V. Kirchengeschichte.

Schon Piper hatte vermutet, daß die in der Mönchsliste der Abtei Nonantula (MG. Lib. confrat. p. 181) eingesprengten altdeutschen Namensformen einem deutschen Kloster angehörten; er dachte dabei an St. Gallen. Durch eine eingehende Untersuchung dieser interpolierten Liste stellt nun F. Beyerle ( 1301) fest, daß sie nach Reichenau gehört, und zwar in die Anfangszeit des Abtes Ruodmann (etwa 972/973). Das wichtigste Ergebnis dieser Feststellung ist nicht der Zuwachs an neuen Mönchsnamen, der im Verhältnis zu den 855 bereits bekannten Namen nicht ins Gewicht fällt, sondern die mit guten Gründen erwiesene Notwendigkeit, die vorangehende Liste aus der Zeit des Abtes Alawich nicht, wie bisher angenommen, zu 935, sondern zu 958 zu datieren. Die geschlossene, uns bekannte Mönchsreihe reicht demnach nicht bis 935, sondern bricht schon gegen 880 ab. Nach längerer Lücke erst folgt dann eine jüngere Reihe, die sich mit der Alawich- und Ruodmanliste von 958 bis 973 erstreckt. -- Von dem Konstanzer Bischof Gerhard IV., der 1307 von Clemens


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V. providiert wurde, wußte man, daß er ein Franzose war; sein Familienname aber war bei Math. Neob. nur in verderbter Form überliefert. Heilig ( 1284) stellt jetzt auf Grund heraldischer Argumente fest, daß er dem bekannten burgundischen Geschlecht von Vergy-Belvoir angehörte, und skizziert kurz die Hauptmomente seiner Regierung (Differenzen mit Peter von Aspelt, enge Beziehungen zu Heinrich VII., den er auf seiner Romfahrt begleitete). --

Die Regesten der Konstanzer Bischöfe, das wichtigste Quellenwerk zur ma.lichen Kirchengeschichte Badens, schreiten dank dem unermüdlichen Eifer Karl Rieders mit raschen Schritten ihrem Abschluß entgegen. Die im Berichtsjahr erschienenen Lieferungen ( 129) reichen bereits über die Mitte des 15. Jhds. hinaus. Die Regesten des Bischofs Heinrich von Hewen, der von 1441--1456 zugleich Administrator des Bistums Chur war, werden bis zum Jahre 1457 geführt. An äußeren Ereignissen war die Regierung dieses Bischofs arm; seine Einmischung in die schweizerisch-österreichischen Beziehungen und die jahrzehntelange verwickelte Fehde mit den Grafen von Lupfen nehmen hier das Hauptinteresse in Anspruch. Aber der eigentliche Wert der Regestensammlung beruht auf dem überaus reichhaltigen Material zur Kultur-, Kirchen- und Wirtschaftsgeschichte, auf das hier nur eben hingewiesen werden kann. -- Der Kardinal Friedrich von Hessen (1616--1682), der jüngste Sohn des Landgrafen Ludwig V., dem Noack eine eingehende Studie widmet ( 1389), gehört der badischen Geschichte dadurch an, daß er als Großprior der Johanniter das Fürstentum Heitersheim im Breisgau innehatte. Sein unsteter, abenteuerlicher Geist ließ ihn freilich in diesem breisgauischen Besitz nur für kurze Zeit festen Fuß fassen. So führen uns denn Noacks Ausführungen in aller Herren Länder, vornehmlich nach Rom, zuletzt nach Breslau, dessen Bistum Friedrich seit 1671 mit seinen bereits zahllosen kirchlichen Würden vereinigte (vgl. S. 446). Die finanziellen Ansprüche des verschwenderischen und stets in Geldnot befindlichen Kardinals, die für das Haus Hessen in den schweren Kriegs- und Nachkriegszeiten eine kaum tragbare Belastung bildeten, werden an Hand der Darmstädter Akten in ihren einzelnen Etappen verfolgt.

Der sehr umfangreiche 29. Band des Freiburger Diözesan-Archivs setzt die im Vorjahr begonnenen »Beiträge zur Gründungsgeschichte der oberrheinischen Kirchenprovinz« fort. H. Baier ( 1354) ergreift noch einmal zu dem von ihm schon öfter behandelten Thema »Wessenberg« das Wort, indem er aus neuen Aktenfunden Beiträge zu einigen Einzelfragen liefert, z. B. zu Wessenbergs Kampf gegen Prozessionen und Bittgänge (wobei sich zeigt, daß die Regierung in diesem Fall viel mehr Verständnis für eingewurzelte religiöse Volksbegriffe bewies, als der übereifrige Reformer) u. a. Von besonderem Wert ist der letzte Abschnitt, in dem der Generalvikar, dessen Konflikte mit der Kurie gewöhnlich das größte Interesse beanspruchen, in zeitweise sehr heftigen Auseinandersetzungen mit dem Staatskirchentum des neuen badischen Staates erscheint. Die Differenzen betrafen außer verschiedenen minder wichtigen Punkten vor allem die Patronatsrechte und die Frage der geistlichen Erbschaften. -- Wetterer ( 1375) behandelt die Geschichte des Bruchsaler Vikariats, das als rechtsrheinischer Rumpf des Bistums Speier bei dessen Aufhebung erhalten blieb und bis 1827 fortbestand; mit der Weihe und Einführung des ersten Freiburger Erzbischofs Bernhard Boll und mit der Wahl des zweiten, Ignaz Demeter, beschäftigen sich die Beiträge von Albert und Bastgen ( 1373, 1374)


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unter Benutzung von Karlsruher und Freiburger bzw. vatikanischen Archivalien. Von größerem allgemein wissenschaftlichen Interesse sind die umfangreichen Fortsetzungen der bereits im letzten Jahrgang angezeigten Arbeiten von Gröber und Göller. Gröber bringt seine Wessenberg-Biographie mit einem zweiten Teil »Wessenberg und Rom« zum Abschluß ( 1353), in dem er die Differenzen des Generalvikars mit der Kurie, in fünf Etappen gegliedert, eingehend behandelt. Die besonnene und maßvoll abwägende Gesamtauffassung dürfte im wesentlichen das Richtige getroffen haben und höchstens in der einen oder anderen Einzelheit zu Modifikationen Anlaß geben. Die eigentlich unerfreuliche Rolle in dem ganzen Streit hat weder Wessenberg gespielt noch die römische Kurie, sondern nur die Luzerner Nuntiatur, die mangelhafte Informationen nicht nur gläubig hinnahm, sondern in verschärfter Form weitergab und dadurch die Lösung des Konfliktes erschwerte. Es beruhte doch auf einer argen Verkennung der Wirklichkeit, wenn der Nuntius als erwiesen betrachtete, Wessenberg treibe in bewußtem Betrug mit der Religion sein Spiel (con maniera la piu fraudolenta ed equivoca si prenda giuoco di nostra religione. S. 378). Hätte man sich in Rom von Wessenbergs Charakter und Absichten ein zutreffenderes Bild gemacht, als nach solchen Informationen möglich war, so wäre es einer gewiegten römischen Diplomatie kaum schwer gefallen, die selbstverständliche Behauptung der Rechte des heiligen Stuhles auf eine geschicktere und weniger aufsehenerregende Weise durchzuführen. --Göller ( 1355) verfolgt die Vorgeschichte der Bulle Provida sollersque vom Wiener Kongreß bis zum Erlaß der Bulle im Jahre 1821. Seine Schilderung der Frankfurter Verhandlungen fußt im wesentlichen auf dem Buch von O. Mejer, Zur Geschichte der römisch-deutschen Frage. In mehreren anderen Punkten wird aber Mejer durch die von Göller neu erschlossenen Quellen des Karlsruher Haus- und Staatsarchivs ergänzt. Besonders auf die Persönlichkeit und die Leistungen des Freiherrn von Türkheim, der 1819 zusammen mit dem Württemberger Schmitz- Grollenburg als Gesandter der in Frankfurt vertretenen Regierungen nach Rom ging und sowohl von seinem Mitgesandten wie später von der Frankfurter Versammlung heftig angefochten wurde, fällt neues Licht. Die »conduite sage et noble«, die ihm der Minister Berstett nachrühmte, muß ihm billigerweise zugestanden werden; als diplomatischer Kopf verstand er die Möglichkeiten besser abzuwägen als sein württembergischer Kollege und der Frankfurter Kongreß, und wenn in den Folgejahren Baden, ohne prinzipiell von den Grundsätzen der Frankfurter Kirchenpragmatik abzuweichen, doch eine maßvollere Haltung einnahm, ist dies zum Teil jedenfalls dem protestantischen Türkheim zuzuschreiben. Auch die Geschichte der Verhandlungen über die Dotation der Bistümer und den Sitz des Erzbistums wird weiterhin von Göller aus demselben Aktenmaterial präzisiert und bereichert.


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