III. Ost-, Mittel- und Norddeutschland.

Auch in diesem Berichtsjahre sind wichtige Fortschritte der Organisation der jungen Vorgeschichtswissenschaft zu melden. An der deutschen Universität in Prag ist ein Lehrstuhl für


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Vorgeschichte begründet und damit auch für die deutsche Forschung in Böhmen ein Mittelpunkt geschaffen worden, den sie bisher im Gegensatz zur tschechischen Vorgeschichtsforschung entbehren mußte. In der preußischen Oberlausitz ist für die Bodendenkmalpflege, die dort völlig darniederlag, eine hauptamtliche Stelle eingerichtet, und in Sachsen und Thüringen ein »Mitteldeutscher Verband für Altertumsforschung« ins Leben gerufen worden. In Köthen in Anhalt und am Fuße der keltischen Steinsburg auf dem Gleichberg bei Römhild in Thüringen sind trotz der schwierigen wirtschaftlichen Verhältnisse neue Museumsbauten aufgeführt worden.

Von größeren Darstellungen der gesamten Vorgeschichte einer Landschaft sind Gaertes Urgeschichte Ostpreußens ( 658) und die Urgeschichte des Kreises Ostprignitz von Matthes ( 653) zu nennen, zwei in Anlage und Aufbau grundverschiedene Arbeiten. Gaerte gibt einen Überblick über die Funde der Provinz Ostpreußen. Er legt vor allem Wert darauf, durch recht viele, vortreffliche Abbildungen, die zum großen Teil aus dem reichen Bildstockarchiv der Prussia-Gesellschaft stammen, den Formenvorrat der einzelnen Epochen der ostpreußischen Vor- und Frühgeschichte ausgiebig zu veranschaulichen. In der Tat sichert der überaus reiche Bildschmuck dem Werke einen dauernden Wert als unentbehrliches Nachschlagebuch für den Fachmann und als anregender Bilderatlas für den Altertumsfreund. Die Beschreibung der in Ostpreußen vorkommenden Fundarten und -typen bildet auch, obwohl sie meist sehr knapp gehalten ist, den Hauptteil des Buches. Die Auswertung der Funde zu einer Besiedlungs- und Völkergeschichte ist hingegen nur in wenigen Hauptzügen versucht worden. Die für moderne Forschung so wichtigen Fundkarten mit Darstellungen der Besiedlungsverhältnisse und der verschiedenen Kulturkreise fehlen leider. Ja die für die nachchristliche Zeit deutlich geschiedenen drei Bevölkerungsgruppen in Masuren, im Samland und im Memelgebiet werden zwar als solche hervorgehoben, aber ihre stilistisch verschiedenartigen Erzeugnisse durcheinander aufgezählt, so daß es dem mit den ostpreußischen Verhältnissen weniger vertrauten Leser recht schwer gemacht wird, diese Stilgruppen gesondert zu erfassen. Wenn die Gaertesche Darstellung noch manche Wünsche unbefriedigt läßt, so muß berücksichtigt werden, daß die Vorgeschichtsforschung in Ostpreußen trotz mancher grundlegender Vorarbeiten erst recht wenige zusammenfassende Arbeiten aufzuweisen vermag, daß daher in vielen Zeitstufen eine abschließende Beantwortung siedelungsgeschichtlicher Fragen noch nicht zu geben ist. Die unter der tatkräftigen Leitung Gaertes in den letzten Jahren stark geförderte Erfassung der Bodendenkmäler Ostpreußens dürfte in absehbarer Zeit ausreichendere Unterlagen für derartige Forschungen liefern. Hoffentlich trägt auch die vorliegende Schrift dazu bei, immer weitere Kreise der Provinz über die Bedeutung der Bodenfunde und die Notwendigkeit ihrer sachgemäßen Bergung aufzuklären.

Die Urgeschichte von Matthes ( 653) umfaßt ein viel kleineres Gebiet, den Kreis Ostprignitz in der Mark Brandenburg. Obwohl auch diesem stattlichen Buche zahlreiche Abbildungen mitgegeben sind, tritt doch die Beschreibung der Stilformen durchaus zurück. Das Leben und Treiben der früheren Bewohner, ihre Umwelt, ihre Wirtschaftsformen und ihre Volkszugehörigkeit werden in vorsichtig abwägender und doch flüssiger Weise geschildert. Das Hauptziel des Werkes ist aber nicht diese Darstellung der Vorgeschichte des Kreises,


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sondern eine sorgfältige Inventarisierung sämtlicher Bodenfunde der Ostprignitz. Matthes bietet hier das erste Beispiel eines allen wissenschaftlichen Anforderungen gerecht werdenden Inventars der Bodendenkmäler eines Kreises. Eine planmäßig und großzügig durchgeführte, von den Behörden und der Bevölkerung aufs beste unterstützte Sammeltätigkeit brachte in vier Jahren ungeahnte Ergebnisse. In dem früher als fundarm geltenden Kreise sind jetzt an tausend Fundstellen nachgewiesen worden. In vorbildlicher Form werden alle Fundstellen und Funde, ihr Aufbewahrungsort und das einschlägige Schrifttum -- nach Feldmarken geordnet -- kurz beschrieben und ihre Lage auf den beigegebenen Gemarkungskarten verzeichnet. Eines der wichtigsten Ergebnisse einer so planmäßig und umfassend durchgeführten Inventarisation ist die Darstellung der Verteilung der Funde in den einzelnen Zeitaltern. Fünf Siedlungskarten veranschaulichen den Wandel der Besiedlungsverhältnisse von der Steinzeit bis ins MA., und es ist besonders reizvoll, den Ausführungen des Verfassers zu folgen, der diesen Wechsel mit den verschiedenen Bodenverhältnissen und den Schwankungen des Klimas innerhalb der jahrtausendelangen Entwicklung zu erklären versucht. Mögen diesem gediegenen Quellenwerke bald recht viele ähnliche Inventare anderer Kreise folgen, damit sich die Karten der einzelnen Kreise allmählich zu großen, ganz Deutschland umfassenden Siedlungskarten der Vorzeit zusammenfügen, die von den verschiedensten Forschungszweigen seit vielen Jahren dringend benötigt und gefordert werden.

Für den Kreis Liebenwerda in der Provinz Sachsen, dessen Fundinventarisation im Gange ist, hat Gandert ( 650) eine volkstümlich gehaltene, zuverlässige Darstellung der Vorgeschichte gegeben, die auch dem Fachmann vieles Neue bringt, weil dieser Ostzipfel Sachsens bisher im Schrifttum -- sehr zu Unrecht -- arg vernachlässigt worden ist. Frenzel ( 656) sucht für die Vorzeit der anschließenden Oberlausitz durch ein gutausgestattetes Bilderhandbuch aufklärend und werbend zu wirken. Sein Grundgedanke, mit einem reich bebilderten Atlas in weiten Kreisen Anteilnahme an der Entwicklung menschlicher Kultur in der Oberlausitz zu erwecken, ist sicher gut. Manche Abschnitte erfüllen auch diesen pädagogischen Zweck durchaus, bei anderen hingegen wird der kurze, nur stichwortartig andeutende Text mit unnötigen Einzelheiten und unerklärten Fachausdrücken belastet. Dazu kommt, daß in dem Buche unbewiesene, ja falsche Angaben nicht fehlen; trotzdem wird die Veröffentlichung wegen ihres reichen Bildmaterials als Handbuch gute Dienste leisten.

In der von der Historischen Kommission für Schlesien herausgegebenen Schlesischen Bibliographie veröffentlicht Boehlich ( 659) einen Band über das vor- und frühgeschichtliche Schrifttum Schlesiens. Er ist trotz seines großen Umfanges infolge der nach sachlichen Rücksichten durchgeführten Gliederung leicht zu übersehen und bequem in der Benutzung. Freilich ist der Verfasser in der Heranziehung allgemeiner Arbeiten überaus weitherzig gewesen, so daß die schlesischen Schriften an manchen Stellen völlig erdrückt werden. Weniger wäre hier mehr gewesen. Anerkennenswert ist die recht vollständige Zusammentragung der älteren schlesischen Veröffentlichungen, von denen manche bereits völlig in Vergessenheit geraten waren.

Ein Werk von außerordentlich großem Ausmaße und von hervorragender Bedeutung verspricht die Vorgeschichte Böhmens von Stocký ( 663) zu werden, deren erster, die Steinzeit behandelnder Band jetzt auch in französischer


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Übersetzung vorliegt. Die tschechisch geschriebene Ausgabe dieses Bandes ist schon 1925 erschienen, also früher als die im vorigen Jahrgange auf Seite 164 besprochene Vorgeschichte Böhmens und Mährens von Schránil. Konnten wir schon Schránils Arbeit als ein lange entbehrtes Handbuch freudig begrüßen, so wird sie von Stockýs Werk noch bei weitem übertroffen. Mit bewundernswertem Fleiße sind die zahlreichen Steinzeitfunde Böhmens zusammengetragen und verarbeitet worden. Auf 120 Tafeln und vielen Textabbildungen werden die so verschiedenen Steinzeitkulturen, die in Böhmen nachweisbar sind, -- insbesondere die Keramikstile -- dem Leser veranschaulicht, ihre Entwicklung, ihr Alter und ihre Herkunft bis ins einzelne gewissenhaft dargelegt. Alle Fundorte der einzelnen Stile werden in Tabellen mit den für den Forscher notwendigen Angaben aufgezählt und ihre Verbreitung auf Fundkarten kenntlich gemacht. Durch diese Verbindung von Darstellung der Forschungsergebnisse und Vorlage des Quellenstoffes selbst reiht sich die Schrift unter die besten Quellenwerke, welche die Vorgeschichtswissenschaft aufzuweisen hat. Bei der Darlegung seiner Auffassung über die Zeitstellung der steinzeitlichen Kulturen, die er in einer übersichtlichen Tabelle veranschaulicht, greift Stoký weit über Böhmen hinaus und setzt sich mit den bisherigen Systemen auseinander. Durch die in den letzten Jahren erfolgte Vorlegung des Steinzeitmaterials der Provinzen Sachsen und Brandenburg und nun auch Böhmens ist die Grundlage für eine endgültige Lösung der so lange strittigen Chronologie der jungsteinzeitlichen Stile geschaffen. Hoffentlich gelingt es Stocký, bald auch den bronzezeitlichen und eisenzeitlichen Band seiner Vorgeschichte Böhmens zu veröffentlichen. Für die Bronzezeit hat er bereits eine kurze, mit guten Abbildungen begleitete Übersicht in einer populärer gehaltenen Schriftenreihe ( 663) bekanntgegeben. -- Die Endstufe der Steinzeit und die älteste Bronzezeit Mitteldeutschlands behandelt Neumann in zwei Arbeiten ( 649). Da er den gesamten bisher vorliegenden Quellenstoff heranzieht, haben seine Ergebnisse gutes Gewicht und vervollständigen unsere Kenntnisse in erfreulicher Weise. Insbesondere der Nachweis einer zweifachen Einwanderung der Glockenbecherleute aus Hessen und Böhmen nach Mitteldeutschland und die Verknüpfung der ältesten Bronzezeitkultur Mitteldeutschlands einmal mit der Schnurkeramik und Glockenbecherkultur der Endsteinzeit und dann mit der Lausitzer Kultur der entwickelten Bronzezeit -- im Anschluß an von Richthofens Studien in Schlesien -- scheinen mir geeignet zu sein, die Forschung aufs beste vorwärts zu bringen.

Die häufig beobachtete Tatsache, daß auf einer gut erforschten Gemarkung Funde aus fast allen Stufen der Vorzeit nachweisbar sind, führt Frenzel ( 657) an der oberlausitzer Dorfmark Burk näher aus. Er verfällt leider häufig dem Bestreben, vielen alltäglichen Dingen eine besondere Bedeutung beizumessen, wofür schon der unbegründete und irreführende Titel: »Die Totenstadt von Burk« ein bezeichnendes Beispiel bietet. Dagegen vermißt man mehrfach -- trotz ausführlicher Beschreibungen -- wirklich ausreichende Fundberichte. Der Wunsch, eine möglichst ununterbrochene Besiedlung der Feldflur darzutun, verführt den Verfasser auch mitunter, noch bestehende Fundlücken in unberechtigter Weise zu überbrücken. -- In derselben Bücherreihe vermittelt Raschke ( 660) einen Einblick in ein bronze- und früheisenzeitliches Festungspaar an der Oder vor den Toren der Stadt Breslau, das während des Krieges näher untersucht worden ist. In knappen Zügen schildert er den Aufbau der Burgen der damaligen


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Bewohner Schlesiens und ihre Zerstörung in der Zeit um 500 n. Chr. durch eindringende germanische Stämme. Die guten Bildbeilagen zeichnen alle Bände dieser Führerreihe aus.

Auf dem Gebiete der Germanenforschung ist vor allem das grundlegende Quellenwerk Petersens über die frühgermanische Kultur Ostdeutschlands und Polens ( 667) zu nennen. Diese umfangreiche Denkmälergruppe hat schon lange -- besonders wegen der ihr eigentümlichen Gesichtsurnen -- die Aufmerksamkeit der Forschung erweckt, aber zu einer zusammenfassenden Bearbeitung der Kultur kam es bisher nicht. Desto erfreulicher ist es, daß Petersen diese lang empfundene Lücke mit großer Gewissenhaftigkeit und hervorragender Materialkenntnis schließt und daß seine Arbeit die stattliche Reihe zuverlässiger Handbücher zur ostdeutschen Vor- und Frühgeschichte um ein wertvolles Glied erweitert. In überzeugender Weise kann der Verfasser den Ursprung dieser Kultur in der jüngsten Bronzezeit des Weichselmündungsgebietes und ebenso ihren rein germanischen Charakter nachweisen. Er verfolgt ihre Entwicklung und Ausbreitung nach Süden durch Ostdeutschland und Polen während der Zeit von 800--300 v. Chr. in allen Einzelheiten. Die Etappen dieser ersten größeren Germanenbewegung in Osteuropa kann er an Hand seiner Fundkarten anschaulich darstellen und damit von neuem den eindringlichen Beweis dafür erbringen, daß die moderne Vorgeschichtswissenschaft in der Lage ist, Völkergeschichte auch in vorgeschichtlichen Zeiten zu treiben. Eine Verknüpfung dieses germanischen Kulturkreises mit der Geschichte hat Tackenberg ( 665) hergestellt, indem er die Südostbewegung der frühgermanischen Kultur bis nach Südrußland (Gouvernement Poltawa) an Funden bezeugen und ihre Gleichsetzung mit den um 200 v. Chr. am Schwarzen Meer auftretenden Basternen erweisen konnte. Die deutsche archäologische Forschung hat dadurch wieder einmal vermocht, den Ursprung und die älteste Entwicklung eines Germanenvolkes aufzudecken und die geschichtliche Überlieferung um viele Jahrhunderte nach rückwärts zu verlängern. Je zahlreicher mit dem Fortschreiten der Vorgeschichtswissenschaft gut beobachtete Bodenfunde zur Verfügung stehen, und je eindringender ihre Auswertung wird, desto häufiger und zuverlässiger werden von der jüngeren Schwesterwissenschaft der Historie solche Erweiterungen unseres Wissens über die Grenzen der reinen Geschichtsforschung hinaus erarbeitet werden können.

Nachdem die deutsche Vorgeschichte als Wissenschaft ihre Kinderkrankheiten überwunden hat, widmet sie sich immer mehr solchen völkergeschichtlichen Fragen. Auch Wissenschaftler der Nachbargebiete können jetzt leichter als früher ernsthafte Forschungsergebnisse von Phantastereien begeisterter, aber trotzdem ungemein schädlicher Laien unterscheiden. Insbesondere die frühgeschichtlichen Verhältnisse Deutschlands kommen allenthalben immer klarer heraus. --Schulz ( 648) schildert kurz und treffend die keltische Besiedlungszeit Mitteldeutschlands und das allmähliche Absterben der thüringischen Kelten. Sie wurden nicht mit einem Schlage von den vordrängenden Germanen vernichtet, sondern standen jahrhundertelang in regem Kulturaustausch mit ihren stärkeren Nachbarn im Norden, bis sie endlich doch dem Germanentum weichen mußten oder in ihm aufgingen. Derselbe Verfasser stellt eine sehr erwägenswerte neue Auffassung über den Wanderzug der Kimbern durch Deutschland zur Erörterung ( 671), welche dieser viel umstrittenen Frage eine bessere


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Lösung gibt, weil sie den Siedlungsverhältnissen in Germanien um 100 v. Chr. weit mehr entspricht als die früheren Annahmen. Nach ihm wanderten die Kimbern und Teutonen aus ihrer nordjütischen Heimat nicht über Land, Elbe aufwärts, nach Böhmen, sondern ebenso wie ihre etwa zu gleicher Zeit nach Ostdeutschland ziehenden jütischen Nachbarn, die Wandalen, über See zur Odermündung und Oder aufwärts. In Schlesien, wo damals noch keltische Bojer zwischen den Sudeten und der Oder saßen, hat offenbar der von Posidonius überlieferte Zusammenstoß zwischen den Auswanderern und den Bojern stattgefunden, nicht -- wie Schulz annimmt -- bei einem seitlichen Vorstoß der Kimbern von Schlesien aus durchs Glatzer Becken nach Böhmen. Daß die Wandalen um 100 v. Chr. aus Nordjütland (Vendsyssel) nach Schlesien und die angrenzenden Gebiete gekommen sind, erweist sich aus der engen Verwandtschaft der Kulturreste beider Gebiete immer mehr. Der in einer sehr eingehenden, mit vielen wertvollen Einzelbeobachtungen gefüllten Arbeit von Kossinna ( 670) gemachte Versuch, diese kulturelle Übereinstimmung durch eine in entgegengesetzter Richtung verlaufende Wandalenwanderung von Schlesien nach Jütland in der Zeit um Christi Geburt zu erklären, muß als verfehlt bezeichnet werden, weil Kossinna die für diese Frage entscheidenden Funde aus dem letzten Jahrhundert v. Chr. in Nordjütland noch nicht kennt und sich fast ausschließlich auf jüngere jütische Fundstücke stützt. Von Richthofen hat fast gleichzeitig mit dem Erscheinen der Kossinnaschen Abhandlung in einer wichtigen Arbeit, die im nächsten Bande der Jahresberichte besprochen werden soll, diesen neuen Fundstoff vorgelegt und richtig ausgewertet. Eine allgemein verständlich geschriebene Studie Petersens ( 667) stellt in geschickter Weise kurz das zusammen, was 1929 -- vor dem Erscheinen der eben erwähnten Arbeiten -- die Forschung auf Grund der Bodenfunde über die älteste Geschichte der Wandalen aussagen konnte.

Eine Frucht langjähriger Arbeit und Sammeltätigkeit ist das zweibändige Werk Preidels über die germanischen Kulturen in Böhmen ( 664). Zum ersten Male ist der umfangreiche und recht verstreute Fundstoff aus der germanischen Besiedlungsepoche Böhmens -- mehr als 70 Sammlungen hat der Verfasser studiert -- zusammengetragen und vorgelegt worden. Außer einem ausführlichen Verzeichnis der Funde bringt er in Tabellenform ein Inventar von 464 für die Forschung besonders wichtigen geschlossenen Funden und schließlich führt er bei der typologischen Behandlung der einzelnen Altsachengruppen jedesmal sämtliche Vorkommnisse eines Typus auf. Durch diese Materialsammlung hat sich Preidel ein großes Verdienst um die böhmische und die gesamte Germanenforschung erworben und seinem Werke einen dauernden Wert als Quellenbuch gesichert. Weniger glücklich ist des Verfassers Auswertung des Quellenstoffes. In seiner typologischen und chronologischen Verarbeitung, welche den Hauptteil des ersten Bandes ausmacht, steckt zwar eine Fülle guter Beobachtungen und Anregungen, aber er verwirft leider auch oft gesicherte Ergebnisse der bisherigen Forschung -- insbesondere in der Datierung von Funden --, ohne seine abweichenden Anschauungen mit triftigen Gründen belegen zu können. Eine betonte Selbständigkeit, ja Eigenwilligkeit seiner Forschungsweise führt ihn oft auf Abwege. Deshalb bedürfen sein Chronologiesystem und manche seiner typologischen Ableitungen -- vor allem bei der Keramik -- einer starken Überarbeitung. Eine bequemere Einsicht in die Entwicklung der germanischen


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Kulturen Böhmens wäre dem Leser auch vermittelt worden, wenn ihm durch Zusammenstellung von Abbildungsgruppen der einzelnen Zeitstufen und von geschlossenen Grabfunden kulturgeschichtliche Querschnitte geboten worden wären. Im zweiten Bande glaubt Preidel auf Grund einer stilkritischpsychoanalytischen Betrachtungsweise aus stilistischen Merkmalen auf die Geistesart der Verfertiger der Altsachen Schlüsse ziehen zu können. Er sucht hier Gedankengänge von Riegl, van Scheltema und Strzygowski auszubauen. Wenn auch die Möglichkeit solcher Untersuchungen grundsätzlich zuzugeben ist, so können diese doch nur von Erfolg gekrönt sein, wenn sie sich größere geschlossene Kulturkreise mit reichem künstlerischem Schaffen als Arbeitsfeld wählen und die geistigen Hauptströmungen zu erfassen suchen. Aus dem ziemlich alltäglichen Kulturnachlaß eines germanischen Teilstammes dessen Anlagekomplex herauslesen, ja im Laufe eines Jahrhunderts auf Grund der Stilanalyse zwei- bis dreimal neue geistige Anlagen dieses Stammes erschließen und z. B. im Mangel an linearen Mustern im ausgehenden 2. Jhd. einen Zusammenhang mit den Markomannenkriegen erweisen zu wollen, das ist meines Ermessens keine exakte Forschung mehr. Es ist bedauerlich, daß Preidel sein wichtiges Quellenwerk mit diesen verschwommenen, ja mitunter phantastisch anmutenden Aufstellungen belastet hat und so Gefahr läuft, daß sein Buch deshalb völlig abgelehnt wird, obwohl es in seinem Materialteil eine schwer empfundene Lücke unseres Schrifttums ausfüllt. -- Die fleißige Zusammenstellung der germanischen Funde der ersten fünf Jahrhunderte aus dem Gebiet zwischen Magdeburg und Potsdam von Felsberg ( 652) leistet gerade in ihrer anspruchslosen und knappen Art der Vorlegung des Quellenstoffes -- mit der notwendigen Beigabe von Fundverzeichnissen und Fundkarten -- der Forschung gute Dienste. Nur wäre eine bessere Ausführung der Abbildungen in dieser Quellenschrift erwünscht gewesen. Mustergültig erscheint mir die Form der Veröffentlichung eines einzelnen Fundplatzes, wie sie Pfützenreiter ( 661) bei der Bekanntgabe eines niederschlesischen germanischen Gräberfeldes angewendet hat: sachlich, kurz und trotzdem alle notwendigen Angaben enthaltend, mit vielen und guten Abbildungen. -- Ein mitteldeutsches Gräberfeld der Merowingerzeit mit wichtigen Beigaben des 5.--7. Jhds. gibt Niklasson ( 651) Veranlassung, die Bevölkerungsverhältnisse Thüringens in dieser Zeit zu beleuchten. -- Eine zusammenfassende Schilderung der Wikingerzeit veröffentlicht Kossinna ( 672) im Anschluß an Straßers packendes Buch: Wikinger und Normannen. Während Straßer sich hauptsächlich auf literarische Quellen stützt, ergänzt Kossinna dessen Ausführungen durch Auswertung der archäologischen Quellen. Mit der ihm eigentümlichen gründlichen Materialkenntnis stellt Kossinna zum ersten Male die deutschen Wikingerfunde zusammen, die sich hauptsächlich an den Nord- und Ostseeküsten entlang ziehen. Hoffentlich beschert uns der Altmeister der deutschen Vorgeschichtsforschung aus seinem reichen Wissensschatz bald einmal eine ausführlichere kulturgeschichtliche Darstellung dieser großen Zeit germanischer Weltgeltung.

Eine knappe, flüssig und allgemein verständlich geschriebene Behandlung der ostdeutschen Vorgeschichte von Ehrlich ( 655) schildert die Entstehungsgeschichte der drei großen ostdeutschen Völkerschaften, der Germanen, Balten und Slawen nach dem neuesten Stande der Wissenschaft. Er wendet sich gegen die unhaltbare, aber von ihrem Verfechter unermüdlich vorgetragene These


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Kostrzewskis, die bronzezeitliche Lausitzer Kultur sei slawisch und die Slawen seien daher bei weitem länger in Ostdeutschland ansässig, als man allgemein annimmt. Ausführlicher widmet sich von Richthofen in seiner Schrift: »Gehört Ostdeutschland zur Urheimat der Polen?« ( 666) der Widerlegung dieser Aufstellungen des Posener Universitätsprofessors. Wenn auch die wissenschaftliche Seite dieser Streitfrage durch die regen Auseinandersetzungen, an denen sich von Richthofen in erster Linie beteiligt hat, im Sinne der deutschen Forschung entschieden ist, und nahezu alle Fachleute innerhalb und außerhalb Deutschlands, die sich mit der Materie beschäftigt haben, Kostrzewskis These ablehnen, so ist es ein großes Verdienst von Richthofens, in seiner Kritik der Forschungsmethode Kostrzewskis und seiner Schule in voller Klarheit die Triebkräfte und die politische Tendenz dieser Forschungsrichtung aufgedeckt zu haben, die leider den sonst sachlichen polnischen Gelehrten in diesen ethnologischen Fragen zwingt, sich immer mehr in einer Sackgasse zu verrennen, aus der ihn alle seine Bemühungen keinen Ausweg mehr finden lassen.

Gehen wir zur slawischen Kultur über, so wäre dem Titel nach hier als Darstellung allgemeineren Charakters das Buch von Strzygowski über die altslawische Kunst ( 668) zu nennen. Der Verfasser glaubt, daß die Slawen in ihrer holzreichen Heimat eine ausgesprochene Holzbau- und Holzschnitzkunst besessen haben, deren vergängliche Zeugen nur nicht erhalten seien. Diese altslawische Kunst sucht er in dem auf Stein übertragenen Flechtmustern an Kirchen Dalmatiens nachzuweisen, deren Stil er nicht mehr wie früher aus dem Osten, sondern aus dem Norden ableitet. Die Slawen hätten vor ihrer Wanderung nach dem Süden eine selbständige und ähnlich hochstehende Holzbaukunst gehabt, wie wir sie an den germanischen Prachtfunden Norwegens aus dem 9. Jhd. bewundern können. Leider ist diese Konstruktion Strzygowskis, obwohl sie mit leidenschaftlichem Eifer aufgeführt wird, ohne Halt, weil sie in den wirklichen altslawischen Funden nirgends eine Stütze findet; vielmehr widersprechen die erhaltenen Kulturreste einer slawischen Flechtbandkunst durchaus, welche in Mittel- und Nordeuropa allein den Germanen eigentümlich war. Das mit guten Abbildungen reich ausgestattete Werk, das baugeschichtlich wichtiges Material vorlegt, bringt daher der Forschung über die frühslawische Kultur keine Förderung. An Einzeluntersuchungen über die slawische Epoche in Ostdeutschland ist Radigs ( 654) Zusammenstellung der Burgwälle in der Gegend von Meißen zu nennen. Da planmäßige Grabungen in diesen Wällen fast völlig fehlen, kann über das genaue Alter der Anlagen und über die Kulturhinterlassenschaft ihrer Bewohner wenig ausgesagt werden. Für siedlungsgeschichtliche Fragen ist die beigegebene Karte der alten Waldverteilung im Slawengau Daleminzien eine gute Grundlage. Jahn ( 662) berichtet kurz über ganz urtümliche Granitbrüche aus slawischer Zeit am Fuße des Siling (Zobten) in Schlesien, in denen Platten für Mahlsteine gebrochen wurden. In unmittelbarer Nähe dieser Steingruben ist nun eine Siedlung slawischer Steinmetzen des 9. bis 10. Jhds. angeschnitten worden, in der die Granitplatten weiter verarbeitet wurden. Damit ist eine Keimzelle der großzügigen mittelschlesischen Granitindustrie nachgewiesen worden. Eine sehr wichtige Untersuchung von slawischen Hügelgräbern hat Götze ( 669) während des Krieges im Urwalde von Bialowies durchgeführt. Seine Grabung sowohl, wie sein Fundbericht sind vorbildlich in genauer Beobachtung und Darstellung aller notwendigen Einzelheiten. In richtiger


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Auswertung seiner Funde und kritischer Bearbeitung früher gehobener Hügelgräber in Pommern weist er nach, daß meist beigabenlose Hügelbrandgräber eine ältere Bestattungsform der Slawen bilden, die später von Hügelskelettgräbern des 11.--12. Jhds. abgelöst werden. Die Form des Hügelgrabes ist, wie Götze mit Recht hervorhebt, bei den Slawen in Ostdeutschland viel häufiger angewandt worden, als man bisher zugunsten der Flachgräber annahm. In Schlesien sind kürzlich von Geschwendt die ersten slawischen Grabhügel aufgedeckt worden.[M. Jahn]


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