V. Rechts- und Verfassungsgeschichte.

Aus der durch Otto H. Stowassers Buch »Das Land und Herzog« angeregten Diskussion über die Entstehung der Landeshoheit in Österreich ist K. Lechners Studie über die Grafschaft Raabs entstanden ( 280). In Fortführung seiner prinzipiellen Aufstellungen über Grafschaft, Mark und Herzogtum (vgl. Jberr. 1926, S. 383) die dem Beweis der Existenz geschlossener Grafschaften im 12. und 13. Jhd. galten, sucht L. nun in einem konkreten Beispiel diese Behauptungen zu erhärten. Er zeigt an der im Nordwesten Niederösterreichs gelegenen Grafschaft Raabs, daß sich hier seit dem Ausgang des 11. Jhds. eine »reichsunmittelbare« Grafschaft entwickelt hatte, die erst nach ihrer Teilung von den österreichischen Landesfürsten erworben


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wurde, die östliche Hälfte zu Beginn, die westliche am Ausgang des 13. Jhds. Aber auch in der Folge lassen die Quellen eine Sonderstellung dieses Gebietes als »Annex« des Landes Österreich erkennen. -- Die Dissertation von von K. Stolz, Die Wiener Nahrungs- und Genußmittelpolitik im MA. ( 1118) ist eine fleißige, wenn auch nicht ganz vollständige Materialsammlung. Neben einigen groben Mißverständnissen, die vor allem das Gebiet des städtischen Finanzwesens betreffen, wird man der Anfängerarbeit ein einigermaßen naives Werturteil über ma.liche Wirtschaftspolitik zugute halten müssen. -- Aus den Vorarbeiten zu einer Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte der Steiermark, die inzwischen erschienen ist, hat Anton Mell eine Untersuchung über das Steirische Weinbergrecht und seine Kodifikation im J. 1543 vorgelegt ( 1119). Der Verfasser, dessen Beiträge zur österreichischen Agrargeschichte des ausgehenden MA. und der frühen Neuzeit zu dem Besten zählen, was auf diesem Gebiete gearbeitet worden ist, gibt einleitend eine Geschichte des steirischen Weinbergrechtes, das in Urkunden seit 1329 ausdrücklich genannt wird. Im Unterschied zur sonstigen Zersplitterung bäuerlicher Rechte und im Unterschied auch zur Entwicklung in den Nachbarländern hat sich in der Steiermark im späteren MA. ein gewisses Landesrecht in Weinbergssachen gewohnheitsrechtlich herausgebildet, von dem eine Anzahl privater Aufzeichnungen des 15. Jhds. Kunde gibt. Das seit dem ausgehenden 15. Jhd. sich durchsetzende Dingen der Grundholden an den Landesherrn führt zur Ausbildung eines landesfürstlichen Gerichtes in Weinbergsachen, dem der herzogliche Kellermeister vorsteht. Trotzdem scheint sich um 1500 ein Zerfall des einheitlichen Weinbergrechtes in der Praxis verschiedener Herrschaften angebahnt zu haben. Das war der Grund, der den steirischen Landtag zu einer amtlichen Kodifikation veranlaßte, die nach langjährigen Verhandlungen von Ferdinand I. 1543 bestätigt wurde. Eine sorgfältige Edition des Weinbergrechtes 1543 beschließt die wertvolle Arbeit A. Mells.

So reich die wissenschaftlichen Ansprüchen allerdings nicht immer entsprechende Literatur über die insbesondere für den süddeutschen Finanzkapitalismus des 15. und 16. Jhds. so wichtige Bergbaugeschichte Tirols ist, über die Anfänge des Tiroler Bergbaues und seines Rechtes wußten wir bisher wenig. Diese Lücke füllt die Arbeit von O. Stolz ( 1121) aus. Sie schildert die Anfänge des Bergrechts, hier die bekannten Aufstellungen Zychas bestätigend, und dann vornehmlich die Geschichte des tirolischen Salzbergbaues und des Erzbergbaues und seines Rechtes. -- Die gewandt geschriebene Arbeit von L. Bato über die Juden im alten Wien ( 1483) behandelt die Jahre 1675--1848 auf Grund der vorhandenen Literatur, vor allem der Pribramschen Aktenpublikation. Die von bedenklichen Schnitzern nicht freie Schrift entbehrt tieferer sozial- und geistesgeschichtlicher Einsichten und eines selbständigen Urteiles. -- Die Kriminalgerichtsorganisation Kaiser Josef II. in den böhmisch-österreichischen Ländern ( 1090), die Anton Mell eingehend untersucht hat, zielte darauf ab, in Fortführung der durch das Strafgesetzbuch Joseph II. von 1787 eingeleitete Justizreform auch die Gerichtsorganisation im staatlichen Sinne zu reformieren. An Stelle der patrimonialen Landgerichte sollten Kriminalgerichte treten, deren Sprengel den Kreisämtern entsprechen sollte. Man dachte daran, den städtischen Magistraten an den Sitzen der Kriminalgerichte die Gerichtsbarkeit zu übertragen. Das Werk ist nach längeren, vor allem durch die finanziellen Schwierigkeiten


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der Reform gehemmten Beratungen nur in ersten Ansätzen verwirklicht worden, da der Ausbruch des Türkenkrieges die Zurückstellung der inneren Reformen nötig machte. Nach dem Tod des Kaisers wurden auch diese Ansätze fast ganz wieder rückgängig gemacht. Aber auch als Versuch ist dieses Werk eines der interessantesten Kapitel aus dem Werden des modernen Staates in Österreich.


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