4. Einzeldarstellungen zur politischen Geschichte nach der Reihenfolge der Ereignisse.

Auf die Angabe eines seiner Schüler, daß im südlichen Großpolen eine Wortgruppe (ty brągwiu = Du ...) als beschimpfende Anrede verwandt wird, in deren zweitem Element er den Reflex einer alten Entlehnung des Stammesnamens der Franken erkennen möchte, gründet M. Rudnicki kühne Schlüsse auf intensive feindliche Berührungen zwischen Franken und Lechen (Polen) vor dem 10. Jhd. ( 182), in denen womöglich ein mächtiges polnisches Reich in der Karolingerzeit eine Rolle gespielt haben soll. Dem Urteil eines polnischen Fachgenossen des Verfassers, W. Doroszewski (Prace Filologiczne, Bd. XIV, 1929, S. 697): J'avoue que cet article me paraît être un échantillon caractéristique de la plus fâcheuse des méthodes« braucht der deutsche Berichterstatter nichts hinzuzufügen.

Der ergebnisreichen Untersuchung von J. Widajewicz über die Licikaviki des Widukind (vgl. Jberr. 3, S. 659 f.) widmet K. Maleczyński eine gehaltvolle Besprechung ( 136): auf Grund vergleichender Betrachtung der westslavischen Stammesbezeichnungen nimmt er an, daß der Name der L. von einem Ortsnamen abgeleitet worden ist; weiter gibt er wertvolle, von gründlicher Quellen- und Ortskenntnis zeugende Aufschlüsse zur Topographie der deutsch-polnischen Kriege des 10. Jhds. und weist vor allem zwei weitere Ortsnamen in der Gegend von Zehden, aber am linken Oderufer (Lizkendorf, Lietzegöricke) nach, die augenscheinlich mit dem rätselhaften Stammesnamen in Beziehung stehen und es wahrscheinlich erscheinen lassen, daß das Siedlungsgebiet seiner Träger im Westen über die Oder hinaus reichte. A. Brückner hat, worauf wir schon hingewiesen haben (Jberr. 3, a. a. O.), die von Widajewicz vorgeschlagene Namenserklärung völlig abgelehnt: die von Widukind überlieferte Namensform hält er für so entstellt, daß sie sich weder sprachlich erklären noch topographisch fixieren läßt. Seine kritischen Bemerkungen ( 23) knüpfen an St. Zakrzewskis bedeutende Bolesław Chrobry- Monographie (vgl. Jberr. 2, S. 705 f.) an, berichtigen manche in ihr gebrauchte Namensform, u. a. die seiner Ansicht nach von Adam von Bremen erdachte Bezeichnung Rethra für das Stammesheiligtum der Redarier, dessen Standort auf Grund der Forschungen C. Schuchardts festgestellt wird; weiter werden Zakrzewskis Ausführungen über die polnisch-ostslavischen und polnischungarischen Beziehungen namentlich in ihren genealogischen Grundlagen einer Kritik unterzogen, wobei auch die Frage nach der Entstehung des Namens von Preßburg gestreift wird; den Hauptteil seiner Bemerkungen widmet Brückner der Identifizierung der in dem vielerörterten Dokument »Dagome iudex«


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(der angeblichen Schenkung Polens an den pästlichen Stuhl durch Mieszko I.) genannten Ortsnamen: Schinesghe ist nicht Gnesen, sondern, wie schon L. Giesebrecht vermutet hat, Stettin, das als (nicht zum polnischen Reich gehöriger) Grenzort genannt wird, die Grenzbeschreibung umfaßt das ganze damalige Polenreich, von der Ausscheidung eines Teilgebiets für Bolesław, wie sie Zakrzewski angenommen hatte, ist keine Rede. Brückners Ausführungen sind, wie immer, geistvoll und anregend; überzeugend sind sie nur in ihrem grammatischen Teil.

Eine gehaltvolle, leider bisher nur in einem Auszuge vorliegende Studie widmet Z. Karwowska den ideologischen Grundlagen der Tätigkeit Brunos von Querfurt in Polen ( 93): im Mittelpunkt steht der bekannte Brief des Heiligen an Heinrich II. aus dem J. 1008, in dem er diesen von dem im Bunde mit dem heidnischen Ljutizen unternommenen Kriege gegen Polen und seinen missionseifrigen Herrscher abzuhalten sucht. Er ist aus Brunos Verbundenheit mit den Idealen Ottos III. zu verstehen, die er gewissermaßen im polnischen Reich Bolesław Chrobrys verwirklicht fand, während in der Politik Heinrichs II. ihre universale Tendenz durch eine nationaldeutsche verdrängt schien. Bruno war ein treuer Sohn seiner ostsächsischen Heimat, in der, durch Familienbande gefestigt, die Idee des Zusammenschlusses mit dem christlichen Polen zum Kampf gegen die heidnischen Ljutizen lebendig war. Sein Aufenthalt in der Umgebung Ottos III., sein Eintritt in das Eremitenkloster des hl. Romuald hatten in ihm eine den weltlichen Dingen abgewandte, in Heidenmission und Märtyrertod das höchste Lebensziel erkennende Geisteshaltung wachgerufen. Weder im Bannkreis des deutschen Königs noch in Ungarn, bei den Ostslaven oder Petschenegen fand er den Boden zur Verwirklichung der durch sie bestimmten Pläne; kaum hatte er ihn in Polen gefunden, da mußte er ihn durch die Kriegsdrohung Heinrichs unter seinen Füßen entschwinden sehen. Hervorzuheben ist noch, daß die Verfasserin rückhaltlos anerkennt, daß als Vorbild für die Gestaltung der Kultur und namentlich der kirchlichen Organisation Polens unter Bolesław Chrobry nur das ottonische Deutschland dienen konnte.

Die Frage nach dem Verhältnis der beiden Söhne Władysław Hermanns († 1102), Zbigniews und Bolesławs, deren Erörterung durch T. Tyc wir im letzten Bericht zu verzeichnen hatten (vgl. Jberr. 3, S. 660 f.), wird von R. Grodecki erneuter Untersuchung unterzogen ( 65); ihre Endergebnisse stimmen im wesentlichen mit den von Tyc gewonnenen (seine Abhandlung lag Grodecki noch nicht vor) überein: auch er glaubt, daß in den Jahren 1102--1107 beide Brüder zum mindesten gleichgestellt nebeneinander ihre Teilgebiete regierten, auch er betont Zbigniews friedliches Verhältnis zu den Pomoranen; darüber hinaus sucht er wahrscheinlich zu machen, daß die Behauptung der Chronisten (Gallus und Kosmas), daß Zbigniew unehelicher Geburt gewesen sei, nicht wörtlich zu nehmen ist -- seine Mutter war wohl nicht fürstlicher Abstammung, vielleicht fehlte ihrer Ehe mit Władysław der kirchliche Segen --, daß aber jedenfalls seit etwa dem J. 1093 die Thronansprüche Zbigniews, die als die des älteren Bruders auch den Anspruch auf den Prinzipat umfaßten, allseits anerkannt waren, daß seine Stellung schon bei der Landesteilung zu Lebzeiten des Vaters (1097) dem jüngeren Bruder gegenüber eine bevorzugte war und daß er nach Władysławs Tode bis zu seiner gewaltsamen Verdrängung


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durch Bolesław wenigstens rechtlich als der diesem übergeordnete princeps zu gelten hatte. Die scharfsinnige Abhandlung bringt eine Reihe bedeutsamer Nachrichten zur Geschichte der Stellung Schlesiens im polnischen Staat des ausgehenden 11. Jhds.: zunächst durch Eintreten seiner Magnaten, aber auch wohl des Großteils seiner Bevölkerung für Zbigniew nach dessen Befreiung aus dem Querfurter Kloster, in das ihn sein Vater verbannt hatte, dann dadurch, daß nur innerhalb seiner Grenzen Bolesław in den Jahren 1097--1102 eine (abgeleitete) landesherrliche Gewalt ausüben konnte -- er ist dabei sogar in ein lehensähnliches Verhältnis zu dem böhmischen Herzog getreten -- nimmt Schlesien eine deutlich hervortretende Sonderstellung ein.

Die vielerörterte Nachricht des byzantinischen Historikers Kynnamos, am 2. Kreuzzuge habe ein lechischer (polnischer) Fürst teilgenommen, deutet M. Mendys in Übereinstimmung mit der Mehrzahl der früheren Forscher auf den polnischen Herzog Władysław II., der im Kampfe mit seinen jüngeren Brüdern 1146 nicht nur seine Stellung als Senior des Piastenhauses verloren hatte, sondern zur Flucht an den Hof Konrads III., seines Lehnsherrn genötigt worden war; Konrads Versuch, den Gatten seiner Schwester Agnes mit Waffengewalt nach Polen zurückzuführen, war mißlungen. Władysław mußte versuchen, auf diplomatischem Wege etwas, wenigstens die Rückgabe seines Erblandes Schlesien, zu erreichen: erste Voraussetzung dafür war die Lösung des vom Gnesener Erzbischof, der ihm, wie der gesamte polnische Episkopat, namentlich seit der grausamen Bestrafung des großen Kirchengönners, des schlesischen Magnaten Peter Wlast, feindlich gesinnt war, über ihn verhängten Bannes. Ihr sollte wahrscheinlich die Teilnahme an Konrads Kreuzfahrt dienen: Näheres über sie läßt sich nicht feststellen, die Vermutung des tschechischen Historikers V. Novotný, daß Władysław den Rückweg zusammen mit seinem gleichnamigen böhmischen Schwager (Vladislav) durch Rußland genommen habe, nicht halten. Die tiefschürfende Untersuchung ( 146) bringt eine reiche Fülle wertvoller Einzelbeobachtungen über die politischen und persönlichen Verhältnisse zur Zeit des 2. Kreuzzuges in Deutschland, Böhmen und Polen.

Dem trefflichen Aufsatz von T. Tyc über das polnische Küstenland und die Deutschordensritter (vgl. Jberr. 3, S. 662--664) widmet J. Karwasińska eine gehaltvolle Besprechung ( 88), in der sie die Gedankengänge des Verfassers treffend herausarbeitet und auf das viele Neue, das sie bringen, hinweist. Ihre eigene, breitangelegte Untersuchung über das Nachbarschaftsverhältnis zwischen dem Deutschen Orden und den kujavischen Teilherzogtümern (vgl. Jberr. 3, S. 664 f.) wird von St. Zajączkowski in einer ausführlichen Besprechung ( 242) gewürdigt, die einen guten Überblick über den reichen Inhalt des Buches gibt und auf die Möglichkeit abweichender Auffassung in Einzelheiten hinweist. Karwasińska selbst schöpft aus dem Quellgebiet ihres Buches den Stoff zu einer monographischen Studie über die politische Rolle des Bischofs Wolimir von Kujavien in den Jahren 1259--1278 ( 90): dank der Forschungen M. Handelsmans und St. Arnolds wußten wir, daß Wolimir planmäßig das Ziel der Erringung weitestgehender, fast landesherrlicher Rechte innerhalb des Bistumsbesitzes verfolgt hat; Karwasińskas Untersuchung erschließt uns den politischen Hintergrund dieser für die polnische und als Analogie zur Entwicklung der Verhältnisse im Breslauer Bistumsland auch für die schlesische


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Verfassungsgeschichte höchst bedeutsamen Erscheinung. Wolimir konnte die Schwäche des kujavischen Herzogs Kasimir I. (1247--1267/1268) und die Gegensätze, die zwischen ihm und seinen Söhnen und zwischen diesen selbst sich zeigten -- Gegensätze, die zum Teil mit der Hineinziehung der polnischen Piasten in die ungarisch-böhmische Rivalität wegen des Babenberger-Erbes im Zusammenhang stehen -- ausnutzen, um seiner Kirche immer weiterreichende Privilegien zu verschaffen. Als nach dem Tode Kasimirs sein zweiter Sohn Ziemomysł die Herrschaft im kujavischen Kernland antrat und alsbald dem Einfluß des Bischofs und der mit ihm verbundenen, alteingesessenen Magnatenhäuser durch Begünstigung fremder (deutscher, pomoranischer, preußischer) Zuwanderer entgegenzutreten begann, wobei der Deutsche Orden als Berater des Fürsten mitwirkte, findet Wolimir in dem großpolnischen Herzog Bolesław dem Frommen einen mächtigen Gönner: gestützt auf die unzufriedenen Elemente der kujavischen Gesellschaft, besetzt Bolesław das Land Ziemomysłs und legt die Grundlagen für die so folgenschwere großpolnisch-pommerellische Freundschaft, die alsbald in der Bildung einer gemeinsamen Front gegen Brandenburg ihre Auswirkung findet. Vorübergehend kommen die Ziemomysł entrissenen Gebiete in die Hände seines mit Wolimir eng verbundenen älteren Bruders, Leszeks des Schwarzen von Sieradz und Krakau. Als dieser sich 1278 entschließt, sie jenem zurückzugeben, muß sich Ziemomysł verpflichten, keine deutschen Ritter an seinen Hof zu ziehen, die ihnen zugewandten Schenkungen rückgängig zu machen und ohne Zustimmung seiner Magnaten keine Erlaubnis zur Anlage deutschrechtlicher Siedlungen zu geben. Auch diese bemerkenswerte Äußerung der beginnenden Abwehr gegen das Deutschtum erscheint als Auswirkung der Politik des 1275 verstorbenen Bischofs, einer Politik, deren eigentlicher Gegenspieler der zwar nicht tätig in die Ereignisse eingreifende, aber überall aus ihnen Nutzen ziehende Deutsche Orden ist.

Einen wertvollen Beitrag zur Deutschordensgeschichte liefert auch K. Tymieniecki in seinem Aufsatz über die Abmachungen Władysław Łokieteks mit dem Orden nach der Besetzung Pommerellens ( 222): als Hauptquelle kommen nur die Zeugenaussagen in dem zweiten (Warschauer) Prozeß gegen den Orden im J. 1339 in Betracht, die der Erzählung des Długosz als Grundlage gedient haben. Zum Teil durch dessen Amplifikationen verführt, hat die neuzeitliche Geschichtsschreibung, hat vor allem J. Caro, der überdies einer Personenverwechslung zum Opfer gefallen ist, die Sachlage nicht klären können. Quellenmäßig lassen sich nur zwei Verhandlungen nachweisen: die eine hat in (dem jetzt unbekannten) Grabie in Kujavien in der ersten Hälfte des J. 1309, wahrscheinlich noch vor der Einnahme Dirschaus durch den Orden, stattgefunden; damals wurde vom Orden die Rückgabe Pommerellens an Łokietek von der bekannten Bedingung der Zahlung eines dem Werte des ganzen Landes gleichkommenden Kostenersatzes abhängig gemacht. Die zweite Verhandlung hat erst 1324 in Brześć Kujawski stattgefunden: die damals vom Orden angebotenen, ziemlich nebensächlichen Leistungen sollten nur dazu dienen, dem polnischen König den endgültigen Verlust Pommerellens zu versüßen.

Wegen ihrer Bedeutung namentlich für die schlesische Geschichte haben wir zunächst zwei Literaturberichte zu erwähnen: der tschechische Forscher J. Macurek gibt einen dankenswerten Überblick über die Entwicklung der tschechischen historischen Arbeit auf dem Gebiete der polnisch-tschechoslovakischen


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Beziehungen ( 132), dessen bibliographische Angaben freilich an manchen Stellen die wünschenswerte Genauigkeit vermissen lassen. Im Mittelpunkt stehen einerseits Forschungen über die böhmisch-polnischen Beziehungen in der Hussitenzeit und über das Nachwirken der böhmischen kirchlichen Erneuerungsbewegung auf polnischen Boden (J. Goll, J. Bidlo, J. Kvačala), anderseits Untersuchungen über die Entstehung, die Begleitumstände und die Auswirkungen der böhmischen Herrschaft in Polen im beginnenden 14. Jhd. (J. B. Novák, J. Šusta). Besonders wichtig für die schlesische Geschichtsforschung ist die Analyse der Beiträge zur Geschichte der böhmisch-polnischen Beziehungen, die V. Novotnýs großangelegtes Geschichtswerk enthält. Selbständigere Bedeutung hat der kritische Überblick über die Literatur zur Geschichte der böhmisch-polnischen Beziehungen unter den letzten Přemysliden, den Br. Włodarski einem von ihm vorbereiteten größeren Werk über dieses Thema vorausgeschickt hat ( 233). Der Verfasser zieht für ihn außer der gesamten deutschen, polnischen und tschechischen Literatur, die ihm auch in ihren entlegensten Erscheinungen trefflich bekannt ist, namentlich die Formelbücher heran, in erster Linie die 1919 durch K. Wutke der Forschung erschlossene »Summa Nicolai« aus der Kanzlei Heinrichs IV. von Breslau. Auf dieser Grundlage kann er schon jetzt unsre Kenntnis vor allem der schlesischen Geschichte der zweiten Hälfte des 13. Jhds. in wichtigen Punkten bereichern und präzisieren: es handelt sich vor allem um die Beziehungen Přemysl Ottokars II. zu den schlesischen Fürsten, um seine Preußenzüge und ihren politischen Hintergrund, um die Bemühungen Rudolfs von Habsburg, sich Bundesgenossen in Schlesien zu werben, um den Zusammenhang der pfandweisen Überlassung Krossens an Brandenburg, die Beziehungen des Prager Hofes zu Ostslaven und Tartaren, um die schlesische Teilnahme an der Schlacht bei Dürnkrut, die Bemühungen Heinrichs IV. von Breslau um die polnische Krone, die Rolle Zavišes von Falkenstein und Nikolaus' von Troppau in der polnischen Politik Wenzels II., schließlich um die ideologische Grundlage der böhmischen Herrschaft in Polen.

Eine sorgfältige Untersuchung des Verhältnisses der einzelnen schlesischen Herzogtümer zu Polen, Böhmen und dem Reich in den für die Zukunft des Landes entscheidenden Jahren 1321--1339 liefert J. Kochanowska- Wojciechowska ( 99): ausgehend von einer Schilderung der politischen Lage in Schlesien zur Zeit der Krönung Władysław Łokieteks (1320) zeigt sie, wie der polnische König von manchen der schlesischen Piasten, aber auch vom Breslauer Domkapitel zunächst als der natürliche Schutz- und Oberherr des Landes betrachtet wurde (sein Eingreifen in den Kampf zwischen Bolko von Liegnitz-Brieg und Konrad von Namslau 1321 und namentlich die Vermittlung eines beiden Gegnern gerecht werdenden Friedens, die Schutzbitten des Breslauer Domkapitels 1322/1323, die Übergabe Breslaus an Łokietek durch Herzog Heinrich VI. 1323); infolge der Unzulänglichkeit seiner Machtmittel muß Łokietek aber auf eine Ausnutzung der sich ihm dadurch bietenden Möglichkeiten verzichten (alsbaldige Rückgabe Breslaus an Heinrich VI.). Namentlich durch den Einfluß des in erster Linie auf die Sicherung der Wohlfahrt seiner Städte bedachten Patriziates werden die mittel- und niederschlesischen Herzöge veranlaßt, dem Beispiel ihrer oberschlesischen Vettern zu folgen und, freiwillig oder unter dem Drucke der böhmischen Machtentfaltung, in das Lehnsverhältnis


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zu Böhmen einzutreten, zumal auch vereinzelte und vorübergehende Versuche, unmittelbare Anlehnung ans Reich (Ludwig den Bayern) zu finden, nicht den gewünschten Erfolg haben. Nationale Motive haben nach Ansicht der Verfasserin bei der Bestimmung des politischen Schicksals Schlesiens nur eine untergeordnete Rolle gespielt: nur in dem deutschen und polnischen Teil der Geistlichkeit war ein wirkliches Nationalgefühl lebendig, den Piastenherzögen war zunächst ein Familiengefühl, das sie an Łokietek wies, nicht fremd, doch wurden rein utilitaristische Erwägungen schließlich für sie ausschlaggebend, wie sie es für das städtische Patriziat von vornherein gewesen waren. Man wird hinzufügen können, worauf die Verfasserin nur andeutungsweise hinweist, daß sich durch die Anwendung der lehensrechtlichen Formen auf ihr Verhältnis zur böhmischen Krone für die schlesischen Herzöge eine Möglichkeit zur Erhaltung ihrer vollen landesherrlichen Rechte trotz der Einordnung in einen mächtigen Großstaat bot, die der polnischen Rechtsordnung damals augenscheinlich noch nicht bekannt war.

Wir konnten schon früher auf das Interesse hinweisen, daß die polnische Forschung der letzten Jahre der auch für die Deutschordensgeschichte wichtigen Frage der politischen Zugehörigkeit Podlachiens im 14. Jhd. zugewandt hat (vgl. Jberr. 2, S. 712); H. Paszkiewicz sucht sie unter Heranziehung bisher ungenutzter Quellen zu beantworten ( 162): um 1336 hat Litauen einen bedeutenden Teil des bis dahin zum Fürstentum Halyč-Volodymyr gehörigen Landes erobert, zum Schaden der erfolgreichen, friedlichen Expansionspolitik Masoviens. Bald nach 1340 haben die masovischen Herzöge mit Hilfe Kasimirs des Großen, dem sie dafür bei der Besetzung Rotrußlands Beistand leisteten, einen Teil Podlachiens (das Gebiet von Drohiczyn) den Litauern abnehmen können; jene Hilfe war wahrscheinlich die Vorbedingung für die Anerkennung der Lehensherrlichkeit Kasimirs seitens der Masovier. Vor 1366 haben diese, genötigt durch die fortschreitende Machtentfaltung Kiejstuts von Litauen, ihren podlachischen Besitz wieder aufgeben müssen. Die scharfsinnige Untersuchung von Paszkiewicz bringt auch wertvolle Hinweise auf ungedruckte Urkunden Kasimirs des Großen, von denen einzelne für die Geschichte des deutschen Rechts in Polen wichtig sind.

Schwach ist in der wissenschaftlichen Produktion des Berichtsjahres die Geschichte des 15. Jhds. vertreten; in seinem ersten Teile fördert sie der aufschlußreiche Vortrag O. Haleckis über die skandinavische Politik der Jagiellonen ( 73), der jedoch inzwischen in ausgeführterer Gestalt erschienen ist (La Pologne au VI Congrès [vgl. oben], S. 97--118). Ein Buch von J. A. Łukaszkiewicz über den preußischen Eidechsenbund ( 127), das schon 1927 erschienen ist, übrigens bis jetzt auch in der polnischen Forschung keinerlei Widerhall geweckt hat, ist dem Berichterstatter unzulänglich geblieben. Für die Deutschordensgeschichte ist auch der Beitrag zur Geschichte des Angebots der böhmischen Krone an Jagiello und Witold wichtig, den der tschechische Historiker V. Novotný liefert ( 158): der Plan des Angebots kam unter dem Eindruck des Breslauer Schiedsspruches König Siegismunds zur Reife, in dem die Hussiten mit Recht eine feindselige Handlung gegen Polen-Litauen sahen. Im J. 1420 haben im ganzen drei Gesandtschaften das Angebot übermittelt: Novotný kann, im Gegensatz zu früheren, feststellen, daß auch das Angebot an Jagiello selbst durchaus ernst gemeint war, daß aber bei Absendung der dritten,


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wichtigsten Gesandtschaft Witold schon als Thronkandidat neben ihm in Betracht gezogen wurde. Die namens der Prager Städte und des ganzen Landes Böhmen dieser dritten Gesandschaft erteilte Instruktion hat Novotný aufgefunden; ihren wichtigsten Inhalt bilden die dem Thronkandidaten zu stellenden Bedingungen: eidliche Verpflichtung zur Innehaltung und Durchführung der Vier Prager Artikel in Böhmen und Mähren, Zusage der Zulassung aller, aus der Heiligen Schrift nachzuweisenden göttlichen Gerechtigkeit, der Einziehung der Kirchengüter zugunsten der Städte als Entschädigung für ihre Kriegskosten, der Güter der entflohenen und vertriebenen Bürger zum allgemeinen Besten, der Nichtzulassung von Deutschen oder anderen Fremden zu Landesämtern und im königlichen Rat. Novotný zweifelt nicht daran, daß diese Bedingungen für Jagiello wir für Witold im Grunde gleich unannehmbar waren: wenn der letztere sich auf weitere Verhandlungen eingelassen hat, so geschah das nur, wie schon Długosz betont hat, in odium... Sigismundi. Gegen die Angriffe A. Prochaskas (vgl. Jberr. 3, S. 668) verteidigt seine Erklärung des Planes der Königskrönung Witolds (vgl. Jberr. 2, S. 714) L. Kolankowski ( 100).

Die höchst aufschlußreiche Studie von A. Borzemski über die (polnischen und moldauischen) Streitkräfte im Moldauischen Feldzug König Johann Albrechts ( 22) müssen wir einmal wegen des Überblicks über die politische Lage im J. 1497, den ihre gehaltvolle Einleitung bringt (1493 sieht Johann Albrecht in Maximilian seinen wichtigsten Gegner, weil er dem Jagiellonen Władysław Ungarn entreißen will, Ivan III. von Moskau erscheint ihm nur als ein Werkzeug in der Hand Maximilians), erwähnen, dann wegen der ausführlichen Nachrichten über den Bestand, die Ausrüstung und das Schicksal der vom Hochmeister Hans von Tiefen selbst geführten Hilfstruppen des Deutschen Ordens, die sie, teilweise auf Grund der Veröffentlichungen des rumänischen Historikers N. Iorga, bietet, schließlich wegen der eingehenden Angaben über die großenteils aus schlesischer Stadtbevölkerung bestehende Söldner-Infanterie, die im Dienste des polnischen Königs an dem unglücklichen Feldzug teilnahm.

Nur in loser, wenn auch deutlicher Verbindung mit der Erforschung der polnischen Geschichte stehen die Beiträge zur Geschichte Brandenburgs und Rußlands, die wir hier zu verzeichnen haben: M. Gumowskis Untersuchung über die brandenburgische Frage im 12. Jhd. ( 69, 70) knüpft an des Verfassers Aufsatz über die Münzen der slavischen Fürsten von Brandenburg (vgl. Jberr. 3, S. 678 f.) an, besitzt aber gewisse Eigenwerte, die sie dem deutschen Historiker wichtig machen, zumal sie von guter Quellen- und Literaturkenntnis zeugt: dahin gehören einige treffende Bemerkungen über die Verfassung des Ljutizenlandes in vorkolonialer Zeit, über die beschränkte Bedeutung des Vorkommens deutscher Namen bei von deutschen Priestern getauften Slavenfürsten, über deren Titel und Insignien, vor allem aber einige glückliche Hypothesen über gewisse, bisher nicht erschlossene Zusammenhänge der Politik Albrechts des Bären, Pribislavs von Brandenburg und der polnischen Herrscher und Magnaten. Daß Pribislav Albrecht zum Erben einsetzte, konnte eine Gegenleistung für dessen Hilfe bei der Erwerbung des Brandenburger Thrones sein; jedenfalls wurde diese Erbeinsetzung zur Ursache eines gespannten Verhältnisses zwischen dem Askanier und den Piasten, auf die sich die durch jene ihrer Aussichten beraubten Verwandten des Vorgängers Pribislavs, Meinfrieds, namentlich Jaksa von Köpenik, stützten; diese Spannung läßt sich in der pommerschen


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Politik beider Parteien deutlich verfolgen. Pribislavs Kreuzfahrt nach dem Heiligen Lande in der Gesellschaft Konrads von Meißen (1145) fällt zeitlich mit einem längeren Aufenthalt des Schwiegervaters Jaksas, des schlesischen Magnaten Peter Wlast, in Magdeburg zusammen: Gumowski schließt daraus, daß man Pribislav absichtlich aus seinem Lande entfernt hat, um sein Zusammentreffen mit dem Vertreter der Ansprüche seiner in Polen lebenden Verwandten hintanzuhalten. Vor allem aber ist Gumowskis Vermutung beachtenswert, daß Albrecht vielleicht der eigentliche Urheber des Sturzes Peters gewesen ist; auf Herzog Władysław II. von Polen, der ihn vollzog (1146), konnte Albrecht durch dessen Gattin Agnes, die Schwester König Konrads III., leicht Einfluß gewinnen. So glaubte er seinen Rivalen im Wettbewerb um die Nachfolge Pribislavs seiner wichtigsten Stütze beraubt zu haben: bekanntlich hatte Władysławs Vorgehen gegen Peter seine eigene Vertreibung aus Polen zur Folge (vgl. oben); Albrecht sah sich nun genötigt, um sein Ziel, die Unterbindung einer Unterstützung der Ansprüche Jaksas von polnischer Seite, zu erreichen, mit den nunmehrigen Trägern der Macht in Polen, den jüngeren Brüdern Władysławs, in Fühlung zu treten. Das geschah auf der Kruschwitzer Zusammenkunft im J. 1148, auf der die Vermählung von Albrechts ältestem Sohn, Otto -- der dabei jedenfalls den Piastenherzog Odo aus der Taufe hob --, mit der Schwester der regierenden Herzöge, Judit, beschlossen wurde. Albrechts Gegenleistung für die Zusicherung der Nichtunterstützung Jaskas bestand jedenfalls in einer entsprechenden Zusage, die Wiedereinsetzungsansprüche Władysławs nicht zu fördern.

Die außerordentlich scharfsinnige, die höchst undurchsichtigen dynastischen und politischen Verhältnisse im Kernland des großrussischen Siedlungsgebietes, dem Großfürstentum Vladimir, im 13. Jhd. trefflich beleuchtende Untersuchung von H. Paszkiewicz über die Grundlagen der Moskauer Machtentfaltung ( 161) müssen wir deswegen erwähnen, weil sie besonderes Gewicht auf die Herausarbeitung der Bedeutung legt, die in der Politik der großrussischen Groß- und Teilfürsten der Wettbewerb um die Herrschaft in Novgorod, namentlich wegen ihrer finanziellen Ergiebigkeit, gespielt hat -- und in diesem Rahmen auch wertvolle Beiträge zur Einschätzung der Ursachen und Auswirkungen der Kämpfe zwischen Novgorod und dem livländischen Ordensstaat (1241, 1268) bringt.

Schließlich muß in diesem Zusammenhang auch noch auf die höchst sachkundige Besprechung der genealogischen und Allianz-Tabellen der Rurikiden N. von Baumgartens durch St. Tomaszewski ( 214) hingewiesen werden -- deshalb, weil sie den deutschen Forscher, der vielleicht in jenen Belehrung über die Verbindung der ostslavischen Fürsten mit mittel- und westeuropäischen Herrscherhäusern suchen möchte, vor kritikloser Benutzung des dankenswerten, aber gerade in den für solche Zwecke in Frage kommenden Angaben nicht immer zuverlässigen Hilfsmittels warnen kann.


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