I. Genealogie.

Die bibliographischen Arbeiten der Zentralstelle für Deutsche Personen- und Familiengeschichte in Leipzig sind nunmehr zum Abschluß eines die Literatur der Jahre 1921--26 zusammenfassenden 2. Bandes gelangt, der von Friedrich Wecken bearbeitet ist ( 219) und durch ein sorgsam bearbeitetes Gesamtverzeichnis die Übersicht über das weitverstreute Einzelschrifttum sehr erleichtert. Die Literatur des Berichtsjahres 1927 hat in der gleichen Sammlung inzwischen Johannes Hohlfeld bibliographisch verzeichnet.

Eine Einführung in die Genealogie schrieb Wilhelm Hussong (Familienkunde, ihre Bedeutung und ihre Ziele, Leipzig 1928, 144 S., kl. 8). Die Schrift, hervorgegangen aus einer in den Rheinlanden gehaltenen Vortragsreihe, arbeitet mit besonderem Geschick die Beziehungen der Familienkunde zur Vererbungswissenschaft heraus und lehnt mit ziemlicher Schärfe eine zu einseitige soziologische Grundlegung ab. Dieser heute beliebten völligen Indienststellung der Genealogie unter die biologische Vererbungslehre gegenüber hat Johannes Hohlfeld in einem Vortrag vor dem Düsseldorfer Naturforschertag 1927 »Über die Genealogie als Grenzwissenschaft zwischen Geschichte und Naturwissenschaft« der Genealogie ihr scharf abgegrenztes Aufgabengebiet auf dem Unterbau der allgemeinen Wissenschaftslehre zugewiesen. Der Vortrag ist jetzt in einem Mitteilungsheft der Leipziger Zentralstelle »Zwischen Naturwissenschaft und Geschichte« zusammen mit den übrigen Vorträgen der Abteilung Familienkunde jenes Naturforschertages erschienen (Leipzig 1928, 38 S., Mitteilungen der Zentralstelle 36). Darin macht R. Fetscher sehr beachtliche Vorschläge über die genealogische Inventarisierung der Bevölkerung und L. R. Grote setzt sich in einem Vortrag »Die Beziehungen der Familienforschung zur Rassenlehre« mit der Güntherschen Rassetheorie auseinander.

Wilhelm Karl Prinz von Isenburg umreißt in seiner Abhandlung »Genealogie als Lehrfach, zugleich Einführung in ihre Probleme« (Leipzig 1928, 46 S. -- Praktikum für Familienforschung 19) den Aufgabenkreis eines akademischen Lehrstuhles für Genealogie, der er den Charakter einer selbständigen Wissenschaft zuerkennt. Der gedankenreichen und anregenden Arbeit wäre für eine wünschenswerte Neuauflage eine schärfere Gliederung des Stoffes zu wünschen. Was Isenburg für die Universität, fordert G. Fr. Studt (»Familienforschung und Schule«, 19 S., Leipzig 1928 -- Flugschriften für Familiengeschichte 11) für die Volksschule, indem er sehr beachtliches Erfahrungsmaterial aus der Unterrichtspraxis beibringt.

Auf dem Gebiete der genealogischen Erschließung der Archive liegen einige ausgezeichnete Arbeiten vor. In den Leipziger Flugschriften für Familiengeschichte hat Johannes Biereye (»Familienforschung in Erfurt«, Flugschrift 8) das genealogische Quellenmaterial von Erfurt und Otto Ruppersberg (»Das Frankfurter Stadtarchiv als Quelle familiengeschichtlicher Forschung«, Flugschrift 12) den stattlichen Reichtum des Frankfurter Archivs für die genealogische Forschung in einer kurzen Übersicht ausgebreitet. In ähnlicher Weise hat Transfeldt ( 220) in der Kuhnert-Festschrift einen Überblick über die genealogischen Hand- und Druckschriften der preußischen Staatsbibliothek gegeben, zu denen früher in der Vierteljahrsschrift für Wappen-, Siegel- und


S.106

Familienkunde (Jahrgang 27) ein Verzeichnis der in den bekannten Sammlungen Koehne, v. Kretzschmer und Plotho behandelten Familien erschienen ist. Transfeldts Arbeit ist in erster Linie gedacht als praktischer Wegweiser für den Bibliotheksbenutzer, geht daher weniger auf geschichtliche und kritische Würdigung der Sammlungen ein.

Einen ausgezeichneten und weitgespanntes Interesse beanspruchenden Überblick über den Stand der genealogischen Forschung in Amerika, besonders auf deutschamerikanischer Seite, mit aufschlußreichen Darlegungen über die völkischen Verhältnisse des Auslandsdeutschtums überhaupt gibt Wilh. Standt in einem Sonderheft der Vierteljahrsschrift für Wappen-, Siegel- und Geschlechterkunde (in Jg. 54: »Familienforschung in Amerika«, 24 S.); was man hier über die Förderung genealogischer Forschungen durch Bibliotheken und Archive in Amerika erfährt, ist für deutsche Forscher beschämend, wenn man weiß, daß in deutschen Archiven genealogische Forschungen als unwissenschaftlich mit einer Benutzungsgebühr belegt werden, während etwa in der New York Public Library ein besonderer Arbeitsraum für Genealogie mit einer Handbibliothek von 40 000 Bänden und von gleicher Größe wie der für amerikanische Geschichte vorhanden ist. Besonderes Interesse dürfen die Ausführungen Standts über die deutsche Herkunft einiger führender amerikanischer Familien wie Rockfeller (Roggenfelder aus Arienhell), Pershing (Pförsching aus Württemberg) und Hoover (Huber) beanspruchen.

Die grenzlanddeutsche Forschung hat durch Gründung der Zeitschrift »Sudetendeutsche Familienforschung« (Herausgegeben von der Mittelstelle für Familienforschung in Aussig unter der Schriftleitung von Anton Dietl und Franz Josef Umlauft; 1. Jg., 1928) einen Mittelpunkt für ihre Belange erhalten; die Zeitschrift erscheint berufen und geeignet, den besonderen Problemen des Ursprungs und Wesens des Grenzlanddeutschtums zu dienen. Zunächst hat sie ihre Spalten vorwiegend der Veröffentlichung von Sammlungsinhalten geöffnet.

An neuen Sammelwerken zur Genealogie des Adels ist das Altösterreichische Adelslexikon von Frank zu Döfering ( 225) hervorzuheben. Es verzeichnet die Standeserhebungen und Gnadenakte aus der Zeit 1822--1918, im wesentlichen den Registern und Akten der Wiener Gratialregistratur (ehemaligen Adelsarchivs) entnommen und durch die zu Rittern des Maria Theresia- Ordens promovierten Offiziere ergänzt. Von der Einführung der Adelsentsetzungen hat der verdiente Bearbeiter leider mangels ausreichenden Materials abgesehen. Dagegen ist für später ein ergänzendes Wappenlexikon geplant. Über v. Boettichers Adel des Görlitzer Weichbildes ( 232) vgl. S. 443.

Eine allgemeine soziologische Auswertung des genealogischen Materials im Hinblick auf das Problem von Auf- und Abstieg versucht J. H. Mitgau in der Flugschrift 10 der Leipziger Zentralstelle »Familienschicksal und soziale Rangordnung. Untersuchungen über den sozialen Aufstieg und Abstieg« (Leipzig 1928, 80 S.). Er kommt zu drei Normalformen des Aufstiegs: dem »persönlichkeitsbetonten«, der meist durch einen auf schnellen Aufstieg folgenden schnellen Abstieg, oft in Verbindung mit dem Aussterben der männlichen Linie, gekennzeichnet ist, dem »traditionsbetonten Generationsschicksal«, meist kennzeichnend für Grund und Boden besitzenden Adel und Bauerntum, bei dem auf einen gleichmäßigen Aufstieg eine gleichbleibende Standes- und Klassenlage folgt und


S.107

schließlich, wenn überhaupt, ein nur langsamer Abstieg. Der letzte Typ ist »milieubetont«, d. h. sein Schicksal ist weniger von Eignung und Leistung der Familie, als durch die schicksalhaften Bindungen an die soziale Klasse bestimmt.

Unter den zahlreichen familiengeschichtlichen Monographien des Jahres, die meist nur von bescheidenem unmittelbaren wissenschaftlichen Wert sind, steht obenan die stattliche Geschichte des aus Unna in Westfalen stammenden Geschlechts Brockhaus, die Peter von Gebhardt nach mannigfachen Vorarbeiten von anderer Hand bearbeitet hat ( 233). Das Werk behandelt auch die Genealogien der verschiedenen adeligen Geschlechter gleichen Namens und stellt dann eingehend die beiden Hauptstämme des Geschlechts, Plettenberg und Soest-Leipzig dar, streng beschränkt auf das Genealogisch-Biographische, während die Geschichte der Brockhausschen Unternehmungen, vor allem des berühmten Leipziger Verlagshauses, zu stark zurücktritt. Fast die Hälfte des Werkes wird durch die Ahnentafel der heutigen Generation und den Anhang von Urkunden, Registern, Anmerkungen ausgefüllt.

Auf einige weitere Monographien sei in Kürze hingewiesen. Im Bereiche adeliger Geschlechtergeschichten ist das Werk über die v. Hake ( 234) mit dem zweiten Bande abgeschlossen worden. Eine bürgerliche Familie des Harzgebietes behandelt in Chronikform mit umfangreichen Materialdarbietungen Werner Küchenthal in seiner »Geschichte des Geschlechts Küchenthal« (186 S., Leipzig 1928 = Beiträge zur deutschen Familiengeschichte, Bd. 7), ein Barmer Hofgeschlecht E. W. Röhrig in seiner »Geschichte des vom Gute Lehen stammenden Geschlechts Mittelsten Scheid« (Barmen 1928, 242 S.). Johannes Zachau zeigt in seiner Arbeit »Natangische Bauern. Geschichte des Geschlechts Zachau aus Böttchersdorf, Ostpreußen« (Gehsen 1927, 112 S.) den Weg eines alten Bauergeschlechts »in Bindung und Lösung der Seele« von der erdgebundenen zur entwurzelten Seele mit einem nicht sozialen, sondern biologischen Abstieg als Folge -- das Geschlecht ist heute wieder bei der Kopfzahl von 1720 angelangt. Die Arbeit zeigt einen starken, für den Verfasser kennzeichnenden geneosophischen Einschlag.

Eine Überfülle an Material, aber im Ergebnis doch eine des inneren Zusammenhangs entbehrende Materialhäufung bietet Roman Freiherr v. Procházka mit seinem Sammelwerk »Meine 32 Ahnen und ihre Sippenkreise« (Leipzig 1928, 864 S. = Bibliothek familiengeschichtlicher Arbeiten 7). Wesentliches, wenn auch noch unverarbeitetes, Material liegt hier vor allem zu den deutsch-tschechischen Mischverhältnissen in Böhmen vor.


Diese Seite ist Bestandteil des Informationsangebots "Jahresberichte für deutsche Geschichte" aus der Zwischenkriegszeit (1925-1938)