II. Darstellungen.

In die Anfänge der Merowingerzeit führt der Aufsatz von R. Fruin, Du titre de roi porté par quelques participants à l'Imperium Romanum (Tijdschrift voor rechtsgeschiedenis IX, 140--149). Syagrius, mit dessen Untergang die Gründung von Chlodwigs Frankenreich beginnt, heißt bei Gregor von Tours »Romanorum rex«; man nimmt meist an, daß Gregor ihn irrtümlich nach dem Beispiel der Germanenkönige in Gallien so benannt hat. Demgegenüber erkennt Fruin darin einen römischen Amtstitel, wie ihn


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auch Odoaker -- nicht als Germanischer König -- geführt habe und der zugleich die Anhänglichkeit an das Imperium und die selbständige Gewalt in dem römisch verbliebenen Teile Galliens habe bekunden sollen. Er sieht das Vorbild dafür in Konstantins des Großen Neffen Hannibalianus, dem »rex regum« von Pontus. Wie dieser Vergleich zeitlich und sachlich weit hergeholt ist, so scheint mir die ganze Annahme recht unwahrscheinlich.

Die Arbeit von Hermann Schmidt über die Erzbistümer Trier und Reims in ihrer verfassungsrechtlichen Entwicklung ( 1747) berührt naturgemäß über die kirchliche Rechtsgeschichte hinaus vielfach auch die innere politische Geschichte des Frankenreichs. (Vgl. S. 367.) Dessen Grenzgebieten gelten die Erörterungen von L. Schmidt und M. Lintzel ( 679), in deren Mittelpunkt der bekannte, leider schlecht überlieferte Brief Theudeberts I. an Kaiser Justinian über die Ausdehnung seines Machtbereiches (MG. Epist. III, 133) steht. Bestreitet jener eine Herrschaft des Königs in Pannonien und eine durch ihn dort erfolgte Ansiedlung von Sachsen, so hält Lintzel an diesen Annahmen fest (vgl. 1928, S. 172); er bringt die Umsiedlung der Sachsen mit der weitausgreifenden Politik Theudeberts in Zusammenhang und läßt sie nicht aus ihrer ursprünglichen Heimat, sondern aus Pannonien 568 mit den Langobarden nach Italien ziehen. Kann ich in der Deutung des Briefes mich Lintzel im wesentlichen anschließen, so bin ich bei der Art der anderen Quellen weniger sicher, ob die Beziehung der in dem Briefe erwähnten Sachsen auf die Italienfahrer von 568 richtig ist. Die italienischen Feldzüge der austrasischen Franken gegen die Langobarden in den nächsten Jahrzehnten bis zum Vertrag von 591, im besonderen die Grenzverhältnisse behandelt der Aufsatz von Fedor Schneider »zur Entstehung der etschländischen Sprachgrenze« ( 401).

Die Untersuchungen von Levillain zur Geschichte von St. Denis in der Merowingerzeit (s. 1926, S. 447 f.), die etwa gegenüber den Forschungen von Havet wesentliche Abweichungen ergeben haben, faßt G. Tessier in einem ausführlichen Berichte zusammen (Les derniers travaux de M. Levillain sur l'abbaye de Saint-Denis à l'époque mérovingienne, in Moyen Age 39, 2e série 30, S. 36--77).

Mit der kurzen Erwähnung der Merowinger in der Beowulfdichtung (V. 2921), der einzigen Anspielung auf ein »christliches Königsgeschlecht des Festlandes«, beschäftigt sich wenig überzeugend A. Brandl ( 682). Er zählt die in England verheirateten Prinzessinnen merowingischer Herkunft auf, Königin Berta von Kent (um 600) und ihre weiblichen Nachkommen und glaubt in der Stelle den Ausdruck des Hasses der Mercier von etwa 697 gegen »die Merowingerinnen« zu erkennen. Aber galten die Enkelin und die Urenkelinnen einer Merowingerin und eines angelsächsischen Königs, die lediglich durch die Ahnfrau mit dem Blute des fränkischen Königshauses verbunden waren, wirklich noch als Merowingerinnen?

Mit dem Eingreifen der Franken in Italien und den Anfängen des Kirchenstaates beschäftigt sich das Buch von R. Macaigne ( 1665), das nach den verschiedensten Richtungen hin weit ausholende Werk eines gelehrten Dilettanten, von dem die Wissenschaft kaum etwas lernen kann; sucht er doch nicht nur mit Schnürer und Ulivi aus dem Fragmentum Fantuzzianum Pippins Urkunde von Quierzy herauszuschälen, sondern hält auch die angebliche Revelatio Papst Stephans II. für durchaus echt. Besonderes Gewicht legt er auf die


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Annahme, daß der erste Feldzug Pippins gegen Aistulf nicht nach der seit Oelsner herrschenden Ansicht 754, sondern erst 755 erfolgt sei, also der Aufenthalt des Papstes in Frankreich sich über das ganze Jahr 754 erstreckt habe. L. Levillain (Le Moyen Age 40, 3. Serie I, 1930, 203--214) stimmt ihm darin zu; doch scheint mir der Beweis dafür noch nicht erbracht. Die geistigen Voraussetzungen von Pippins Unternehmen stellt Th. Zwölfer dar in seinem Buche über die Verehrung St. Peters bei den Angelsachsen und Franken ( 1666), indem er auch dem Verhalten der älteren Karolinger und namentlich Pippins gegenüber dem Kult des Apostelfürsten nachgeht; gleich seinem Lehrer J. Haller erkennt er in der Devotion des Königs nicht eine der Triebfedern, sondern die entscheidende, tiefere Ursache seines Eingreifens in Italien, was doch wohl nur ein Teil der Wahrheit ist.

Mit diesem Eingreifen hängt bekanntlich vielleicht die Entstehung der Konstantinischen Schenkung zusammen. Gaudenzi hatte den verfehlten Versuch gemacht, eine griechische Übersetzung der berühmten Fälschung an Stelle der lateinischen Fassung als ihren ursprünglichen Text zu erweisen (s. Levison, Studi e testi 38, 1924, S. 160 ff.). Daran knüpft R. Cessi an (Il Costituto di Costantino, in Atti del R. Istituto Veneto di scienze 88, 2, S. 915--1007) mit einer vermittelnden Lösung, indem er in jenem griechischen Text teils die Quelle teils eine Ableitung des lateinischen erblickt. Er bestreitet die Einheitlichkeit des lateinischen Constitutums, von dessen ursprünglichen Bestandteilen er spätere Zusätze scheiden zu können glaubt: eine kürzere lateinische Fassung sei ins Griechische übersetzt, dann die griechische Übersetzung erweitert worden, endlich seien diese griechischen Interpolationen wieder ins Lateinische übertragen und dem ursprünglichen lateinischen Text eingefügt worden. Diese verwickelte Textgeschichte ist aber ein willkürliches Phantasiegebilde; schon ein Blick auf die Quellen erweist sie als unmöglich.

Den Anfängen Karls des Großen gelten die Ausführungen von M. Lintzel über die Beziehungen Karls zu seinem Bruder Karlmann ( 689); sie bringen wieder einmal zum Bewußtsein, wie dürftig die vorliegenden Nachrichten und wie unsicher im einzelnen die Verknüpfung der überlieferten Tatsachen ist. Lintzel kommt hier in scharfsinnigen Erörterungen teilweise zu anderen Ergebnissen, als es heute in der Regel geschieht; namentlich ist die Friedens- und Bündnispolitik des Jahres 770 gegenüber Bayern und Langobarden nach ihm nicht von beiden Brüdern gemeinsam betrieben worden, sondern nur von Karl und der Mutter Bertha, hatte aber eine Spitze gegen den Bruder Karlmann, und die Verstoßung seiner langobardischen Gattin durch Karl und sein Bruch mit den Langobarden ist erst nach dem Tode Karlmanns, nicht vorher erfolgt. Diese Auffassung kann richtig sein; mehr als Möglichkeiten und allenfalls Wahrscheinlichkeiten lassen sich freilich bei der Lage der Quellen kaum gewinnen. Lintzel beschäftigt sich in einem anderen Aufsatz ( 690) auch mit einer zweiten vielerörterten Frage aus der Geschichte Karls des Großen, der Frage, ob die Kämpfe mit den Sachsen lediglich mit ihrer tatsächlichen Unterwerfung geendet haben oder mit einer förmlichen Abmachung, dem Vertrage von Salz im Jahre 803, von dem erst der Poeta Saxo, die Quedlinburger Annalen und Halberstädter Aufzeichnungen berichten und dessen Wirklichkeit zuletzt besonders von B. v. Simson und M. Tangl bestritten worden ist. Demgegenüber kommt Lintzel in eingehender Quellenanalyse zu dem Ergebnis,


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daß zwischen der Nachricht des Dichters und den wahrscheinlich auf eine verlorene urkundliche Niederschrift zurückgehenden Quedlinburger und Halberstädter Angaben anscheinend kein Zusammenhang besteht, daß der Dichter dabei neben dem selbst eine Andeutung auf den Friedensschluß enthaltenden Einhard (Vita Karoli c. 7) vermutlich verschollene zeitgenössische Annalen benutzt habe, und daß alle Wahrscheinlichkeit für die Tatsächlichkeit des Vertrages spreche, der vielleicht zu dem Abschluß der Aufzeichnung des Sächsischen Volksrechts in Beziehung stehe. Auch diese Darlegungen arbeiten mit so manchen unsicheren Vermutungen; daß allerdings auch die entschiedene Bestreitung des Abkommens ihre Bedenken hat und zum mindesten eine offene Frage bestehen bleibt, kann man dem Verfasser zugestehen.

Wie H. R. Bittermann ( 691) darlegt, hat der Khalif Harun ar-Raschid Karl nicht, wie man mitunter liest, eine Orgel zum Geschenk gemacht; die Angabe scheint auf einen Roman des 18. Jhds. zurückzugehen. Hier wie in einem späteren Aufsatz über die Orgel im frühen MA. (Speculum IV, 1929, 390--410), sind dem Verfasser die Ausführungen von Fr. von Bezold über die Kaiserin Judith und Walahfrid Strabo (Hist. Z. 130, 1924, S. 399 ff.) entgangen, wo das angebliche Geschenk des Khalifen stillschweigend beiseite gelassen ist.

Die Beteiligung der fränkischen Kirche und Karls des Großen am Bilderstreit berühren einmal die Untersuchungen von Fr. Bothe über das älteste Frankfurt ( 413). Er wendet sich gegen die Vermutungen von Rosenstock (1927, S. 204), daß Frankfurt als Tagungsort der Synode von 794 mit besonderer politischer Absicht gewählt worden sei, der Frankenort unter Änderung des früheren Namens als Ausdruck eines kirchenpolitischen Programms, als Symbol gegenüber Nicäa und Rom; er erkennt in diesen Annahmen mit Recht unbewiesene und unbeweisbare, sehr unwahrscheinliche Behauptungen. Die Frankfurter Synode wird aber zudem in eine neue Beleuchtung gerückt durch die ausgezeichnete Arbeit von W. von den Steinen über die Entstehungsgeschichte der Libri Carolini, der berühmten fränkischen Streitschrift gegen die Beschlüsse des Konzils von Nicäa von 787 über den Bilderdienst ( 1671). Dort wird das Verhältnis dieses von Karls Geiste zeugenden Werkes zu dem damit zusammenhängenden Schreiben Hadrians I. an den Frankenkönig erörtert und die darüber bestehende Streitfrage gegen Bastgen in der 1895 von Hampe gewiesenen Richtung entschieden, aber darüber hinaus in einer ebenso eindringlichen wie gedankenreichen Untersuchung die Vorgeschichte und Geschichte der Libri Carolini in einer Weise aufgehellt, daß, mögen im einzelnen bei dem Stande der Quellen notwendig Fragezeichen verbleiben, in den wesentlichen Dingen der Abschluß erreicht sein dürfte. Die in Bastgens Ausgabe vernachlässigten Tironischen Noten der erhaltenen Reinschrift der Libri hat derselbe Verfasser in einem ergänzenden Aufsatz behandelt (Neues Archiv 49, 1931, S. 207--280), auf den später einzugehen sein wird; ein dritter, angekündigter Aufsatz, der Theodulf von Orléans als den Bearbeiter der Streitschrift erweisen soll, liegt noch nicht vor.

Die Zeit Karls des Großen steht auch im Mittelpunkt des Buches von Elis. Pfeil über die »Romidee« des frühen MAs. ( 687), d. h. über die Bedeutung der Vorstellungen von dem alten Rom für den Menschen des Frankenreichs und Deutschlands vom 6. bis zum 10. Jhd.; sie greift einleitend zurück auf die Grundlagen dieser Anschauungen in der weltlichen und kirchlichen


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Antike und schließt mit einem Ausblick auf die weitere Entwicklung bis zum Ende der Stauferzeit. In diesem Rahmen erscheint die Merowingerzeit nur vorbereitend (vgl. auch Jonas' Vita Johannis c. 15, SS. R. Merov. III, 513), grundlegend die Karolingerzeit mit ihren mannigfaltigen Äußerungen von »Romgedanken« und imperialen Vorstellungen vor und nach 800 auf den Gebieten der Politik und Kultur. Es ist eine gedankenreiche, wenn auch etwas breite Schrift, die mitunter wohl zu viel den schillernden Aussagen der Quellen zu entnehmen sucht, im ganzen aber doch vorsichtig abwägt und urteilt, wenn sie sich auch manchmal bestreitbare Meinungen Neuerer zu eigen macht und auch kleine Flüchtigkeiten nicht fehlen. An dem Begriff der Karolingischen Renaissance hält die Verfasserin mit Recht fest.

R. Cessi ( 692) setzt seine Untersuchung der Abmachungen Venedigs mit den Karolingern und ihren Nachfolgern in Italien fort (vgl. 1928, S. 178), von dem »Pactum« Lothars I. von 840, dem ältesten erhaltenen, an bis hinab zu den Urkunden der drei Ottonen, die im Anhang neu herausgegeben werden, und zu dem oströmischen Chrysobull von 992; die rechtliche Bedeutung der Urkunden und die politischen Voraussetzungen der Entstehung werden gewürdigt. Bei dem Präcept Karls III. von 883 und dem Pactum Berengars I. von 888 glaubt der Verfasser spätere Zusätze erkennen zu können.


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