I. Urkundenfälschungen, Geschichte der Urkundenforschung.

Während sich Vercauteren ( 202) mit einem angeblichen Diplom Chilperichs I. beschäftigt und Bertolini ( 203) einen vorgeblichen Gerichtsbrief Landolfs VI. von Benevent von 1061 als ein 1061--1075 gefertigtes Machwerk erweist, zeigt Bauermann ( 214), daß die von ihm in Nachbildung und Abdruck wiedergegebene Gründungsurkunde des Klosters Abdinghof zu Paderborn von 1031 -- nach seiner Ansicht vom Verfasser der Vita Meinwerci -- in den Jahren 1146--1165 zusammen mit anderen Urkunden gefälscht worden sei. Mit Hilfe umfassender Sach- und Stilkritik untersucht Meinert ( 204, vgl. Jberr. 1925 Nr. 422) in Fortführung der Forschungen Halphens und anderer französischer Gelehrter die größtenteils verunechteten oder ganz gefälschten Gründungsurkunden und ältesten Papstprivilegien von St. Trinité zu Vendôme und weist in klarer Gedankenführung Gottfried, der 1093--1132 dem genannten Kloster vorstand, als Urheber der Fälschungen nach. Oppermann widmet ein umfangreiches, von einem Atlas mit 32 Lichtdrucktafeln begleitetes Werk ( 134) einer eingehenden Prüfung der von deutschen, französischen und englischen Königen, Grafen von Flandern, Päpsten, Bischöfen und Privaten ausgestellten Urkunden des Klosters St. Peter auf dem Berge Blandinium zu Gent aus dem (angeblich) 7. bis 12. Jhd. sowie einer Darstellung der älteren Geschichte dieser Stadt. Das in jahrzehntelanger Arbeit entstandene Buch, dessen Ausführungen allerdings, besonders soweit sie die Verfassungsgeschichte betreffen, teilweise bestritten worden sind, enthält eine Fülle von Beobachtungen zum Urkundenwesen und zur Geschichte Flanderns. Der beschränkte Raum verbietet, auf Einzelheiten einzugehen und dadurch eine Anschauung vom Reichtum des Gebotenen zu geben. Es sei nur hervorgehoben, daß Oppermann -- großenteils mit Erfolg -- den Nachweis unternimmt, daß die meisten der von ihm untersuchten Blandinium- Urkunden -- vor allem um 1070 und 1225 -- verunechtet oder ganz gefälscht worden seien, wie denn auch die Geschichtschreibung, besonders die Hagiographie des genannten Klosters mit ähnlichen Mitteln gearbeitet habe, und daß er die ältere Geschichte von Gent sehr eingehend, und zwar so darstellt, als sei die


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Entwicklung dieser Stadt von Anfang an und noch verhältnismäßig spät im Zeichen der feudalen Grundherrschaft gestanden. (Vgl. auch S. 525.) Trinks ( 206), der die unten besprochene Abhandlung Hirschs ( 205) erst während des Druckes seiner Arbeit benützen konnte, sucht die Übereinstimmung der urkundlichen und chronikalischen Nachrichten über die ins Jahr 1146 fallende Gründung der Zisterze Wilhering bei Linz a. D. sowie das einstige Vorhandensein einer heute verlorenen, auf diesen Vorgang bezüglichen Aktaufzeichnung zu erweisen und zeigt u. a., daß ein Privileg Innozenz' III. sowie Urkunden B. Eberhards II. von Bamberg von 1146 und 1154 -- nach seiner Ansicht zum Vorteil B. Eckberts von Bamberg († 1237) -- gefälscht worden seien. Das freche und erfolgreiche Treiben eines landkundigen, von Herzog Friedrich IV. von Österreich, Grafen von Tirol, geschützten Fälschers, des Kanzleischreibers Ulrich Kassler, schildert Stolz ( 210). Seine Ausführungen lassen erkennen, daß man in Tirol bereits in der ersten Hälfte des 15. Jhds. bei Prüfung verdächtiger Urkunden Schrift- und Siegelvergleich übte. Auch in innerdeutschen Landschaften entwickelten sich in der Folge bei Untersuchung von Fälschungen (zu diesen vgl. auch 1028, 1268, 1298, 1306) Ansätze zu paläographischer Urkundenkritik. Dies zeigen J. K. Mayrs Mitteilungen ( 209) über die Art und Weise, in der der Salzburger Hofrat 1543 eine unechte Privaturkunde von 1479 verwarf. Die Entstehung einer außerdeutschen Fälschung und ihre Entlarvung in der Kanzlei Bonifaz VIII. behandeln H. Finke und Elsbeth Jaffé in ihrem Aufsatz über den gefälschten Ehedispens für König Sancho IV. von Kastilien und Maria de Molina (Archiv f. Kulturgesch. 19, 1 S. 139--157). Beiträge zur Geschichte der eigentlichen Urkundenforschung (hierzu auch 106) liefern Bergkamp ( 194) mit seiner Arbeit über Mabillon und die Mauriner und Schmitz-Kallenberg ( 197), der auf die bereits durchaus wissenschaftlich eingestellte Dissertatio de diplomatibus pontificiis des Dominikanergenerals A. Bremond († 1755) aufmerksam macht. Mittelbar hierher gehören auch Hessels Ausführungen ( 196), die Deutschland das Verdienst zuweisen, den schon von Mabillon gefaßten Gedanken der Anlegung von Regestensammlungen aufgegriffen, in die Tat umgesetzt und aufs vollkommenste ausgebaut zu haben, sowie die Erörterungen Prous ( 195) über die Veröffentlichung von Urkunden.


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