II. Ortsnamen.

Unter den Titeln zur allgemeinen Ortsnamenforschung erregen wohl am meisten Aufmerksamkeit die der Bücher von Zimmermann ( 513) und von Prietze ( 515), der letztere allerdings durch seine Art schon Skepsis hervorrufend. Man kann sich die Lektüre beider Bücher schenken und Näheres über Inhalt und Art in den Rezensionen E. Schröders (Dt. Lz. 1929, 1102


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bis 1105; 1930, 688--690) nachlesen. Es handelt sich in beiden Fällen um neue Abarten der in der Namenforschung grassierenden etymologischen Monomanie, die einen »Generalschlüssel für alle Geheimnisse« gefunden zu haben glaubt; in dem Buch von Zimmermann wird eine Fülle von -- teilweise einwandfrei gedeuteten -- Namen neu »erklärt« aus ihrer angeblichen Beziehung zu Grenze und Verkehr (z. B. Kaltenbach, Fischbach als Grenz bach). Prietze, der nebenbei eine brauchbare Zusammenstellung von Abbildungen von Gerichtsstätten gibt, sieht überall Thingplätze.

Vom Standpunkt der Sprachwissenschaft nimmt K. Bohnenberger ( 514) zu einigen Problemen der Ortsnamenforschung Stellung. Während die letzten Abschnitte eine kurze Zusammenfassung der Ansichten des Verfassers über das Verhältnis von Namengebung und Siedlungsgeschichte bringen, ohne daß umfängliches Beweismaterial ausgebreitet wird oder eine Auseinandersetzung mit der reichen Literatur über diese Fragen erfolgt, enthalten die ersten Abschnitte eine kleine Systematik der Ortsnamenbildung vom sprachlichen Standpunkt aus, die mir wegen ihrer terminologischen Scheidungen beachtenswert erscheint. -- E. Schröder ( 518) gibt dagegen allgemeine Methodik wieder an einem Einzelbeispiel. Die Namen kleiner und kleinster Siedlungen, die den St. 'Winkel' als Simplex, mit suffixalen Erweiterungen oder als ersten oder zweiten Bestandteil eines Kompositums enthalten, gehören in der Hauptsache zu den -- verschieden benannten -- zahlreichen Einzelsiedlungen, die zwischen der ersten und zweiten Siedlungsperiode angelegt wurden. 'Winkel' selbst bezeichnet »in erster Linie den obersten Abschnitt von Bachläufen«, die Stelle, »wo die Quellbäche zusammenfließen oder sonstwie die Talbildung beginnt«. Schr. bedauert am Schluß den Mangel, der sich stets aus isolierender Behandlung eines einzelnen Worttypus ergibt, und fordert ergänzende Untersuchungen ähnlicher Siedlungstypen mit anderen Bezeichnungsarten.

Das von Arldt ausgebreitete Material zur Verbreitung verschiedener Ortsnamengruppen in Sachsen ( 532) kann man großenteils in besserer Darstellung schon auf den Karten von Meiche finden (Dt. Erde 4, 1905). Gegen seine Auswertung für die Siedlungsgeschichte ist zweierlei einzuwenden. Z. T. handelt es sich -- bei born-brunn und walde-wald -- nur um lautliche Varianten ein und desselben Typus, die darum den Prozessen der sprachlichen Strahlung unterliegen; für born-brunn ist das jedenfalls festgestellt durch eine bisher unvollendete Arbeit von Küppersbusch (Resultat teilweise zitiert in des Berichterstatters »Sprachlandschaften« [vgl. Jberr. 1927, 169 f.], S. 39 u. Anm. 4). Bei den lautlichen Doppelvarianten eines Typus ist also ohne Urkunden nichts festzustellen über Besiedlungsgrenzen; bis zum gewissen Grade gilt das aber ebenso für die übrigen Paare, da es bekanntlich -- wenn auch in viel geringerem Ausmaß -- auch den Tausch von Grundwörtern gibt, sogar jüngere Benennungen nach landschaftswidrigem Typus (Meiche a. a. O., S. 83).

Den Problemen der fremdsprachlichen Flurnamen, die gegenüber den Ortsnamen teilweise eine ältere Schicht darstellen, gilt der Danziger Vortrag von H. Strunk ( 516), der zusammen mit Ziesemer die Sammlung der ost- und westpreußischen Flurnamen organisiert. Obwohl die Wirkungen der deutschromanischen Siedlermischung nicht unberührt bleiben, stehen doch die ostdeutschen Fragen durchaus im Vordergrund, hier besonders die der sprachlichen Zuweisung der Fl.-N. zu Deutschtum oder Slawentum. Für die gleichmäßige -- für


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statistische Zusammenfassung wichtige -- Zuweisung bestimmter Mischtypen (z. B. der mit Lehnwörtern gebildeten) werden Vorschläge gemacht, außerdem solche zur Transskription der Fl-N. in gemischt-besiedelten Gebieten. Die letzteren müßten allerdings in bezug auf phonetische Einzelheiten und auf die Erläuterungen für die Sammler genauer und eingehender gefaßt werden.

Unter den Bibliographien ist außer der von W. Kaspers über die Ortsnamenliteratur der Rheinlande ( 525) und der von H. J. Wijer über die flämischen Ortsnamen Belgiens und Nordfrankreichs ( 526) der große kritische Bericht des Slawisten M. Vasmer zu nennen ( 534), der die Literatur der Jahre 1914--1927 zur Erforschung der slawischen Ortsnamen Ostdeutschlands behandelt. V. beschränkt sich dabei leider auf das Reichsgebiet, so daß man in den Einzelabschnitten auf die Behandlung der Literatur über Österreich und die Tschechoslowakei verzichten muß, obwohl grade für diese Gebiete eine kritische Stellungnahme von seiten eines Slawisten sehr erwünscht wäre. Andrerseits ist Ostdeutschland im weitesten Sinne genommen und umfaßt auch Hannover, Braunschweig und Bayern. Das weitverstreute bibliographische Material, das der Verfasser in späteren Berichten zu ergänzen verspricht, ist gegliedert nach den heutigen Verwaltungsbezirken und nennt außer den Einzelarbeiten auch die bibliographischen Hilfsmittel. Obwohl der Bericht den slawischen Ortsnamen gilt, fällt doch auch viel für die deutschen Namen, dann auch für die Siedlungsgeschichte ab. In vielen Fällen gibt V. neue Deutungen und stellt Ungenauigkeiten richtig; eine ganze Reihe von Namen, die bisher als slawisch galten, werden von ihm für germanisch erklärt. Den Abschnitten über die Einzelgebiete gehen solche zur Methodik, alten Geographie Deutschlands und zum Allgemeinen der deutschen und slawischen Ortsnamenforschung voraus.


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