a) Allgemeines.

Auch in diesem Jahre sind hier zunächst einige zusammenfassende Darstellungen des MA. zu erwähnen. Über das Buch von Dorothy Dymond ( 707) sind wenig Worte zu verlieren; es ist ein textbook für englische Mittelschulen und unterscheidet sich von deutschen Büchern dieser Art durch die Beigabe einer Bibliographie, in der allerdings, wohl mit Rücksicht auf die Sprachkenntnisse der englischen Schüler, nur einige englische und französische Werke vertreten sind. Etwas höheren Ansprüchen sucht das Buch von E. M. Hulme ( 708) gerecht zu werden; es ist für den Unterricht an amerikanischen Universitäten bestimmt und umfaßt das Jahrtausend von 300 bis 1300, das wiederum gegliedert ist in zwei Perioden: the rise of the new Rome (bis 800) und the feudal age. Bemerkenswert ist der breite Raum, der vor allem in der zweiten Periode der Schilderung der Zustände eingeräumt ist; nicht nur Verfassungseinrichtungen, sondern auch die kirchliche Entwicklung, die Entstehung der Universitäten, Mönchswesen und Häresien, Kunst und Literatur werden in besonderen Abschnitten behandelt, ausführlicher als das in der Regel in unseren Handbüchern zu geschehen pflegt. Die den einzelnen Kapiteln beigefügten Literaturnachweise berücksichtigen die deutsche Literatur nur in sehr ungleicher Auswahl. Nahezu den gleichen Zeitraum wie das zuvor genannte Buch behandelt der Band, den A. Fliche ( 1661) zu der von M. Cavaignac herausgegebenen Histoire du monde beigesteuert hat, nämlich die J. 395--1254. Aber die Darstellung, die auf jeglichen Literaturnachweis verzichtet, verlegt den Schwerpunkt doch mehr auf die politischen Ereignisse, wenn auch Abschnitte über die wirtschaftliche, soziale und staatsrechtliche Entwicklung nicht fehlen. Mit besonderer Vorliebe ist, der bekannten kirchlichen Einstellung F.s entsprechend, die Entwicklung des Papsttums behandelt, das in seinen Kämpfen mit dem Imperium in allzu günstigem Lichte erscheint.

Noch im Vorjahr erschienen ist die Abhandlung von F. Kern (1928: 584), in der er in Übereinstimmung mit G. v. Below (vgl. Jberr. 3, 750) die Italienpolitik Ottos des Großen als einen »tragischen Irrtum« für die weitere Entwicklung der deutschen Geschichte verantwortlich macht. Er geht dabei aus von den »weltanschaulichen Grundlagen«, nämlich der »Fürstenspiegelethik«, und dem außerhalb der kirchlichen Weltanschauung erwachsenen Herrenrecht der Eroberung. Vor allem dieses zweite habe die Rechtfertigung für eine expansive Politik geliefert; die innerpolitische Hauptaufgabe des ma.lichen Herrschers, hervorgehend aus der Pflicht zur Erhaltung seiner Macht, sei der Kampf gegen


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die feudalen Gewalten gewesen. Die wirtschaftlichen Zustände hätten um 900 das Auseinanderfallen in Mittelstaaten etwa in der Größe der deutschen Stammesgebiete (Bayern, Schwaben usw.) bewirkt; die Tendenz zur Großmacht sei die Folge der karolingischen Tradition gewesen. Diese Gedanken werden mit steter Berücksichtigung der französischen Entwicklung dargelegt; aber gerade an diesem Punkt tritt die Schwäche der Argumentation zutage: die karolingische Tradition lag für das Westfrankenreich (Frankreich) ebenso vor wie für das Ostfrankenreich (Deutschland). Wenn Deutschland schon 961, also vor dem Italienzug, die Großmacht verwirklicht hatte, so lag doch offenbar schon darin eine Durchbrechung der aus den wirtschaftlichen und verkehrspolitischen Voraussetzungen sich ergebenden staatlichen Möglichkeiten. Kern geht über diesen Einwand hinweg und schildert dann im wesentlichen mit den schon von Below vorgebrachten Argumenten die Folgen des italienischen Feldzugs Ottos I. für seine eigene Politik und die seiner Nachfolger, wobei die Farben nach Art moderner Konjekturalpolitiker sehr stark aufgetragen sind: es hätte in Europa »kein Meer von Blut« gegeben, wenn... usw. -- Zu denen, die ausdrücklich zustimmend das Wort zu der von v. Below neu aufgeworfenen Frage genommen haben, gehört auch B. Schmeidler ( 729). Er betont in seiner Rede ( 711) stärker als Kern den Einfluß ideell-imperialistischer Vorstellungen auf die Wendung Ottos I. nach Italien und bestreitet dem deutschen Königtum geradezu den friedlichen oder wenigstens friedebewahrenden Charakter: keine friedliche, sondern eine Eroberungs- und Machtpolitik habe das Reich während der Kaiserzeit getrieben. Die Folge davon sei die Abneigung der übrigen europäischen Völker gewesen. Das mag zutreffend sein, beweist aber nur das Versagen der christlichen Staatslehre, und es fragt sich sehr, ob andere Monarchien anders und besser waren. -- Tiefer faßt Fedor Schneider das Problem in seinem, das MA. von der Gründung der germanischen Reiche bis zum Ausgang der Staufer umfassenden Handbuch ( 709). Wenn er in seiner Einleitung (S. 8) bemerkt, er wolle »das Problem (des ma.lichen Kaisertums) auf die allgemeinen Grundlagen der ma.lichen Kultur« stellen, -- »Gerade die praktische Unmöglichkeit, mit den Macht- und Verkehrsmitteln eines ganz überwiegend naturalwirtschaftlichen Staatswesens Universalpolitik zu treiben und die Zentralregierung eines universellen Reiches zu organisieren, erscheint als ausschlaggebendes Argument dafür, daß die Kaiserpolitik eine Pseudomorphose war. Nicht eine Kette unglücklicher Zufälle, nicht Versagen im einzelnen, nein, die dramatische Kausalität der Gesamtentwicklung begründet die Tragik unserer nationalen Geschichte« -- so berührt er sich in dieser wirtschafts- und verfassungsgeschichtlichen Einstellung mit Kern. Denn die »allgemeinen Grundlagen der ma.lichen Kultur« sind, wie die Ausführung zeigt, doch vorwiegend die materiellen; die geistigen treten bei Schn. allzu sehr zurück, ihre stärkere Berücksichtigung würde das Bild doch wohl modifiziert haben. Im übrigen ist zu sagen, daß das Handbuch unter einer unglücklichen Stoffverteilung leidet. Die Entwicklung der außerdeutschen Länder ist einem späteren Band vorbehalten, so daß der Band von 911 ab wesentlich deutsche politische Geschichte schildert. Für diese ist das Buch allerdings durch die reichen Literaturnachweise und durch die in jedem Falle originelle und einheitliche Auffassung nützlich und bemerkenswert, so daß es sich lohnt, sich mit ihm auseinanderzusetzen. --Hampes wohlbekannte Kaisergeschichte ( 719) liegt in sechster Auflage vor, ein Zeichen für die Beliebtheit

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des Buches bei den Studenten. Da diese Auflage aber ein unveränderter Abdruck der zweiten von 1912 ist, muß zugegeben werden, daß man dem Buche nicht mehr wie früher einen Eindruck von dem gegenwärtigen Stand der Erkenntnis entnehmen kann. -- Endlich ist hier noch zu erwähnen die recht anregende Dissertation von M. Seidlmayer (1928: 569), die die Frage nach dem Vorwiegen des Nordens oder Südens in der deutschen Geschichte bis zur Schlacht am Welfesholz (1115) untersucht, und zwar auf politischem wie auf kulturellem Gebiet. Es ergibt sich dabei, daß der Höhepunkt der Vereinheitlichung des Reiches in der ersten Hälfte des 11. Jhds. liegt. Das damalige Königtum, Heinrich II. bis Heinrich III., gebot über die breiteste Machtbasis, die je einem deutschen König zur Verfügung stand; die Herrschaft über die Reichskirche ermöglichte auch eine gleichartige Kultur. Die verschiedenen Erfolge der Kolonisation im Nordosten und Südosten werden aus der verschiedenen kulturellen Stärke (bzw. Schwäche) der Ausgangsstellung erklärt. Nur daß die Schlacht am Welfesholz eine epochemachende Wirkung gehabt habe, wird man bezweifeln müssen.


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