I. Sprachgeschichte (und Urkundensprache).

Die seit Ferd. Mentz' Buch von 1892 lückenlose Reihe der Mundartbibliographien, von der zuletzt der Bericht über 1919/20 in ZfdMdaa. 1922 erschienen war, setzt nach längerer Pause das Buch von B. Martin ( 499) fort, enthaltend die Erscheinungen der Jahre 1921--1926, herausgegeben diesmal als Beiheft der Zeitschr. Teuthonista, der Nachfolgerin der ZfdMdaa. Im Unterschied zu den Jahresberichten über die


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Erschgn. auf d. Geb. d. germ. Philol. und auf d. Geb. d. neueren dtn. Lit., die nur die wissenschaftliche Literatur über Mundart und Mundartdichtung in Auswahl bringen, hat die gesonderte Mundartbibliographie seit ihrer Übernahme durch die Marburger Zentralstelle das Ziel, unter Verzicht auf kritische Besprechung, außer der Forschung auch die Dichtung in möglichster Vollständigkeit zu bringen, wobei natürlich dann auch sprachlich und literarisch Wertloses mitverzeichnet werden muß.

In der Publikation des Deutschen Sprachatlas ist mit Erscheinen der dritten Lieferung ( 500) ein erster Abschnitt erreicht. Die drei Grundkarten 1: 1 000 000, auf denen die Marburg-Berliner Originalkarten eingezeichnet wurden, sind nun als Karte 2. 9. 15 allgemein zugänglich; sie ermöglichen genauere geographische Feststellungen und geben -- was für die Beurteilung von Grenzbildung und Verteilung von Einzelzeichen nicht unwichtig ist -- Einblick in Verbreitung und Dichtigkeit der Belegorte, da jedem Ortspunkt ein Belegformular entspricht. Mit diesen drei Karten ist das System der sprachgeographischen Arbeitskarten, das auch in Volks- und Landeskunde teilweise benutzt wird, größtenteils veröffentlicht. Die Grundkarte der SA-Publikation (DSA) hat den Maßstab 1: 2 000 000; dazu kommt eine Karte 1: 5 00 000 für Buchpublikation, die in ZfdMaa., im Teuthonista (wortgeographische Karten), in den »Sprachlandschaften« des Berichterstatters (vgl. Jberr. 1927, S. 169 f.) und in den rechtsgeographischen Arbeiten des Heidelberger Rechtswörterbuchs verwendet ist. Auf dem gleichen System aufgebaute Anschlußkarten für Holland und Belgien enthält die Handleiding bij het Noord- en Zuid-Nederlandsch Dialectonderzoek von Grootaers u. Kloeke ('s Gravenhage 1926). Sachlich geben die Sprachkarten Einblick in die verschiedenen Techniken der Darstellung. Für Historiker am zugänglichsten ist die Karte 3 mit der Zusammenstellung der hauptsächlichsten Grenzen der hochdeutschen Lautverschiebung, die zumeist für die Dialekteinteilung zugrundegelegt werden. Zu den übrigen Karten müssen erst ausführliche Erläuterungen geschrieben werden, ehe sich weitere Kreise mit einigem Erfolg an ihre Benutzung heranwagen können.

In der germanistischen Sprachgeschichte vollzieht sich z. Zt. die Auseinandersetzung zwischen einer älteren, grammatisch-beschreibenden Richtung, die sich vorwiegend mit Laut- und Formenlehre befaßt, und einer neueren, die hauptsächlich auf Syntax, Wortgeschichte und Stilistik gerichtet ist. Die Diskussion dreht sich am stärksten um den Satz, ob »Sprachgeschichte Bildungsgeschichte, Geistesgeschichte sei«. Während Behaghel (vgl. Jbberr. 1928, S. 141) ihn ablehnte, verteidigt ihn H. Sperber in seinem Aufsatz »Sprachgeschichte und Geistesgeschichte« (Wörter u. Sachen 12, 173--186), teilweise mit den gleichen Beispielen, die Behaghel benutzte. Wenn man, wie das Burdach (Vorspiel II 1, S. 139) tut, in neuerer Zeit den Begriff »Bildungsgeschichte« nicht »auf das intellektuelle oder gar das wissenschaftliche Bereich« beschränkt, ist ein Teil der Verständigungshindernisse schon beseitigt. Zu noch größerer Übereinstimmung wird man gelangen, wenn man sich dazu wird entschließen können, das Urteil aus der ganzen Breite des sprachlichen Stoffes zu gewinnen und nicht jeweils nur einen Teil der Spracherscheinungen und einen Teil der bestimmenden Kräfte zu erfassen. Es ist ein großes Verdienst neuerer Forschung, die sehr engen Beziehungen zwischen allgemeiner Geistesgeschichte und Sprachgeschichte erwiesen zu haben; aber es wäre verfehlt, darüber etwa die starken Wirkungen


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der Besiedlungsgeschichte oder die der physiologischen und psychologischen Mechanik einfach zu übersehen.

Eine bequeme Einführung vorwiegend in neuere Arten der Betrachtung gewährt eine Serie von Aufsätzen, die in der ZfDtkd. 1929 erschienen ist. Hier gibt Ehrismann in einem Aufsatz über »Die Sprache der Kirche und des Rittertums im Mittelalter« (S. 97--109) eine ganz knappe Skizze über die Sprache als Ausdruck der Kultur, ihre Geschichte als »Auswirkung weltanschaulicher Wandelungen«. A. Götze (S. 13--31) behandelt das Problem der mhd. Schriftsprache in ihrer Entwicklung vom Ende des 12. bis zum 14. Jhd. Ihm schließt sich G. Bebermeyer an mit seinem Aufsatz »Vom Wesen der frühnhd. Sprache (1350--1600)« (S. 697--707). Und H. Sperber, mehr und mehr hinübergleitend in stilgeschichtliche Betrachtung, schließt die Reihe mit den beiden Aufsätzen »Die Sprache der Barockzeit« (S. 670--684; vgl. Nr. 506) und »Die Sprache der Aufklärung« (S. 777--794; vgl. Nr. 507).

Stoff zur Laut- und Formenlehre enthalten C. Bieners Ausführungen über die Schreibgewohnheiten der Kanzlisten Kaiser Maximilians I. ( 504), mit denen er an seine Angaben über Diktatstudien zum Weißkunig (Teuth. 4, 32 ff.) anschließt. Im wesentlichen wird eine Zusammenstellung auffälliger Formen geboten, ohne daß der Versuch gemacht wird, die Heimat der Schreiber durch archivalisches oder sprachliches Material zu bestimmen oder die Grundzüge der Kanzleitradition zu ermitteln. Immerhin geht aus den Zusammenstellungen so viel hervor, daß die unter Friedrich III. eingeleitete Abspaltung der Wiener Kanzleisprache aus der böhmisch-mitteldeutschen Tradition unter Maximilian I. noch erweitert wird. -- Den Wortschatz der Peinlichen Gerichtsordnung Karls V., der vorwiegend auf die Bambergensis des Joh. Freih. von Schwarzenberg zurückgeht, stellt K. Saueracker zusammen ( 505). In der Einleitung dazu behandelt E. Freih. v. Künßberg Bedeutung und Anwendung der Carolina, ihren Werdegang und die Bedeutung ihres Wortschatzes für die Geschichte der Rechtssprache und der nhd. Schriftsprache.

Zu einem besonders wichtigen Problem der Sprachgeschichte legt P. Lévy eine umfassende Publikation vor. Seine Histoire linguistique d'Alsace et de Lorraine ( 510; 2. Bd. ebenfalls 1929), die auch zur Namenforschung, Bevölkerungs- und politischen Geschichte wichtig ist, enthält eine Geschichte nicht der in Elsaß-Lothringen gesprochenen Sprachen in bezug auf den Wandel ihrer Einzelzüge, sondern der geschlossenen sprachlichen Komplexe, die seit den frühsten Zeiten in diesem vielumstrittenen Grenzland heimisch geworden sind. Auf einer umfassenden Literatur und Stoffkenntnis baut sich die Darstellung auf, die von der vorkeltischen Zeit bis zum 11. November 1918 führt. Das Buch ist »mit einer Ruhe und Objektivität geschrieben, mit einem so tiefen Eindringen in die oft überaus schwierigen Probleme«, sagt G. Wolfram im Els.-Lothr. Jahrb. 9 (1930), S. 377, »daß ich es ohne Einschränkung als das beste und bedeutendste Werk auf dem Gebiet der elsaß-lothringischen Forschung in den letzten zehn Jahren, unsere deutschen Arbeiten einbegriffen, bezeichnen kann« (vgl. auch S. 521).


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