt sich Sch. mit Philippi über die Frage der freien Ministerialen auseinander. Nach ihm ist an der ständischen Einheitlichkeit der Ministerialität, wenigstens bis zum Ende des 13. Jhds., festzuhalten; daß es freie Ritter ohne dienstmännische Bindung und nichtedlen Standes gab, erkennt er an. Unzulässig sei, das Auftreten von Ministerialen im Freigericht als Zeugnis für ihren ursprünglich altfreien Stand zu verwerten. Nur flüchtig ist die Rolle des Adels in Staat und Kirche gestreift, und nur mit dem Blick auf den hohen Adel. Wie die zahlreichen, sehr verstreuten früheren Einzelabhandlungen Schnettlers so ist auch diese, als Zusammenfassung willkommene Schrift mit prüfender Vorsicht zu benutzen. -- Im Gegensatz zu seinen Anschauungen und auch zur gewohnten Schulmeinung sieht von Klocke eine wesentliche Herkunftsschicht des niederen Adels, wenigstens in Mittelwestfalen, um Soest, in einem »Ortsadel, der von Haus aus frei war und innerhalb der Landbevölkerung angesehene Stellung hatte«, von den Edelherren aber zu trennen ist. Er nähert sich damit stark der Mittelfreientheorie V. Ernsts. In einem Aufsatze »Zur Sozialgeschichte der Soester Gegend« ( 172a, S. 17--59) hat er dieser schon öfter geäußerten Auffassung (vgl. Jberr. 1, 1925, S. 568; 2, 1926, S. 590; 3, 1927, S. 546) eine breitere Grundlage zu schaffen gesucht. Er bestimmt darin die einzelnen Geschlechter, für die altfreie Herkunft anzunehmen sei, und gelangt zu der Überzeugung, daß in jenem Bezirk um Soest »die Hauptmasse des Landadels letzten Endes freien Ursprungs gewesen« ist (S. 29). Den Nachweis altfreien Standes stützt er vorzugsweise auf Mitwirkung im Freiding und auf den Besitz von Eigengut; mit Philippi setzt er diesen Ortsadel den Schöffenbarfreien des Ssp. gleich. Klockes Darlegungen, die auf gründlicher Kenntnis der Urkunden beruhen, treten noch mehr ins Licht durch eine zweite Studie, die sich mit dem andern Bildungselement des niederen Adels, mit der Ministerialität, befaßt (Die Kölner Erzbischöfe, ihre Pfalz und ihre Mannen im alten Soest. Ebda. S. 60--176). Sie bringt auch für die Verfassungsgeschichte Soests manches Neue und Wertvolle, doch herrschen das ständegeschichtliche Thema und die sozialgeschichtliche Betrachtungsweise vor. Ein gewisses Zurücktreten der verfassungsrechtlichen Gesichtspunkte ist namentlich bei der Behandlung der Vogtei und des Schultheißenamtes in Soest zu spüren. Um so ergebnisreicher sind die Forschungen über die Inhaber dieser Ämter. von Klocke nimmt entgegen der bisherigen Literatur an, daß die Grafen von Arnsberg erst seit Anfang des 13. Jhds., vorher die Grafen von Nörvenich-Molburg, dann die Jülicher im Besitz der Vogtei gewesen sind. Die eigentliche Verwaltung der Vogtei lag, nachweislich seit 1140, in den Händen eines edelfreien Geschlechts, der Vögte von Soest, die lange Zeit zu Unrecht mit den Edelherren von Hengebach-Heimbach

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zusammengebracht worden sind; wahrscheinlich gehören sie dem Geschlecht der Edlen von Welver an. Das höchste Ministerialenamt in Soest war das des erzbischöflichen Schultheißen (seit 1119 bezeugt); bis ins späte 13. Jhd. bekleideten es Angehörige derselben rheinischen Familie, die auch die Kölner Stadtvogtei -- sie entsprach nach ihrer Zuständigkeit dem Schultheißentum von Soest -- innehatte. Unter der sonstigen, zahlreichen kölnischen Ministerialität in Soest lassen sich z. T. schon seit der ersten Hälfte des 12. Jhds. Gruppen von familienmäßig Zusammengehörigen erkennen, die man herkömmlicherweise nach den regelmäßig wiederkehrenden Vornamen benennt (wie Tiemonen, Hildeger, Marsilier; die in der älteren Literatur vorliegenden Stammtafeln usw. sind ohne wissenschaftlichen Wert!). Um 1250 hat die Kölner Dienstmannschaft in Soest, bei der schon gegen Ende des 12. Jhds. ein Rückgang bemerkbar ist, ihr Ende gefunden; sie ist in Landadel, Soester Patriziat und Burgmannschaft von Hovestadt aufgegangen. Ihre zahlenmäßige Schwäche wird dadurch deutlich gekennzeichnet, daß die Burgmannen für Hovestadt teilweise aus entfernten Gegenden haben herangeholt werden müssen. In den Noten zu dieser Arbeit (S. 408) tritt von Klocke für Annahme einer echten Vorlage zu der von Ilgen angefochtenen Urkunde vom 21. Juni 1178 (Knipping II, Nr. 1104) ein. Zwei weitere Aufsätze zur Soester Sozialgeschichte, »Die Stiftsherren von St. Patrokli zu Soest und ihre Standesverhältnisse im MA.« (ebda. S. 187--206) und »Stadtadel, Landrittertum und Dynastenschaft im Ahnenkreise der Edelkind« (ebda. S. 207--230), sind mehr oder weniger stark veränderte und erweiterte Wiederholungen aus Zeitschr. f. vaterl. Gesch. 80, 1922, I S. 70--90 bzw. aus Westfäl. Adelsbl. 3, 1926, S. 125--135. --Borchmeyer ( 1084 a; Staatsw. Diss. Würzburg 1927) unterrichtet im einzelnen über die verschiedenen gesetzlichen Regelungen bezüglich der bäuerlichen Rechtsverhältnisse im Vest Recklinghausen, von der Vestischen Eigentumsordnung der Kölnischen Zeit (1781) über die Reformen der Herzöge von Aremberg und des Großherzogtums Berg bis zu dem preußischen Gesetz von 1825, das endgültig das (schon 1811 statuierte) volle Eigentum gewährte, nachdem die persönliche Freiheit bereits 1808 verliehen worden war.

In seiner anschaulich-lebendigen Art schildert Lappe ( 1131 a; auch selbständig: Recklinghausen, Bauer. 42 S. 1927) an dem Beispiel der Bauerschaft Elmenhorst (n. Dortmund), die durch ihren Reichshof bekannt ist, den für das nordwestliche Westfalen charakteristischen Siedlungshergang, die Eingliederung der Bauerschaft ins Kirchspiel und dessen Umbildung zum Verwaltungsbezirk. Er spricht sich gegen Rübels Theorie von der Entstehung der Reichshöfe aus und sieht in der Hofesverfassung eine Schöpfung des sächsischen Stammes. Lehrreich sind die Mitteilungen über die umstrittene Stellung der Reichsleute zur Hofes- und zur Gebietsherrschaft. --Hallermann veröffentlicht und erläutert eine Dorfordnung des Abtes von Hardehausen für das Klosterdorf Rimbeck bei Warburg aus d. J. 1501; sie geht auf eine Vorlage von 1436/48 zurück, die somit als ältestes bisher bekanntes Dorfrecht zu gelten hätte. Die Rimbecker Ordnung sieht einen Bürgermeister neben einem dreiköpfigen Rat als Ortsbehörde vor ( 1054). Der bis ins Kleinste gehende, umständliche Bericht von Culemann ( 1133) über die seit 1771 mehr als 40 Jahre dauernden Verhandlungen und Streitigkeiten aus Anlaß der Teilung der Bielefelder Mark entbehrt allgemeinerer Gesichtspunkte.


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Klingelhöfer verfolgt in leichtgeschürzter, wenig in die Tiefe gehender Darstellung die Drahtindustrie Iserlohns ins MA. zurück, wo sie dank der Bedeutung des dortigen Panzermachergewerbes eine erste Blüte erlebte (vgl. auch S. 297).


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