II. Siedlungsgeschichte.

Eine für weitere Kreise bestimmte Darlegung über die Aufgaben der siedlungsgeschichtlichen Forschung und ihren gegenwärtigen Stand hat der Verfasser dieses Berichtes selbst auf Wunsch der Leitung der Zeitschrift für deutsche Bildung veröffentlicht ( 383); eine knappe von W. Uhlemann zusammengestellte Bibliographie ist beigefügt. J. Pfitzner, der sich durch seine Arbeiten, namentlich zur Siedlungsgeschichte Schlesiens, bereits bekanntgemacht hat, trägt Äußerungen grundsätzlicher Art über die Aufgaben der siedlungsgeschichtlichen Forschung und ihre weitere Ausbildung vor, mit bemerkenswerten Anregungen ( 391). Scheint die Siedlungskunde zunächst eine Anhäufung von Forschungsergebnissen der verschiedensten Wissenszweige zu sein, so bedeutet das Ganze, wie Pf. sagt, auch in diesem Falle mehr als die Summe seiner Teile; er meint also, daß die Siedlungskunde künftig sich als ein besonderer Wissenszweig den übrigen Wissenschaften an die Seite stellen werde. Nach einem kurzen Hinblick auf die bisherigen Leistungen erhebt der Verfasser die Forderung, daß nicht nur die Frühzeit bevorzugt werden darf, sondern auch die jüngere Siedlungsgeschichte angebaut werden muß, ja daß die innere Verbindung mit den Siedlungsaufgaben der Gegenwart herzustellen sei. Solcher Bearbeitung der jüngeren Siedlungsgeschichte wird ein besonderer methodischer Wert noch darum beigemessen, weil die Siedlungsvorgänge aus den sehr viel reicheren Quellen mit viel größerer Deutlichkeit erkannt zu werden vermögen, als bei der frühdeutschen und ma.lichen Siedlungsgeschichte und darum allgemein gültige Ergebnisse über ihren charakteristischen Verlauf gewonnen werden. Besonders wichtig ist es, daß dabei die Leistung der Einzelpersönlichkeiten deutlich hervortritt, ein Anzeichen dafür, daß wir Ähnliches auch für ältere Siedlungsepochen annehmen dürfen, in denen nur der Mangel an Quellen den klaren Einblick hemmt. Durchgeführt wird all dies an einem bezeichnenden Einzelbeispiel, in gründlichen Erörterungen zur Siedlungsgeschichte der Grafschaft Glatz im 18. Jhd., wobei klar die führende Rolle Friedrichs des Großen und die Tätigkeit seiner Verwaltungsbeamten, aber auch der Anteil Österreichs an dem Siedelwerk nachgewiesen wird.

Zur Ortsnamenkunde Deutschlands bringt der neue (5.) Band der Zeitschrift für Ortsnamenforschung einige bemerkenswerte allgemeine Beiträge. Der Herausgeber selbst, J. Schnetz bespricht in den Untersuchungen zu Flußnamen Deutschlands ( 517) die »Gruppenbenennung«, wobei die Namen der Flüsse nicht nach ihrer Eigenschaft gegeben werden, vielmehr durch einen geographischen Faktor beeinflußt sind. Lehrreich sind die Darlegungen von E. Schwarz zur Geschichte der deutsch-tschechischen Ortsnamenbeziehungen ( 539). Namentlich geht Schw. darauf ein, daß kurz vor dem Wandel von g zu h in Böhmen-Mähren sowie in dem Sorbenlande die Ausbreitung deutscher Besiedlung


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eingesetzt hat, so daß eine alte und jüngere Schicht von Ortsnamen danach bestimmt werden kann und willkommene Aufschlüsse für die Siedlungsgeschichte gewonnen werden. Erwähnt sei die Fortsetzung der Sammelreferate über Ortsnamenliteratur (W. Kaspers: Rheinprovinz) ( 525). Eine für die Siedlungsgeschichte des deutschen Westens wichtige Einzeluntersuchung bietet A. Helbok ( 394) über die sog. Weilerorte (d. h. die Orte, die eine Namenbildung mit »Weiler« aufweisen), in Auseinandersetzung mit der Auffassung Behaghels und F. Steinbachs. H. gründet seine eigene Meinung auf eine Bestandsaufnahme der in Betracht kommenden Orte. Sprachlich hält er an der Ableitung aus dem Vulgärlateinischen (villa, villare) fest, weist jedoch die Anwendung in den Ortsnamen für die Zeit namentlich vom 7. bis 9. Jhd., also bei dem Landesausbau karolingischer Zeit, nach, wobei ein Fortschreiten des Brauches vom Westen nach dem Osten zu erkennbar ist; je nach der Art der Zusammensetzung mit Personennamen (mit bloßer Bildungssilbe oder in genitivischer Form) ist ein Schluß auf romanische Umgebung oder auf germanische bäuerliche Bevölkerung möglich. Die Arbeit bedeutet einen wesentlichen Beitrag zur Klärung der umstrittenen Frage. -- Einige beachtenswerte Versuche liegen zur Aufhellung des schwierigen Problems der Hufe vor. L. Hauptmann ( 390) bietet eine Untersuchung über die im bayerischen Stammes- und Kolonisationsgebiet auftretenden Hufengrößen. Eine wichtige Entdeckung dabei ist die Erwähnung einer Königshufe zu 90 iugera in einer Grazer Handschrift des 12. Jhds. Auch in einer Urkunde Ottos III. v. J. 994 (für Treviso) ist die Königshufe in solchem Ausmaß nachgewiesen (übrigens schon in Urk. König Ludwigs 864). Die Berechnung der Standeshufen, einer Edelhufe, einer Hufe des Freien (oder Barschalken) und einer Knechtshufe bringen richtige Angaben; ob man aber daraus ein System bilden kann, bleibt zweifelhaft (Edelhufe 72 iug., Freienhufe 45 [3×15], Knechtshufe 36 iug.), zumal da die in jener Grazer Hs. bezeugte Hufe von 60 iug. hierbei außer acht bleibt. Dazu kommt die Schwierigkeit, daß die bayerischen Ackermaße jener Hufen nicht in einem bereits völlig geklärten Verhältnis zu dem der Königshufe stehen. Eine einleuchtende Vermutung ist es, wenn H. der Königshufe von 90 iug. das große österreichische Joch (57,3 a) zugrunde legt, so daß eine der früheren Meitzenschen Berechnung (48--50 ha) vergleichbare Größe (51,33 ha) sich ergibt. Eine Weiterführung der Untersuchung über die Königshufen bringt nun ein kleiner Beitrag von H. v. Loesch ( 390); er setzt sich mit Meitzens Darlegungen von Fall zu Fall auseinander und betont, daß eine Verschiedenheit der Größe bei den von Königen ausgetanen Hufen auf Rodeland in den Ardennen, in Bayern u. a. feststellbar sei, also nicht ein ganz gleiches Reichsmaß zugrunde liege. Zugestanden wird die Möglichkeit der Hypothese einer Königshufe im Maße von 47--51 ha, die in Niedersachsen und den Slawenlanden auftritt. v. Loesch ( 390) hat auch seine ausführlichen Studien über die fränkische Hufe in den Ländern, wohin die ostdeutsche Kolonisation gedrungen ist, fortgesetzt, namentlich mit sehr lehrreichen quellenmäßigen Nachweisen für Schlesien und Polen. Er bespricht eine große Anzahl von Einzelbeispielen; es ergibt sich dabei, daß die zweierlei Hufengrößen, wie sie sich bei der normalen Hufenmessung, 12×270 Ruten = 3240 QR., ergeben (24,19 ha bei einer Rute von 15 Ellen; 27,52 ha bei 16 elliger Rute, die auf Waldboden angewandt wurde), wenigstens in ausreichender Annäherung nachweisbar sind. In der Oberlausitz tritt eine

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etwas geringere Größe auf (23,24 ha). Auch den Hufen im Frankenland selbst wird Aufmerksamkeit gewidmet; doch fehlt es bisher noch an der aus den dortigen Quellen erst noch zu beschaffenden Grundlage der Hufenberechnung. Einen Versuch, Königshufe, Waldhufe und sächsische Acker im Bereich des heutigen Freistaates Sachsen in Beziehung untereinander zu setzen, hat W. Heinich (N. Arch. f. Sächs. Gesch. H. 51, S. 1 ff.) gemacht. Geglückt ist der Nachweis einer fränkischen Hufe, des halben Lehens, zu 43,2 sächs. Ackern (23,907 ha); aber was über das Verhältnis der Königshufe (von 72 Königsackern) zu den anderen Hufen gesagt wird, ist nur errechnet und bedarf weiterer Prüfung an den Quellen selbst. Sollte nicht eher an ein Vollehen von 90 A. als Königshufe nach dem oben erwähnten Maß zu denken sein?

Aus den Schriften, die sich auf einzelne Gegenden beziehen, aber von allgemeiner Bedeutung sind, seien die nachfolgenden hervorgehoben. In die frühesten Zeiten der Siedlungsgeschichte führt uns eine Arbeit O. Schlüters ( 429): eine kartographische Darstellung der frühgeschichtlichen Siedlungsflächen Mitteldeutschlands nebst kurzen Darlegungen über seine Forschungsmethode und Erläuterungen des Kartenbildes selbst. Die Flächen des offenen Landes zwischen Wald und Sumpf stellen ein Ausbreitungsgebiet dar, das wohl nur in den für die Siedlung günstigsten Zeiten der Vorgeschichte in solchem Ausmaße vorhanden war; es wird Perioden gegeben haben, in denen der Wald eine größere Ausdehnung erreicht hat, während er später wieder zurückgedrängt worden ist. Indes ist es eine von Schl. sicher nachgewiesene Tatsache, daß in den Landen an der Mittelelbe ein besonders großes Gebiet waldfreier, der Siedlung günstiger Räume sich zonenweise aneinanderschließt, das nirgends anderswo in Deutschland übertroffen ist. Diese Erkenntnis hat für die Auffassung vor- und frühgeschichtlicher Siedlungsvorgänge, auch für das Verständnis der Wanderbewegungen germanischer Stämme eine große, bisher nicht genügend gewürdigte Wichtigkeit. E. Reinstorf ( 426) behandelt in einem umfänglichen Werk die Elbmarschkultur in einem natürlich umgrenzten Raume zwischen Bleckede und Winsum an der Niederelbe, auf der linken Stromseite um Artlenburg. Er zeigt, wie die Besiedlung und Kulturentwicklung dieses Landstriches in der natürlichen Beschaffenheit bedingt ist, bringt neue Aufschlüsse über die Zuwanderung der Wenden und die seit dem Auftreten H. Billungs eingeleitete Gegenbewegung in jener Gegend, die erneute Ausbreitung der deutschen Siedlung auf den Marschen und das Deichwesen; auch behandelt er die Verwaltungsbezirke und Kirchspiele, sehr ausführlich die Wirtschaft und geht in lehrreichen Ausführungen auf das Volkskundliche ein. Das Buch, für weitere Kreise geschrieben, ist ein wertvoller Beitrag zur geschichtlichen Landes- und Volkskunde einer solchen Stromlandschaft. Einem unserer geschichtlich bedeutsamen Mittelgebirge, dem Böhmerwald, ist eine Studie H. Muggenthalers gewidmet ( 404), als ein Beitrag zur ostbayrischen Heimatforschung. Der Verfasser gibt zunächst eine Beschreibung des bayerisch-böhmischen Grenzgebirges und seiner einzelnen, auf der Bodengliederung beruhenden Räume. Auf Grund der geschichtlichen Quellen, mit ausgiebiger Benutzung unerschlossenen archivalischen Stoffes, dazu mit Berücksichtigung der Namenkunde und der Siedlungsart entwirft der Verfasser ein anschauliches Bild der Besiedlungsgeschichte des Böhmerwaldes. Von Innerböhmen her, auf tschechischer Seite, ist schon früh die Siedlung an den Paßstraßen nach den Landestoren vorgeschoben worden, für Zwecke des


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Grenzschutzes; es wurden die sog. Choden angesetzt, die die Wälder zu verhauen und abzugehen hatten. Die eigentliche Erschließung des Waldgebirges für agrarischen Anbau und bergmännische Nutzung geschah erst im Hochmittelalter. Deutlich wird das Vordringen von dem Bereich bayrischer Siedlung gezeigt, bis über die Kammhöhen hinaus; auf beiden Seiten der Landesgrenze sind Siedelart und Sprache, Ortsnamengebung, auch die Kirchenpatrone gleich. Ausführlich wird auf die sozialen Verhältnisse der Siedler eingegangen. M. nimmt an, daß anfänglich freie Siedler nach dem Bifangrecht an der Rodung teilgenommen haben. Größtenteils geschah sie jedoch auf Großgrundbesitz, sei es auf solchem der Landesgewalt (wie bei Niederlassung der künischen Freibauern auf böhmischer Seite), sei es auf Grund und Boden einzelner Herrschaften. Beteiligt waren »Gastsiedler« (hospites), die in hofrechtliche Abhängigkeit, wenn auch mit erblichem Besitzrecht gerieten (deshalb auch heredarii genannt). Im übrigen ist es bezeichnend, daß die Siedlung großenteils mit Hilfe von Hörigen geschah. Als eine Form der Neusiedlung wird eine Abspaltung aus den älteren »Roden« (novale ab antiquo receptum) bezeichnet. Erwähnt wird die Hufe zu 60--70 Joch als Besitz eines »Ganzlehners«, wozu die obengenannten bayrischen Hufengrößen verglichen werden mögen. Eine andere Art der Ansiedlung, nach dem deutschen Recht, wird nur für Nordböhmen, vom Egerland aus ostwärts, angegeben; bemerkenswert ist dabei die Stellung des Stadtvogtes, der auf den umliegenden Dörfern das Jahresgericht (Dreiding) abhält, eine Einrichtung, wie sie für Schlesien bekannt ist. M. geht auch auf die politische Geschichte ein; er hebt dabei die Bedeutung des Karolingers Ludwig des Deutschen, sodann König Heinrichs II., der zuerst bayrischer Herzog war, dann aber auch die König Konrads II. und Heinrichs III. besonders hervor.

Eine sehr wertvolle Arbeit für den deutschen Osten wird E. Schwarz verdankt ( 388). In einer kritischen Übersicht behandelt er die Entwicklung der Forschungen über die Frage der slawischen Landnahmezeit in Ostgermanien. Die Darlegungen sind höchst kenntnisreich und beleuchten klar den gegenwärtigen Stand der Meinungen über die vielfach umstrittenen Fragen; der Verfasser hat aber auch in eigenen Beobachtungen dazu Stellung genommen, so daß eine belangreiche Weiterführung der Forschung in nicht wenigen Punkten festgestellt werden kann. In den ersten Abschnitten setzt sich Schw. mit den Ansichten tschechischer und polnischer Prähistoriker über das frühe Auftreten von Slawen im mitteleuropäischen Osten auseinander, besonders über die ethnische Deutung der sog. lausitzischen Kultur. Die Ergebnisse der Archäologie bringt Schw. mit den Nachrichten der historischen Überlieferung zusammen und ergänzt sie sehr wesentlich durch eigene namenkundliche Ermittlungen. Es steht hinreichend fest, daß Germanen nach Ausweis der Bodenfunde über die Jahrhunderte hinaus, in denen die sog. Völkerwanderung beginnt, bis in das 5. und 6. Jhd. in Ostgermanien nachweisbar sind. Vor dem 6. Jhd. sind Slawen in Ungarn nicht aufgetreten; auch in Böhmen und Ostdeutschland sind Zeugnisse für ihre Ansiedlung für eine frühere Zeit keinesfalls vorhanden, ja sie setzen vielfach erst wesentlich später ein. Ein Zusammenhang besteht zwischen der Ausbreitung der Slawen und dem Auftreten der Awaren sowie der Abwanderung der Langobarden aus Pannonien nach Italien ( 568). Besonders lehrreich sind die Ausführungen über die Namen der Flüsse, auch einzelner Orte im östlichen Deutschland mit vortrefflichen Kenntnissen germanistischer und slawistischer


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Art. Meinungsverschiedenheiten im einzelnen bleiben natürlich bestehen (so über die Nordschwaben an der Bode, auch über die Warnen ...); indes auf das Ganze gesehen bieten die Ausführungen von Schwarz eine sehr verläßliche Grundlage der Urteilsbildung und eine Fülle erwünschter Belehrung.

Eine sehr scharfsinnige Untersuchung zur Geschichte der ostdeutschen Kolonisation wird R. Koebner verdankt in seinem Aufsatz über Locatio ( 389). Er beschäftigt sich gründlich mit dem Sinne der in den Urkunden auftretenden formelhaften Worte locare, locatio u. dgl. Ursprünglich liegt die Bedeutung besetzen (in Pommern dafür: possidere) zugrunde. Aber es wird die Besetzung und Rechtssetzung zusammengefügt, also »besetzen mit Recht«, und zwar die Bewidmung mit Ortsrecht. Als Ausgang dieser Rechtsentwicklung wird Magdeburg nachgewiesen, dank der Kolonisationstätigkeit des Erzbischofs Wichmann. In einem Abschnitte der Arbeit verfolgt sodann K. die Tätigkeit der Lokatoren in der Oberlausitz und Schlesien. Eine lehrreiche Einzelstudie widmet E. G. Bürger einem sehr verbreiteten Siedeltyp, dem Waldhufendorf ( 393), und zwar vom östlichen Erzgebirge (tatsächlich tritt es schon im westlichen Erzgebirge, ja im Vogtlande auf) über die Sudeten bis zu den Beskiden. B. zeigt die Entwicklung dieses Typus in ursprünglich verkehrsverschlossener Waldberglandschaft und geht auf die wirtschaftlich soziale Struktur dieser Siedlungsanlagen ein. Der Waldhufendorfbauer wird als ein »Gruppenindividualist« des Hauses und der Familie gekennzeichnet; daher herrscht die Anerbensitte vor. Die Grundherrschaften erhalten zunächst die einmal überkommene Struktur; ihre Besitzvermehrung wird durch Anlage neuer kleiner Dörfer mit Kleinbauernsiedlung, sodann auch durch Aufteilung grundherrlicher Meierhöfe erreicht, endlich durch Ansetzen von Häuschen in der Altsiedlung mit Handwerkern u. dgl., so daß das Waldhufendorf ein »zweifaltiges und zwiespältiges Gebilde« wird. Da die Waldhufendörfer meist wenig günstige Verkehrslage haben, so erfolgte später im 18. Jhd. die Anlage der Fabriken und Industriesiedlungen meist entfernt davon im Gebirgsvorland, so daß sie auf die Wandlung jener Dörfer nur geringen Einfluß genommen haben.

Eine größere Untersuchung zur Städtegeographie, die um ihrer Methode willen allgemeinere Bedeutung hat, liegt in Bearbeitung von H. Dörries vor ( 424): Entstehung und Formenbildung der niedersächsischen Stadt. Der Verfasser, der bereits in einer Arbeit über Städte des Leinetals sich mit den einschlägigen Fragen vertraut gezeigt hat, unternimmt jetzt den Versuch, die städtegeographische Methode auf ein größeres Wirtschafts- und Kulturgebiet anzuwenden, mit dem Bewußtsein, daß ein solcher Versuch nach dem gegenwärtigen Stande der Forschung nicht ohne Kühnheit unternommen werden kann. Eine landeskundliche Einführung wird vorausgeschickt, wie dies bei einem Geographen sich von selbst versteht. Nach einem raschen Blick auf die ländlichen Siedelformen legt der Verfasser zunächst die Grundbegriffe der städtischen Siedlung dar, wie er sie bei seiner Betrachtung ins Auge faßt. Es kann auffallen, daß nicht ein rein geographischer Begriff der Stadt zugrunde gelegt wird; die Stadt erscheint vielmehr im verwaltungsmäßigen (rechtlichen) Sinne erfaßt. Dem Historiker kann eine solche Betrachtung durchaus recht sein; sie dient in dieser Hinsicht der größeren Klarheit. Betrachtet werden insgesamt 289 Siedelplätze, wobei 168 Städte, 4 Weichbilde und 117 Marktflecken unterschieden werden; dazu werden noch 1 Wüstung sowie 24 Dörfer berücksichtigt, bei denen sich


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Ansätze zu städtischer Entwicklung gezeigt haben. Merkwürdig ist die Aussonderung der Weichbilde; unter historischem Gesichtspunkt verdienen sie als eine Relikterscheinung die Heraushebung, aber eine Sondergruppe bei geographischer Untersuchung sind sie doch eigentlich nicht. Es wird nun die Verteilung dieser Plätze über den Raum hin gezeigt, dabei auch die Städtedichte besprochen. Im ersten Hauptteil der eigentlichen Untersuchung erörtert der Verfasser die Anfänge der städtischen Entwicklung; die Hauptmasse der Städte gehört erst der Zeit von 1000--1500 an. Sodann geht er sehr ausführlich auf die Verkehrswege ein, deren Netz in Niedersachsen eine lehrreiche Rekonstruktion erfährt; überhaupt wird die lebensnotwendige Verkehrslage bei den Städten, der Einfluß des größeren Durchgangs- und Fernverkehrs auf die Städtebildung betont. Danach werden die Verschiedenheiten der Ortslage im Bergland, in den Niederungen, in der Marsch und an der Küste besprochen. Eine ausführliche Behandlung erfährt das Problem der Formenbildung. Es ist dabei erfreulich, daß D. nicht bei rein morphographischen Begriffen stehen bleiben will. Die von ihm hervorgehobenen Formverschiedenheiten sind im Grunde sehr einfacher Art: unregelmäßige aus dörflicher Anlage erwachsene Formen, die freilich nur ganz ausnahmsweise auftreten, sodann die Straßenmarktformen, solche zusammengesetzter Art und einige »schematische« Formen von ganz regelmäßiger Planung. Eingegangen wird auch auf die Frage der Veränderlichkeit der Formen; für das MA. wird sie als ganz gering angesehen, aber im 16. Jhd., mehr noch im 18. sind die Eingriffe in die ursprüngliche Anlage nicht unbedeutend. In einem ausführlichen Anhang, der eine Art Städtelexikon für Niedersachsen darstellt, werden die einzelnen Städte sowie die Quellen für ihre Geschichte und Topographie nebst mancherlei Mitteilungen über Münzen, Baudenkmale u. a. verzeichnet, eine Zusammenstellung, die wohl mancher Ergänzung bedarf, aber als ein Ergebnis mühevollster Sammelarbeit entschieden verdienstlich ist. Hervorgehoben sei die Beigabe übersichtlicher Kartenskizzen sowie einzelner Stadtgrundrisse in Verkleinerung, deren Ausführung als recht gelungen zu bezeichnen ist. Es treten bei diesen Ausführungen eines Geographen die natürlichen Bedingungen für die Entwicklung der Städte stark hervor; der Historiker wird oft noch mehr nach der schöpferischen Tätigkeit der Menschen, die auf die Entwicklung der Städte eingewirkt haben, fragen. D. wird die Berechtigung solcher historischer Fragestellung gewiß nicht verneinen; betont er doch sehr entschieden, daß die Siedlungsgeographie nur unter genauester Kenntnis der siedlungsgeschichtlichen Tatsachen und Zusammenhänge möglich sei. Aber auch von historischer Seite muß zugestanden werden, daß dieser geographischen Betrachtungsweise wertvolle Anregungen und Aufschlüsse zu verdanken sind.


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