II. Monographien zur historischen Volkskunde.

Es ist bisher noch nicht möglich gewesen, die Kultur des deutschen Bauern im späteren MA. an Selbstzeugnissen dieser Grundschicht des deutschen Volkstums zu begreifen. Einen Ersatz bietet Hilde Hügli ( 557) in einer kritischen Zusammenstellung der literarischen Äußerungen über das deutsche Bauerntum. Im Spiegel dieser Quellen erscheint der Bauer als Gegenstand der Verachtung, des Spottes, nur selten auch einer christlichen Würdigung seiner Armut oder einer Anerkennung seiner Arbeit. Was er selbst dachte, wie er seine Lage empfand, kommt darin nicht zum Ausdruck; es gibt keine Spuren bäuerlicher Tanz- oder Arbeitslieder; sein Fühlen ist nur indirekt durch die Poesie der bürgerlichen Kreise und die Rechtsquellen zu erfassen. Das germanische Heldenlied verachtet den Bauern noch nicht; erst seit dem 11. Jhd. finden sich Äußerungen der Verachtung; diese steigert sich in dem Grade wie das Standesideal des Rittertums verwirklicht wird. Erst als die Bauernschaft in Befreiungskämpfen auftritt, wächst seine Beachtung und auch seine Selbsteinschätzung. Der Landbau zählt zu den servilia opera, ist also eines sich selbst achtenden Menschen nicht würdig; nicht die Armut, sondern die Arbeit wird verachtet; Klerus und Adel haben die gleiche abschätzige Beurteilung. Das Streben reicher Bauern nach ritterlicher Sitte wird lächerlich gemacht. Der Bauer gilt als grob, schmutzig und arm. Man wird diese Darstellungen nicht als objektiv gültig ansehen dürfen. Eine Gliederung nach Landschaften hätte die unterschiedliche Lage des Bauerntums, besonders zwischen dem deutschen Osten und Westen klarer hervortreten lassen. Daß im ehemals slawischen Osten die Bauern im MA. in Formen der Sklaverei gelebt hätten (S. 13), trifft nicht zu. Die Verwertung des ma.lichen Sprichworts hätte wenigstens einige Züge der Selbstcharakteristik des Bauerntums erschlossen. Die Arbeit enthält gut geordnet wertvollen Stoff für die deutsche Kultur- und Rechtsgeschichte. -- Die über den größten Teil Westeuropas verbreiteten ma.lichen Steinsühnekreuze haben erneut landschaftliche Bestandaufnahmen erfahren. Die sorgsamste, auch künstlerisch hervorragend ausgestattete Arbeit darüber liegt von Kuhfahl vor: Die alten Steinkreuze in Sachsen, ein Beitrag zur Erforschung des Steinkreuzproblems. Das vom Landesverein Sächsischer Heimatschutz in Dresden 1928 herausgegebene Werk hat E. Mogk ( 555) angeregt, bereits früher geäußerte Ansichten über den vorchristlichen Ursprung dieser christlichen Sühnesitte erneut nachzuprüfen, über


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die H. Kalliefe im Korrespondenzblatt des Gesamtvereins Deutscher Geschichts- und Altertumsvereine 1918 Nr. 7/8 unter Hinweisen auf die nordischen Völker gehandelt hatte. Mogk verfolgt die Zusammenhänge, die zwischen den Steinkreuzen und altgermanischem Totenkult wahrnehmbar sind. -- Eine Sonderfrage aus der Geschichte der religiösen Volkskunde behandelt R. Kriss ( 554) für Süddeutschland in einer geographisch gegliederten Untersuchung über die Gebärmutter-Votive. Die Sitte, der Gottheit, dem Dämon oder dem Heiligen Opfer darzubringen, wird zunächst als typische Gepflogenheit der primitiven Gemeinschaftsreligion charakterisiert. Die Formen der Votivgaben werden gedacht als Identifikationen der eigenen hilfesuchenden Person, beziehungsweise des im Gebete intendierten Gegenstandes, oder sie sind Naturalienopfer, die mit Einschluß der blutigen Opfer als eigentliche Opfer aufzufassen sind; Votive können auch nur die Form der üblichen Heiligenattribute zeigen. In die Gruppe der Identifikationen gehören die Gebärmutter-Votive, die nördlich der Alpen als Kröte, in Deutsch-Südtirol als Stachelkugel auftreten. Die Abhandlung führt die Studien fort, die Kriß mit seinen Beobachtungen über die Votivgaben der Steiermark begonnen hat (vgl. Jahrg. IV, S. 147, Nr. 406). -- Der Erforschung der im christlichen Volke noch nachweisbaren Amulette dient Jacobys Aufsatz über die »heiligen Längenmaße« ( 553). Er geht von dem Texte des Schutzbriefes von der wahren Länge Christi aus, der seit 1695 beim Heiligen Grabe in Jerusalem gefunden zu sein vorgibt und von Papst Clemens VIII. (1592--1605!) bestätigt worden sein soll. Der Amulettbrief führt in seinen Elementen auf die frühchristliche Apokryphenliteratur zurück; seine Geschichte läßt sich seit dem 14. Jhd. verfolgen. Bei seiner Entstehung mögen Erinnerungen an die Maße mitwirken, die seit dem frühen Christentume Pilger aus den heiligen Stätten vom Kreuze, von Gräbern und Säulen ins Abendland heimbrachten. Der Aufsatz gibt die zuverlässigste Darstellung dieser Sonderform der Apokryphen- und Schutzbriefliteratur. -- Unter dem modernen Gesichtspunkte der volkstümlichen Leibesübungen versucht Hahn ( 556) eine Zusammenfassung alles dessen, was die ma.liche deutsche Kulturkunde über die Volksspiele und die körperliche Erziehung erwähnt. Ergebnis: Das deutsche MA. stand den Leibesübungen nicht fern, aber die Jenseitsrichtung des Geistes beeinträchtigte die Leibeserziehung; die Kirche wirkte hemmend, aber die Jugend wurde deswegen nicht diesseitsfremd. Basilius d. Gr., Tertullian, Hieronymus, Augustinus sind die Grundlagen einer feindlichen Theorie gegenüber der Gymnastik. Die Erneuerung der Antike kräftigt auch im Volke das Gefühl für gesunde Leiblichkeit. So lebt auch im Urteil der Reformation (Zwingli) die Zwiespältigkeit weiter, Luther fördert die Leibesübungen durch seinen Rat; Städte und Schulen verfahren unterschiedlich. Die ma.liche Frau steht solchen Übungen seelisch nahe. Das altdeutsche Rechtsleben beleuchtet das gesunde Empfinden des ganzen Volkes für ein natürliches Leibesleben. Die Übersicht, die in der Arbeit geboten wird, ist ausreichend, die Quellendeutung und Wertung bleibt teilweise ungleich.


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