2. Quellenveröffentlichungen. Quellenkunde.

Die treffliche Auswahl der wichtigsten, verschiedentlich in nach den Handschriften verbessertem Abdruck dargebotenen Quellen zur Verfassungsgeschichte Polens in der


S.548

Piastenzeit, die St. Kutrzeba vorlegt ( 240), wird nicht nur, weil sie eine Reihe von Urkunden zur Geschichte des deutschen Rechts in Polen bringt, sondern auch vor allem, weil ihr Studium den besten Einblick in die Staats- und Sozialverfassung des polnischen früheren MA. eröffnet, namentlich dem schlesischen Historiker willkommen sein.

K. Maleczyński stellt -- in Übereinstimmung mit E. von Ottenthal -- fest, daß die Unterschrift unter der ältesten erhaltenen in Polen ausgestellten Originalurkunde nur von dem Kardinal Humbald tit. SS. Johannis et Pauli herrühren kann und macht glaubhaft, daß sie dem Jahre 1145 angehört ( 135, 139); seine scharfsinnige Untersuchung bringt wertvolle Beiträge zum Itinerar des genannten Kardinals -- die Daten seines Aufenthalts in Dänemark werden berichtigt -- und streift dabei auch die in der deutschen Forschung mehrfach erörterte Frage, der Beweiskraft der Kardinalsunterschriften unter Papsturkunden für die Kardinalsitinerare. Schon 1927 hat T. Milewski eine von ihrem Wiederabdruck nach W. Schultes Ausgabe begleitete sprachwissenschaftliche Untersuchung der beiden päpstlichen Schutzurkunden für das Bistum Breslau aus den Jahren 1155 und 1245 ( 154) gegeben, die den schlesischen Historiker einmal wegen der im Vokabular gegebenen sprachlichen Analyse der in den Urkunden auftretenden Orts- und Personennamen, dann aber auch wegen der Feststellung interessieren wird, daß die sprachliche Form dieser polnischen Elemente in der späteren Urkunde stellenweise deutlich von einer Weiterentwicklung der Sprache im Verhältnis zu dem durch die frühere gesicherten Stand zeugt.

Die bedeutendste Leistung der polnischen Urkundenforschung im Berichtsjahr stellt K. Maleczyńskis umfangreiche, mit wertvollem Anschauungsmaterial ausgestattete Untersuchung der Urkunden der beiden großpolnischen Herzöge namens Władysław, Odonic und Laskonogi, die in der ersten Hälfte des 13. Jhds. regiert haben, dar ( 138): schon weil viele von ihnen für schlesische Empfänger, aber auch für Klöster in Pommern und der späteren Neumark, einzelne auch für den Deutschen Orden und die Klöster Altbergen und Pforte ausgestellt sind, darf die sorgfältige Erörterung des Schriftcharakters und des Diktats der Urkunden, der Kanzleiorganisation der Aussteller, dürfen die kritischen Regesten, an die sich der Neuabdruck von fünf bisher nicht oder nur auf Grund von Kopien veröffentlichten Stücken anschließt, die Aufmerksamkeit der deutschen Forscher in Anspruch nehmen; und gerade unter jenen Urkunden sind manche, deren Echtheit Maleczyński mit Erfolg gegen die von W. Schulte und M. Perlbach ausgesprochenen Bedenken verteidigt; leider sind ihm die wichtigen urkundenkritischen Ausführungen P. von Niessens unbekannt geblieben. Vieles von dem, was der Verfasser, unter Heranziehung eines großen Vergleichsmaterials, über den Entstehungsgang der Urkunde in seinem Untersuchungsgebiet mitteilt, hat allgemeinste Bedeutung für die Geschichte des älteren polnischen -- und damit auch des schlesischen Urkundenwesens: so vor allem die Feststellung, daß 75% der Urkunden der beiden großpolnischen Piasten nicht von ihrem Kanzleipersonal, sondern entweder von den Empfängern oder von dritten Personen hergestellt worden sind. Höchst beachtenswert sind auch die Ausführungen über das Auftreten der Zeugen und den Besieglungsvorgang.

Wł. Abraham macht uns mit dem Inhalt einiger kirchengeschichtlich


S.549

und kirchenrechtlich wichtiger Stücke bekannt, die sich in den kürzlich aus Rußland für Polen zurückerworbenen Sammelhandschriften befinden ( 3): von ihnen sind die in einem Breslauer Transumpt von 1379 erhaltene Ernennung des Dominikaners Petrus von Chomiąża, der sich als Prediger nach Polen, Rotrußland und Pommer(elle)n begibt, zum päpstlichen Pönitentiar, eine (der Forschung schon bekannte) Handschrift der Konstanzer Konzilsakten, vor allem aber ein die Diözesanstatuten der Breslauer Bischöfe Wenzel von Liegnitz (1382 bis 1417 und (teilweise) Konrad von Oels (1417--1447) enthaltender Sammelband für den deutschen Historiker von unmittelbarer Bedeutung, der letztere namentlich auch deshalb, weil er außerdem noch ein umfangreiches, kodifikatorisches Diözesanstatut der Diözese Nîmes aus dem 13. Jhd., dessen bisher bekannter, von Mansi mit der Jahreszahl 1284 versehener Text durch den neugefundenen ergänzt wird, enthält: wie Abraham vermutet, ist das französische Statut auf dem Wege über Avignon in Breslau bekannt geworden und hat dort als Vorlage für die Kodifikation des Diözesanrechts gedient. Die bisher unveröffentlichte, kürzlich von der Städtischen Kopernikus-Bibliothek in Thorn erworbene Konfirmationsurkunde des Basler Konzils für den Bischof Kaspar Linke von Pomesanien aus dem Jahre 1440 wird von A. Mańkowski mitgeteilt ( 143).

Zu der wichtigen Veröffentlichung der Akten König Alexanders von Polen (1501--1506, vgl. Jberr. 3, S. 656) liefert L. Finkel in einer gehaltvollen Besprechung ( 52) ergänzende Hinweise auf einige in sie nicht aufgenommene, bedeutsame Stücke Danziger und Preußischer Provenienz; den ermländischen Bischof Lukas Watzelrode nimmt er gegen den Vorwurf Papées, daß er ein Doppelspiel zwischen dem polnischen König und dem Hochmeister gespielt habe, in Schutz.

Der wichtigsten Rechtsquelle des polnischen MA., den sog. Statuten Kasimirs des Großen, widmet R. Taubenschlag, gewissermaßen die Gedankengänge seines Buches über das altpolnische Prozeßwesen (vgl. Jberr. 3, S. 671) weiterspinnend, eine tiefschürfende, weitausholende Untersuchung ( 212), die für uns wichtig ist, weil sie die Benutzung einer Reihe germanischer Rechtsquellen durch den Kompilator der Statuten wahrscheinlich zu machen sucht: wir werden auf sie bei Besprechung des den polnischen an Ausführlichkeit übertreffenden deutschen Auszugs (1929) zurückzukommen haben.

Von größtem Interesse für den deutschen Rechtshistoriker ist der Beitrag über unbekannte Texte der Magdeburger Schöffensprüche, den der beste Kenner der Denkmäler deutschen Rechts in Polen, Stanisław Estreicher, zu der Festschrift für den um die Erforschung der Geschichte dieser Rechtsquellen gleichfalls verdienten A. Brückner beigesteuert hat ( 47); zunächst werden zwei ausnahmsweise im Original erhaltene Schöffensprüche besprochen, von denen der eine, der jedenfalls 1410 für Krakau erflossen ist, seinem Wortlaut nach zwar durch den Abdruck, den O. Stobbe 1872 (Zeitschr. f. Rechtsgesch. X, S. 84 f.) gegeben hat, bekannt, aber noch nicht auf den zugrunde liegenden Tatbestand untersucht war: ihn erkennt Estreicher in dem ohne förmliches Gerichtsverfahren vollzogenen Todesurteil gegen den bei dem Diebstahl von Stadtgeldern auf handhafter Tat ertappten Krakauer Ratsherren Andreas Wierzynk; der zweite, noch unveröffentlichte Schöffenspruch ist 1517 oder 1518 nach Posen gerichtet worden und betrifft die Beweislast und -mittel in einem


S.550

Prozeß um eine Kaufschuld. Ganz unbekannt war bisher eine in Krakau befindliche, in lateinischer Sprache abgefaßte Sammlung von 281 Sprüchen, die den Teil eines auch sonst bemerkenswerte Stücke (den lateinischen Text des Magdeburger Weichbildrechts, einen Auszug aus dem Kulmischen Recht, Akten der Krakauer Goldschmiedezunft) enthaltenden Sammelbandes bildet: Estreicher stellt fest, daß es sich um die sechste im Anfang des 15. Jhds. entstandene Redaktion der Krakauer Sammlung Magdeburger Schöffensprüche handelt. Den Forschern bekannt, aber bisher weder genau beschrieben noch ausgewertet war eine Posener Sammelhandschrift: ihr erster Teil stellt eine zwischen 1385 und 1389 entstandene Kompilation aus der Krakauer Sammlung und dem Magdeburg-Breslauer systematischen Schöffenrecht dar, ihr zweiter enthält 55 Schöffensprüche, die 1397--1427 für Posen und einige Nachbarstädte erflossen und bisher sämtlich unveröffentlicht sind. Abschließend gibt Estreicher einen Überblick über die sechs von ihm ermittelten Redaktionen der Krakauer Sammlung, die aus zwei Hauptteilen besteht: 1. einem Grundstock für Breslau bestimmter Sprüche aus der Zeit bis 1350 und 2. den für Krakau 1370--1400 erflossenen Sprüchen, und würdigt allgemein die hohe Bedeutung der Magdeburger Rechtsbelehrungen für die Weiterentwicklung der polnischen Städte. Wir hoffen, daß wir seine schöne Gabe als ein Zeichen dafür betrachten dürfen, daß es bald zur Veröffentlichung der von ihm seit Jahrzehnten vorbereiteten großen Sammlung der Denkmäler deutschen Rechts in Polen kommen wird!

Um ihre Erforschung haben sich der Magistrat der Stadt Lublin und der dortige Staatsarchivdirektor L. Białkowski durch die schöne Ausgabe der Willküren dieser Hauptstadt des östlichen Kleinpolens aus den Jahren 1401 bis 1651 ( 230) ein großes Verdienst erworben: Verfassung und Wirtschaft eines blühenden Gemeinwesens Magdeburger Rechts werden in ihnen lebendig. Zur Kenntnis von Zunftleben und Rechtsbrauch in den deutschrechtlichen Städten Polens dienen die von T. Lutmann und M. Wojciechowska veröffentlichten Quellen ( 130, 234). Und auch das von K. Tymieniecki herausgegebene Nachlaßinventar eines großpolnischen Edelmanns aus dem Jahre 1447 ( 218) mag in diesem Zusammenhang -- weil es zahlreiche Erzeugnisse des Gewerbefleißes jener Städte aufzählt -- ebenso genannt werden, wie der schon 1927 erschienene, von J. Smolka verfaßte Katalog der Przemyśler Stadtarchivs ( 197, dazu 174), zu dessen Schätzen u. a. die bereits mit dem Jahre 1402 einsetzenden Schöffenbücher und ein Liber Legum aus dem 15. Jhd. gehören, das also eine eine Fundgrube für die Geschichte des deutschen Stadtrechts in Rotrußland darstellt.

Ziemlich zahlreich sind im Berichtsjahr die Beiträge zur Kenntnis der darstellenden Geschichtsquellen: von ihnen hat J. Łęgowskis Zusammenstellung der möglicherweise slavischen Eigennamen aus Adams von Bremen Geschichtswerk ( 124) freilich schon deswegen nur problematischen Wert, weil sie nicht die jetzt maßgebende Ausgabe Schmeidlers, sondern die veraltete Lappenbergs benutzt; auch ist der slavische Charakter vieler der verzeichneten Namen höchst zweifelhaft. P. Bretschneiders Übersetzung des Heinrichauer Gründungsbuches (vgl. Jberr. 3, S. 509) muß sich auch von Z. Kozłowska-Budkowa, wie schon früher von seiten des Berichterstatters (vgl. a. a. O.), den Vorwurf gefallen lassen, daß die vom Übersetzer gebotenen Erläuterungen infolge Nichtberücksichtigung der polnischen Literatur und Quellenausgaben


S.551

vielfach nicht dem Stande der Forschung entsprechen ( 109). Die auch für manche Ereignisse der ostdeutschen Geschichte wichtige Chronik Jankos von Czarnikau, des Geschichtsschreibers der Zeit der Anjou-Herrschaft in Polen (1370--1384) macht der beste Kenner dieser Periode, J. Dąbrowski, zum Gegenstand einer eindringlichen Untersuchung ( 34), in der er die großenteils von ihm selbst ermittelten Daten über das bewegte Leben des Chronisten zusammenstellt, sich zu der Ansicht, daß dieser auch der Verfasser der sog. Großpolnischen Chronik (früher als Werk des Bogufal aus dem 13. Jhd. betrachtet) sein könne, zustimmend äußert und die Entstehungszeit der einzelnen Abschnitte seines Hauptwerks (für den frühesten wohl 1376) feststellt; dabei ergibt sich, daß die Abschnitte I--III der uns jetzt vorliegenden Gestalt ursprünglich nicht zur Chronik Jankos gehörten, sondern andern Ursprungs sind. In erster Linie als Beitrag zur Erforschung der darstellenden Quellen der litauischen Geschichte will K. Chodynicki die fesselnde Studie gewertet sehen, in der er die Entstehung und Entwicklung der Tradition über die näheren Umstände der Ermordung des Großfürsten Sigmund Kiejstutowicz verfolgt ( 30) und dabei den Einfluß der von Długosz und Aeneas Sylvius gebotenen Erzählungen, von denen die letztere ihre romantische Gestalt (Mitwirkung einer Bärin an der Ermordung) wohl unter dem Einfluß eines Siegelbildes gewonnen hat, auf die spätere, namentlich die litauisch-weißrussische, Geschichtsschreibung feststellt.

Abrahams rechts- und liturgiegeschichtlich wichtige Untersuchung des ältesten erhaltnen Pontificales der Krakauer Bischöfe (vgl. Jberr. 3, S. 657), die von Zd. Obertyński in einigen Einzelheiten ergänzt und berichtigt wird ( 159), liegt in einem auch die wichtigsten Quellenstellen wiederholenden, ausführlichen französischen Auszug ( 1) vor. Jenem wird von J. Fijałek sein Platz in dem ältesten, uns durch gleichzeitige Register bezeugten Bestand an liturgischen Büchern der Krakauer Kathedrale gewiesen, in aufschlußreichen Ausführungen über diese Schriftengruppe ( 50), an die sich die Veröffentlichung des vollständigen Kalendariums und ausgewählter Gebete und Benediktionen aus dem ältesten, der Zeit um 1100 angehörenden Benedictionale, das uns aus jenem Bücherschatz erhalten ist, anschließt; die Auswertung der aus ihr zu gewinnenden Daten für die Bestimmung der Herkunft der Handschrift wird von Fijałek der weiteren Forschung überlassen.

Drei Beiträge von J. Karwasińska und St. Kętrzyński über die Entstehung, Erhaltung und jetzige Aufbewahrung wichtiger Quellengruppen aus dem polnischen Spätmittelalter ( 89, 91; 95), die sämtlich auch für die deutsche Geschichte mittelbare Bedeutung haben, müssen wir ebenso erwähnen, wie wir wieder auf eine Reihe wichtiger archivkundlicher Veröffentlichungen hinzuweisen haben, unter denen die zwei im Berichtsjahr erschienenen Bände der neuen polnischen Zeitschrift für Archivkunde (vgl. Jberr. 3, S. 650) die wichtigsten sind ( 4, 37, 84).


Diese Seite ist Bestandteil des Informationsangebots "Jahresberichte für deutsche Geschichte" aus der Zwischenkriegszeit (1925-1938)